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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.07.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 171/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 33a
Das Recht auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht aus dem Vortrag des Beteiligten abweichende Schlüsse zieht. Das Gericht ist lediglich dann gehalten, auf die eigene Rechtsansicht hinzuweisen, wenn sie für den Beteiligten nicht voraussehbar ist; das kommt insbesondere in Betracht, wenn das Gericht von seiner bisherigen Rechtsprechung oder seiner bisher geäußerten Rechtsansicht abweichen will.
Beschluss

Strafsache

gegen S.B,.

wegen Betruges, (hier: Nachholung rechtlichen Gehörs).

Auf den Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs vom 03. Juni 2008 gegen den Senatsbeschluss vom 14. April 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 07. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Durch rechtskräftiges Urteil vom 28. März 2006 hat das Landgericht Hagen den Verurteilten wegen Betruges in vier Fällen unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 07. Juli 2004 verhängten Strafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten und wegen Betruges in vier Fällen sowie eines versuchten Betruges zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Mit Antrag vom 18. September 2007 hat der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens begehrt und den Aufschub der Vollstreckung beantragt.

Den Wiederaufnahmeantrag hat das Landgericht Bochum mit Beschluss vom 21. Januar 2008 als unzulässig verworfen und den Antrag auf Vollsteckungsaufschub abgelehnt.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 14. April 2008 verworfen und den Antrag auf Vollstreckungsaufschub zurückgewiesen.

Gegen diesen Senatsbeschluss richtet sich der Antrag des Verurteilten auf Nachholung rechtlichen Gehörs vom 03. Juni 2008.

Zur Begründung trägt der Antragsteller im wesentlichen vor, dass der Senat zuvor seine Rechtsauffassung nicht mitgeteilt habe, dass wesentliches Beschwerdevorbringen unberücksichtigt geblieben sei, so z.B. dass es sich um eine Urteilsabsprache gehalten habe und insoweit der herkömmliche Wiederaufnahmemaßstab nicht anzuwenden sei. Der Senat habe bei seiner Entscheidung nicht auf den gesamten Akteninhalt zurückgreifen dürfen und ein Schriftsatz von Rechtsanwältin S. vom 18. April 2008 sei bei der Entscheidung nicht mehr berücksichtigt worden.

II.

Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs war zu verwerfen.

Nach der Neufassung des § 33a StPO durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (s. BGBl I., S. 3220) ist das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hat, wenn das Gericht bei einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, diesem gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderes Rechtsmittel zusteht und er dadurch noch beschwert ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es liegt keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor. Die Neufassung des § 33a StPO geht auf die Entscheidung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (NJW 2003, 1924 = BVerfGE 107, 395) zurück. Danach erfasst § 33a StPO jetzt ausdrücklich jede Art der Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. auch Meyer-Goßner, 48. Aufl., § 33 a Rn. 1 a ; siehe auch zum Gesetzesentwurf die BT-Drucksachen 15/3966 und 15/3706). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichert das Grundgesetz rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist (vgl. BVerfGE 55, 1 (6) = NJW 1980, 2698). Seine rechtsstaatliche Bedeutung ist auch in dem Anspruch auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in Art. 47 Abs. 2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 (95) = NJW 1959, 427). Rechtliches Gehör sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG NJW 2003, 1924; Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 23. Februar 2006 in 4 Ws 319 und 320/05).

§ 33a StPO erfasst aber nicht jede Verletzung rechtlichen Gehörs. Vielmehr muss das Recht auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sein. Das ist nach der Gesetzesbegründung nur dann der Fall, wenn die unterbliebene Anhörung sich auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt hat (BT-Drucks. 15/3707, S. 17). Hätte der Betroffene nichts anderes vortragen können, sich also nicht anders verteidigen können, als er tatsächlich bereits vorgetragen hat oder ist es sonst ausgeschlossen, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, ist der Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich (BGH, Beschluss vom 28. April 2005, 2 StR 518/04; Senat im Beschluss vom 12. Mai 2005, 2 Ss OWi 752/04).

Auf dieser Grundlage vermag der Umstand, dass der Schriftsatz von Rechtsanwältin S. vom 18. April, welcher zwar erst nach der Beratung des Senats am 14. April 2008, aber noch bevor die Beschlussausfertigung in den Geschäftsgang gegeben und nicht in eine Nachberatung einbezogen worden war, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.

Rechtsanwältin S. hat in ihrem Schriftsatz zu der Existenz der Firma X. Stellung genommen und hierzu Belege vorgelegt.

Auch wenn dieser Schriftsatz nebst Anlagen dem Senat schon bei seiner Beratung vorgelegen hätte, wäre die Entscheidung nicht anders ausgefallen.

Nach den vorgelegten Unterlagen ist nämlich lediglich die Existenz einer Firma X. Partner AG mit Sitz in der Schweiz belegt.

Nach den Urteilsfeststellungen hat der Verurteilte jedoch Vermögensbilanzen einer Firma X. Steuerberatungs-GmbH aus Hamburg vorgelegt.; deren Existenz hat der Verurteilte weiterhin nicht belegt. Dass es nach dem weiteren Vorbringen in dem Schriftsatz von Rechtsanwältin S. Gespräche zur Anmietung von Räumlichkeiten für eine Firma X. in Hamburg gab, belegt deren Existenz ebenso wenig und darüber hinaus erst Recht nicht die Richtigkeit der von dem Verurteilten behaupteten von der Firma zu erwartenden Einkünfte.

Die übrigen von dem Antragsteller vorgetragenen Gesichtspunkte geben dem Senat keinen Anlass seinen Beschluss zu ändern, denn der Senat hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

§ 33 a StPO neuer Fassung dient der Gewährung rechtlichen Gehörs, er dient aber nicht der Erweiterung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Gericht verpflichtet, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 69, 145, 148; st. Rspr) und die getroffenen Entscheidungen zu begründen (BVerfGE 63, 80 ,85 f.; 86, 133,145 ) Weder Art 103 Abs. 1 GG noch § 33 oder § 33 a StPO geben den Beteiligten einen Anspruch auf ein Rechtsgespräch. Das Recht auf Anhörung ist dementsprechend nicht verletzt, wenn das Gericht aus dem Vortrag des Beteiligten abweichende Schlüsse zieht. Das Gericht ist lediglich dann gehalten, auf die eigene Rechtsansicht hinzuweisen, wenn sie für den Beteiligten nicht voraussehbar ist; das kommt insbesondere in Betracht, wenn das Gericht von seiner bisherigen Rechtsprechung (BGH NJW 1989, 2407) oder seiner bisher geäußerten Rechtsansicht (ThürVerfGH NJW 2003, 740) abweichen will.

So verhält es sich vorliegend aber gerade nicht.

Zur Begründung seiner Entscheidung , dass der Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten unzulässig ist, hat der Senat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Oberlandesgerichts Hamm sowie der bekannten Literatur zugrundegelegt. Der Senat ist weder von seiner bisherigen Rechtsansicht abgewichen noch war die Rechtsansicht in sonstiger Weise unvorhersehbar. Es bestand demnach für den Senat kein Anlass, dem Antragsteller Möglichkeit zur Äußerung zur Rechtslage zu geben.

Der Senat hat ebenso das gesamte Vorbringen zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages bzw zur Begründung der sofortigen Beschwerde zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Der Senat war aber nicht verpflichtet, auf jeden einzelnen Punkt dieser umfangreichen Begründungen einzugehen, soweit einzelne Aspekte für die Begründung der Senatsentscheidung nicht erheblich waren.

Soweit der Antragsteller vorträgt, dass bei einer Urteilsabsprache nicht der herkömmliche Maßstab zur Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages herangezogen werden könne, dass bei einem "Deal" kaum noch etwas Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen sei und demzufolge der Senat bei seiner Entscheidung nicht auf den gesamten Akteninhalt hätte zurückgreifen dürfen, begründet dies ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Hierbei handelt es sich zum einen um Ausführungen des Antragstellers, welche in seinen umfangreichen Beschwerdeschriften vorgetragen worden sind und vom Senat zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden sind.

Es begründet jedoch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn der Senat von der darin geäußerten Rechtsansicht abweicht.

Soweit der Antragsteller die Auswertung des Akteninhalts zur Begründung der Senatsentscheidung sowohl insgesamt als auch im Hinblick auf die Ausführungen zu den Einzelfällen bemängelt, wird hiermit die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses gerügt aber nicht Tatsachen vorgetragen, welche eine Verletzung rechtlichen Gehörs begründen können.

Eine mögliche Fehlerhaftigkeit ist aber nicht mit einem Antrag auf Nachholung rechtliches Gehör geltend zu machen.

Soweit in diesem Vorbringen des Antragstellers eine Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss zu sehen sein sollte, ist diese Gegenvorstellung zurückzuweisen.

Voraussetzung für eine Aufhebung des Senatsbeschlusses auf eine Gegenvorstellung hin ist, dass der Beschluss auf unrichtiger Rechtsanwendung beruht, dem Beschwerdegericht schwerwiegende Verfahrensfehler unterlaufen sind (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 296 Rz 24) und dass die Änderung erforderlich ist, um ein anderes nicht zu beseitigendes grobes prozessuales Unrecht zu verhindern (vgl. OLG Köln, NJW 1981, 2208; BayObLGSt 70, 115). An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall.

Zum einen ist schon die Behauptung des Verurteilten zu relativieren, es handele sich um ein "schlankes" Geständnis und es wäre kaum etwas in die Beweisaufnahme eingeflossen.

Das Verfahren hat an 23 Hauptverhandlungstagen stattgefunden, in denen mehrere Zeugen vernommen und Urkunden eingeführt worden sind. Sein Geständnis hat der Antragsteller erst am 22. Hauptverhandlungstag abgelegt. Demnach mag zwar das Geständnis des Verurteilten auf das Wesentliche beschränkt gewesen sein. Die Kammer hatte jedoch durch die vorherige umfangreiche Beweisaufnahme genügend Anhaltspunkte zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit dieses Geständnisses.

Zudem ist es dem Senat zur Überprüfung der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages keineswegs verwehrt, dessen Geeignetheit im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO anhand des Akteninhalts zu bewerten.

Hinsichtlich der Einzelfälle ist der Senat nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen.

Auch die übrigen Gesichtspunkte, welche zur Begründung des Antrages auf Nachholung rechtlichen Gehörs angeführt sind, wie z.B. Erkrankung des Verurteilten, fehlender Kontakt zur Lebensgefährtin, Zustandekommen des "Deals" , sind keineswegs von dem Senat bei seiner Entscheidung ignoriert worden. Der Senat hat das gesamte Beschwerdevorbringen zur Kenntnis genommen und abgewogen. Soweit es nicht explizit in dem Senatsbeschluss Erwähnung gefunden hat, war es für die Entscheidung nicht maßgebend.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs.1 StPO.



Ende der Entscheidung

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