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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 335/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
Die Begründung des Haftbefehls dient vor allem der Unterrichtung des Beschuldigten darüber, auf welcher rechtlichen und tatsächlichen Grundlage in sein Freiheitsrecht eingegriffen wird. Deshalb ist auf die Begründung des Haftbefehls besondere Sorgfalt zu verwenden.
Beschluss Strafsache gegen K.K. wegen Mordes (hier: Weitere Haftbeschwerde des Beschuldigten).

Auf die weitere (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten vom 25. Juni 2002 gegen den Beschluss der 7. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 30. April 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 08. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschuldigte, der zur Zeit unbekannten Aufenthalts ist, wendet sich mit seiner weiteren Haftbeschwerde gegen den Bestand des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 20. August 2001 (64 Gs 3826/01). In diesem wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, am 17. August 2001 in Bochum in der von seinen Eltern betriebenen Gaststätte "L.", D.Str. in B., die 20 Jahre als litauische Staatsangehörige D.K. getötet zu haben. Der Beschuldigte soll der Getöteten mit einem Messer oder mit einem anderen scharfrandigen Gegenstand die Kehle unter Durchtrennung der linken Halsschlagader durchschnitten und ihr darüber hinaus eine 14 cm tiefe Stichverletzung im Bauchbereich mit Verletzung der Nierenblutader beigebracht haben. Der Beschuldigte soll dabei aus Wut und Verärgerung darüber gehandelt haben, dass die Geschädigte sein Werben um ihre Person mehrfach zurückgewiesen hatte.

Zum dringenden Tatverdacht hat das Amtsgericht lediglich ausgeführt:

"Er ist dieser Tat dringend verdächtig aufgrund der Feststellungen am Tatort sowie des weiteren polizeilichen Ermittlungsergebnisses."

Gegen diesen Haftbefehl hatte der Beschuldigte am 25. März 2002 Haftbeschwerde eingelegt, die das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen hat. Dabei hat das Landgericht (nur) "auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses" Bezug genommen und sich darüber hinaus nur mit den Einwendungen der Verteidiger des Beschuldigten gegen den dringenden Tatverdacht auseinandergesetzt. Der Beschuldigte hat nunmehr noch durch seine Verteidiger weitere Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, diese als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen durchgreifenden Erfolg.

1. Vorab weist der Senat auf Folgendes hin: Mit dem Vollzug von Untersuchungshaft wird in das in Art. 2 GG geschützte Freiheitsrecht des Einzelnen eingegriffen. Dieser Eingriff ist von Verfassung wegen nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) gestattet, die gemäss § 114 Abs. 2 StPO begründet sein muss. Diese Begründung dient nicht nur der Selbstkontrolle des Gerichts und der Ermöglichung der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft durch das Beschwerdegericht (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 114 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen), sondern vor allem auch der Unterrichtung des Beschuldigten (zu den Anforderungen an die Begründung des Haftbefehls siehe auch schon Senat in StraFo 2000, 30 = StV 2000, 153) . Diesem soll und muss durch den Haftbefehl verdeutlicht werden, auf welcher rechtlichen und tatsächlichen Grundlage in sein Freiheitsrecht eingegriffen wird. Deshalb ist auf die Begründung des Haftbefehls - und weiterer diesen aufrechterhaltender Haftentscheidungen - besondere Sorgfalt zu verwenden. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Begründung des "dringenden Tatverdachts" im Sinn von § 112 Abs. 1 StPO. Dieser muss mit Tatsachen begründet werden, aus denen die Annahme der großen Wahrscheinlichkeit der Verurteilung des Beschuldigten folgt. Handelt es sich um Indizien, die die Täterschaft des (bestreitenden) Beschuldigten begründen sollen, sind diese anzugeben (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.), § 114 StPO Rn. 11). Anderenfalls kann gerade in diesen Fällen der Beschuldigte nicht erkennen, worauf er seine Verteidigung einrichten muss und wie die Strafverfolgungsbehörden die Beweismittel werten und gewichten.

Diesen Anforderungen werden die bisherigen Haftentscheidungen nicht bzw. nicht ausreichend gerecht. Dass das für die amtsgerichtliche Begründung des dringenden Tatverdachts im Haftbefehl vom 20. August 2001 gilt, bedarf keiner näheren Darlegung. Die Ausführungen des Amtsgerichts enthalten keinerlei fallbezogene konkrete Ausführungen, sondern sind lediglich floskelhafte Wendungen, die auf jede Fallgestaltung zutreffen können und den Beschuldigten in keiner Weise unterrichten und ihm keine Möglichkeit geben, sich "gegen den dringenden Tatverdacht" zu verteidigen. Aber auch die landgerichtliche Begründung ist nicht ausreichend. Sie nimmt hinsichtlich des dringenden Tatverdachts zunächst nur auf die "zutreffenden Gründe" des Haftbefehls Bezug. Dabei übersieht das Landgericht, dass diese nicht vorhanden sind, so dass sich die Strafkammer selbst mit den ermittelten Indizien hätte auseinandersetzen müssen. Erst dadurch wäre dann eine ausreichende Grundlage für die Annahme des dringenden Tatverdachts und die weiteren Ausführungen, mit denen zu den Einwendungen der Verteidigung Stellung genommen worden ist, geschaffen worden.

2. Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses ist der Senat nach eigener Prüfung der Beweislage allerdings davon überzeugt, dass dringender Tatverdacht im Sinn von § 112 Abs. 1 StPO gegeben ist. "Dringender Tatverdacht" liegt vor, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 122 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Davon ist vorliegend derzeit auszugehen.

Die Annahme der Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte der Täter gewesen ist, stützt sich im Wesentlichen auf folgende Umstände:

Nach seiner eigenen, durch seinen Verteidiger schriftlich abgegebenen, Einlassung hat sich der Beschuldigte zur Tatzeit am Tatort befunden. Im Badezimmer/in der Toilette in der von ihm mitbewohnten Wohnung seiner Familie wurde ein T-Shirt gefunden, an dem sich nach dem spurenkundlichen Gutachten vom 6. September 2001 Blutspritzspuren der Getöteten befinden. Bei diesem T-Shirt handelt es sich um ein Kleidungsstück des Beschuldigten. Das ergibt sich einmal aus dem bereits erwähnten spurenkundlichen Gutachten und zudem aus den Angaben mehrerer Zeugen, die diese "grau-rote T-Shirt" dem Beschuldigten zugeordnet haben; siehe nur die Vernehmungen S. und O.. Dass es sich bei diesem T-Shirt um eins seiner Kleidungsstücke handelt, wird im Übrigen auch vom Beschuldigten weder in seiner Einlassung noch in der Begründung der weiteren Beschwerde bestritten. Der Beschuldigte muss dieses Kleidungsstück auch zur Tatzeit getragen haben. Anders lassen sich nämlich die dort festgestellten Blutspuren der Getöteten nicht erklären. Jedenfalls gibt der Beschuldigte dafür keine nachvollziehbare Erklärung.

Das auf diesem T-Shirt vorhandene Blutspuren- und Kontaktspurenbild stimmt mit dem von den Sachverständigen S. und H. im Gutachten vom 12. September 2001 angenommenen Geschehensablauf überein. Es lässt sich jedenfalls nicht mit dem vom Beschuldigten eingeräumten Ablauf - der Beschuldigte will die - bereits tödlich verletzte - Getötete lediglich an den Schultern angefasst haben - in Einklang bringen.

Die Einlassung des Beschuldigten ist zudem in einem weiteren Punkt durch das bisherige Ermittlungsergebnis widerlegt. Der Beschuldigte hat angegeben, die Getötete habe bei dem Zusammentreffen vor der Tat "Wodka-Lemon" getrunken. Das trifft jedoch nach dem Ergebnis der der getöteten entnommenen Blutprobe nicht zu, da deren Blutalkoholgehalt 0 Promille betragen hat.

Der Beschuldigte hatte auch ein Motiv. Insbesondere die zur Beziehung des Beschuldigten zu der Getöteten vernommenen Zeugin M. hat bekundet, dass der Beschuldigte sich eine Beziehung zu der Getöteten erhoffte, von dieser jedoch zurückgewiesen worden sei. Dass der Beschuldigte ein Liebesverhältnis zu der Getöteten anstrebte bzw. sich erhoffte, ergibt sich im Übrigen auch aus den in seinem Zimmer aufgefundenen Unterlagen. In dem Zusammenhang vermögen die Ausführungen der Verteidigung zu einer angeblichen sexuellen Beziehung der Getöteten zu einem bisher unbekannten jungen Deutschen den Beschuldigten nicht zu entlasten. Abgesehen davon, dass dieser Umstand - worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend hinweist - eher das angenommene Motiv stützt, ist nicht ersichtlich, ob dieser "junge Deutsche" überhaupt existiert und aus welchem Grund er die Getötete getötet haben soll. Auch die vom Beschuldigten behaupteten Verbindungen der Getöteten in das Prostituierten- und Kriminellenmilieu sind bislang durch keinerlei nähere Tatsachen in der Weise belegt, dass sie auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsstandes entscheidend und durchgreifend gegen eine Täterschaft des Beschuldigten sprechen könnten. Jedenfalls lässt sich insbesondere ein Grund, warum die Tat aus dem "Milieu" heraus begangen worden sein soll, dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht entnehmen. Allein der Hinweis darauf, dass die Art und Weise der Tötung eine "Bestrafungsaktion" nahe lege, ist nicht ausreichend.

Soweit die Verteidigung darauf hinweist, dass der Beschuldigte Linkshänder sei, nach dem Gutachten/Obduktionsprotokoll des Sachverständigen H. vom 18. August 2001 die Tat aber offenbar von einem Rechtshänder begangen worden sei, weshalb der Beschuldigte als Täter ausscheide, spricht auch dieser Einwand nicht gegen die Täterschaft des Beschuldigten. Denn nach dem ergänzenden Gutachten des Sachverständigen vom 27. Juni 2002 kann die Tat sowohl von einem Rechtshänder als auch von einem Linkshänder begangen worden sein.

Schließlich spricht auch die an dem Türrahmen gesicherte (Blut)Spur nicht entscheidend gegen die Täterschaft des Beschuldigten. Zutreffend ist allerdings der Hinweis der Verteidigung darauf, dass diese Spur - entgegen der Annahme des Landgerichts im angefochtenen Beschluss - nicht für die Täterschaft des Beschuldigten spricht. Denn bei dieser Spur handelt es sich nach dem spurenkundlichen Gutachten vom 6. September 2001 um eine mit einem "DNA-Muster, das sich von allen anderen im vorliegenden Fall untersuchten Spuren unterscheidet und im Amelogeninsystem das Vorliegen des männlichen Geschlechts zeigt." Das Landgericht übersieht, dass sich die Spur "von allen anderen" untersuchten Spuren unterscheidet, also auch von der des Beschuldigten. Damit deutet diese Spur, worauf die Verteidigung zutreffend hinweist, möglicherweise auf die Anwesenheit einer dritten Person am Tatort hin. Dabei muss es sich bei dem Spurenleger - so das spurenkundliche Gutachten - um einen "sehr nahen Verwandten" der Schwester des Beschuldigten und des Beschuldigten handeln. Dieser Umstand führt nach Überzeugung des Senats derzeit aber noch nicht zur Verneinung des dringenden Tatverdachts. Unberücksichtigt bleiben können nämlich in diesem Zusammenhang nicht die übrigen, bereits dargelegten und gewürdigten Umstände und Indizien. Die "unbekannte Spur" kann nicht allein, sondern muss in der Zusammenschau mit den anderen Indizien gesehen werden. Für das Entstehen der Spur gibt es im Übrigen auch nachvollziehbare Erklärungen: Es kann sich um eine ältere Spur handeln, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt als zur Tatzeit entstanden ist. Selbst wenn aber zur Tatzeit eine weitere Person am Tatort anwesend gewesen sein sollte, spricht das auf dem T-Shirt des Beschuldigten festgestellte Spurenbild derzeit dafür, dass nicht diese, sondern der Beschuldigte das Opfer getötet hat.

Schon diese dargelegten Umstände machen nach allem die Verurteilung des Beschuldigten derzeit wahrscheinlich. Auf die zum Tatgeschehen und den übrigen Umständen gemachten Angaben der Schwester des Beschuldigten kam es daher nicht (mehr) an. Bei seiner Beurteilung konnte der Senat somit die bisherigen - teilweise widersprüchlichen - Angaben der Schwester des Beschuldigten unberücksichtigt lassen. Diese will nunmehr offenbar von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO Gebrauch machen, so dass der Verwertung der früheren Angaben § 252 StPO entgegenstehen könnte. Der Senat hat auch den Umstand, dass der Beschuldigte seit der Tat flüchtig ist, nicht gegen ihn verwendet. Er weist insoweit nur darauf hin, dass das für die Flucht angegebene Motiv "Panik" nach fast einem Jahr allerdings nicht mehr nachvollziehbar ist. Andererseits kennt das Strafverfahren keine "Gestellungspflicht", so dass die "Flucht" des Beschuldigten zumindest kein "starkes" Argument für dessen Täterschaft ist.

Da der Beschuldigte seit dem Tattag flüchtig ist, besteht auch ein Haftgrund im Sinn des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, so dass nach allem die Untersuchungshaft zu Recht gegen den Beschuldigten angeordnet worden ist und die weitere Haftbeschwerde zu verwerfen war.

III.

Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat darauf hin, dass es unverständlich erscheint, dass nach fast einem Jahr nicht zumindest der Versuch unternommen worden ist, den Spurenleger der am Türrahmen gesicherten Spur zu ermitteln und durch einen Sachverständigen ggf. feststellen zu lassen, wann diese Spur entstanden ist. Auch scheint dem Senat im Hinblick auf seine bisherigen Angaben und die Vernehmung der Zeugin S. dringend eine Nachvernehmung des Bruders T. des Beschuldigten erforderlich. Ebenso dürfte es sich empfehlen, die am Tatort bzw. in der Nähe aufgefundene Zigarettenkippe, deren Untersuchung bisher zurückgestellt worden ist, nunmehr untersuchen zu lassen. Schließlich werden die Ermittlungsbehörden auch den von der Verteidigung gegebenen (weiteren) Hinweisen nachzugehen haben.

Ende der Entscheidung

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