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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 264/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
Der Begriff "dieselbe Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ist so zu verstehen, dass ihr alle Straftaten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an zuzurechnen sind, in dem sie angesichts des zu bejahenden dringenden Tatverdachts gegen den Beschuldigten "bekannt" gewesen sind und daher, einen Haftgrund unterstellt, in einen Haftbefehl hätten aufgenommen werden können.
Beschluss

Strafsache

gegen Z.S.,

wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a. (hier: Vorlage der Akten durch die Generalstaatsanwaltschaft zur ggf. vorzunehmenen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO).

Auf die Vorlage der Zweitakten durch die Generalstaatsanwaltschaft zur ggf. vorzunehmenden Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 09. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und dem Richter am Landgericht nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Eine Entscheidung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten wurde vom Amtsgericht Dortmund am 23. März 2007 (702 Gs 500/07), wegen gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen Haftbefehl erlassen, nachdem der Angeklagte am 22. März 2007 vorläufig festgenommen worden war. Am 2. April 2007 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage in dem Verfahren 115 Js 500/07 vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - in Dortmund wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls mit Waffen u.a. erhoben. Mit Beschluss vom 23. Juli 2007 wurde das Verfahren im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren zu erwartenden Strafe auf Antrag der StA Dortmund gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt Der Haftbefehl vom 23. März 2007 wurde durch Beschluss des Schöffengerichts vom 8. August 2007 aufgehoben.

Im vorliegenden Verfahren erließt das Amtsgericht Bochum am 18. April 2007 Haftbefehl gegen den Angeklagten (64 Gs 1669/07). Dieser Haftbefehl wurde dem Angeklagten am 24. April 2007 verkündet und Überhaft notiert. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Bochum im vorliegenden Verfahren gegen den Angeklagten Anklage u.a. wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und wegen zweier Diebstahlstaten erhoben. Tatzeit war der Zeitraum vom 12. Januar 2007 bis zum 9. Februar 2007. Das Landgericht Bochum hat am 07. August den Haftbefehl gegen den Angeklagten nach Maßgabe der Anklageschrift neu gefasst und am selben Tag verkündet. Die Kammer hält die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft bezüglich des Angeklagten über 6 Monate hinaus bereits zum 22. September 2007 für erforderlich. Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft sind der Auffassung, dass eine Vorlage derzeit nicht erforderlich sei, da der Beginn der Hauptverhandlung auf den 28. September 2007 terminiert sei, die Sechs-Monats-Frist der §3 121, 122 StPO jedoch erst am 29. September 2007 ablaufe.

II.

Eine Entscheidung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.

Nach §§ 121 Abs. 1, 122 StPO darf wegen "derselben Tat" ohne besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht nicht mehr als sechs Monate Untersuchungshaft vollzogen werden, wenn nicht die Hauptverhandlung (bereits) begonnen hat. Vorliegend ist der Senat in Übereinstimmung mit Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft der Auffassung, dass die Sechs-Monats-Frist erst am 29. September 2007 abläuft. Dann hat aber nach dem derzeitigen Verfahrensstand die Hauptverhandlung bereits begonnen.

Der Angeklagte befindet sich nicht "wegen derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft, sondern seit der Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 23. März 2007 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 18. April 2007 wegen einer anderen, neuen Tat, die eine eigene Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt hat. Fristbeginn insoweit ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, der 29. März 2007.

Was unter "derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO zu verstehen ist, ist in de StPO nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung besteht jedoch Einigkeit dahingehend, dass sie nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO gleichgesetzt werden kann. Eine solche Auslegung würde dem Schutzzweck des § 121 StPO nicht gerecht, weil dies die Möglichkeit einer "Reservehaltung" von Tatvorwürfen ermöglichen würde. Bereits bei Erlass eines Haftbefehls bekannte oder später im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende weitere Taten des Beschuldigten im Sinne des § 264 StPO könnten zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Frist des § 121 StPO zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Frist von 6 Monaten in Gang zu setzen. Da eine solche Verfahrensweise mit dem Schutzzweck des § 121 Abs. 1 StPO nicht zu vereinbaren wäre, besteht Einigkeit, dass eine weitergehende Auslegung des Begriffs "derselben Tat" erforderlich ist (vgl. OLG Düsseldorf StV 2004, 496 m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung; vgl. auch noch Senat in StV 1998, 555 und auch noch in NStZ-RR 2002, 382; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 121 Rn. 11 ff.). Der Begriff "dieselbe Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ist daher nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur so zu verstehen, dass ihr alle Straftaten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an zuzurechnen sind, in dem sie angesichts des zu bejahenden dringenden Tatverdachts gegen den Beschuldigten "bekannt" gewesen sind und daher, einen Haftgrund unterstellt, in einen Haftbefehl hätten aufgenommen werden können (vgl. Beschluss des Senats in StV 1998, 555 mit weiteren Nachweisen). Dies gilt auch dann, wenn wegen der Taten mehrere Ermittlungsverfahren anhängig sind, ohne dass es auf eine Verbindung der Verfahren oder eine solche Möglichkeit ankommt.

Danach beginnt die Frist des § 121 Abs. 1 StPO somit nicht erneut zu laufen, sobald die Untersuchungshaft aufgrund eines neuen oder erweiterten Haftbefehls vollzogen wird, wenn dieser lediglich Tatvorwürfe enthält, die bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren. Wird dagegen erst nach dem Erlass des ersten Haftbefehls eine neue Tat - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben. Dies ist regelmäßig der Tag der neuen Haftbefehlsentscheidung, es sei denn, der neue Haftbefehl bzw. die Haftbefehlserweiterung ist verzögerlich ergangen (OLG Koblenz [1. Senat] NStZ-RR 2001, 152; OLG Düsseldorf [1. Senat] StV 2004, 496).

Danach ist wegen der den Gegenstand des Haftbefehls des Amtsgericht Bochum bildenden Taten von einem Fristbeginn am 29. März 2007 auszugehen. Eher als zu diesem Zeit hätte nämlich gegen den Angeklagten ein Haftbefehl wegen dieser Taten auf keinen Fall ergehen können. Frühestens ab diesem Zeitpunkt war - wenn überhaupt - dringenden Tatverdacht gegeben. Dieser gründet sich, was auch die Strafkammer zutreffend sieht - auf den vom Zeugen K. gegebenen Hinweis auf den Angeklagten. Bis dahin wurde das Verfahren gegen "Unbekannt" geführt. Dabei kann dahinstehen, ob der Hinweis des Zeugen einen dringenden Tatverdacht i.S. des § 112 StPO begründet hat. Denn früher als zu diesem Zeitpunkt wäre der Erlass eines Haftbefehls auf keinen Fall in Betracht gekommen. Das lässt sich - entgegen der Auffassung der Strafkammer - auch nicht damit begründen, dass die beiden Tatfahrzeuge bereits am 10. Februar 2007 sicher gestellt worden waren und aufgrund des gespeicherten DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten ein zügiger DNA-Abgleich möglich gewesen wäre. Die Strafkammer übersieht nämlich, dass die Frist für die Einholung des Gutachtens zwischen dem 10. Februar 2007 und dem Eingang des Gutachtens am 16. April 2007 auch im Hinblick auf den allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz für Strafverfahren nicht zu beanstanden ist. Es handelte sich in dem Zeitraum bei diesem Verfahren noch nicht um eine Haftsache, wovon die Strafkammer aber ausgeht. Es ist auch in keiner Weise erkennbar, dass die Ermittlungsbehörden die Einholung des Sachverständigengutachtens bewusst verschleppt haben könnten und ihnen dann Manipulation vorzuwerfen wäre, was dann ggf. zu einem früheren Zeitpunkt für die Annahme des Vorliegens des "dringenden Tatverdachts" führen und eine andere Fristberechnung rechtfertigen würde.

Nach allem ist damit von einem Beginn der Sechs-Monats-Frist am 29. März 2009 auszugehen. Da aber am 28. September 2007 die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten beginnt, ist daher eine Entscheidung des Senats nach §§ 121, 122 StPO nicht veranlasst.

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass dann, wenn die Hauptverhandlung nicht beginnen oder nicht zu Ende geführt werden sollte, die Akten unverzüglich dem Senat zur Sechs-Monats-Prüfung vorzulegen sind.

Ende der Entscheidung

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