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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.08.2005
Aktenzeichen: 2 UF 240/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 621 Abs. 1
BGB § 621 Zi. 1
BGB § 621 e
BGB § 1666
BGB § 1666 a
ZPO § 620 Zi. 1
ZPO § 621 g
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der beteiligten Kindeseltern gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gütersloh vom 10.6.2005 wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und festgestellt, dass die gemeinsame elterliche Sorge der beteiligten Kindeseltern bestehen bleibt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 3000,00 €

Gründe:

I.

Die - durch Sorgerechtserklärung vom 15.2.2001 - gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des betroffenen Kindes H (geb. 24.12.2000) sind nicht miteinander verheiratet. Der weitere, am 11.5.1998 geborene Sohn H2 der Parteien lebt im Einverständnis mit der Kindesmutter bei den Großeltern väterlicherseits, denen durch Beschluss des Amtsgerichts Zeitz vom 23.11.2000 die Vormundschaft für das Kind übertragen wurde. Die nicht aus der Beziehung der Parteien stammende Tochter der Kindesmutter, H3 (geb. 31.7.1996), lebt in einen Kinderheim, nachdem der Mutter - zuletzt mit Beschluss des Amtsgerichts Zeitz vom 25.9.2003 - das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Ausübung der Gesundheitsfürsorge entzogen worden ist.

Für das betroffene Kind H hat das Familiengericht den Kindeseltern durch einstweilige Anordnung vom 29.10.2004 ebenfalls das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Ausübung der Gesundheitsfürsorge entzogen und vorläufig auf einen Pfleger übertragen. Außerdem hat es zur Frage der Entziehung der elterlichen Sorge ein Gutachten der Dipl.-Psych. T vom 16.2.2005 eingeholt.

Seit dem 29.11.2004 befindet sich H im Einverständnis mit dem Pfleger wieder in der Obhut der Kindesmutter, nachdem er zuvor (aufgrund der einstweiligen Anordnung vom 29.10.2004) in einer Pflegefamilie aufgenommen worden war. Im März 2005 sind beide Eltern mit dem Kind mit unbekanntem Aufenthalt in die USA verzogen.

Mit Beschluss vom 10.6.2005 hat das Familiengericht beiden Eltern die elterliche Sorge für das Kind H entzogen und auf einen Vormund übertragen. Dagegen richtet sie durch die Prozessbevollmächtigte der Eltern eingelegte Beschwerde.

II.

Die gemäß den §§ 621 Abs. 1, Zi. 1, 621 e BGB zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, denn die Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Sorge nach den §§ 1666, 1666 a BGB liegen - zumindest derzeit - nicht vor.

a) Zum einen fehlt es an der Feststellung einer konkreten Gefährdung für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes.

Nach den eindeutigen und in sich nachvollziehbaren Feststellungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. T in ihrem schriftlichen Gutachten vom 16.2.2005 lag eine derartige Gefährdung im Zeitpunkt der Begutachtung nicht (mehr) vor. Danach sind zwar Anhaltspunkte für eine mangelnde Verpflegung und Versorgung in der Vergangenheit gegeben. Diese Versäumnisse sind nach der Einschätzung der Sachverständigen jedoch nicht so gravierend, dass die aus der Trennung des Kindes von den Eltern erwachsenden Vorteile, die daraus entstehenden Nachteile deutlich überwiegen würden. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der von ihr festgestellten engen emotionalen Mutter-Kind-Beziehung und der Verbesserung der Versorgungssituation im Zeitpunkt der Begutachtung. Soweit die Sachverständige vorschlägt, dass wegen der bestehenden Unwägbarkeiten (mehrfache Straffälligkeit der Eltern wegen Betrugsdelikten, häufiger Wohnortwechsel in der Vergangenheit, ungeklärte psychische Erkrankung der Kindesmutter) das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und zur Ausübung der Gesundheitsfürsorge für die Dauer von noch einem Jahr von einem Pfleger ausgeübt werden soll, um im Falle gravierender Verschlechterungen der Verhältnisse sofort eingreifen zu können, findet dieser Vorschlag keine Entsprechung im Gesetz. Die Möglichkeit der Entziehung der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB stellt einen Ausnahmetatbestand dar, der zum Zwecke der Konkretisierung des staatlichen Wächteramtes nach Art. 6 Abs. 1, S. 2 GG geschaffen wurde. Eingriffe in das grundgesetzlich geschützte Recht der Eltern auf Ausübung der elterlichen Sorge sind daher nicht schon bei einer abstrakten Gefährdung, sondern erst dann zulässig, wenn eine gegenwärtig vorhandene Gefahr die Erwartung begründet, dass bei weiterer unbeeinflußter Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadens zum Nachteil des betroffenen Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. OLG Celle FamRZ 2003, 1490, 1491). Da eine solche Gefahr für das Kindeswohl - mag sie in der Vergangenheit auch vorgelegen haben - im Zeitpunkt der Begutachtung nicht festgestellt werden konnte, kommt unter den, dem Gutachten zugrundeliegenden Umständen, ein Sorgerechtsentzug oder ein Entzug von Teilbereichen desselben nicht in Betracht. Insbesondere die Möglichkeit, bei gravierenden Veränderung der Betreuungs- und Versorgungssituation sofort eingreifen zu können, rechtfertigt eine solche Maßnahme nicht.

Auch eine Feststellung dahingehend, dass die - bei Gutachtenerstellung noch nicht berücksichtigte - Trennung der Kindesmutter von ihrem (mit dem leiblichen Vater des Kindes nicht identischen) Lebenspartner und der Wegzug der Familie mit unbekanntem Aufenthalt in die USA eine so gravierende Verschlechterung der Versorgungs- und Betreuungssituation für Justin darstellt, dass die Annahme einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls gerechtfertigt erscheint, kann derzeit nicht getroffen werden. Zwar sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass sich die Versorgungs- und Betreuungssituation für H durch den erneuten Wohnortwechsel verschlechtern wird, zumal die Beziehung der Kindesmutter zu ihrem neuen Lebenspartner nach den Ausführungen der Sachverständigen eine stabilisierende Wirkung auf ihre psychische Verfassung und die Art und Weise ihrer Lebensführung ausgelöst hat und durch deren Wegfall ein Rückfall in ursprüngliche kindeswohlschädliche Verhaltensmuster (häufige Umzüge, Begehung weiterer Straftaten) nicht ausgeschlossen werden kann. Außerdem kann die von der Sachverständigen empfohlene Unterstützung der Mutter in erzieherischer Hinsicht durch den Einsatz einer sozialpädagogischen Familienhilfe nicht mehr ohne weiteres stattfinden. Andererseits liegen keine ausreichend konkreten Erkenntnisse über den psychischen Gesundheitszustand der Mutter und die damit zusammenhängenden Ursachen vor. Die von den behandelnden Ärzten vorgetragenen Diagnosen reichen von "Panikstörungen" über "Borderline-Syndrom" bis hin zum Verdacht eines "Münchhausen-Syndroms". Ob und inwieweit ihre Erkrankung Auswirkungen auf ihre Versorgungs- und Erziehungsfähigkeit hat, ist ebenfalls nicht geklärt. Eine weitere Aufklärung erscheint wegen des unbekannten Aufenthalts der Familie nicht möglich. Ebensowenig ist vorhersehbar, wie sich der fehlende Einsatz einer sozialpädagogischen Familienhilfe auf das Erziehungsverhalten der Kindeseltern auswirken wird. Aus dem Sachverständigengutachten der Dipl.-Psych. T ergibt sich jedenfalls nicht, dass der Einsatz einer Familienhilfe unabdingbare Voraussetzung für den Ausschluss einer Gefährdung des kindlichen Wohls ist.

Danach ist es zwar - wie das Familiengericht zurecht feststellt - nicht ausgeschlossen, dass durch den Umzug der Eltern eine Kindeswohlgefährdung eingetreten ist. Eine positive Feststellung hierzu kann jedoch nicht getroffen werden. Das reicht für einen derart erheblichen Eingriff in das grundgesetzlich geschützt Elternrecht (Art. 6 GG), wie die Entziehung der elterlichen Sorge, nicht aus.

b) Darüber hinaus stellt der Entzug der elterlichen Sorge für das Kind H kein erforderliches Mittel zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung dar, denn er ist - unter den gegebenen Umständen - nicht geeignet, eine mögliche Gefährdung zu verhindern. Entscheidend für die Frage der Eignung einer gerichtlichen Maßnahme zur Regelung der elterlichen Sorge sind nicht nur die, den Erlass der Maßnahme begründenden Umstände, sondern insbesondere auch die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit der zu erlassenden Entscheidung (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 948, 949 f.). Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, weil sich das Kind mit seinen leiblichen Eltern mit unbekanntem Aufenthalt im Ausland befindet, geht jede Entscheidung, die die faktische Ausübung der elterliche Sorge durch die Eltern beschränkt oder sonstwie beeinträchtigt, ins Leere. Sie läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass sie, für den Fall des späteren Bekanntwerdens des Aufenthalts des Kindes, ihre Durchsetzbarkeit wiedererlangt mit der Folge, dass dann ein sofortiges Eingreifen möglich ist. Zum einen steht nicht fest, ob die Voraussetzungen für die Entziehung der elterlichen Sorge - sofern sie zum Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen haben - im Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Aufenthalts des Kindes und seiner Eltern überhaupt noch gegeben sind. Zum anderen besteht für derartige vorbeugende Maßnahme auch kein rechtliches Bedürfnis, denn den mit einem neuen Verfahren auf Entzug der elterlichen Sorge verbundenen zeitlichen Verzögerungen kann ausreichend durch die Möglichkeit des Erlasses einer entsprechenden einstweiligen Anordnung nach den §§ 620 Zi. 1, 621 g ZPO und den Vollzug derselben begegnet werden. Letztlich lässt sie sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Eltern die Reise in die USA ohne die Zustimmung des einstweilen aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pflegers des Kindes angetreten haben, denn allein aus dem Verstoss gegen den Inhalt der vorläufigen gerichtlichen Regelung lässt sich eine, den Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigende Erziehungsungeeignetheit der Eltern nicht herleiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 13 a Abs. 1 FGG, 94 Abs. 3, S. 2 KostO. Der Senat hält es, im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens, nicht für billig, den Eltern die Gerichtskosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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