Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.10.1999
Aktenzeichen: 2 Ws 314/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 114 Abs. 2
StPO § 114 Abs. 2 Nr. 2 bis 4
StPO § 112 Abs. 1 Satz 1
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 467
StPO § 306 Abs. 2
1. Im Haftbefehl muß die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat so genau bezeichnet werden, daß ein bestimmter Lebensvorgang erkennbar ist und der Beschuldigte den konkreten Vorwurf genau erkennen kann.

2. Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlaß eines ordnungsgemäßen Haftbefehls grundsätzlich selbständig zu prüfen; zumindest dann, wenn der Beschuldigte sich während des Ermittlungsverfahrens nicht in Untersuchungshaft befindet, erläßt es aber nicht selbst den ordnungsgemäßen Haftbefehl. Das bleibt dem dafür grundsätzlich zuständigen Amtsgericht vorbehalten.

OLG Hamm Beschluß 25.10.1999 - 2 Ws 314/99 -


wegen Verstoßes gegen das Markengesetz

(hier: Weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen die Anordnung der Untersuchungshaft).

Auf die weitere - am 22. Oktober 1999 beim Senat eingegangene - (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten vom 16. August 1999 gegen den Beschluß der 12. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 21. April 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul und die Richter am Oberlandesgericht Burhoff und Eichel nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 14. August 1997 - 64 Gs 3275/97 - wird aufgehoben.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bochum hat am 14. August 1997 gegen den Beschuldigten wegen Verstoßes gegen das Markengesetz Haftbefehl erlassen. Entsprechend dem weitgehend wortgleichen Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum heißt es zur Begründung der Anordnung der Untersuchungshaft im Haftbefehl u. a.:

"Er [der Beschuldigte] wird beschuldigt, in Bochum im Frühjahr 1997 gemeinschaftlich gewerbsmäßig im geschäftlichen Verkehr widerrechtlich entgegen § 14 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 [muß wohl nur heißen: § 14 Abs. 2 Nr. 1] Markengesetz ein Zeichen benutzt zu haben.

Bei Durchsuchungen der Geschäftsräume des Beschuldigten und des gesondert verfolgten Beschuldigten Anjum wurden Warenfalsifikate in einem Verkehrswert von ca. 1,8 Mio. DM vorgefunden. Mit diesen Warenfalsifikaten belieferten die Beschuldigten gesondert verfolgte Beschuldigte, die diese Falsifikate sodann auf Flohmärkten und Ständen veräußerten."

Gegen diesen Haftbefehl hat der - flüchtige - Beschuldigte durch seine Verteidigerin Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht Bochum nicht abgeholfen hat. Das Landgericht hat die Beschwerde sodann durch den angefochtenen Beschluß verworfen. Gegen diesen richtet sich nunmehr die weitere Beschwerde des Beschuldigten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, diese zu verwerfen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Haftbefehls vom 14. August 1997.

1.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil er nicht den sich aus § 114 Abs. 2 StPO ergebenden gesetzlichen Anforderungen an seine Begründung entspricht. Nach § 114 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 StPO müssen im Haftbefehl die Tat, deren der Verfolgte dringend verdächtig ist, nebst Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat, der Haftgrund und die konkreten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben, angegeben werden. Sinn und Zweck dieser Angaben ist insbesondere auch die Information des Beschuldigten über das, was ihm vorgeworfen wird (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 114 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen). Wegen dieser Informationsfunktion des Haftbefehls ist es nicht ausreichend, daß die Tat, die dem Beschuldigten vorgeworfen wird, lediglich generalisierend und pauschalierend beschrieben wird. Vielmehr muß nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. u. a. schon OLG Hamm Rpfleger 1950, 467; OLG Stuttgart NJW 1982, 1296, 1297; Justiz 1985, 31; auch OLG Brandenburg StV 1997, 140; OLG Düsseldorf StV 1996, 440; LG Bochum StV 1996, 551; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 114 Rn. 7), der sich der Senat anschließt, der Tatvorgang als solcher in seinen bedeutsamen Erscheinungsformen so mitgeteilt werden, daß ein bestimmter Lebensvorgang erkennbar ist, aus dem der Beschuldigte den gegen ihn erhobenen Vorwurf entnehmen kann. Dies gebieten die Funktion des Haftbefehls als Eingriffsgrundlage in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Freiheitsrecht und die als Grundlage für Fahndungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden. Wird die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat nicht so genau bezeichnet, daß dieser den gegen ihn erhobenen Vorwurf erkennen kann, kann der Haftbefehl auch seine (Informations)Funktion nicht erfüllen. Der Beschuldigte ist dann nämlich nicht in der Lage, sich ausreichend und angemessen gegen den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu verteidigen (siehe die o.a. Rechtsprechungsnachweise).

Diesen zwingenden Anforderungen wird der Haftbefehl vom 14. August 1997 nicht gerecht. Er enthält keinerlei detaillierten Anhaltspunkte über den Umfang und den abgrenzbaren Gegenstand der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat: Verstoß gegen das Markengesetz. Es wird lediglich mitgeteilt, daß Warenfalsifikate vorgefunden worden sind. In welchen Geschäftsräumen des Beschuldigten diese vorgefunden worden sind und um welche Falsifikate es sich gehandelt hat, wird ebenso wenig mitgeteilt, wie die Art und Weise der Berechnung des erheblichen Verkehrswerts/Schadens von immerhin 1,8 Mio. DM. Der Haftbefehl schweigt zudem auch darüber, ob der Beschuldigte ein oder mehrere Zeichen widerrechtlich benutzt haben soll und aus welchem Grund die Benutzung "widerrechtlich" war. Er teilt noch nicht einmal mit, um welche(s) Zeichen es sich eigentlich gehandelt haben soll. Dem Haftbefehl läßt sich schließlich zudem auch nichts über die weiteren Vertriebswege und die Abnehmer des Beschuldigten entnehmen. Damit wird im Haftbefehl nicht die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat konkret, d. h. bestimmt, beschrieben. Der Haftbefehl enthält vielmehr nur eine allgemeine gehaltene pauschale Beschreibung eines Verstoßes gegen das Markengesetz. Diese ist nicht nur in gegenständlicher Hinsicht unbestimmt, sondern wegen der nur generalisierenden Tatzeitangabe: "Frühjahr 1997" auch zeitlich, wenn überhaupt, nur schwer einzuordnen.

Etwas anderes folgt nicht aus dem Beschluß des Landgerichts. Denn abgesehen davon, daß dieses sich nur eingehend mit dem dringenden Tatverdacht im Sinn des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO auseinandergesetzt hat, ist es nicht Aufgabe des Beschuldigten, die ihm vorgeworfene Tat, wegen der Untersuchungshaft angeordnet wird, ggf. bruchstückhaft aus verschiedenen Haftentscheidungen zu entnehmen.

2.

Hinsichtlich des Verfahrens schließt sich der Senat zumindest für die vorliegende Fallgestaltung, in der der Haftbefehl nicht vollstreckt werden kann/wird, weil der Beschuldigte flüchtig ist, der Auffassung des OLG Düsseldorf (vgl. StV 1996, 440, 441) an, wonach das Beschwerdegericht nicht selbst einen ordnungsgemäßen Haftbefehl erläßt, sondern diese Entscheidung dem dafür grundsätzlich zuständigen Amtsgericht vorbehalten bleibt. Dahinstehen kann hier, ob, wenn der Beschuldigte sich in Haft befindet, ggf. etwas anderes gilt (so OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; dagegen mit beachtlichen Argumenten Weider StV 1996, 441 in der Anmerkung zu OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Zwar hat der Senat als Beschwerdegericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO grundsätzlich die Kompetenz, in der Sache selbst zu entscheiden (so auch die o.a. Rechtsprechungsnachweise), es entspricht jedoch - für das allgemeine Beschwerdeverfahren - einhelliger Meinung, daß das Beschwerdegericht die Sache dann an den Erstrichter zurückverweist, wenn das Verfahren mit einem schwerwiegenden Verfahrensfehler behaftet ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen). Dies ist nach Auffassung des Senats auf das Haftbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden. Ein schwerwiegender Verfahrensmangel liegt aber, wenn der Haftbefehl wegen fehlender Angaben zur Tat nicht den Anforderungen des § 114 Abs. 2 StPO entspricht, vor. Dieser Haftbefehl kann nicht Verfahrensgrundlage sein.

Es sprechen auch, worauf das OLG Düsseldorf (a.a.O.) zutreffend hinweist, keine prozessual zwingenden Gründe für eine eigene Haftbefehlsentscheidung des Beschwerdegerichts. Abgesehen davon, daß dem Beschuldigten gegen dessen Entscheidung kein Rechtsmittel mehr zustünde und er, worauf Weider (a.a.O.) verweist, auf die mündliche Haftprüfung durch das Amtsgericht beschränkt wäre erscheint es sachgerecht, die zu treffende Entscheidung über den Erlaß eines neuen Haftbefehls dem Amtsgericht zu überlassen. Dieses ist im Ermittlungsverfahren das für den Erlaß eines Haftbefehls grundsätzlich zuständige Gericht.

Die Entscheidung des Amtsgericht ist insbesondere dann geboten, wenn - wie vorliegend - der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß des Haftbefehls ebenso wenig konkret ist/war wie der daraufhin vom Amtsgericht erlassene Haftbefehl und sich daher auch dem Antrag der Staatsanwaltschaft die verfahrensrechtliche Tat, die dem Beschuldigten vorgeworfen wird, nicht entnehmen läßt. Das Beschwerdegericht ist dann nämlich nicht in der Lage festzustellen, welche konkrete Tat dem Beschuldigten eigentlich zum Vorwurf und zum Gegenstand eines Haftbefehls gemacht werden soll (vgl. dazu OLG Brandenburg StV 1996, 140, 141). Für den Erlaß eines ordnungsgemäßen Haftbefehls ist vielmehr ein modifizierter Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich, der auch vorliegend vor Erlaß eines (neuen) Haftbefehls erst noch gestellt werden müßte.

Eine eigene Entscheidung des Senats ist schließlich auch nicht deshalb geboten, weil gegen den Beschuldigten ggf. ein neuer Haftbefehl nicht mehr erlassen werden könnte. Die Aufhebung des Haftbefehls vom 14. August 1997 beruht vorliegend nämlich nicht auf einem Verstoß gegen § 121 StPO, was dazu führen würde, daß nach allgemeiner Meinung grundsätzlich gegen den Beschuldigten kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat erlassen werden dürfte (vgl. u. a. OLG Hamm StV 1996, 159 mit weiteren Nachweisen). Die Aufhebung beruht vielmehr auf einem Verstoß gegen § 114 Abs. 2 StPO, was dem Erlaß eines neuen Haftbefehls nicht entgegensteht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

IV.

Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis: Der zeitliche Ablauf des Verfahrens nach Einlegung der weiteren Beschwerde dürfte nicht mit § 306 Abs. 2 StPO, wonach bei Nichtabhilfe die Akten dem Beschwerdegericht spätestens vor Ablauf von drei Tagen vorzulegen sind, im Einklang stehen. Die Verteidigerin des Beschuldigten hat nämlich bereits unter dem 16. August 1999 weitere Beschwerde eingelegt, die am 18. August 1999 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Diese hat die weitere Beschwerde am 27. August 1999 dem Landgericht zur Nichtabhilfeentscheidung zugeleitet. Dort sind die Akten am 31. August 1999 eingegangen. Das Landgericht hat seine Nichtabhilfeentscheidung dann am 20. September 1999 getroffen. Beim Senat sind die Akten am 22. Oktober 1999 eingegangen. Damit liegen zwischen Eingang der weiteren Beschwerde und Eingang der Akten beim Senat mehr als zwei Monate. Eine solche Zeitspanne ist - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die gesetzliche Drei-Tage-Frist in der Praxis kaum einzuhalten sein wird, - nicht hinnehmbar. Das gilt insbesondere dann, wenn der Haftbefehl dessen Überprüfung die weitere Beschwerde erstrebt, vollstreckt wird, was vorliegend allerdings nicht der Fall war.

Ende der Entscheidung

Zurück