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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.05.2005
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 261/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 147
StPO § 338
StPO § 344
Wird als Beschränkung der Verteidigung die Gewährung nur unvollständiger Akteneinsicht (§§ 147, 228 StPO) gerügt, so ist zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge die konkret-kausale Beziehung zwischen diesem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt darzutun.]
Beschluss

Bußgeldsache

gegen K.S.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 24. Januar 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 05. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht (als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten der Betroffenen verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 2, 49 StVO i.V.m. § 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 100,00 € festgesetzt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt unter Beachtung des § 25 Abs. 4a StVG.

Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

"Die Betroffene ist von Beruf Rechtsanwältin.

Straßenverkehrsrechtlich ist sie bisher nicht in Erscheinung getreten.

Am 10.05.2004 um 22.10 Uhr war die Betroffene mit dem Pkw Skoda 1U mit dem polizeilichen Kennzeichen XXXX in Begleitung des Zeugen B. auf dem Heimweg von einer Tagung in Münster. Sie fuhr auf der Bundesautobahn A 43 in Fahrtrichtung Wuppertal. Dort fiel sie den Polizeibeamten PM G. und PK L., die mit dem Funkstreifenwagen MS-3673 unterwegs waren, wegen ihrer hohen Geschwindigkeit auf. Der Funkstreifenwagen verfügte über einen Tachometer, der letztmalig am 22.01.2004 justiert worden war. Aus einer entsprechenden Bescheinigung (Blatt 26 der Akte) ergibt sich, dass die Abweichung von der tatsächlichen Geschwindigkeit bei über 100 km/h plus/minus 3 km/h nicht überschreitet.

Die Betroffene fuhr über die gesamte Strecke, die die Polizeibeamten hinter ihr herfuhren, auf dem linken Fahrstreifen der zweispurig ausgebauten BAB 43. Als die Polizeibeamten einen gleichbleibenden Abstand von 50 Metern zu der Betroffenen hatten, haben sie zwischen KM 37,5 bis 36,5 eine Messung vorgenommen. In diesem Bereich besteht gemäß § 41 Abs. 2 (Z 274 mit dem Zusatz: Straßenschäden) StVO eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h. Es ist gerichtsbekannt, dass eine Beschilderung bei Kilometer 40,730 - 120 km/h, bei Kilometer 40,200 - 100 km/h, bei Kilometer 39,950 - 80 km/h mit Zusatzzeichen 1006-34 und bei Kilometer 38,950 ein weiteres 80 km/h-Zeichen mit Zusatzzeichen 1006-34 besteht.

Der Polizeibeamte L. sah während des Messvorganges nicht nur die Rücklichter, sondern auch die Umrisse des Pkw's Skoda, sowohl durch die Beleuchtung seines Funkstreifenwagens als auch durch die Beleuchtung der im regelmäßigen Abstand auf dem rechten Fahrbahnstreifen fahrenden Fahrzeuge. Die Polizeibeamten lasen dabei von dem justierten Tachometer des Funkstreifenwagens eine Geschwindigkeit von 150 km/h ab. Die Entfernung zu dem vorausfahrenden Fahrzeug stellte der Zeuge L. anhand der Leitpfosten fest."

Das Amtsgericht hat zum Ausgleich von Ungenauigkeiten des Tachometers und sonstigen Messungenauigkeiten (z.B. durch Ablesefehler, Reifenabnutzung, zu geringer Reifendruck, Abstandsschwankungen und dergleichen) einen Abschlag in Höhe von 15 % vorgenommen.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene unter näherer Darlegung die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, kann in der Sache jedoch entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft keinen Erfolg haben.

1.

Die von der Betroffenen erhobene Verfahrensrüge der verweigerten Akteneinsicht ist nicht ausreichend i. S. v. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG begründet worden.

Die Betroffene macht mit der Verfahrensrüge die Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Nichtgewährung von Akteneinsicht geltend. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Betroffene hat mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 26. Juni 2004 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt und um Akteneinsicht gebeten, die ihr daraufhin unter dem 26. Juli 2004 gewährt worden ist. Ihr Verteidiger hat sodann mit Schriftsatz vom 29. Juli 2004 den Einspruch begründet und u.a. die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der Polizeibeamten beantragt, die die Messung vorgenommen hatten. Gleichzeitig wurde erneut um Akteneinsicht nachgesucht. Die Verwaltungsbehörde holte daraufhin eine dienstliche Äußerung des Polizeibeamten ein, übersandte diese dem Verteidiger verbunden mit der Anfrage, ob der Einspruch aufrecht erhalten bleibe. Die Akten wurden unter Hinweis darauf, diese hätten bereits vorgelegen, nicht nochmals übersandt. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2004 antwortete der Verteidiger, der Einspruch bleibe bestehen und beantragte erneut Akteneinsicht unter Hinweis auf § 69 Abs. 3 OWiG, dass die Verwaltungsbehörde unter den dort festgelegten Voraussetzungen einen Aktenvermerk anzufertigen habe, aus welchen Gründen sie den Bußgeldbescheid nicht zurücknimmt. Die Verwaltungsbehörde übersandte die Akten ohne Anfertigung des Aktenvermerks über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht Recklinghausen, das dem Verteidiger der Betroffenen sodann auf dessen Antrag mit Verfügung vom 17. Dezember 2004 Akteneinsicht gewährte.

Für die Annahme, dass die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden ist (§ 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 OWiG), reicht eine Beschränkung der Verteidigung, die generell abstrakt geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen, nicht aus. Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO i.V.m § 79 OWiG nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensstoß und dem Urteil besteht.

Wird als Beschränkung der Verteidigung die Gewährung nur unvollständiger Akteneinsicht (§§ 147, 228 StPO) gerügt, so ist die konkret-kausale Beziehung zwischen diesem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt darzutun. Hierzu gehört zumindest, dass nach Einsichtnahme in die Aktenbestandteile, die in der Verhandlung vorenthalten wurden, ein konkretes Ergebnis (etwa Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung der Verhandlung, der durch Gerichtsbeschluss abgelehnt worden ist) für den Fall vorheriger vollständiger Akteneinsicht vorgetragen wird (vgl. hierzu BGH NStZ-RR 2004, 50).

Nur in diesem Fall kann der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 i. V. m. § 79 OWiG geltend gemacht werden (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 147 Rdnr. 42).

Dies ist vorliegend nicht dargetan. Bei der hier gerügten Nichtgewährung von Akteneinsicht würde es sich ohnehin um einen Verfahrensmangel handeln, der außerhalb des Bußgeldbescheides selbst liegt und dessen Wirksamkeit nicht berührt (vgl. hierzu auch OLG Hamm, VRS 55, 141).

2. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3, 4 StPO, 79 Abs. 3 OWiG greift ebenfalls nicht durch.

Der in der Rechtsbeschwerdeschrift angeführte Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erfüllt bereits nicht die Mindestanforderungen, die an einen Beweisantrag gestellt werden. Diese erfordern, dass im Beweisantrag die Anknüpfungstatsachen selbst mitgeteilt werden, damit das Gericht prüfen und entscheiden kann, ob es einen Sachverständigen einbeziehen muss (BGH, NStZ 1996, 202).

Unabhängig davon, dass ein solcher "unzulässiger" Beweisermittlungsantrag schon nicht hätte beschieden werden müssen, verstößt seine Ablehnung vorliegend jedenfalls weder gegen § 77 Abs. 2 OWiG noch verletzt sie den Grundsatz der Aufklärungspflicht.

3.

Das Rechtsmittel hat auch mit der Sachrüge keinen Erfolg.

Die tatsächlichen Feststellungen tragen den Schuldspruch einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 47 km/h. Der vorgenommene Sicherheitsabzug von 15 % für Toleranzen entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zur Problematik der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit u.a. den Beschluss des erkennenden Senats vom 13. März 2003 in 2 Ss OWi 201/03, NStZ-RR 2004, 26).

Die tatrichterliche Beweiswürdigung, die ohnehin nur einer eingeschränkten Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt, ist gleichfalls nicht rechtsfehlerhaft. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungsgesetze verstößt. Dies ist hier nicht festzustellen. Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass das von der Amtsrichterin gefundene Ergebnis der Beweiswürdigung das nach der Beweisaufnahme einzig mögliche Ergebnis ist. Im Übrigen erschöpfen sich die Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung weitgehend in unzulässigen Angriffen auf die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Das Amtsgericht hat auch rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines Augenblicksversagens verneint.

Die Verhängung des Fahrverbots stellt hier auch keine unbillige Härte dar.

Die Revision war nach alledem mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 46, 79 Abs. 3 OWiG ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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