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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 656/06
Rechtsgebiete: BKtav, StPO
Vorschriften:
BKtav § 4 | |
StPO § 267 |
Beschluss
Bußgeldsache
gegen B.H.
wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit u.a.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 27. April 2006 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 11. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den verheirateten Betroffenen, der als selbständiger Taxiunternehmer tätig ist, ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000 € erzielt und in dessen Betrieb auch seine Ehefrau ein Taxi fährt, wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 450 € verurteilt, von der Verhängung eines Fahrverbotes jedoch abgesehen. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt worden ist.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.
Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung.
Der Rechtsfolgenausspruch ist allerdings aus Rechtsgründen derzeit zu beanstanden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Hagen mit der gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaften, rechtzeitig angebrachten sowie form- und fristgerecht begründeten Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Dem ausweislich seiner Begründung - wirksam - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Hagen trete ich bei und bemerke ergänzend:
Die Erwägungen, auf Grund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Besonderheiten, die gemäß § 4 Abs. 4 BKatV Anlass geben könnten, von der daher regelmäßig gebotenen Anordnung eines Fahrverbots im vorliegenden Fall abzusehen, sind den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der festgestellte Lebenssachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufwies, dass die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt ist und die Verhängung eines Fahrverbots trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände ausreicht. Einen solchen Ausfall kann zwar insbesondere der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 01.06.2006 - 2 Ss OWi 262/06 - m.w.N.). Der Tatrichter hat dann im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeitsplatzes oder der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Betroffenen positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.09.2005 - 3 Ss OWi 610/05 - m.w.N.). Die Ausführungen des Gerichts dürfen sich in einem solchen Fall daher nicht auf die unkritische Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen beschränken (zu vgl. OLG Hamm, VRs 95, 138).
Diesen Anforderungen werden die Gründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Sie lassen zwar erkennen, dass das Amtsgericht die berufliche Situation des Betroffenen gewürdigt hat, wonach im Falle der Verhängung eines Fahrverbots feste Kundenaufträge zur Durchführung von Krankenfahrten entfielen und er aufgrund der finanziellen Situation nicht in der Lage sei, einen weiteren Fahrer für sein Taxiunternehmen einzustellen. Darüber hinaus sei er als selbständiger Unternehmer nicht in der Lage, einen einmonatigen Urlaub anzutreten. Das Amtsgericht hat es aber unterlassen, seine Angaben einer kritischen Prüfung zu unterziehen und die erforderlichen Beweiserhebungen durchzuführen. Die negativen Folgen eines Fahrverbots und die verschiedenen Möglichkeiten, diese abzumildern, sind im Einzelnen konkret darzulegen. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, warum es dem Betroffenen nicht - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hingewiesen hat - möglich ist, die wirtschaftlichen Auswirkungen für seinen Betrieb dadurch abzumildern, dass seine ebenfalls im Unternehmen tätige Ehefrau die genannten Krankenfahrten des Betroffenen übernimmt.
Aber selbst wenn Umstände hätten festgestellt werden können, hätte ein Betroffener, wenn er aufgrund des Fahrverbotes mit durchgreifenden beruflichen Schwierigkeiten zu rechnen hätte, diese auch dann hinzunehmen, wenn - wie hier - wegen der Vielzahl der bereits in der Vergangenheit begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten keine andere Maßnahme als die Verhängung der Denkzettelmaßnahme "Fahrverbot" mehr bleibt (vgl. OLG Hamm, VRS 93, 377)."
Diesen Ausführungen tritt der Senat im Wesentlichen bei, weist für die neue Hauptverhandlung allerdings zusätzlich noch auf Folgendes hin:
Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots der tatrichterlichen Würdigung und ist vom Rechtsbeschwerdegericht "bis zur Grenze des Vertretbaren" hinzunehmen (Senat in zfs 1996, 35 = DAR 1996, 68 = VRS 91, 138). Ist die tatrichterliche Entscheidung, von der Verhängung eines Regelfahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abzusehen, nicht ermessensfehlerhaft, sondern vertretbar, ist ohne Bedeutung, ob nicht auch eine andere Entscheidung vertretbar gewesen wäre (Senat in VRS 92, 40). Auf dieser Grundlage wäre zweifelhaft, ob nicht bei einem Ersttäter die vom Amtsgericht getroffene Absehensentscheidung unter Berücksichtigung der massiv erhöhten Geldbuße hinzunehmen wäre (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 3. 7. 2006, 2 Ss OWi 324/06). Vorliegend hat das Amtsgericht jedoch übersehen, dass der Betroffene seit 2003 bereits dreimal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon zweimal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Im Jahr 2003 ist sogar bereits einmal gegen Erhöhung der Geldbuße von einem Fahrverbot abgesehen worden. Bei dieser Sachlage bedurfte es einer eingehenden Erörterung, warum trotz dieser Vorwarnung(en) nun nochmals von der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbotes abgesehen werden kann bzw. soll (vgl. dazu ähnlich Senat in DAR 1997, 117 = VRS 93, 217; VRS 96, 458 = NZV 1999, 391). Das angefochtene Urteil lässt diese Darlegungen vermissen. Ihm lässt sich zudem auch nicht entnehmen, warum das Amtsgericht die Regelgeldbuße auf 450 € erhöht hat, ob dafür nämlich die Voreintragungen und/oder das Absehen vom Fahrverbot maßgebend gewesen sind.
Ende der Entscheidung
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