Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.03.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 51 und 52/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56 f
StPO § 453
Leitsatz

Zur zeitnahen Anhörung des Verurteilten im Verfahren zur bedingten Reststrafenaussetzung und zu den Anforderungen an die Begründung der getroffenen Entscheidung.


Beschluss

Strafsache gegen F.R.,

wegen Diebstahls u.a. (hier: Sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 10. Januar 2001 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 29. Dezember 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01.03.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird auf Kosten der Landeskasse aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Iserlohn vom 26. September 1995 -5 Ls 34 Js 154/95- zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten verurteilt worden. Durch Beschluss vom 27. August 1998 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Am 8. Mai 1996 verurteilte das Amtsgericht Iserlohn den Verurteilten in dem Verfahren 8 Ls 822 Js 134/96 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr sechs Monaten. Nach der Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe setzte das Amtsgericht Iserlohn die Vollstreckung dieser Reststrafe ebenfalls zur Bewährung aus.

Am 8. November 1999 verhängte das Amtsgericht Bielefeld gegen den Verurteilten wegen Diebstahls in zwei Fällen im Jahr 1999 durch einen Strafbefehl eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Am 11. Februar 2000 wurde der Angeklagte wegen eines am 9. November 1999 begangenen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr acht Monaten verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hat zunächst aufgrund dieser Verurteilungen bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen den Widerruf der gewährten Strafaussetzungen beantragt. Der Verurteilte wurde zu diesem Antrag schriftlich durch das Landgericht Siegen angehört. Er teilte mit, dass er sich in einer Langzeitherapie befinde, die mindestens 12 Monate, möglicherweise aber 18 Monate andauern werde. Er beantragte deshalb, vom Bewährungswiderruf abzusehen und stattdessen die Bewährungszeit zu verlängern. Die Staatsanwaltschaft Hagen hat daraufhin am 21. September 2000 den Widerrufsantrag zurückgenommen.

Durch Beschluss vom 24. November 2000 übernahm das Landgericht Hagen die Bewährungsaufsicht. Ohne eine weitere Anhörung des Verurteilten widerrief die dortige Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. Dezember 2000 die gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung. Den Widerruf hat sie ohne nähere Ausführungen damit begründet, dass der Verurteilte wegen innerhalb der Bewährungszeit begangener Straftaten erneut verurteilt worden ist. Erwägungen hinsichtlich der durchgeführten Therapie enthält der Beschluss nicht.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 10. Januar 2001, in der er nochmals unter Hinweis auf seine Langzeittherapie um eine Verlängerung der Bewährungszeit ersucht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Hagen zurückzuverweisen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.

Nach § 56 f Abs. 1 StGB kann eine Strafaussetzung zur Bewährung zwar u.a. dann widerrufen werden, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begangen und dadurch gezeigt hat, dass sich die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrundeliegende Erwartung nicht erfüllt hat. Die Strafaussetzung kann aber nur dann widerrufen werden, wenn der Verurteilte zuvor zu dem Widerruf gehört worden ist (§ 453 Abs. 1 S. 2 StPO). Das Gericht hat bei der Entscheidung auch die ihm durch die Anhörung bekannt werdenden Tatsachen zu berücksichtigen. Denn bei der Entscheidung der Frage, ob die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, ist nicht allein auf bloßes Legalverhalten, sondern auch auf die Möglichkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und somit auf den voraussichtlichen Lebensweg des Verurteilten, dass heißt auf die Sozialprognose im Zeitpunkt der Entscheidung, abzustellen. Deshalb müssen einschlägige Rückfallstraftaten Drogen- oder Alkoholabhängiger einer günstigen Prognose nicht zwingend entgegenstehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1998, 215, 216; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 56 Rdnr. 3c m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben.

1. Der Verurteilte ist zunächst nicht in der dem Gesetzeszweck gerecht werdenden Weise angehört worden. Zwar hat ihm das Landgericht Siegen in gesetzmäßiger Form schriftlich die Möglichkeit gegeben, zum Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen. Aufgrund des Zeitablaufs zwischen Anhörung und der Widerrufsentscheidung von ca. 4 Monaten konnte diese Anhörung allerdings nicht mehr als Entscheidungsgrundlage für den angefochtenen Beschluss diesen. Unter Berücksichtigung des Therapieaufenthaltes des Verurteilten sind Umstände eingetreten, die eine geänderte Sozialprognose nicht ausgeschlossen erscheinen lassen. Das Landgericht Hagen konnte deshalb nicht allein auf die schriftliche Anhörung aus September 2000 vertrauen, sondern hätte den Verurteilen erneut anhören müssen. Der Senat ist darüber hinaus der Auffassung, dass -obwohl das Gesetz dies nicht verlangt- im Hinblick auf die Therapie eine mündliche Anhörung angezeigt war, da nur so ein umfassender Eindruck von der Persönlichkeit des Verurteilten getroffen werden konnte. Dies gilt erst recht, wenn trotz der geänderten Umstände die Bewährung widerrufen werden soll.

2. Die angefochtene Entscheidung wird darüber hinaus nicht dem sich aus § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ergebenden Begründungserfordernis gerecht. Die Entscheidungsgründe beschränken sich auf die Wiedergabe des Gesetzestextes. Ein Hinweis darauf, dass sich die Kammer mit der Langzeittherapie des Angeklagten auseinandergesetzt hat, ist dem Beschluss nicht zu entnehmen. Eine stationäre Langzeittherapie gem. § 35 Abs. 1 BtMG ist in der Regel aber als günstige Möglichkeit der Wiedereingliederung Abhängiger in die Gesellschaft anzusehen und deshalb bei der Entscheidung nach § 56 f StGB zu berücksichtigen (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1998, 215, 216; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 56 Rdnr. 3c m.w.N.). Angesichts dieser Unzulänglichkeit seiner Begründung kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben.

Unter Berücksichtigung der noch andauernden Therapie, die bei ordnungsgemäßen Verlauf erst im Juli 2001 oder im Januar 2002 endet, ist eine abschließende Entscheidung des Senats nicht angezeigt. Eine Sachentscheidung kann erst nach Beendigung der Langzeittherapie nach einer erneuten Anhörung des Verurteilten ergehen. Da in der angefochtenen Entscheidung ein wesentlicher, entscheidungserheblicher Umstand in der angefochtenen Entscheidung völlig unberücksichtigt geblieben ist und zukünftig weitere tatsächliche Feststellungen unter der Gewährung rechtlichen Gehörs zu treffen sind, hat der Senat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Hagen zurückverwiesen. Die genannten Umstände machen es nämlich unerlässlich, von der Regel des § 309 StPO abzuweichen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 309 Rdnr. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 , 4 StPO.



Ende der Entscheidung

Zurück