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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 64/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 395
Zum neuen Beweismittel und zur Geeignetheit i.S. von § 395 Nr. 5 StPO.
Beschluss

Strafsache

gegen U.C.

wegen Vergewaltigung,

(hier: sofortige Beschwerde gegen die erneute Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens sowie gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufschub der Strafvollstreckung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13. Februar 2008 gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts Hagen vom 18. Januar 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 03. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

2. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Strafvollstreckung wird abgelehnt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Beschwerdeführer zur Last.

Gründe:

I.

Durch Urteil vom 14. Juni 2006 hat die Große auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum gegen den Verurteilten wegen Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und drei Monaten verhängt (Az. 21 KLs 36 Js 315/04 I 52/04 JSchK.; Bl. 339 ff. d.A.). Das Urteil ist seit dem 12. November 2006 rechtskräftig und wird derzeit in der JVA Bochum vollstreckt.

Mit Antrag seines Verteidigers vom 29. Dezember 2006 (Bl. 413 ff. d.A.) hat der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 359 Nr. 5 StPO begehrt und zugleich den Aufschub der Vollstreckung aus dem Urteil der Großen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum gemäß § 360 Abs. 2 StPO beantragt.

Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Hagen hat den Wiederaufnahmeantrag mit Beschluss vom 05. März 2007 (Bl. 660 ff. d.A.) als unzulässig verworfen und den Antrag auf Vollstreckungsaufschub abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 16. April 2007 ( 2 Ws 87 u. 95/07, Bl. 840 ff. d.A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, verworfen.

Mit Antrag seines Verteidigers vom 12. Juni 2007 (Bl. 860 ff. d.A.) hat der Beschwerdeführer erneut die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 359 Nr. 5 StPO begehrt und zugleich den Aufschub der Vollstreckung aus dem Urteil der Großen auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum in Recklinghausen gemäß § 360 Abs. 2 StPO beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht Hagen mit Beschluss vom 30. Juli 2007 (Bl. 972 ff. d.A.) wiederum als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist mit Senatsbeschluss vom 27. September 2007, auf dessen Inhalt wiederum Bezug genommen wird (Bl. 1019 ff. d.A.) als unbegründet verworfen worden.

Am 22. Oktober 2007 hat der Verurteilte ein weiteres Mal die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie den Aufschub der Vollstreckung und Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Haftentlassung beantragt. Zur Begründung hat er ein Sachverständigengutachten des Diplomingenieurs und Humanbiologen Prof. Dr. B. vorgelegt, aufgrund dessen bewiesen werden soll, dass die dem Verurteilten zur Last gelegte Vergewaltigungshandlung so, wie in der verurteilenden Entscheidung festgestellt, nicht vorgenommen worden sein konnte. Die Anträge des Verurteilten sind durch Beschluss des Landgerichts Hagen vom 18. Januar 2008 als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet abgelehnt worden. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 15. Februar 2008.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 372 StPO gegen die Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags und die Zurückweisung des Unterbrechungsantrags zwar gleichermaßen statthafte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 360 Rn. 5) sofortige Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Aus der Sicht des als Beschwerdegericht zu eigener tatsächlicher und rechtlicher Würdigung berufenen Senats hat das Landgericht sowohl den Wiederaufnahmeantrag als auch den Unterbrechungsantrag zu Recht als unzulässig verworfen bzw. zurückgewiesen.

Der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages steht allerdings nicht entgegen, dass es sich bereits um den nunmehr dritten Antrag des Verurteilten handelt. Eine - auch mehrfache - Wiederholung des Antrages ist zulässig, wenn der neue Antrag auf andere Tatsachen und Beweismittel gestützt wird als in den früheren Wiederaufnahmeanträgen (vgl. Meyer-Goßner, StPO; 50. Aufl., § 372 Rdnr. 9 m.w.N.) In diesem Sinne ist durch die Benennung des Sachverständigen Prof. Dr. Buck und des Beweisthemas, zu dem dieser Angaben machen soll, das bisherige Wiederaufnahmevorbringen nicht verbraucht.

Der auf die Rechtsnorm des § 359 Nr. 5 StPO gestützte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten war aber als unzulässig zu verwerfen - und mithin der Antrag auf Unterbrechung der Strafvollstreckung zurückzuweisen -, weil das angegebene neue Beweismittel ungeeignet ist, die Freisprechung des Angeklagten zu begründen (§ 368 Abs. 1 in Verbindung mit § 359 Nr. 5 StPO).

Diese Eignung fehlt dann, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel nicht die den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Urteils erschüttern können. Vielmehr müssen ernste Gründe für die Beseitigung des Urteils sprechen. Verbleibende Zweifel an der Geeignetheit führen zur Unzulässigkeit des Antrags, da es eine Zweifelsentscheidung zugunsten des Angeklagten in diesem Zusammenhang nicht gibt ( vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 368, Rdnr. 10; Schmidt in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 368, Rdnr. 10, OLG Hamm, zuletzt Beschluss vom 08. 0ktober 2007 in 2 Ws 308/07 und vom 09. März 2004 in 3 Ws 106/04 OLG Hamm).

Bei der Prüfung, ob die neuen Tatsachen und Beweismittel geeignet sind, das Wiederaufnahmeziel zu erreichen, muss das Wiederaufnahmegericht grundsätzlich von der Richtigkeit der vorgebrachten Tatsachen ausgehen bzw. unterstellen, dass die beigebrachten Beweismittel das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werden. Das heißt jedoch nur, dass z.B. der Zeuge so, wie vom Antragsteller behauptet, aussagt, nicht aber, dass diese Aussage auch wahr ist. Es bedeutet also keine Beschränkung auf eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung. Der Wortlaut des § 368 Abs. 1 StPO, die Gesetzesmaterialien und der Gedanke der Prozessökonomie sprechen vielmehr dafür, dass das Wiederaufnahmegericht die vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel im Hinblick auf ihre Eignung, die den Schuldspruch tragenden Urteilsfeststellungen zu erschüttern, prüfen und sie zu diesem Zweck zum gesamten Akteninhalt sowie zum früheren Beweisergebnis in Beziehung setzen muss, sofern dies ohne förmliche Beweisaufnahme möglich ist. Diese Auslegung entspricht auch der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2007 in 2 BvR 93/07).

Davon ausgehend hat das Landgericht Hagen in der angefochtenen Entscheidung zutreffend die Geeignetheit des neuen Beweismittels unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte verneint.

Bei der Behauptung, das festgestellte Tatgeschehen könne sich aufgrund der beengten Verhältnisse im Fahrzeug des Verurteilten - einem Alfa Romeo - nicht ereignet haben, handelt es sich zwar nicht um eine neue Tatsache. Ausweislich des Beweisantrages vom 13. April 2006 (Bl. 297 f. d.A.) hat der Verurteilte nämlich diese Behauptung bereits zum Beweis durch Inaugenscheinnahme durch die erkennende Strafkammer gestellt. Diesem Beweisantritt ist die Kammer am 08. Mai 2006 nachgekommen.

Die Benennung des Sachverständigen stellt aber ein neues Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO dar, da die erkennende Kammer diese Tatsachenbehauptung bisher nur durch Inaugenscheinnahme und mit ihrer eigenen Sachkunde bewertet hat. Gleichwohl ist aber das vorgelegte Sachverständigengutachten nicht geeignet, das Wiederaufnahmeziel, die Freisprechung des Verurteilten zu erreichen. Denn die Verurteilung beruht zum einen im wesentlichen auf den Angaben der Geschädigten, die durch eine Anzahl weiterer Aussagen gestützt worden sind. Zum anderen geht das Sachverständigengutachten von einem anderen als dem im Urteil festgestellten Sachverhalt aus. Die erkennende Strafkammer hat nämlich in den Urteilsgründen eine genau feststehende Sitz- oder Liegeposition der Geschädigten und des Verurteilten bei der Vergewaltigungshandlung nicht festgestellt. Davon abweichend beruht dagegen das vorgelegte Sachverständigengutachten auf der Annahme, dass nach den protokollierten Angaben der Geschädigten gegenüber der Polizei - und nicht etwa nach den hier maßgeblichen Angaben in der Hauptverhandlung - eine hinreichend feststehende Position des Beifahrersitzes sowie der Liegestellung der Geschädigten und des Verurteilten festgestanden habe. Dabei nimmt das vorgelegte Sachverständigengutachten zudem eine Körpergröße der Geschädigten an, die weder aus den Feststellungen des Urteils noch aus dem sonstigen Akteninhalt ersichtlich ist. Im Gegenteil widersprechen die dem Gutachten zugrundegelegten Größenmaße dem Akteninhalt. So soll die Geschädigte nach einem Vermerk der Polizeibeamtin G. nicht 1,80 m groß gewesen sein, sondern lediglich 1,75 m. Überdies findet deren zugrundegelegte leichte Übergewichtigkeit in den Verfahrensakten keine Stütze. Soweit der Verteidiger des Verurteilten in der Beschwerdebegründung eigene Beobachtungen zur Größe und dem Körpergewicht der zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alten Geschädigten mitteilt, sind diese schon deshalb nicht maßgeblich, weil er diese Beobachtungen erst im Zivilverfahren, also deutlich später als zum Tatzeitpunkt, gemacht haben will.

Auch die weitere Angabe des Sachverständigen zur Möglichkeit, den Beifahrersitz des Alfa Romeo entgegen der Angaben der Geschädigten bei der Polizei nicht in eine nahezu waagerechte Position bringen zu können, lässt sein Gutachten im Hinblick auf die Urteilsfeststellungen als ungeeignet erscheinen. Im Urteil ( Bl. 4 des Urteils) ist nämlich gerade davon ausgegangen worden, dass der Beifahrersitz - lediglich - in eine 45-Grad-Stellung gebracht worden ist, so dass die vom Sachverständigen geltend gemachten Bedenken an der Richtigkeit der Schilderungen der Geschädigten in der polizeilichen Vernehmung nicht durchgreifen. Maßgeblich sind ohnehin nämlich die den Urteilsfeststellungen zugrundeliegenden Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten auch mangels Kenntnis dieser Angaben keinen Bezug nimmt.

Unabhängig davon, ob die Abweichungen hinsichtlich Größe und Gewicht der Geschädigten noch im vom Sachverständigen berücksichtigten Toleranzbereich liegen, wie in der Beschwerdebegründung dargelegt, stellt das vorgelegte Sachverständigengutachten darüber hinaus letztlich nur die Beschreibung des Nachstellens eines möglichen Geschehensablaufs unter den Prämissen dar, die dem Sachverständigen seitens der Verteidigung vorgegeben worden sind bzw. sich aus der polizeilichen Vernehmung der Geschädigten ergeben haben. Eine Nachstellung des Geschehensablaufs aufgrund der maßgeblichen Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung in Anwesenheit bzw. teilweise unter Mitwirkung der an dem Tatgeschehen beteiligten Personen hat allerdings bereits in der Hauptverhandlung vor der erkennenden Kammer stattgefunden. Dabei stellt das Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag, diese Nachstellung sei unvollständig gewesen, weil sie mitten in der Bewegung des beteiligten Justizwachtmeisters abgebrochen worden sei, eine bloße Behauptung dar, die durch nichts belegt ist und der Beweiswürdigung im Urteil ( Seite 13, 14 des Urteils) darüber hinaus widerspricht. Danach war es dem Gerichtswachtmeister nämlich sehr wohl möglich, sich in einer Weise über den auf dem Beifahrersitz sitzenden Angeklagten zu beugen, dass der Geschlechtsverkehr in der geschilderten Weise möglich gewesen wäre.

Angesichts der Tatsache, dass sich die erkennende Strafkammer durch die Inaugenscheinnahme des PKW und der durchgeführten Nachstellung des Geschehens einen eigenen unmittelbaren Eindruck von der Möglichkeit des ihr gegenüber geschilderten Geschehensablaufs verschaffen konnte, ist nicht ersichtlich und nicht dargelegt, dass die Beschreibung einer erneut durchgeführten Nachstellung - auch durch einen Sachverständigen - gegenüber dieser unmittelbaren Inaugenscheinnahme durch die erkennende Strafkammer einen höheren Erkenntniswert haben könnte. Dass die durch die Inaugenscheinnahme vermittelte eigene Sachkunde der Strafkammer zur Beurteilung des Sachverhalts nicht bestanden oder ausgereicht hat, ist ebenfalls nicht dargelegt.

Zutreffend hat das Landgericht daher die Geeignetheit des neuen Beweismittels zur Erreichung des Wiederaufnahmeziels verneint und das Wiederaufnahmegesuch als unzulässig verworfen.

Die sofortige Beschwerde konnte deshalb keinen Erfolg haben und war als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.1 StPO.

Ende der Entscheidung

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