Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.12.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 366/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 44
Das Gericht, an das ein fristgebundenes Rechtsmittel fälschlicherweise übersandt wurde, ist nicht verpflichtet, das Rechtsmittelschreiben unter Ausnutzung von Eilmaßnahmen an das zustände Gericht zu übersenden. Der Senat hält an seiner früheren Rechtsauffassung nicht weiter fest, sondern wird eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44 S. 1, 45 Abs. 2 S. 3 StPO nur in den Fällen in Betracht ziehen, in denen die Rechtsmittelschrift bei der unzuständigen Stelle so rechtzeitig eingeht, dass sie bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang noch rechtzeitig an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

gegen pp.

wegen versuchten schweren Raubes u. a., (hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Feststellung des Eintritts der Führungsaufsicht).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 11. Oktober 2008 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. vom 04. November 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 12. 2008 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 08. Oktober 2002 wegen versuchten schweren Raubes und Diebstahls zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt, die er am 13. Mai 2008 vollständig verbüßt hatte.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 04. November 2008 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. nach Anhörung des Leiters der Justizvollzugsanstalt B., der Staatsanwaltschaft Dortmund sowie nach mündlicher Anhörung des Verurteilten festgestellt, dass gemäß § 68 f Abs. 1 StGB Führungsaufsicht eintritt, die drei Jahre dauert und nicht gemäß § 68 f Abs. 2 StGB entfällt.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten am 05. November 2008 zugestellt worden ist, wendet dieser sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 11. November 2008, bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am selben Tag.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die gem. §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 StPO, 68 f Abs. 2 StGB statthafte sofortige Beschwerde des Verurteilten war entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft bereits als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht rechtzeitig beim Landgericht B. eingegangen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"Der angefochtene Beschluss ist dem Beschwerdeführer mit Rechtsmittelbelehrung ausweislich der Akten am 05.11.2008 in der Justizvollzugsanstalt B. (Bl. 194 d. VH) zugestellt worden. Die sofortige Beschwerde, die gem. §§ 311 Abs. 2, 35 Abs. 2 StPO innerhalb einer Woche seit der Zustellung einzulegen gewesen wäre, hätte daher nach § 43 Abs. 1 StPO spätestens bis zum Ablauf des 12.11.2008 bei dem Landgericht B. eingehen müssen. Die von dem Verurteilten bei der Staatsanwaltschaft B. (Kapitalabteilung) angebrachte sofortige Beschwerde ist dort zwar innerhalb dieser Frist eingegangen. Nachdem die Weiterleitung an das Landgericht B. per Telefax erst am 14.11.2008 verfügt worden war, ist sie bei diesem Gericht aber verspätet eingegangen.

Es besteht kein Anlass, dem Verurteilten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren. Voraussetzung dafür wäre, dass der Verurteilte nicht ohne sein Verschulden an einer Einhaltung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gehindert war (§ 44 StPO).

Dies ist hier nicht der Fall. Der Bf. hat die Rechtsmittelschrift - obwohl er darüber belehrt worden ist - an die Staatsanwaltschaft adressiert. Grundsätzlich hat jeder dafür einzustehen, dass er sein Rechtsmittel bei der richtigen Stelle einreicht. Dies gilt auch für die Anbringung von Rechtsmittelschriften und für die Einhaltung der insoweit zu beachtenden gesetzlichen Fristen. Es ist jedoch anerkannt, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44 S. 1, 45 Abs. 2 S. 3 StPO gerechtfertigt ist, wenn ein Verurteilter aus Unachtsamkeit die Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht eingerecht hat und sie dort so zeitig eingegangen ist, dass sie bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang noch rechtzeitig an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können (vgl. OLG Hamm, MDR 1979, 73, 74; OLG Koblenz, MDR 1973, 691). Unterlässt die unzuständige Behörde die Weiterleitung der Rechtsmittelschrift, obwohl das zuständige Gericht ohne weiteres erkennbar ist und obwohl der rechtzeitige Eingang bei diesem möglich wäre, so trifft den Rechtsmittelführer an der Fristversäumung kein Verschulden (OLG Düsseldorf, VRS 69, 34). Ein solches amtliches Verschulden lässt sich hier nicht feststellen. Zwar ist die Übersendung der Beschwerdeschrift an das zuständige Landgericht nicht am Tage ihres Eingangs verfügt und (per Telefax) in die Wege geleitet worden. Ein rechtzeitiger Eingang wäre aber bei Weiterleitung am Tage des Eingangs der Beschwerdeschrift bzw. nach dessen Vorlage an den Dezernenten der Staatsanwaltschaft im ordentlichen Geschäftsgang nicht erfolgt, da sie erst am vorletzten Tag der Beschwerdefrist bei der Staatsanwaltschaft eingegangen war. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war auch nicht deshalb von Amts wegen zu gewähren, weil die Beschwerdeschrift des Verurteilten nach ihrem Eingang bei der Staatsanwaltschaft per Telefax noch fristgerecht an das Landgericht B. hätte weitergeleitet werden können. Das Unterbleiben einer solchen Übermittlung der Beschwerdeschrift stellt hier kein amtliches Fehlverhalten dar, weil für die Postannahmestelle der Staatsanwaltschaft aus der Beschwerdeschrift nicht erkennbar war, dass diese wegen des Ablaufs der Beschwerdefrist am 12.11.2008 sofort an das Landgericht weiterzuleiten war. Dass die Übermittlung auf Anordnung des Dezernenten der Staatsanwaltschaft tatsächlich per Telefax veranlasst worden ist, rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Es ist anerkannt, dass ein angegangenes unzuständiges Gericht - entsprechendes gilt für die Staatsanwaltschaft - nicht verpflichtet ist, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang einer Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten (vgl. Beschluss des OLG Hamm vom 26.11.1996 - 3 Ws 567/96 - NJW 1997, 2829; OLG Düsseldorf NStZ 1984,184). Die Übermittlung des Inhalts eines Schriftsatzes per Telefax durch das Gericht - oder wie hier durch die Staatsanwaltschaft - stellt eine außerordentliche Maßnahme dar, die über den Rahmen des ordentlichen gerichtlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Geschäftsgangs hinausgeht. Auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1995, 3173, 3175) ist ein unzuständig angegangenes Gericht, wenn es im Rahmen der ihm obliegenden Fürsorgepflicht zu einer Weiterleitung bei ihm eingegangener fristgebundener Rechtsmittelschriften verpflichtet ist, nur gehalten, diese im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Rechtsmittelführer nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann zu gewähren, wenn ein solcher Schriftsatz nicht fristgerecht bei dem zuständigen Gericht eintrifft, obwohl er so rechtzeitig bei dem unzuständigen Gericht eingegangen ist, dass dessen fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte. Das ist hier nicht der Fall. Der verspätete Eingang der Beschwerdeschrift bei dem Landgericht B. beruht vielmehr ausschließlich auf einem Fehlverhalten des Beschwerdeführers bei der Einreichung der sofortigen Beschwerde. Bei der Adressierung der Beschwerdeschrift an die Staatsanwaltschaft bzw. dessen dortige Abgabe kann der Absender nicht von der üblichen Beförderungsdauer ausgehen und auch nicht annehmen, sein Schreiben werde in der hier noch zur Verfügung stehenden Restlaufzeit bei dem zuständigen Gericht eingehen (OLG Düsseldorf, NJW 1994, 2841; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 44 Rdnr. 17 m. w. N.).

Der verspätete Eingang der Beschwerdeschrift bei dem Landgericht B. beruht vielmehr ausschließlich auf einem Fehlverhalten des Verurteilten bei der Einreichung der sofortigen Beschwerde, das eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 44 StPO ausschließt."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Der Senat hat zu dieser Problematik in einer seiner früheren Entscheidungen (vgl. Beschluss vom 06. August 2003 in 2 Ws 164/03) noch die Rechtsauffassung vertreten, dass ein angegangenes unzuständiges Gericht aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht in bestimmten Fällen zum Ergreifen außerordentlicher Maßnahmen wie der Übermittlung der Rechtsmittelschrift per Telefax verpflichtet sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sich der Eingabe neben dem korrekten Adressaten sogleich entnehmen lasse, dass der Ablauf der Rechtsmittelfrist unmittelbar bevorstehe und andernfalls deren Versäumung drohe.

Zwar ist vorliegend ein solcher Fall nicht gegeben, da der hier in Rede stehenden Beschwerdeschrift weder ohne weiteres der richtige Adressat noch der Fristablauf zu entnehmen sind. Der Senat hält aber an seiner früheren Rechtsauffassung nicht weiter fest, sondern wird - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der übrigen Strafsenate - eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44 Satz 1, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO nur in den Fällen in Betracht ziehen, wenn die Rechtsmittelschrift bei der unzuständigen Stelle so rechtzeitig eingeht, dass sie bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang noch rechtzeitig an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 44 Rdnr. 12; KK-Maul, StPO, 5. Aufl., § 44 Rdnr. 26; OLG Hamm, NJW 1997, 2829, 2830 m. w. N.). Gegen diese Ansicht bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175), so dass die gerichtliche Fürsorgepflicht - auch im Lichte der Verfassung - eine weitergehende Verpflichtung des angegangenen unzuständigen Gerichts als die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht erfordert.

Ein amtliches Versäumnis liegt damit hier nicht vor. Die Beschwerdeschrift ist erst am 11. November 2008 und damit am vorletzten Tag der Beschwerdefrist bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Damit konnte sie im ordentlichen Geschäftsgang nicht mehr rechtzeitig dem nach § 306 Abs. 1 StPO zuständigen Landgericht B. zugeleitet werden.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beschwerdeschrift ggf. noch fristgerecht per Telefax an das Landgericht B. hätte weitergeleitet werden können. Ein angegangenes unzuständiges Gericht ist nämlich, wie bereits ausgeführt, gerade nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang einer Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten. Die Übermittlung des Inhalts eines Schriftstücks per Telefax durch das Gericht stellt eine außerordentliche Maßnahme dar, die über den Rahmen des ordentlichen gerichtlichen Geschäftsganges hinausgeht. Denn diese Maßnahme wird von den Gerichten nur dann ergriffen, wenn eine rechtzeitige Bearbeitung oder Erledigung einer dringlichen Angelegenheit auf dem Wege des üblichen Schriftverkehrs durch Übersendung durch die Post nicht möglich ist. Nähme man eine Verpflichtung des angegangenen unzuständigen Gerichtes an, auch derartige außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, hätte dies zur Folge, dass der von einer ungünstigen Gerichtsentscheidung Betroffene seine Rechtsmittelschrift bei jedem beliebigen Gericht oder jeder Staatsanwaltschaft bis kurz vor Ende der normalen Dienstzeit einreichen könnte, ohne eine Fristversäumung befürchten zu müssen. Da aber gemäß § 35 a StPO strafgerichtliche Entscheidungen, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden können, bei ihrer Bekanntmachung gegenüber dem Betroffenen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sind, die auch eine Angabe des Gerichtes enthält, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, besteht kein Anlass, den Rechtsmittelführer von dem Risiko einer Fristversäumung infolge der Einreichung eines Rechtsmittels bei dem unzuständigen Gericht nahezu vollständig zu befreien (zu vgl. OLG Hamm, a. a. O.) bzw. § 306 Abs. 1 StPO auszuhöhlen. Diese Vorschrift, die bestimmt, dass die Beschwerde bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich einzulegen ist, wäre dann überflüssig. Vorstehende Überlegungen und Erwägungen haben den erkennenden Senat veranlasst, an seiner früheren Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten.

III.

Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die sofortige Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg hätte haben können.

Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht von der nach § 68 f Abs. 2 StGB in Ausnahmefällen gegebenen Möglichkeit, die Maßregel entfallen zu lassen, keinen Gebrauch gemacht. Ebenso wenig war von den nach § 68 a und 68 b StGB erteilten Weisungen abzusehen. Diese Weisungen sind weder gesetzwidrig noch stellen sie an die Lebensführung des Beschwerdeführers unzumutbare Anforderungen.

IV.

Die sofortige Beschwerde war daher mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

Zurück