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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 48/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
Zur Fluchtgefahr, wenn der Angeklagte die Zeit der Außervollzgusetzung des Haftbefehls nicht zur Flucht genutzt hat, sondern er sich in Kenntnis weiterer gegen ihn erhobenen Vorwürfe sowohl für die Strafvollstreckung als auch für ein neues Verfahren zur Verfügung gehalten hat.
Beschluss

Strafsache

gegen K.L.

wegen Steuerhinterziehung (hier: weitere Haftbeschwerde)

Auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten vom 29. Januar 2008 gegen den Beschluss der 1. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hagen vom 27. November 2007 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 02. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 27. August 2007 wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, aufgehoben.

Gründe:

I.

Dem Beschuldigten werden fünf Fälle der Steuerhinterziehung zur Last gelegt, wobei es in einem Fall beim Versuch einer Steuerhinterziehung geblieben sein soll. Vorgeworfen wird ihm, als Geschäftsführer der Fa. L. GmbH in der Zeit vom 2. Juli 2002 bis zum 2. Juni 2006 für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2004 unrichtige Körperschafts- und Gewerbesteuererklärungen gegenüber den Finanzbehörden abgegeben zu haben, indem er für die vorgenannten Jahre vermeintliche Lizenzaufwendungen im Gesamtumfang von 1.199.204,77 € (einschließlich hierauf verbuchter Zinsaufwendungen) gewinnmindernd als Betriebsausgaben geltend gemacht habe. Tatsächlich soll es sich bei diesen Beträgen um dem Beschuldigten zuzuechnende verdeckte Gewinnausschüttungen handeln. Dabei geht die Staatsanwaltschaft von auf diese Weise für die Jahre 2000 bis 2003 hinterzogenen Körperschafts- und Gewerbesteuern in Höhe von insgesamt 461.115,46 € aus. Hinsichtlich der am 2. Juni 2006 für das Jahr 2004 abgegebenen Körperschafts- und Gewerbesteuererklärungen wird dem Beschuldigten nur eine versuchte Steuerverkürzung zur Last gelegt. Denn während seitens der Finanzbehörden für die Jahre 2000 bis 2003 die steuerliche Festsetzung jeweils auf der Grundlage der in den jeweiligen Erklärungen vom Beschuldigten gemachten Angaben erfolgte, erkannte das Finanzamt die in der am 2. Juni 2006 abgegebenen Körperschaftssteuererklärung ausgewiesenen Lizenzaufwendungen für das Jahr 2004 nicht an, da das Landgericht Hagen (71 KLs 300 Js 396/01 - 4/04) den Beschuldigten mit Urteil vom 10. Juni 2006 wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt hatte. Dieser Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass bereits für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 1999 in den Körperschafts- und Gewerbesteuererklärungen der Fa. L. GmbH GmbH zu Unrecht Aufwandsbuchungen für tatsächlich nicht angefallene Lizenzgebühren gewinnmindernd geltend gemacht und hierdurch zu niedrige Steuerfestsetzungen bewirkt wurden.

Gegen dieses Urteil, durch das der Beschuldigte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, hat der Beschuldigte Revision eingelegt, die durch Beschluss des BGH vom 24. mai 2007 (5 StR 72/07) verworfen worden ist. Der Beschuldigte hat inzwischen, nachdem er gegen den Beschluss des BGH noch Anhörungsrüge eingelegt hatte, gegen das Urteil des Landgerichts vom 10. Juni n2006 und den Beschluss des BGH vom 24. mai 2007 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Über diese ist nocht nicht entschieden.

Das Amtsgericht Lüdenscheid hat am 27. August 2007 gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen; es ist davon ausgegangen, dass der Verdacht der Steuerhinterziehung in fünf Fällen besteht, wobei es in einem Fall nur beim Versuch geblieben ist. Der Haftbefehl ist vom Amtsgericht am 1. Oktober 2007 außer Vollzug gesetzt worden. Inzwischen wird die durch das Urteil des Landgerichts Hagen vom 10. Juni 2006 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt, nachdem ein Antrag des Beschuldigten auf Bewilligung von Vollstreckungsaufschub zurückgewiesen worden ist.

Der Beschuldigte hat gegen den außer Vollzug gesetzten Haftbefehl des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt, die durch den angefochtenen Beschluss der Strafkammer verworfen worden ist. Gegen diese Verwerfung richtet sich nun noch das weitere Rechtsmittel des Beschuldigten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Haftbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die nach § 304 StPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache keinen Erfolg.

Dahinstehen kann, ob gegen den Beschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Straftaten einer Steuerhinterziehung gemäß §§ 15, 25 Abs. 2, 53 StGB, §§ 369 Abs. 1, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 7 KStG, § 7 GewStG, § 20 EStG besteht. Insoweit weist der Senat allerdings auf seine Entscheidung vom 8. Februar 2006 in 2 Ws 37/06 OLG Hamm, die in dem Verfahren 71 KLs 300 Js 396/01/ (4/04) LG Hagen, in dem das Landgericht den Beschuldigten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt hat, ergangen ist. Hingewiesen wird zudem auf die Revisionsentscheidung des BGH vom 24. mai 2007 (5 StR 72/07), in der der BGH das von der Strafkammer festgestellte Geschehen als Steuerhinterziehung gewertet hat.

2. Die Frage des "dringenden Tatverdachts" i.S. des § 112 Abs. 1 StPO, kann indes dahinstehen, da nach Auffassung des Senats ein Haftgrund im Sinn des § 112 Abs. 2 StPO nicht vorliegt und der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 27. August 2007 schon aus dem Grund aufzuheben war.

Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht nach allgemeiner Meinung dann, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus bestimmten Tatsachen ergeben müssen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (vgl. u.a. OLG Köln StV 1996, 390 und 1991, 472; Meyer-Goßner, StPO, 50, Aufl., 2007, § 112 Rn. 22; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., Rn. 812, 813,; Herrmann, Untersuchungshaft, Rn. 683 ff., 729 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Frage, ob Fluchtgefahr vorliegt oder nicht, die sorgfältige Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Falles erfordert (siehe u.a. Senat in StV 1999, 37; StV 1999, 215 mit zustimmender Anmerkung Hohmann StV 2000, 152; StraFo 1999, 248; NStZ-RR 2000, 188 = StraFo 2000, 203; StV 2000, 320; StV 2001, 685; StV 2003, 170, 509; StV 2006, 191).

Dem wird die Begründung des Haftgrundes der Fluchtgefahr durch das Landgericht nicht im erforderlichen Maße gerecht, weil es wesentliche, gegen die Fluchtgefahr sprechende Umstände nicht hinreichend gewürdigt hat. Insbesondere lässt sich die von ihm bejahte Fluchtgefahr nicht mit dem Hinweis auf die "neue langjährige Gesamtfreiheitsstrafe" und dem darauf beruhenden erheblichen Fluchtanreiz begründen.

Denn dieser Umstand rechtfertigt weder allein noch in Zusammenhang mit den übrigen Faktoren die Annahme, der Beschuldigte werde sich, wenn er auf freien Fuß käme, ggf. dem Verfahren durch Flucht entziehen. Zwar ist der Beschuldigte geschieden und leben seinen Kinder jeweils in einem eigenen Haushalt, so dass der Beschuldigte offenbar nicht (mehr) über besonders starke familiäre Bindungen verfügt. Andererseits scheint dem Senat aber die - im Fall der Verurteilung auch wegen der dem Beschuldigten jetzt noch zu Last gelegten Fälle - zu erwartende Gesamtfreiheitsstrafe nicht derart hoch, dass demgegenüber andere die Fluchtgefahr mildernde Umstände ohne oder nur von geringer Bedeutung wären. Dabei geht der Senat davon aus, dass gegen den Beschuldigten insgesamt eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt werden dürfte. Insoweit geht der Senat weiter davon aus, dass der Beschuldigte, der nun erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßen muss, nach der Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB vorzeitig bedingt aus der Strafhaft entlassen werden wird, sofern er sich im Vollzug beanstandungsfrei führt. Auf die vom Beschuldigten zu verbüßende Freiheitsstrafe ist die von ihm bereits erlittene Untersuchungshaft gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnen. Hinzukommt als wesentliches weiteres Moment, das gegen eine Fluchtgefahr spricht, dass der Beschuldigte sich nicht nur der Strafvollstreckung gestellt hat, sondern er auch die Zeit der Außervollzgusetzung des Haftbefehls des AG Lüdenscheid nicht zur Flucht genutzt hat (vgl. dazu auch OLG Karlsruhe StV 2006, 312 = StraFo 2006, 307), sondern er sich in Kenntnis der weiteren gegen ihn erhobenen Vorwürfe sowohl für die Strafvollstreckung als auch für das neue Verfahren zur Verfügung gehalten hat, obwohl er - wovon das Landgericht ausgeht - über Verbindungen ins und finanzielle Mittel im Ausland verfügt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senat StV 2001, 685 = StraFo 2002, 23 und die ähnliche Argumentation im Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 8. Mai 2007 in 2 Ws 201 u. 202/07, StV 2008, 29).

Nach allem war damit der Haftbefehl aufzuheben.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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