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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 31.07.2003
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 474/03
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 25
Hat der Betroffene ein die Geschwindigkeit beschränkendes Vorschriftszeichen übersehen, weil er durch ein Telefonat mit seinem Handy abgelenkt war, kann er sich in der Regel nicht auf ein sog. Augenblicksversagen berufen.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 03. April 2003 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 31. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers gemäß den §§ 79 Abs. 5 S. 1, Abs. 3 S. 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274), 49 StVO i.V.m. § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 150,00 € verurteilt. Ferner hat es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt und bestimmt, dass dieses erst wirksam wird, wenn der Führerschein des Betroffenen in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens mit Ablauf von vier Monaten nach Rechtskraft des Urteils. Es hat dazu u.a. folgende Feststellungen getroffen: "Er befuhr am 15.06.2002 um 10.28 Uhr mit dem Pkw, XXXXXXX die BAB A 42 in Fahrtrichtung Dortmund. Der Betroffene war in Gelsenkirchen-Bismarck auf die Autobahn aufgefahren und in Höhe der Anschlussstelle Bismarck beginnt für diesen Teil der BAB A 42 ein geschwindigkeitsbeschränkter Abschnitt. Durch Zeichen 274 wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt. Dieses beiderseits der Autobahn aufgestellte Verkehrszeichen ist mit einem Zusatzschild gemäß § 39 StVO versehen, wonach die Geschwindigkeitsbeschränkung werktags von 6 bis 19 Uhr gültig ist. Auf seiner Fahrt in Richtung Dortmund passierte der Betroffene eines dieser Verkehrszeichen. 480 Meter weiter in Fahrtrichtung Dortmund führte zu dieser Zeit der POK W. von der Autopolizeiinspektion Münster mit einem Verkehrsradar Multanova 6 F, geeicht bis zum 31.12.2002 eine gezielte Geschwindigkeitsüberwachung durch. Dabei wurde der von dem Betroffenen gesteuerte Pkw mit einer Geschwindigkeit von 157 km/h gemessen. Abzüglich des vorgeschriebenen Toleranzwertes von 5 km/h ergibt sich daraus eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 52 km/h. "

Der Betroffene hat die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Abrede gestellt, sich jedoch auf ein Augenblicksversagen berufen. Er habe an diesem Tag Geburtstag gehabt und sei in Gedanken bei diesem Ereignis gewesen, so dass er das Verkehrszeichen übersehen haben müsse. Zum Verschulden des Betroffenen hat das Amtsgericht folgendes ausgeführt: "Der Betroffene kann sich nicht darauf berufen, bei ihm habe ein sogenanntes Augenblicksversagen vorgelegen.

Zwar ist es richtig, dass er lediglich ein Zeichen 274 passiert hatte, bevor er von dem Verkehrsradarmessgerät erfasst wurde. Ausweislich des dabei gefertigten Fotos, Blatt 1 der Akte, welches Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen ist und auf welches das Gericht Bezug nimmt, hat der Betroffene zu diesem Zeitpunkt seine Aufmerksamkeit nämlich weniger dem Verkehrsgeschehen und damit auch der Beschilderung der Autobahn gewidmet, sondern mehr dem von ihm gerade geführten Telefongespräch. Er muss sich mithin vorhalten lassen , dass er nicht, wie es seine Verpflichtung als Kraftfahrzeugführer gewesen wäre, seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Verkehrsgeschehen und damit auch der Beschilderung auf der BAB A 42 gewidmet hat, sondern seine Aufmerksamkeit durchaus geteilt gewesen ist. In einem solchen Fall kann von einem sein Verschulden mindernden Augenblicksversagen aber nicht mehr die Rede sein."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, auf deren Begründung wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere geltend, die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes seien nicht gegeben, weil beim Übersehen eines einzigen Schildes keine grobe Pflichtwidrigkeit vorliege. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Insbesondere hat das Amtsgericht Herne-Wanne zu Recht gegen ihn ein Fahrverbot verhängt.

Auch nach dem Inkrafttreten der Bußgeldkatalogverordnung vom 4. Juli 1989 ist § 25 StVG die alleinige Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbotes wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (vgl. BGHSt 38, 125, 127). Nach dieser Vorschrift kann ein Fahrverbot u.a. dann erteilt werden, wenn der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Die Annahme einer groben Pflichtverletzung setzt zunächst voraus, dass der Zuwiderhandlung in objektiver Hinsicht Gewicht zukommt. Sie ist im allgemeinen nur bei abstrakt oder konkret gefährlichen Ordnungswidrigkeiten gerechtfertigt, die immer wieder die Ursache schwerer Unfälle bilden. Ein solcher Verkehrsverstoß liegt bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 52 km/h vor.

Jedoch vermag das besondere objektive Gewicht einer Ordnungswidrigkeit für sich allein die Annahme einer groben Pflichtverletzung nicht zu begründen (vgl. BGH NJW 1997, 3252, 3253). Hinzukommen muss vielmehr, dass der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt. Eine grobe Pflichtverletzung kann ihm nur vorgehalten werden, wenn seine wegen ihrer Gefährlichkeit objektiv schwerwiegende Zuwiderhandlung subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückzuführen ist (vgl. BVerfG DAR 1996, 196, 197; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 14). Zwar entfalten die Regelbeispiele der Bußgeldkatalogverordnung durchweg eine gewichtige - nur ausnahmsweise auszuräumende - Indizwirkung. Bei den dort beschriebenen Sachverhalten muss sich dem Kraftfahrer in der Regel die Gefährlichkeit seines ordnungswidrigen Verhaltens so deutlich aufdrängen, dass Gestaltungen, in denen gleichwohl keine grobe Pflichtverletzung vorliegt, schwer vorstellbar erscheinen.

Diese indizielle Wirkung der Erfüllung des Regelbeispiels kommt aber bei einer "qualifizierten" Überschreitung der durch Vorschriftszeichen 274 gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO beschränkten Geschwindigkeit nur mit Einschränkungen zum Tragen. In diesen Fällen kann dem Kraftfahrzeugführer das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit (vgl. BGH NJW 1997, a.a.O.).

Letzteres trifft hier zu. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen hat der Betroffene das Vorschriftszeichen 274 übersehen, weil er durch ein Telefonat mit seinem Handy abgelenkt war. Ein Kraftfahrer, der während der Fahrt ein Auto- oder Mobiltelefon benutzt, muss sich jedoch darauf einstellen, dass ihn dies unter Umständen ablenken und die Beherrschung des Fahrzeugs einschränken kann (vgl. KG, Beschluss vom 19. Januar 2000 in 2 Ss 319/99 - 3 Ws (B) 669/99; Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 23 StVO Rdnr. 13). Er hat daher durch erhöhte Sorgfalt sicher zu stellen, dass es zu keiner verkehrsrelevanten Beeinträchtigung kommt (vgl. KG a.a.O.). Da der Betroffene diesen erhöhten Sorgfaltsanforderungen nicht genügt hat, kann er sich nicht auf ein Augenblicksversagen berufen.

Soweit der Betroffene gegen § 23 Abs. 1 a S. 1 StVO verstoßen hat, indem er während der Fahrt ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung mit seinem Handy telefoniert hat, ist er durch das angefochtene Urteil nicht beschwert, weil diese Verkehrsordnungswidrigkeit nicht gesondert Gegenstand der Verurteilung geworden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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