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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 890/08
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 44
StPO § 45
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
OWiG § 79 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Dem Betroffenen wird auf seine Kosten (§ 46 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gewährt.

2. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

3. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Schwelm hatte den Betroffenen bereits mit Urteil vom 26. Oktober 2007 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr zu einer Geldbuße von 250,- € verurteilt und zudem ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist dieses Urteil durch Beschluss des Senats vom 24. Januar 2008 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben worden und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen worden. Der Senat hat hierbei insbesondere ausgeführt, dass das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zu der Frage hätte einholen müssen, ob das Messergebnis durch einen Hustenlöser verfälscht worden sein könnte. Zudem ließ sich den Feststellungen nicht hinreichend sicher entnehmen, ob die Kontrollzeit von 10 Minuten vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung eingehalten wurde.

Mit Urteil vom 13. Juni 2008 hat das Amtsgericht Schwelm den Betroffenen erneut wegen Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr zu einer Geldbuße von 250,- € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Hierzu hat das Amtsgericht u.a. Folgendes ausgeführt:

"II.

Am 20.02.2007 befuhr der Betroffene mit dem Pkw T1, amtliches Kennzeichen XXXX, um 0.45 Uhr öffentliche Straßen in T, nämlich die I1 Straße. Er hatte zuvor Alkohol getrunken. Nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene einige Minuten vor der Fahrt einen Hustenlöser genommen hat. Der Betroffene führte das Fahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l.

Die Atemalkoholmessung wurde vorgenommen durch das geeichte Gerät Dräger F. Bedienerin des Gerätes war die Zeugin H, die zur Anwendung des Messgerätes befugt war, die Messung nach Gebrauchsanweisung durchführte und die Anzeige mit dem gedruckten Ergebnis auf Übereinstimmung prüfte. Das Messgerät wurde um 1:22 Uhr gestartet, die Messungen wurden um 1:25 Uhr und um 1:27 Uhr vorgenommen. Zwischen 0:45 Uhr und dem Ende der Messung hatte der Betroffene keine Möglichkeit, irgendwelche Substanzen zu sich zu nehmen.

Der Betroffene führte daher ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/I oder mehr.

Das Oberlandesgericht Hamm hatte das hiesige Urteil vom 26.10.2007 aufgehoben, da ein Sachverständigenbeweis erhoben werden sollte und die Einhaltung der Kontrollzeit zu überprüfen sei.

III.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, soweit ihr gefolgt werden konnte, den Bekundungen der Zeugin H, dem mündlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen M sowie dem erörterten Messprotokoll Blatt 3 R der Akte und dem erörterten Eichschein Blatt 31 der Akte.

Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, er habe lediglich ein Bier mit Cola in der Nacht getrunken. Er habe einige Minuten vor Beginn der Fahrt einen Hustenlöser genommen und Schnupfen gehabt, so dass nicht auszuschließen sei, dass das Messergebnis verfälscht worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass jeweils bei der Messung durch etwa in Zahnfleischtaschen verbliebenen Reste der Hustentropfen die Messung verfälscht worden sei. Im übrigen würde das Messprotokoll nicht bestätigen, dass während des ganzen Vorgangs eine Beamtin anwesend gewesen sei. Das Messergebnis sei daher nicht zu verwerten.

Die Frage, welches Präparat er als Hustenlöser genommen habe, konnte der Betroffene nicht beantworten.

Es bestehe die Möglichkeit, dass sich Alkohol in einer Zahnfleischtasche länger als 50 Minuten im Mundraum halten könne, ohne dass eine vollständige Resorption erfolge.

Das Gericht ist auf Grund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die obigen Feststellungen zutreffend sind.

Die Zeugin H hat bekundet, dass die Atemalkoholmessung durch das geeichte Gerat Dräger F vorgenommen worden sei. Sie sei zur Anwendung des Messgerätes befugt und habe die Messung nach Gebrauchsanweisung durchgeführt und die Anzeige mit dem gedruckten Ergebnis auf Übereinstimmung geprüft. Das Messgerät habe sie um 1:22 Uhr gestartet, die Messungen seien um 1:25 Uhr und um 1:27 Uhr vorgenommen worden. Zwischen 0:45 Uhr und dem Ende der Messung habe der Betroffene keine Möglichkeit gehabt, irgendwelche Substanzen zu sich zu nehmen. Anhaltspunkte gegen die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der Zeugin H2 liegen nicht vor. Der Betroffene hat selbst ebenfalls angegeben, einige Minuten vor der Fahrt den alkoholhaltigen Hustenlöser zu sich genommen zu haben.

Der Sachverständige M hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Messung vorlägen. Das Messergebnis sei auch nicht durch einen Hustenlöser verfälscht worden. Innerhalb der Kontrollzeit wäre Alkohol zersetzt bzw. weggespült worden. Dies sei jedenfalls aus technischer Sicht, auch gerade bei einem Schnupfen des Fahrers festzustellen. Ob eventuell unter ganz besonderen Umständen und bei einer außergewöhnlichen Erkrankung im Mundraum Alkohol längere Zeit im Mundbereich konzentriert bleiben könne, könne ggf ein Mediziner klären. Bezüglich der Messungen um 1:15 Uhr und um 1:17 Uhr habe das Gerät als Messergebnis "Interferenz' angezeigt, da die angezeigten Werte nicht innerhalb des Toleranzbereiches von 0,04 mg/l gelegen hätten. Die Messergebnisse seien nicht durch irgendwelche Störfaktoren verfälscht worden.

Anhaltspunkte gegen die Sachkunde des Sachverständigen liegen nicht vor.

Der Betroffene führte ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr. Das Gericht ist aufgrund des Sachverständigengutachtens, der Bekundungen der Zeugin H, des erörterten Messprotokolls und des Eichscheins davon überzeugt, dass der Messwert ohne Sicherheitsabschläge verwertbar ist. Das Gerät hat die Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs erhalten, unter Einhaltung der Eichfrist war es geeicht, die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren waren gewahrt. Die Atemalkoholmessung wurde entsprechend der Bedienungsanleitung vorgenommen durch das geeichte Gerät Dräger F. Das Messgerät wurde um 1:22 Uhr gestartet, die Messungen wurden um 1:25 Uhr und um 1:27 Uhr vorgenommen. Zwischen 0:45 Uhr und dem Ende der Messung hatte der Betroffene keine Möglichkeit, irgendwelche Substanzen zu sich zu nehmen. Anhaltspunkte für eine Verfälschung der Messergebnisse durch sonstige Störfaktoren sind auszuschließen. Dass sich jeweils bei den Messungen Mundrestalkohol aus Zahnfleischtaschen gelöst haben könnte, ist nach Überzeugung des Gerichts auf Grund des Gutachtens auszuschließen.

Das Gutachten eines Mediziners brauchte nicht eingeholt zu werden, zumal der Zustand des Gewebes im Mund des Betroffenen am 20.02.2007 nicht mehr festgestellt werden kann und Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Erkrankung des Betroffenen am 20.02.2007 im Mundbereich weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind.

Der Wert der Atemalkoholkonzentration ist auch zutreffend ermittelt worden. Die Verfahrensbestimmungen wurden beachtet. Ein Zeitablauf von mindestens 20 Minuten seit Trinkende ist gewahrt worden. Außerdem wurde die Kontrollzeit von zehn Minuten vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung eingehalten. Der Betroffene war um 0.45 Uhr gefahren, die Messungen fanden statt um 1.25 und 1.27 Uhr. Es lag also auch eine Doppelmessung im Zeitabstand von maximal fünf Minuten und Einhaltung der zulässigen Variationsbreite zwischen den Einzelmesswerten vor."

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene erneut Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach seinem Verteidiger am 7. Juli 2008 erfolgter Zustellung des Urteils hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 4. August 2008, eingegangen beim Amtsgericht Schwelm am 9. August 2008, die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Mit weiterem Schriftsatz vom 3. September 2008 hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

Dem Betroffenen war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren und auf die Rechtsbeschwerde hin das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:

"II.

Dem Betroffenen dürfte gem. §§ 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein. Der Betroffene hat über seinen Verteidiger einen Sachverhalt vortragen und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft machen lassen, der zumindest ein eigenes Verschulden des Betroffenen ausschließt. Zwar erscheint es fraglich, ob der Verteidiger bei Zugrundelegung einer noch üblichen Postlaufzeit von drei Tagen unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Beschwerdebegründung erst am Abend des 04.08.2008 in den Briefkasten geworfen wurde, so dass von einer Leerung am selben Tag nicht mehr ausgegangen werden konnte, noch darauf vertrauen durfte, die Beschwerdebegründung werde spätestens am 07.08.2008 bei dem Amtsgericht Schwelm eingehen. Doch handelt es sich hierbei um ein Verschulden des Verteidigers, das dem Betroffenen in Straf- oder Bußgeldsachen nicht zugerechnet werden kann (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 44, Rn. 18). Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch binnen einer Woche, seit zumindest der Verteidiger von dem verspäteten Zugang des Rechtsbeschwerdebegründungsschriftsatzes Kenntnis erlangt hatte, gestellt worden. Einer nochmaligen Einreichung der Begründungsschrift bei dem Gericht bedurfte es nicht, da eine solche dort bereits eingegangen war (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 45, Rn. 11).

III.

Der Rechtsbeschwerde dürfte ein - zumindest vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen sein.

Zwar ist die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge der angeblich fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages nicht in der gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlichen Form erhoben worden, da die Rechtsbeschwerdebegründung nicht mitteilt, mit welcher Begründung der Beweisantrag in der Hauptverhandlung abgelehnt worden ist, sondern nur auf die sich hiermit befassenden Urteilsgründe abstellt.

Das Urteil dürfte jedoch auf die Sachrüge hin aufzuheben sein. Das Gericht hätte sich angesichts der eindeutigen Ausführungen in dem Beschluss des Senats vorn 24.01.2008 (2 Ss OWi 37/08) und der Unergiebigkeit der Ausführungen des Sachverständigen zur behaupteten Problematik der Alkoholspeicherung in Zahnfleischtaschen dazu gedrängt sehen müssen, auch den Rat eines medizinischen Sachverständigen einzuholen und hierüber Darlegungen in den Urteilsgründen treffen müssen. Der vom Gericht befragte technische Sachverständige hat die eigentlich entscheidende Frage nicht beantworten können. Diese lag darin, ob in evtl. bei dem Betroffenen vorhandenen Zahnfleischtaschen eine solche Alkoholmenge verborgen geblieben sein konnte, die durch plötzliches Freiwerden bei der Atemmessung das Messergebnis hätte verfälschen können. Der in der Beweisaufnahme vernommene Sachverständige hat jedoch lediglich Angaben dazu gemacht, in welchem Zeitraum evtl. im Mund verbliebener Hustenlöser weggespült oder zersetzt worden wäre. Auf die Problematik der Zahnfleischtaschen ist er gerade nicht eingegangen, sondern hat sich ausweislich der Urteilsgründe dahingehend geäußert, ggf. könne ein Mediziner klären, ob "eventuell unter ganz besonderen Umständen und bei einer außergewöhnlichen Erkrankung im Mundraum Alkohol längere Zeit im Mundbereich konzentriert bleiben könne". Aus diesen Ausführungen wird bereits nicht deutlich, ob der technische Sachverständige - wozu er letztlich aufgrund fehlenden Fachwissens auch nicht in der Lage sein dürfte - "Zahnfleischtaschen" als ganz besondere Umstände oder außergewöhnliche Erkrankung einordnet oder ob es sich hierbei um Phänomene handelt, die nahezu bei jedem Menschen vorhanden sind. Insbesondere wäre die Frage zu klären gewesen, ob Zahnfleischtaschen überhaupt in der Lage sind, Alkoholreste aufzunehmen und plötzlich wieder abzugeben und - falls ja - welche Größe hierfür erforderlich wäre, wie wahrscheinlich das Vorhandensein von Zahnfleischtaschen bei einem einzelnen Menschen ist und ob diese ggf. auch mit Rückschluss für die Vergangenheit bei dem Betroffenen noch festgestellt werden könnten. Die Notwendigkeit der Klärung dieser Fragen war durch den Beschluss des Senats vorgegeben, so dass die Darlegungen im Urteil hierzu nicht ausreichend sind.

Hierbei könnte ggf. auch die Frage zu erörtern und einer sachverständigen Klärung zuzuführen sein, inwieweit ein eventueller Vergleich der Messergebnisse zwischen einem durchgeführten Vortest und dem späteren Test mit dem geeichten Gerät weitere Erkenntnisse darüber liefern könnte, ob die vom Betroffenen vorgetragene Hypothese der Verfälschung des Messergebnisses des geeichten Gerätes durch Zahnfleischtaschen wahrscheinlich ist. Dabei dürfte allerdings darauf zu achten sein, dem Sachverständigen verbindliche Informationen darüber zuzuleiten, ob das benutzte Vortestgerät die vorhandenen Werte in mg/l (zu vgl. Bl. 5 d.A.) oder in einer Umrechnung in Promille ausgibt (zu vgl. Bl. 17 und 25 ff. d.A.).

Darüber hinaus erscheinen auch die Darlegungen in den Urteilsgründen zur Frage der Einhaltung der Kontrollzeit insgesamt bedenklich knapp. Das Gericht stützt seine Feststellungen zur Einhaltung der Kontrollzeit auf die Vernehmung der Zeugin H, die jedoch lediglich mit dem Satz zitiert wird, "zwischen 0.45 Uhr und dem Ende der Messung habe der Betroffene keine Möglichkeit gehabt, irgendwelche Substanzen zu sich zu nehmen". Da auch gerade die Frage der Einhaltung der Kontrollzeit bereits Gegenstand des Senatsbeschlusses vom 24.01.2008 war, wären in den Urteilsgründen hierzu zumindest nähere Angaben dazu zu erwarten gewesen, woher die Zeugin diese Kenntnis nimmt, insbesondere also ob sie während des genannten Zeitraums permanent mit dem Betroffenen zusammen war und etwaige Zusichnahme von Substanzen hätte mitbekommen müssen oder ob der Betroffene insoweit von einem anderen Beamten, der hierzu ggf. ergänzende Angaben machen könnte, überwacht worden ist."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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