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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.10.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 243/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 201
Der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift betreffend die eindeutige Bestimmung des Prozessgegenstandes wird genügt, wenn sich der Anklageschrift entnehmen lässt, welches Verhalten dem Angeklagten vorgeworfen wird, auch wenn sie das Verhalten des Angeklagten nicht ausdrücklich und im Detail benennt. Das ist bei einer Anklage unter anderem wegen Betäubungsmittelhandels der Fall, wenn der Anklagesatz zwar nur von einer "Bestellung" spricht, dies aber bei lebensnaher Betrachtung so zu verstehen ist, dass im Rahmen der in Rede stehenden wechselseitigen kommunikativen Prozesse der Beteiligten eine Einigung über die dem Angeklagten zur Last gelegte Bereitschaft zur Lieferung von Betäubungsmitteln gegeben ist.
Beschluss

Strafsache

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum gegen die teilweise Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 27. August 2009 gegen den Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 19. August 2009, soweit die Taten zu den Anklageziffern 5. und 6. nicht zur Hauptverhandlung zugelassen wurden, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 10. 2009 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich Ziff. 5.) und 6.) der Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 27. Mai 2009 - 47 Js 46/08 - abgelehnt worden ist.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 27. Mai 2009 - 47 Js 46/08 - wird hinsichtlich Ziff. 5.) und 6.) zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren auch insoweit vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum eröffnet.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 27. Mai 2009 zur Last gelegt, im Zeitraum von März bis Dezember 2007 in Bochum, Roermond/Niederlande, Eindhoven/Niederlande und anderen Orten in elf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben, wobei er in einem Fall (Ziff. 3) tateinheitlich vorsätzlich anderen zu deren rechtswidriger Tat, nämlich einem gemeinschaftlichen schweren Raub (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB), Hilfe geleistet und in einem anderen Fall (Ziff. 9) tateinheitlich Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt haben soll. Die Anklage enthält u.a. folgende Ausführungen:

"Dem Angeschuldigten wird folgendes zur Last gelegt:

Im Tatzeitraum befasste er sich mit dem gewinnbringenden Weiterverkauf diverser Betäubungsmittel an den gesondert verfolgten M., der seinerseits - was der Angeschuldigte wusste - einen schwunghaften Handel mit Betäubungsmitteln diverser Art unter Mitwirkung u.a. der gesondert verfolgten M.,S.,W.,So.,D. und K. unterhielt. Der Angeschuldigte verdingte sich als Hauptlieferant des M.

Im einzelnen kam es zu folgenden Ausführungshandlungen unter Beteiligung des Angeschuldigten:

...

5.) (Fallakte 9)

Am 11.04.2007 bestellte M. bei dem Angeschuldigten, der sich an seinem Wohnort in Roermond/Niederlande aufhielt, 4 kg Marihuana für einen verbindlichen Kaufpreis von 16 800,- €. Ob es zur Übernahme der Betäubungsmittel durch M. in der Folgezeit gekommen ist, kann nicht sicher festgestellt werden.

6.) (Fallakte 25)

Am 31.10.2007 bestellte M. bei dem in Roermond/Niederlande aufhältigen Angeschuldigten verbindlich 10 000 Ecstasy-Pillen. Mangels entgegenstehender Erkenntnisse ist - wie üblich - von einem Einkaufspreis von 3,- €/Stück auszugehen. Ob es in der Folgezeit zur Übergabe der Pillen an Musikant, die für den 01.11.2007 avisiert war, gekommen ist, kann nicht sicher festgestellt werden.

...

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen:

...

2.) Zu den einzelnen Taten:

Es kam unter Beteiligung des Angeschuldigten zu den in der Konkretisierung näher aufgeführten Taten.

Über die dortigen Feststellungen hinaus ist folgendes anzuführen:

...

e.) Zu Ziffer 5 der Konkretisierung (Fallakte 9):

Die beweiserheblichen Telefonate/SMS datieren vom 11.04.2007, 11.03 Uhr: 25, 11.03 Uhr: 26, 11.15 Uhr: 42, 11.15: 45, 11.19, 13.19 Uhr.

Danach bestellte M. am 11.04.2007 4 kg Marihuana bei dem Angeschuldigten. Sichere Feststellungen zu einer auf die Bestellung erfolgten Lieferung liegen nicht vor.

f.) Zu Ziffer 6.) der Konkretisierung (Fallakte 25):

Die beweiserheblichen Telefonate/SMS datieren vom 31.10.2007, 22.11 Uhr, 22.14 Uhr, 22.16 Uhr: 36, 22.16 Uhr: 38, 22.22 Uhr, 22.28 Uhr: 06; 22.28 Uhr: 58, 23.02 Uhr und vom 03.11.2007, 14.43 Uhr.

Danach bestellte M. verbindlich bei dem Angeschuldigten 10 000 Ecstasy-Pillen, nachdem er zunächst eine Menge von 5 000 Pillen genannt hatte. Auf die aktenkundigen Ermittlungsergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren gegen D. (Bl. 1356 ff., hier: 1358) wird insofern ergänzend hingewiesen.

..."

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer die Anklage mit näher ausgeführten Maßgaben und Einschränkungen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren insoweit vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum eröffnet. Dabei hat sie die angeklagten Fälle zu Ziff. 5) und 6) der Anklage aus rechtlichen Gründen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen, weil sich weder dem Anklagesatz noch dem zu dessen Auslegung herangezogenen wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ein Verhalten des Angeklagten selbst entnehmen lasse. Damit fehle es an der für eine wirksame Anklage erforderlichen Konkretisierung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat. Der Angeklagte könne aus der Anklage nicht entnehmen, gegen welches ihm vorgeworfenen Verhalten er sich verteidigen müsse.

Gegen diesen Beschluss, soweit die Taten zu den Anklageziffern 5.) und 6.) nicht zur Hauptverhandlung zugelassen wurden, richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 27. August 2009.

II.

Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte und gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum war auch hinsichtlich der Fälle 5.) und 6.) zuzulassen und das Hauptverfahren auch insoweit vor der 1. Strafkammer zu eröffnen.

Die Anklage ist insoweit wirksam. Dabei ist davon auszugehen, dass die Anklageschrift in prozessualer Hinsicht eine doppelte Bedeutung hat. Über die Bestimmung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion) hinaus soll sie dem Gericht und dem Angeschuldigten die für die Durchführung des Verfahrens und der für die Verteidigung notwendigen Informationen vermitteln (Informationsfunktion). Mängel der Anklageschrift hinsichtlich dieser Funktionen haben aufgrund der verschiedenen Aufgaben unterschiedliche Folgen. Während die die Informationsfunktion betreffenden Schwächen in der Regel noch im Hauptverfahren zu heilen sind, haben Defizite hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion die Unwirksamkeit der Anklage zur Folge, so dass die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen ist (BGHSt 40, 391, 392).

Einen solchen Fehler in der Umgrenzungsfunktion weist die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum aber nicht auf. Um dieser Funktion gerecht zu werden, hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; es muss klar sein, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (vgl. BGHSt 40,44 f.). Zur Ergänzung der Anklage darf notfalls auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zurückgegriffen werden (vgl. BGHSt 5, 225 f.; BGHSt 10, 137 f.).

Die Anklageschrift wird diesen Grundsätzen gerecht. Ihr lässt sich entnehmen, welches Verhalten dem Angeklagten vorgeworfen wird, auch wenn sie das Verhalten des Angeklagten nicht ausdrücklich und im Detail benennt.

Bereits der Anklagesatz ist bei lebensnaher Betrachtung dahin zu verstehen, dass im Rahmen der in Rede stehenden wechselseitigen kommunikativen Prozesse der Beteiligten eine Einigung über die dem Angeklagten zur Last gelegte Bereitschaft zur Lieferung von Betäubungsmitteln gegeben ist. Dies ergibt sich zum einen aus den Eingangsausführungen, die der Schilderung der einzelnen Fälle vorangestellt sind. Dort wird zusammengefasst dargestellt, dass der Angeklagte sich mit dem gewinnbringenden Weiterverkauf von Betäubungsmitteln an den gesondert verfolgten M. befasst und sich als Hauptlieferant des M. verdingt hat. Hierauf bezugnehmend findet sich die Überleitung zu den "einzelnen ... folgenden Ausführungshandlungen unter Beteiligung des Angeschuldigten ...". Zum anderen ergibt sich aus den Angaben unter Ziff. 5.) und 6.) im Wege des Umkehrschlusses, dass bis auf die - nicht sicher feststellbare - Übernahme bzw. Übergabe der Betäubungsmittel das jeweilige Geschäft im Sinne einer Verständigung über die Lieferung verbindlich abgesprochen war.

Erst recht bleibt unter Hinzuziehung der Abschnitte e) und f) des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen nicht unklar, um welchen Sachverhalt es geht, über den das Gericht entscheiden soll. Die Abschnitte 2e) und f) des wesentlichen Ergebnisses der Errmittlungen verhalten sich über die Einzelheiten der "beweiserheblichen Telefonate/SMS". Die Anzahl und die jeweils aufgeführten Zeitangaben der Verbindungen lassen sich dabei in einer Gesamtschau nur damit erklären, dass es zu wechselseitigen Kontaktierungen kam, was den Schluss auf eine Einigung im Sinne einer zum Ausdruck gebrachten Bereitschaft des Angeklagten zur Lieferung von Betäubungsmitteln zulässt.

Nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens ist der Angeklagte i.S.d. § 203 StPO auch hinreichend verdächtig, sich in den Fällen zu Ziff. 5.) und 6.) der Anklage jeweils wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht zu haben. Der hinreichende Tatverdacht ergibt sich aus den Kommunikationsvorgängen (Telefonate/SMS-Verkehr).

III.

Da mit dieser Entscheidung das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, bedurfte es angesichts der bestehenden Abhängigkeit vom Ausgang des Hauptverfahrens eines Ausspruchs über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens nicht.

Ende der Entscheidung

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