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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.10.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 327/02
Rechtsgebiete: StPO, IRG, AuslG


Vorschriften:

StPO § 154 Abs. 1
StPO § 329 Abs. 2
IRG § 52 Abs. 1
IRG § 55 Abs. 2
IRG § 49 Abs. 1 Nr. 2
AuslG § 92
AuslG § 92 a
Auch für die Übernahme der Rechtshilfe zur Vollstreckung eines ausländischen Erkenntnisses ist es Voraussetzung, dass der im Ausland Verurteilte dort Gelegenheit gehabt haben muss, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Beschluss Strafsache (Vollstreckungshilfesache) gegen M.H. wegen Menschenhandels, hier: Rechtshilfe durch Vollstreckung eines ausländischen Erkenntnisses)

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 14. Juni 2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 7. Juni 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 10. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Eine Sachentscheidung ist derzeit noch nicht veranlasst und wird zunächst zurückgestellt.

Den belgischen Behörden wird gemäß § 52 Abs. 1 IRG Gelegenheit gegeben, ergänzende Unterlagen beizubringen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Berufungsgerichts in Gent/Belgien vom 27. Juli 1998 wegen Menschenhandels zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Nach Mitteilung der belgischen Behörden ist dieses Urteil rechtskräftig geworden, nachdem es dem Beschwerdeführer, der sich seit dem 4. August 1999 für das Verfahren 632 Js 453/99 StA Hagen zunächst in Untersuchungshaft und seit dem 8. Februar 2000 in Strafhaft befand, am 21. November 2000 persönlich zugestellt worden ist.

Mit Schreiben vom 5. Juni 2001, gerichtet an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, hat das belgische Justizministerium um Übernahme der Strafvollstreckung aus dem Berufungsurteil vom 27. Juni 1998 ersucht.

Unter dem 4. Oktober 2001 hat die Leitende Oberstaatsanwältin in Hagen bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen beantragt, die Vollstreckbarkeit des Urteils vom 27. Juni 1998 für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland zu beschließen und die in Belgien verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren in eine Strafe von gleicher Dauer umzuwandeln. Dabei hat sie ergänzend mitgeteilt, das gegen den Verurteilten in Deutschland wegen der verurteilten Straftat geführte Ermittlungsverfahren 591 Js 492/99 StA Hagen sei am 4. November 1999 gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 hat die Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG zunächst um Vorlage von Unterlagen gebeten, aus denen sich ergebe, dass dem in seiner Abwesenheit verurteilten Beschwerdeführer rechtliches Gehör gewährt und eine angemessene Verteidigung ermöglicht worden sei. Nach Eingang der zugrunde liegenden Ladungs- und Zustellungsunterlagen betreffend die Berufungshauptverhandlung vom 27. Juli 1998 hat die Strafvollstreckungskammer durch den nunmehr angefochtenen Beschluss das Urteil des Berufungsgerichts Gent/Belgien vom 27. Juli 1998 wegen Menschenhandels für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt und die in Belgien verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren in eine Freiheitsstrafe von gleicher Dauer umgewandelt.

Über die hiergegen gerichtete gemäß § 55 Abs. 2 IRG zulässige sofortige Beschwerde vermag der Senat derzeit noch nicht abschließend zu entscheiden. Vielmehr ist den belgischen Behörden zunächst Gelegenheit zu geben, ergänzende Unterlagen beizubringen, aus denen sich ergibt, dass dem Verurteilten in dem belgischen Strafverfahren hinreichend rechtliches Gehör gewährt und eine angemessene Verteidigung ermöglicht worden ist, das Urteil somit unter Wahrung der verfahrensrechtlichen Mindeststandards zustande gekommen ist (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRG, § 49 Rdnr. 6 f).

Die bislang einer abschließenden Entscheidung entgegenstehenden Bedenken des Senats ergeben sich allerdings nicht bereits daraus, dass der Verurteilte zu der Berufungshauptverhandlung, in welcher offensichtlich über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das erstinstanzliche Urteil verhandelt worden ist, lediglich durch Niederlegung der Ladung durch den Gerichtsvollzieher bei der Polizei in Kortrijk/Belgien geladen worden ist und möglicherweise dadurch keine direkte Kenntnis von der Berufungshauptverhandlung erlangt hat. Wie der Senat im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens bereits entschieden hat, ist es nämlich ohne Belang, wenn ein Verfolgter während des Laufs eines Berufungsverfahrens in einem ihm ansonsten bekannten Strafverfahren geflohen ist und danach zu einer höheren Strafe als in erster Instanz verurteilt worden ist, da eine entsprechende Regelung auch das deutsche Recht in § 329 Abs. 2 StPO kennt (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 1997 in (2) 4 Ausl. 92/97 (18/97) = NStZ-RR 1997, 242 = StV 1997, 365). Voraussetzung ist aber weiterhin, dass der Verurteilte von dem gegen ihn konkret geführten Strafverfahren und einem anstehenden und zu erwartenden Hauptverhandlungstermin jedenfalls in erster Instanz Kenntnis gehabt haben muss oder zumindest in Kenntnis des gegen ihn konkret geführten Strafverfahrens unter-getaucht und jedenfalls die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu den Vorwürfen einzulassen, sich zu verteidigen und sich von den zu erwartenden Hauptverhandlungs-Terminen Kenntnis zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2000 in (2) 4 Ausl. 119/00 (76/00) = NStZ-RR 2001, 62 = StraFo 2000, 422).

Dies aber kann den bislang zur Akte gelangten Mitteilungen der belgischen Behörden und den Unterlagen nicht entnommen werden.

Nur indirekt ergibt sich aus dem Berufungsurteil, dass ein erstinstanzliches Urteil des Gerichts in Brügge vom 25. Mai 1998 ergangen sein muss. Ob es sich dabei ebenfalls um ein Abwesenheitsurteil gehandelt hat, wie der Verurteilte in seiner Beschwerdebegründung behauptet, kann den bisher vorliegenden Unterlagen ebenso wenig entnommen werden wie der Umstand, dass ihm das gegen ihn gerichtete Strafverfahren überhaupt bekannt war. Allein der allgemeine Hinweis in der vom Generalstaatsanwalt in Gent am 23. Mai 2001 zusammengefassten Darstellung der Tatsachen, der Betreffende (gemeint ist M.H.) habe anerkannt, dass er mit seinem Wagen, bzw. mit seinem Taxi, verschiedene Male Ausländer nach Oostende oder Zeebrugge geführt habe und auch auf dem Parkplatz in Jabbeke war, reicht insoweit nicht aus (vgl. Bl. 98 d.A.).

Allerdings könnte dies darauf hindeuten, dass eine Vernehmung des Verurteilten stattgefunden hat und ihm somit das gegen ihn gerichtete Verfahren bekannt war. Allerdings bedarf es darüber noch weiterer Mitteilungen der belgischen Behörden.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass hinsichtlich der beiderseitigen Sanktionierbarkeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG) keine Bedenken bestehen und der durch das belgische Berufungsurteil noch in ausreichender Weise mitgeteilte Sachverhalt nach deutschem Recht gemäß §§ 92 und 92 a AuslG strafbar ist.

Ebenso wenig würde der Gewährung der von den belgischen Behörden nachgesuchten Rechtshilfe ein etwa fehlendes Einverständnis des Beschwerdeführers mit der Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses in der Bundesrepublik Deutschland entgegen stehen (vgl. Art. 68, 69 SDÜ; Schomburg/Lagodny, a.a.O., Rdnr. 20 a).

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