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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.04.2005
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 208/05
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 258 Abs. 2
StPO § 258 Abs. 3
StPO § 274 Abs. 1
OWiG § 46 Abs. 1
Zur Gewährung des letzten Wortes und zum Umfang der Aufhebung, wenn das letzte Wort nicht gewährt worden ist.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen P.H.

wegen Ordnungswidrigkeit (Verstoß gegen die Landesbauordnung - illegale Nutzung einer baulichen Anlage ohne Baugenehmigung).

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Iserlohn vom 24. Januar 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 04. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht Mosler (als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Iserlohn zurückverwiesen.

Gründe:

Die Betroffene ist durch das angefochtene Urteil wegen vorsätzlicher illegaler Nutzung einer baulichen Anlage ohne Baugenehmigung zu einer Geldbuße von 1.000,- € verurteilt worden.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2 u. 3 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG - zumindest vorläufig - Erfolg.

Die Rüge ist in zulässiger Weise erhoben. Neben dem Vortrag, dem Verteidiger sei zu keinem Zeitpunkt nach dem Schluss der Beweisaufnahme Gelegenheit zum Vortrag gegeben worden, wird in hinreichender Form dargestellt, dass - wie der Sitzungsniederschrift zu entnehmen sei - der Betroffenen weder am 14. Januar 2005, dem ersten Tag der Hauptverhandlung, noch im Fortsetzungstermin vom 24. Januar 2005 das letzte Wort gewährt worden sei.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils u.a. Folgendes ausgeführt:

"Das angefochtene Urteil ist bereits auf die Verfahrensrügen aufzuheben, sodass es auf die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht ankommt.

Zu Recht rügt die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, das Gericht habe weder dem Verteidiger das Recht zum Schlussvortrag noch der Betroffenen das letzte Wort gewährt. Diese wesentlichen Förmlichkeiten unterliegen der positiven und negativen Beweiskraft des Protokolls. Dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 24.01.2005 ist nicht zu entnehmen, dass dem Verteidiger das Recht zum Schlussvortrag bzw. der Betroffenen das letzte Wort gewährt worden wären. Mit dem Protokoll ist daher die Nichteinhaltung dieser Förmlichkeiten bewiesen. Die Beweiskraft des Protokolls ist auch insoweit nicht aufgehoben. Zwar haben beide Urkundspersonen mit dienstlicher Versicherung vom 10.03.2005 erklärt, das Hauptverhandlungsprotokoll vom 24.01.2005 sei unrichtig, der Verteidiger der Betroffenen habe in seinem Plädoyer Freispruch beantragt und der Betroffenen sei das letzte Wort gewährt worden. Diese Erklärungen können indes den bereits erhobenen Verfahrensrügen nicht nachträglich die Grundlage entziehen (zu vgl. BGHR StPO, § 274, Beweiskraft 8). Auf diesen Verfahrensverstößen kann das Urteil auch beruhen, sodass die angefochtene Entscheidung insgesamt aufzuheben ist."

Diesen zutreffenden Gründen tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend:

Da die Betroffene nach den Urteilsgründen nicht - zumindest aber nicht in vollem Umfang - geständig war, war aufgrund der Nichtgewährung des letzten Wortes nicht nur der Rechtsfolgenausspruch, sondern auch der Schuldspruch aufzuheben. Zwar begründet der Verstoß gegen § 258 Abs. 2 u. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die Rechtsbeschwerde nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil auf dem Fehler beruht oder beruhen kann. Ein Beruhen des Schuldspruchs auf der Nichtgewährung des letzten Wortes kann in der Regel aber nur dann verneint werden, wenn der Betroffene geständig war und es ersichtlich nur um eine milde Ahndung der im Übrigen eingeräumten Tat bzw. Ordnungswidrigkeit ging (vgl. Beschluss des hiesigen 3. Senats für Bußgeldsachen vom 30. August 2000 in 3 Ss OWi 881/00 unter Bezugnahme auf BGH bei Kusch, NStZ 1993, 29 Nr. 15). Dies war hier aber nicht der Fall.

Da die Erteilung des letzten Wortes ein Verfahrensvorgang ist, der als wesentliche Förmlichkeit nach § 274 Abs. 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann, kommt es auf den Vermerk bzw. die dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden und des Protokollführers, wonach das Protokoll vom 24. Januar 2005 unvollständig sei, da nach Abschluss der Beweisaufnahme der Verteidiger in seinem Plädoyer Freispruch beantragt habe und die Betroffene in ihrem letzten Wort sich ihrem Verteidiger angeschlossen habe, nicht an (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 in 1 StR 99/01 unter Bezugnahme auf BGHSt 22, 278, 280; ferner BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 in 2 StR 138/04 m.w.N., der in dieser Entscheidung auch die Frage erörtert, ob in einem Fall wie dem vorliegenden eine Berichtigung des - dem tatsächlichen Gang des Verfahrens widersprechenden - Protokolls vorgenommen werden könnte, auch wenn dadurch der erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen würde, und in einem obiter dictum unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung dieser Auffassung unter Bejahung der Frage zuneigt ; vgl. ferner BGH NStZ 2002, 270, 272).

Abgesehen davon, dass es auf die Frage der Zugrundelegung eines berichtigten Protokolls ebenso wie in der Entscheidung des BGH vom 12. Januar 2005 nicht ankommt, weil auch hier eine Berichtigung des Protokolls nicht vorgenommen worden ist, ist der Vermerk des Vorsitzenden und des Protokollführers vom 10. März 2005 aber auch aus folgendem Grund widersprüchlich:

Die Hauptverhandlung hat am 14. Januar 2005 begonnen und ist am 24. Januar 2005 fortgesetzt worden. Der den Vermerk und die dienstliche Äußerung unterschreibende Protokollführer hat jedoch nur am ersten Hauptverhandlungstag an der Sitzung teilgenommen. Er kann daher über die Vorgänge am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 24. Januar 2005, naturgemäß keine Aussagen über die Unvollständigkeit des Protokolls dieses Tages treffen. Dies gilt umso mehr, als nach dem Protokoll vom 24. Januar 2005 die Betroffene an diesem Hauptverhandlungstag, zu dem sie am Ende der Hauptverhandlung vom 14. Januar 2005 mündlich geladen worden war, gar nicht anwesend war. Da es - wie oben dargelegt - auf die dienstlichen Äußerungen aber ohnehin nicht ankommt, bedurfte es auch keiner Aufklärung darüber, ob in der dienstlichen Äußerung irrtümlich statt des Protokolls vom 24. Januar 2005 tatsächlich das Protokoll vom 14. Januar 2005 gemeint war und ob möglicherweise das Protokoll vom 24. Januar 2004 bezüglich der Anwesenheit der Betroffenen unvollständig bzw. unrichtig ist.

Danach war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Da bei dieser Sachlage ohnehin nur die Aufhebung des angefochtenen Urteils in Betracht kommen konnte, konnte diese Entscheidung auch bereits jetzt getroffen werden, obwohl das angefochtene Urteil bislang noch nicht wirksam zugestellt worden ist.

Die an den Verteidiger Rechtsanwalt B. in Dortmund, der mit Schriftsatz vom 25. Januar 2005 die Rechtsbeschwerde eingelegt hat, durch den Vorsitzenden angeordnete und sodann am 9. Februar 2005 erfolgte Zustellung des Urteils war deshalb unwirksam, weil sich von ihm keine schriftliche Vollmacht bei den Akten befindet und eine entsprechende Erklärung der Betroffenen auch nicht in das Protokoll aufgenommen worden ist ( vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 145a Rdnr. 7 ff ).

Von dem weiteren Verteidiger, Rechtsanwalt W. in Bochum, der mit Schriftsatz vom 4. März 2005 die weitere Verteidigung angezeigt und die Rechtsbeschwerde begründet hat, befindet sich zwar eine schriftliche Vollmacht vom 3. März 2005 bei den Akten, doch ist weder ihm noch der Betroffenen selbst das Urteil zugestellt worden.

Ende der Entscheidung

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