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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 224/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 143
Die bloße Unzufriedenheit eines Angeklagten mit seinem Pflichtverteidiger rechtfertigt weder die Annahme einer Pflichtverletzung durch diesen noch begründet es das Vorliegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses, da diese Erwartung aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Angeklagten kein wichtiger Grund ist, die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers aufzuheben und stattdessen einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger zu bestellen.
Beschluss

Strafsache

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Zurückweisung des Entpflichtungsantrages und des neuerlichen Beiordnungsantrags).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 17. Juli 2009 gegen die den Beschluss des Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 01. Juli 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 08. 2009 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten ist vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum ein Verfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge anhängig. Nach dem Rechtsanwalt T. sich für den Angeklagten gemeldet hatte und beantragt hatte, ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen, da er den Angeklagten schon in anderer Sache vertreten habe und dessen Vertrauen genieße, ist Rechtsanwalt T. dem Angeklagten mit Beschluss vom 24. Juni 2008 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zudem ist ein Sachverständigengutachten zu dem Vorliegen der Voraussetzungen des §§ 20, 21 StGB in Auftrag gegeben worden.

Einen Antrag des Angeklagten vom 30. August 2008, Rechtsanwalt T. zu entpflichten und ihm Rechtsanwalt E. als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist nach einem klärenden Gespräch seitens des Angeklagten mit Schreiben vom 03. September 2008 zurückgenommen worden.

Nach Beginn der Hauptverhandlung am 05. November 2008 ist diese mit Beschluss vom 14. November 2008 ausgesetzt worden, da ein weiteres Gutachten zum dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB eingeholt werden musste sowie ein Glaubwürdigkeitsgutachten bezüglich der Zeugin H.. Die Fortsetzung der Hauptverhandlung ist nunmehr vorgesehen für den 18. September 2009.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwalt T. zu entpflichten, da kein Vertrauensverhältnis mehr bestehe und Rechtsanwalt E. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit weiterem Schreiben vom 27. Mai 2009 hat der Angeklagte zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass Rechtsanwalt T. in einem anderen Verfahren vor dem Landgericht Krefeld, in dem die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden ist, untätig geblieben ist. Zudem sei ihm durch die Zeugin H. Schaden zugefügt worden. Diese lasse u.a. seine Wohnung verwahrlosen. Zudem habe er nicht gewollt, dass ein Gutachten über ihn erstellt werde. Auch darauf sei Rechtsanwalt T. nicht eingegangen und habe ihn gedrängt, Rede und Antwort zu stehen. Insgesamt fühle er sich in keinster Weise würdig und kompetent vertreten.

Nach dem Rechtsanwalt T. hierzu Stellung genommen hat ist der Antrag mit Beschluss vom 01. Juli 2009 durch den Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückgewiesen worden. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass Verhaltensweisen des bestellten Pflichtverteidigers in einem anderen Verfahren auf das hiesige Verfahren ohne Belang seien. Entsprechendes gelte für eventuelle zivilrechtliche Ansprüche gegen Frau H.. Die Beauftragung der Sachverständigen sei durch die Kammer erfolgt. Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt T. darüber, ob dies sachgerecht sei oder nicht, würden das Vertrauensverhältnis nicht erschüttern.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schreiben vom 17. Juli 2009 "Einspruch" eingelegt und diesen im Wesentlichen wie zuvor auch schon begründet. Die Kammer hat dieser Beschwerde mit Beschluss vom 08. August 2009 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie erkannt beantragt.

II.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"Die von dem Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat den Entpflichtungsantrag des Beschwerdeführers sowie dessen Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt E. zum Verteidiger zu Recht zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht Hamm hat in der Vergangenheit wiederholt zu der Frage der Entpflichtung eines Pflichtverteidigers Stellung genommen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 26.01.2006 - 2 Ws 30/06 - m.w.N.). Nach der - mit der obergerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmenden - Rechtsansicht des Senats kommt neben der gesetzlichen (§ 143 StPO) geregelten Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung im Falle der Meldung eines Wahlverteidigers eine Entpflichtung eines Pflichtverteidigers dann in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten/Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, § 141 Rdnr. 3 ff., vgl. auch BVerfG NJW 2001, 3695). Dabei ist insbesondere von dem Grundsatz auszugehen, dass dem Angeklagten/Beschuldigten grundsätzlich der Rechtsanwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist (BVerfG, a.a.O.). Allerdings ist im Entpflichtungsverfahren der Maßstab für die zur Begründung des Entpflichtungsantrags vorgetragenen Gründe enger als bei der Auswahl des Pflichtverteidigers (zu vgl. BVerfG, a.a.O.), wenn der Angeklagte/Beschuldigte zur Auswahl seines Pflichtverteidigers wie hier - gehört worden ist. Dann kann nämlich davon ausgegangen werden, dass ihm - soweit er einen "Wunschverteidiger" benennt der Anwalt seines Vertrauens beigeordnet worden ist. Vor diesem Hintergrund kommt es auf den bloßen Entpflichtungswunsch des Angeklagten/Beschuldigten in der Regel nicht an. Dieser hat vielmehr substantiiert und konkret darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ein wichtiger Grund für die Entpflichtung tatsächlich vorliegt. Vorgetragen müssen folgerichtig konkrete Gründe von Gewicht, die auch vom Standpunkt eines verständigen Beschuldigten aus der Möglichkeit der Erschütterung des zunächst bestehenden Vertrauensverhältnisses nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Beschluss des 1. Strafsenats vom 24.11.2005 - 1 Ws 484/05 - NStZ-RR 1996, 207 m.w.N.).

Den vorstehend dargestellten Anforderungen wird das Entpflichtungsbegehren vorliegend nicht gerecht. Ausreichende Gründe für eine Entpflichtung von Rechtsanwalt T. hat der Beschwerdeführer nicht dargetan. Ein Auswahlfehler bzw. Verfahrensverstoß im Hinblick auf die Vorgabe des § 142 Abs. 1 StPO ist auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht zu konstatieren. Die Verwerfung des Entpflichtungs- und Beiordnungsantrages begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Der auf Grund des Vortrags des Beschwerdeführers einzig in Betracht kommende Entpflichtungsgrund des gestörten Vertrauensverhältnisses ist nur dann anzunehmen, wenn konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ergibt, auf Grund dessen zu besorgen ist, dass die Pflichtverteidigung nicht (mehr) sachgerecht durchgeführt werden kann (vgl. BGH StV 1997, 565; OLG Hamm a.a.O.). Letztlich hat der Angeklagte vorliegend nur pauschale Vorwürfe erhoben. Es ist nicht erkennbar, inwieweit Rechtsanwalt T. die Verteidigung falsch oder gegen die ausdrücklichen Wünsche des Angeklagten führt. Offensichtlich ist der Angeklagte mit Rechtsanwalt T. "nicht zufrieden". Das rechtfertigt aber weder die Annahme einer Pflichtverletzung durch den Pflichtverteidiger noch zum Vorliegen eines gestörten Vertrauensverhältnis, da diese Erwartung aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten /Angeklagten (vgl. OLG Hamm MDR 1967, 856) kein wichtiger Grund ist, die Bestellung des/der bisherigen Pflichtverteidigers/in aufzuheben und stattdessen einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger zu bestellen. Unter diesen Umständen ist das Begehren des Angeklagten, das auf die bloße Behauptung eines gestörten Vertrauensverhältnisses gestützt ist, ohne ein solches indes nachvollziehbar zu belegen, zu Recht zurückgewiesen worden, zumal der Beschwerdeführer einen bindenden Rechtsanspruch auf Beiordnung des "gewünschten" Verteidigers nicht hat ( BVerfG StV 2006, 451; OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008 - 2 Ws 175/08 - bei juris). Jedenfalls wird das bisherige Vorbringen nicht durch geeignete Tatsachen gestützt und ist deshalb unschlüssig. Anhaltspunkte für das Vorliegen unüberbrückbarer Differenzen, etwa in der Verteidigungsstrategie, sind nicht ersichtlich und auch nicht dargetan.

Nach alledem kann der Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers in der Sache keinen Erfolg haben."

Diesen in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

Ergänzend weist der Senat noch auf folgendes hin:

Der Senat hat - wie auch die weiteren Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm - in der Vergangenheit bereits mehrfach zu der Frage der Entpflichtung des Pflichtverteidigers und Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers ("Auswechselung des Pflichtverteidigers") Stellung genommen (vergleiche dazu zum Beispiel: Senatsbeschlüsse vom 31. März 2009 - 2 Ws 89/2009 -; vom 11. November 2008 - 2 Ws 342/08 -; vom 26. Januar 2006 - 2 Ws 30/06 -; vom 19. Januar 2006 - 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502, 2503 f.; vom 23. Februar 2006 - 2 Ws 52/06 -; vom 13. Oktober 2000 - 2 Ws 367/00 -; vom 13. März 2000 - 2 Ws 69/00; vom 21. Juni 1999 - 2 Ws 1987/99; OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2005 - 1 Ws 484/05 -; vom 10. Oktober 2002 - 1 Ws 235/02 -; Beschluss vom 05. Juni 2001 - 5 Ws 236/01 -). Nach dieser ständigen Rechtsprechung, die auch derjenigen anderer Oberlandesgerichte entspricht und die vom Bundesgerichtshof bestätigt worden ist (vergleiche zum Beispiel: BGH, StV 1993, 564, 566 = BGHSt 39, 310 - 317; NStZ 2004, 632 f.; OLG Stuttgart, StV 2002, 473 f.; OLG Nürnberg, StV 1995, 287, 289; OLG Frankfurt, StV 1985, 450 und NStZ-RR 1997, 77; OLG Köln, StraFo 1995, 118 f.; OLG Frankfurt, NJW 1972, 1964 f.), kommen die Entpflichtung des Pflichtverteidigers und die Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in Betracht, der vorliegend nicht ersichtlich ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat.

Soweit in dem angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ausgeführt wird, der Pflichtverteidiger habe lediglich eine von der Vorsitzenden mitgeteilte Rechtsauffassung geteilt, ergibt sich auch aus dem in den Akten befindlichen Protokoll vom 03. Juni 2009 nichts anderes. Denn Beweiskraft nach § 274 StPO kann erst ein gemäß § 271 Abs. 1 StPO ordnungsgemäß erstelltes, das heißt mit den Unterschriften des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehenes Protokoll entfalten (Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 274 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist das Protokoll indes noch nicht fertig gestellt, sondern es handelt sich lediglich um einen Entwurf. Bei Fertigstellung des Protokolls wird die Vorsitzende indes auf eine entsprechende Klarstellung hinzuwirken haben.

Ende der Entscheidung

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