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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.03.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 80/2000
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 311 I Satz 1 2. Halbsatz | |
StPO § 310 Abs. 1 | |
StPO § 300 |
OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
2 Ws 80/2000 OLG Hamm 22 Qs 2/2000 LG Bochum 32 Cs 7 Js 820/97 (AK 493/99) AG Recklinghausen 3 AR 394/2000 GStA Hamm
Strafsache
wegen Hehlerei
(hier: "weitere Beschwerde" des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts, durch den die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den ein Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts verworfen worden ist).
Auf die "Beschwerde" des Angeklagten vom 21. Januar 2000 gegen den Beschluss der 2. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 7. Januar 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. März 2000 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul und
die Richter am Oberlandesgericht Burhoff und Eichel
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Die Sache wird an die 2. auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum zurückgegeben.
Gründe:
Das Amtsgericht Recklinghausen erließ am 4. August 1999 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Hehlerei, der dem Angeklagten am 10. August 1999 durch Niederlegung zugestellt worden ist. Der Strafbefehl sollte durch die Ehefrau des Angeklagten abgeholt werden, was jedoch nicht gelang, da die Sendung bei der Post nicht aufgefunden werden konnte. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 1999 legte der Angeklagte durch seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Beschluss vom 16. November 1999 wurde das Wiedereinsetzungsgesuch vom Amtsgericht abgelehnt, weil der Antrag nicht begründet worden sei, der Einspruch gegen den Strafbefehl wurde als unzulässig verworfen. Dieser Beschluss wurde dem Angeklagten am 25. November 1999 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1999 legte der Verteidiger des Angeklagten Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. November 1999 ein und beantragte erneut Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Original der Beschwerdeschrift ging am 4. Dezember 1999 beim Amtsgericht Recklinghausen ein. Das zuvor übersandte Fax ging schon am 1. Dezember 1999 beim Amtsgericht ein, gelangte zunächst aber offenbar nicht zur Akte. Die Strafkammer hat dann durch den nunmehr noch angefochtenen - Beschluss vom 7. Januar 2000 die sofortige Beschwerde verworfen und dazu ausgeführt:
"Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 04.08.1999 verworfen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde ist nicht innerhalb der Wochenfrist des § 311 I Satz 1, 2. Halbsatz StPO bei Gericht eingegangen (Zustellung der Entscheidung an den Angeklagten am 25.11.1999, Eingang der sofortigen Beschwerde am 04.12.1999, mithin unzulässig. Die begehrte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde kann nicht gewährt werden, da der Angeklagte weder dargetan noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, rechtzeitig gegen den Beschluss vom 16.11.99 sofortige Beschwerde einzulegen.
Da die Entscheidung dem Angeklagten selbst zugestellt worden war - mangels vorliegender Vollmacht des Verteidigers erhielt dieser lediglich eine formlose Abschrift mit dem Zusatz, dass die Zustellung direkt an den Angeklagten erfolgt ist - hätte er (in Absprache mit seinem Verteidiger) die notwendigen Schritte selbst veranlassen müssen. Keinesfalls durfte er die Frist untätig verstreichen lassen."
Gegen diesen Beschluss wandte sich der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 21. Januar 2000, in dem es heißt:
".....legen wir gegen den Beschluss vom 07.01.2000 Beschwerde ein und beantragen die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.
Begründung:
Das Gericht geht von einem Eingang der Beschwerde am 04.12.1999 aus, die Beschwerde wurde jedoch am 01.12.1999 vorab per Telefax versandt. Wir überreichen das Faxprotokoll in Kopie anbei.
Aus dem Faxprotokoll ist ersichtlich, dass die Versendung ordnungsgemäß erfolgte. Auch wenn die Beschwerde am 01.12.199 bei Gericht nicht einging, durfte der Verteidiger aufgrund der fehlerfreien Sendung jedoch auf einen Eingang vertrauen, mit der Folge, dass er nicht noch einen Boten mit dem Schriftsatz am 01.12.1999 zum Amtsgericht zum Zweck der persönlichen, körperlichen Übermittlung schicken musste."
Der Vorsitzende der Strafkammer leitete daraufhin die Akten der Staatsanwaltschaft zu mit der Bitte um Weiterleitung der Beschwerde an das Oberlandesgericht, wobei er folgenden Vermerk niederlegte:
"Die Beschwerde dürfte unzulässig sein, da gegen den Beschluss der Kammer vom 7. 1. 2000 ein Rechtsmittel nicht mehr gegeben ist. Im übrigen lag der Kammer bei Beschlussfassung das Fax vom 1. 12. 99 nicht vor, so dass sie davon ausgehen musste, dass die Beschwerde verspätet eingegangen ist. Offensichtlich ist dieses Fax nachträglich eingeheftet worden (vgl. auch Neunummerierung Seite 80 a bis 80 f)."
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Akten nunmehr mit dem Antrag vorgelegt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Sie geht unter Anführung des Wortlautes des § 310 Abs. 1 StPO ohne weitere/nähere Begründung davon aus, dass es sich bei dem Rechtsmittel um eine unzulässige weitere Beschwerde handelt:
II.
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst. Entgegen der Auffassung der Strafkammer und der Generalstaatsanwaltschaft handelt es sich bei der Eingabe des Verteidigers vom 21. Januar 2000 nämlich nicht um eine (unzulässige) weitere Beschwerde nach § 310 Abs. l StPO, sondern um eine zulässige Gegenvorstellung gegen den Beschluss der Strafkammer vom 7. Januar 2000. Über diese hat aber nicht der Senat, sondern die Strafkammer zu entscheiden.
1.
Bei der Eingabe vom 21. Januar 2000 handelt es sich um eine Gegenvorstellung gegen den Beschluss der Kammer vom 7. Januar 2000. Zwar hat der Verteidiger des Angeklagten sein Rechtsmittel ausdrücklich als "Beschwerde" gegen den Beschluss vom 7. Januar 2000 bezeichnet.
Dies ist jedoch gemäß § 300 StPO unschädlich. Nach § 300 StPO hat der rechtssuchende Bürger einen auf Art. 19 Abs. 4 GG beruhenden Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Rechtszügen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 300 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen, auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das gilt auch für das Strafverfahren, was bedeutet, dass auch hier der bloße Irrtum bei der Erklärung ein Rechtsmittel nicht unzulässig machen darf. Daher ist nach allgemeiner Meinung die falsche Bezeichnung eines Rechtsmittels unschädlich, wenn nur ein bestimmtes Rechtsmittel statthaft und die Einlegung dieses Rechtsmittels offensichtlich bezweckt ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 300 StPO Rn. 2 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Hinsichtlich der Aufklärung eines insoweit ggf. beim Angeklagten bzw. bei seinem Verteidiger vorhandenen (Erklärungs-)Irrtums sind nach Auffassung des Senats die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Auslegung einer zweifelhaften Rechtsmittelerklärung, wenn mehrere Rechtsmittel zulässig sind (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, a.a.O. § 300 Rn. 3), entsprechend anzuwenden. Der verfassungsrechtliche geschützte Anspruch des Angeklagten auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle verpflichtet Staatsanwaltschaft und Gericht daher, ein Rechtsmittel des Angeklagten so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreicht wird (vgl. u.a. BGH NJW 1956, 756; OLG Hamburg NJW 1970, 1467; wegen weiterer Nachweise siehe Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.).
Dem wird die Auslegung des Rechtsmittels des Angeklagten vom 21. Januar 2000 durch die Strafkammer als eine "(unzulässige) "weitere Beschwerde", der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat, nicht gerecht. Eine verständige, die Interessen des Angeklagten berücksichtigende Auslegung führt vielmehr dazu, dass es sich bei dem Rechtsmittel des Angeklagten vom 21. Januar 2000 um eine Gegenvorstellung handelt.
Mit dem formlosen, in der StPO nicht geregelten, aber dennoch zulässigen, Rechtsbehelf der Gegenvorstellung (vgl. dazu eingehend Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 296 Rn. 23 ff.; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., 1999, Rn. 428 ff.) erstrebt der Angeklagte nicht eine Überprüfung der Entscheidung, gegen den sich sein Rechtsbehelf richtet, durch die übergeordnete Instanz. Vielmehr verfolgt er das Ziel, dass die Stelle, die entschieden hat, ihre Entscheidung selbst nochmals überprüft und ggf. abändert.
Gerade dieses Ziel lässt sich aber bei verständiger Auslegung der Eingabe des Verteidigers vom 21. Januar 2000 entnehmen. Wenn nämlich darauf hingewiesen wird, dass die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 16. November 1999 nicht erst, wovon die Strafkammer ausgegangen ist, am 4. Dezember 1999, sondern bereits per Fax vorab am 1. Dezember 1999, mithin fristgemäß, eingegangen ist bzw. sein muss, ist das der Hinweis darauf, dass die Strafkammer bei ihrer Verwerfungsentscheidung von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Mit diesem Hinweis zielt die Eingabe dann jedoch darauf ab, dass die Strafkammer ihre Entscheidung unter Berücksichtigung der zutreffenden Tatsachengrundlage nochmals selbst überprüft.
Diese Gegenvorstellung ist auch zulässig (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 296 Rn. 24; Burhoff, a.a.O., Rn. 430, jeweils m.w.N.). Die Gegenvorstellung wird nämlich gerade dann als zulässig angesehen, wenn der Rechtsmittelzug, wie vorliegend, erschöpft ist (BGH MDR 1964, 1019; Hohmann JR 91, 12).
Damit ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst, so dass die Akten an die Strafkammer zur Entscheidung über die Gegenvorstellung des Angeklagten zurückzugeben waren.
2.
Dahinstehen kann, ob die Gegenvorstellung des Angeklagten Erfolg hat oder ob seine Beschwerde von der Strafkammer im Ergebnis zu Recht verworfen worden ist. Dies zu überprüfen, ist nicht Aufgabe des Senats.
Dieser merkt in der Sache nur an, dass sich die Strafkammer bislang nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, welche Auswirkungen es ggf. auf die Wirksamkeit der Zustellung bzw. den Fristablauf hat, dass der niedergelegte Strafbefehl der Ehefrau des Angeklagten bei der Postanstalt nicht ausgehändigt werden konnte. Darüber hinaus kann dieser Umstand ggf. dazu führen, dass dem Angeklagten ein Vorwurf hinsichtlich der Fristversäumung nicht gemacht werden kann. In dem Zusammenhang weist der Senat zudem darauf hin, dass der Angeklagte auf die formlose Übersendung des Strafbefehls am 1. Oktober 1999 mit seinem Einspruch vom 7. Oktober 1999 fristgemäß reagiert hat. Schließlich wird sich die Strafkammer ggf. auch noch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob überhaupt eine Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsantrags vom 7. Oktober 1999 erforderlich war oder ob sich nicht die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen bereits aus der Akte ergaben.
Ende der Entscheidung
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