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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.05.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 139/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 450 a
Eine Versagung der Anrechnung von Auslieferungshaft kann nicht bereits darauf gestützt werden, dass der Verurteilte sich durch Flucht ins Ausland der Strafvollstreckung entzieht, selbst wenn er für die Flucht einen Hafturlaub oder einen Berufsfreigang missbraucht. Vielmehr rechtfertigen nur gewichtige Gründe, die nach Erlass des letzten tatrichterlichen Urteils eingetreten sind, die Nichtanrechnung von Auslieferungshaft.
2 Ws 139/04 2 Ws 140/04

Beschluss

Strafsache

gegen H.B.

wegen schweren Raubes u.a., (hier: Nichtanrechnung von Auslieferungshaft gemäß § 450 a Abs. 3 StPO - Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 4./5. April 2004 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 26. März 2004 sowie auf seinen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Aachen beantragte unter dem 5. Februar 2004, die vom Verurteilten in Spanien in der Zeit vom 23. Februar bis 3. Juni 2003 erlittene Auslieferungshaft gemäß § 450 a StPO nicht auf die gegen ihn aus dem Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. Dezember 2000 - 64 KLs 51 Js 2/99 (10/99) - zu vollstreckende Freiheitsstrafe anzurechnen. Mit Urteil vom 20. Dezember 2000 hatte das Landgericht Aachen gegen den Verurteilten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Am 23. Februar 2003 war der Verurteilte in Spanien festgenommen worden, nachdem er am 24. Juli 2002 zusammen mit einem Mitgefangenen aus den Rheinischen Kliniken Bedburg-Hau, in denen er seit dem 27. Juni 2002 zum Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB untergebracht war, entwichen war. Nach Anhörung des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen mit Beschluss vom 26. März 2004 entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft Aachen angeordnet, dass die Anrechnung der vom Verurteilten in Spanien erlittenen Auslieferungshaft auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe unterbleibt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde, die er mit inhaltlich gleichlautenden Schreiben vom 4. und 5. April 2004 erhoben hat. Er beantragt zudem die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen und den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückzuweisen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht gemäß § 450 a Abs. 3 StPO angeordnet, die vom Verurteilten erlittene Auslieferungshaft nicht auf die zu verbüßende Freiheitsstrafe anzurechnen.

Nach § 450 a Abs. 1 StPO wird im Ausland verbüßte Haft aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens zum Zweck der Strafvollstreckung grundsätzlich auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet. Eine Ausnahmeregelung hierzu stellt die Bestimmung des § 450 a Abs. 3 StPO dar. Danach kann die Anrechnung von Auslieferungshaft auf Anordnung des Gerichts unterbleiben, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach Urteilserlass nicht gerechtfertigt ist. Eine Versagung der Anrechnung nach § 450 a Abs. 3 StPO kann jedoch nicht bereits darauf gestützt werden, dass der Verurteilte sich durch Flucht ins Ausland der Strafvollstreckung entzieht, selbst wenn er für die Flucht einen Hafturlaub oder einen Berufsfreigang missbraucht. Die Vorschrift des § 450 a Abs. 1 StPO würde ansonsten praktisch leer laufen, da die Flucht ins Ausland den Regelfall der Anrechnung darstellt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30. Dezember 1997 in 3 Ws 612/97; OLG Bremen, StV 1997, 371; OLG Karlsruhe, MDR 1984, 165; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 450 a, Rdnr. 6; LR-Wendisch, StPO, 25. Aufl., § 450 a, Rdnr. 17; KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 450 a, Rdnr. 10). Nur gewichtige Gründe, die nach Erlass des letzten tatrichterlichen Urteils eingetreten sind, rechtfertigen die Nichtanrechnung von Auslieferungshaft. Zu der Flucht des Verurteilten müssen immer erschwerende Umstände hinzutreten, die eine Anrechnung der verbüßten Auslieferungshaft unbillig erscheinen lassen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Verurteilte aus der Anstalt, in der er untergebracht ist, ausbricht (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.; LR-Wendisch, a.a.O.; KK-Fischer, a.a.O.).

Ein solcher Ausnahmefall i.S.d. § 450 a Abs. 3 StPO ist vorliegend gegeben. Der Verurteilte hat sich hier nicht lediglich bei sich ihm bietender günstiger Gelegenheit ins Ausland abgesetzt, um sich dem weiteren Vollzug der gegen ihn verhängten Maßregel zu entziehen. Er ist vielmehr mit einem Mitgefangenen zusammen aus den Kliniken Bedburg-Hau ausgebrochen, indem sie die Gitterstäbe eines in drei Metern Höhe im 1. Obergeschoss befindlichen Fensters auseinander hebelten und sich dann mittels eines Bettlakens aus dem Fenster abseilten. Der Verurteilte hat somit erhebliche Anstrengungen unternommen, um seine Flucht überhaupt erst zu ermöglichen. Zudem dürfte er durch sein Verhalten den Straftatbestand der Gefangenenmeuterei nach § 121 StGB verwirklicht haben. Insoweit handelt es sich um besondere erschwerende Umstände im Verhalten des Verurteilten, die eine Nichtanrechnung der von ihm in Spanien erlittenen Auslieferungshaft nach § 450 a Abs. 3 StPO rechtfertigen. Die sofortige Beschwerde war somit zu verwerfen.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers kommt unabhängig davon, dass eine rückwirkende Beiordnung unzulässig ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 141, Rdnr. 8) und das Beschwerdeverfahren durch die Entscheidung des Senats endgültig abgeschlossen ist, nicht in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2003 in 2 Ws 245 - 248/2003 m.w.N.) ist im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebietet. Diese Voraussetzungen, die im Lichte der Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens zu sehen sind, sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Um eine schwierige Sach- oder Rechtslage handelt es sich nicht. Der Verurteilte ist auch in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Dies ergibt sich bereits aus seiner ausführlichen Stellungnahme im Rahmen seiner Anhörung zum Antrag der Staatsanwaltschaft Aachen vom 5. Februar 2004, in der sich der Verurteilte mit den entscheidungserheblichen Umständen eingehend auseinandergesetzt hat. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren war somit abzulehnen. Hierbei handelt es sich um eine Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Vorsitzenden des Senats.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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