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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 457/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 453
1. Zur Frage, wann ein Beschwerdeverfahren, in dem die Nichtabhilfeentscheidung unterblieben ist, zu deren Nachholung zurückverwiesen werden muss.

2. Bei der Auswahl, der Abberufung eines bestellten und der Beiordnung eines neuen Bewährungshelfers handelt es um eine vom Beschwerdegericht grundsätzlich nicht nachprüfbare Ermessensentscheidung der Strafvollstreckungskammer. Sie unterliegt aber der Nachprüfung auf die Einhaltung der durch das Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens.


Beschluss Strafsache

gegen A.W.

wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Beiordnung eines anderen Bewährungshelfers im Rahmen der Führungsaufsicht)

Auf die als Beschwerde zu wertende Eingabe des Verurteilten vom 18. November 2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 2. Juli 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 12. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

I.

Gegen den Verurteilten ist durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 30. November 1998 - KLs/185 Js 33210/98 (34 a 52/98) -, rechtskräftig seit diesem Tag, wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 200 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt worden. Er hatte mit der damals 16 Jahre alten Tochter seiner Lebensgefährtin in dem Zeitraum von April 1997 bis Februar 1998 ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss sowie Oral- und Analverkehr ausgeübt. Nach vollständiger Verbüßung dieser Strafe steht der Verurteilte derzeit unter Führungsaufsicht gemäß § 68 f Abs. 1 StGB, die durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 19. September 2001 - STVK W 1175/01 -, rechtskräftig seit dem 27. Oktober 2001, auf vier Jahre festgesetzt worden ist.

Der Verurteilte ist der Aufsicht und Leitung eines örtlich für ihn zuständigen Bewährungshelfers unterstellt und angewiesen worden, zu diesem guten Kontakt zu halten, ihn regelmäßig - mindestens einmal im Monat - aufzusuchen und mit ihm zur Erfüllung der sonstigen Weisungen gewissenhaft zusammenzuarbeiten. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 03. Dezember 2001 ist Herr M.D., W., zum Bewährungshelfer bestellt worden. Mit Schreiben vom 27. Juni 2002 teilte dieser mit, dass er aufgrund personeller Veränderungen für den Bezirk Wipperfürth nicht mehr zuständig sei, und bat um Beiordnung seines Kollegen J.H.. Daraufhin ist jener durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 02. Juli 2002 statt des bisherigen Bewährungshelfers D. dem Verurteilten zum Bewährungshelfer bestellt worden.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 21. November 2002 beim Landgericht Bochum eingegangene, als "sofortige Beschwerde" bezeichnete Eingabe des Verurteilten vom 18. November 2002. Zur Begründung führt der Verurteilte aus, eine gewissenhafte Zusammenarbeit mit Herrn H. sei ihm nicht möglich, weil dieser ihn erpresse und nötige, ihm bei familiären Schwierigkeiten nicht geholfen habe, über keine soziale Einstellung verfüge und wegen seiner letzten Strafe gegen ihn voreingenommen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorbezeichnete Eingabe Bezug genommen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat die "sofortige Beschwerde" ohne Nichtabhilfeentscheidung mit Verfügung vom 26. November 2002 unmittelbar dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 06. Dezember 2002 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

Bei der Eingabe des Verurteilten vom 18. November 2002 handelt es sich um eine Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO.

Zwar hat der Verurteilte sein Rechtsmittel ausdrücklich als "sofortige Beschwerde" bezeichnet. Statthaft ist nach § 453 Abs. 2 S. 1 StPO jedoch nur die (einfache) Beschwerde, da keiner der in § 453 Abs. 2 S. 3 StPO aufgeführten Fälle für die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde vorliegt. Nach § 300 StPO ist aber ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels unschädlich. Nach dem in der genannten Norm formulierten allgemeinen Rechtsgedanken hat der Bürger einen auf Art. 19 Abs. 4 GG beruhenden substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Rechtszügen (BVerfG NJW 1973, 1491; BVerfG NJW 1976, 141; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, § 300 Rn. 1 m.w.N.). Daher darf der bloße Irrtum bei der Erklärung nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen (BVerfG NJW 1991, 3140). Nach allgemeiner Meinung ist deshalb die falsche Bezeichnung eines Rechtsmittels unschädlich, wenn nur ein bestimmtes Rechtsmittel statthaft und die Einlegung dieses Rechtsmittels offensichtlich bezweckt ist (KG VRS 35, 287; OLG Celle VRS 15, 58; OLG Düsseldorf VRS 59, 358; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 300 Rn. 2). Nach diesen Grundsätzen ist die Eingabe des Verurteilten als - statthafte und auch sonst zulässige - Beschwerde zu werten.

Damit hätte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum nach § 306 Abs. 2 StPO zunächst über die Frage der Abhilfe entscheiden müssen, bevor sie die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Beschwerde vorlegt. Da sie die Eingabe des Verurteilten ausweislich der Vorlageverfügung vom 26. November 2002 indes als sofortige Beschwerde statt als Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO angesehen hat, ist eine Abhilfeentscheidung unterblieben. Fehlt eine Äußerung des Erstrichters zur Abhilfe, hat das Beschwerdegericht unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur schnellen und wirtschaftlichen Erledigung der Beschwerde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob es selbst entscheiden oder dem Erstgericht Gelegenheit geben will, eine unterbliebene oder in Verkennung des Umfangs der Nachprüfungspflicht getroffene Entscheidung über die Abhilfe ordnungsgemäß nachzuholen (Löwe-Rosenberg-Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. 1988, § 306 Rn. 27). Während in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten wird, eine Zurückverweisung zur Nachholung des Abhilfeverfahrens sei stets zulässig (Karlsruher Kommentar-Engelhardt, StPO, 4. Aufl. 1999, § 306 Rn. 19), kommt sie nach anderer Meinung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dadurch das Verfahren beschleunigt wird (OLG München NJW 1973, 1143; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 306 Rn. 10; Heidelberger Kommentar-Rautenberg, StPO, 1. Aufl. 1997, § 306 Rn. 11). Dies ist der Fall, wenn die tatsächliche Richtigkeit des Beschwerdevorbringens vom örtlich näheren Erstrichter leichter und schneller festgestellt werden kann und zu erwarten ist, dass dieser dann gegebenenfalls seine Entscheidung selbst korrigiert, weil die neuen Tatsachen auch nach der von ihm vertretenen Rechtsauffassung entscheidungserheblich sind. Dagegen scheidet sie im Interesse der Verfahrensbeschleunigung aus, wenn das Beschwerdegericht selbst sofort entscheiden kann, da das Abhilfeverfahren für dessen Entscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt (OLG Bremen MDR 1951, 56; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer, a.a.O.; Heidelberger Kommentar-Rautenberg, a.a.O.). Eine eigene sofortige Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher geboten, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, d.h. für jeden Rechtskundigen ohne längere Prüfung erkennbar ist, dass das Beschwerdevorbringen das Rechtsmittel nicht zu begründen vermag. Diese Voraussetzung trifft vorliegend - wie unter 2. auszuführen sein wird - zu, so dass der Senat selbst in der Sache entschieden hat.

2. Nach § 453 Abs. 2 S. 2 StPO kann die Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass die getroffene Anordnung gesetzeswidrig ist. Dies ist gegeben, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist (OLG Hamm, MDR 1975, 1041; OLG Koblenz, MDR 1976, 946). Zwar handelt es sich bei der Auswahl, der Abberufung eines bestellten und der Beiordnung eines neuen Bewährungshelfers um eine vom Beschwerdegericht grundsätzlich nicht nachprüfbare Ermessensentscheidung der Strafvollstreckungskammer. Sie unterliegt aber der Nachprüfung auf die Einhaltung der durch das Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens. Wenn auch das Gesetz eine Ablehnung des Bewährungshelfers wegen Besorgnis der Befangenheit nicht vorsieht, so muss doch das die Bewährungsaufsicht führende Gericht von Amts wegen prüfen, ob der von ihm bestellte Bewährungshelfer den in § 56 d Abs. 3 StGB beschriebenen Aufgaben mit der dazu erforderlichen Objektivität und Unbefangenheit weiterhin gerecht werden kann (vgl. hierzu OLG Hamm, 1 Ws 252/78, Beschluss vom 10. November 1978). Die rechtsfehlerfreie Ermessensausübung durch die Strafvollstreckungskammer Bochum hätte vorliegend jedoch nicht zu der vom Verurteilten angeregten Abberufung des Bewährungshelfers H. führen müssen, da eine Zusammenarbeit mit diesem für ihn nicht unzumutbar ist. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergeben sich - für jeden Rechtskundigen ohne weiteres erkennbar - nicht im mindesten begründete Anhaltspunkte für konkrete Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Geeignetheit des Bewährungshelfers. Aus den pauschalen, nicht substantiierten Vorwürfen des Verurteilten gegen ihn lassen sich keine konkreten Tatsachen entnehmen, die die Besorgnis seiner Befangenheit begründen könnten.

Nach allem ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet.

Der Senat geht naturgemäß davon aus, dass die Strafvollstreckungskammer Bochum in pflichtgemäßer Ermessensausübung den Bewährungshelfer sogleich abberufen wird, falls künftig Tatsachen erkennen lassen sollten, dass es ihm an der erforderlichen Objektivität gegenüber dem Verurteilten mangelt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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