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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.04.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 97/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 302
Zur Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts.
Beschluss

Strafsache

gegen A.M.

wegen Körperverletzung (hier: sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Verwerfung der Berufung).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 25. Februar 2008 gegen den Beschluss der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 11. Februar 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 04. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 04. Dezember 2007 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen verwarnt und einen Dauerarrest von zwei Wochen verhängt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05. Dezember 2007 Berufung eingelegt. In diesem Schriftsatz hat der Angeklagte u. a. dargelegt, dass er einen Rechtsmittelverzicht nach der Verkündung des Urteils in der Hauptverhandlung vom 04. Dezember 2007 nicht abgegeben habe. Auch sein Vater habe auf Rechtsmittel nicht verzichtet. Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich nunmehr die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, wie folgt begründet:

"Die gem. § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt, in der Sache ist ihr der Erfolg jedoch zu versagen.

Der Umstand, dass auch die Staatsanwaltschaft Bochum gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen Berufung eingelegt hat, stand der Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Beschlusswege nicht entgegen, da zwar grds. über mehrere Berufungen betreffend einer Tat desselben Angeklagten nur durch denselben Beschluss oder dasselbe Urteil entschieden werden kann, es aber zulässig ist, die eine Berufung nach § 322 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen und die andere zur Hauptverhandlung zu bringen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 322, Rdnr. 4).

Das Landgericht - Auswärtige Strafkammer Recklinghausen - Bochum hat die Berufung des Angeklagten zu Recht als unzulässig verworfen, da dieser wirksam auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat.

Ausweislich des Wortlauts des Hauptverhandlungsprotokolls haben sowohl der Angeklagte als auch sein Vater nach Verkündung des Urteils und erfolgter Rechtsmittelbelehrung erklärt:"Wir nehmen das Urteil an." Diese Erklärung wurde laut vorgelesen und von dem Angeklagten und seinem Vater sodann genehmigt. Dieser Vermerk nimmt gem. §§ 273 Abs. 3, 274 StPO an der Beweiskraft des Protokolls teil.

Zwar ist es mit der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts unvereinbar, auf die Abgabe von Erklärungen hinzuwirken, deren Tragweite und Verbindlichkeit der Erklärende nicht überschaut, wenn also einem nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten zugemutet wird, unter dem unmittelbaren Eindruck der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung auf prozessuale Rechte zu verzichten, soweit nicht gesichert ist, dass der Angeklagte die Bedeutung seiner Erklärung in allen Konsequenzen - insbesondere hinsichtlich der Unwiderruflichkeit - erwogen hat. (zu vgl. BGH St 18, 257; 260; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 04.06.2004, - 1 Ws 50/04 - m.w.N.). Dies muss im Besonderen für Jugendliche, Heranwachsende oder der deutschen Sprache nicht mächtige Ausländer ohne anwaltlichen Beistand gelten. Es ist daher dafür Sorge zu tragen, dass eine solche Verzichtserklärung nicht unüberlegt und vorschnell abgegeben wird.

Schon der im Protokoll festgehaltene Vorgang und die gewählte Formulierung legen indes nahe, dass der Anfechtungsberechtigte zu einer gründlichen und durchdachten Prüfung des Für und Wider eines Rechtsmittels veranlasst worden ist, um ihn vor übereilten Erklärungen zu bewahren.

Dies ergibt sich insbesondere auch aus der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 28.12.2007 (Bl. 81 d. A.). Danach sind sowohl dem Angeklagten als auch - mit dessen Übersetzung - seinem gesetzlichen Vertreter die Problematik eines Verzichts auf Einlegung von Rechtsmitteln und dessen Bedeutung klar gemacht und ist inbesondere darauf hingewiesen worden, dass das Urteil damit endgültig sei.

Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten und seinem gesetzlichen Vertreter die Tragweite des Verzichts zum Zeitpunkt der Abgabe, z. B. aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten oder im Hinblick auf die geistige Entwicklung des Angeklagten, nicht bewusst gewesen wäre, dass er in seiner freien Willensbildung unzulässig beeinflusst gewesen wäre oder dass der erklärte Rechtsmittelverzicht nicht dem wirklich Gewollten entsprochen hätte, bestehen daher nicht. Letzterem steht auch der Umstand entgegen, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten in der Hauptverhandlung eingeräumt und sein Vater um ein mildes Urteil gebeten hat.

Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht unwirksam, weil der Angeklagte vor der Abgabe seiner Erklärung keine Gelegenheit zur Rücksprache mit einem Verteidiger hatte. Ein Fall der notwendigen Verteidigung lag nicht vor. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gemäß § 688 Abs. 1 Nr. 1 JGG i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Hierbei beurteilt sich die Schwere der Tat unter Berücksichtigung der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, wobei die obergerichtliche Rechtsprechung die diesbezügliche - nicht starre - Grenze bei einer Jugendstrafe ab einem Jahr ansetzt (zu vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.05.2003, - 3 Ss 1163/02 - m. w. N.).

Im vorliegenden Verfahren vor dem Jugendrichter bestand für den Angeklagten, gegen den bislang freiheitsentziehende Maßnahmen noch nicht verhängt wurden, eine entsprechende Straferwartung nicht. Auch die Sach- und Rechtslage des Falles weist Schwierigkeiten nicht auf, so dass die Mitwirkung eines Verteidigers nicht geboten war.

Eine wirksam erklärter Rechtsmittelverzicht ist indes grundsätzlich unwiderruflich und nicht anfechtbar (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 302 Rdnr. 21 m. w. N.; BGH NStZ 1984, 181)."

Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Auch nach der Rechtsprechung des Senats war die Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten im erstinstanzlichen Verfahren nicht erforderlich. Dazu hat der Senat letztmalig in seinem Beschluss vom 19. November 2007 (2 Ss 322/07 OLG Hamm) Stellung genommen. Auf den wird verwiesen. Der Senat verweist außerdem auf die Entscheidung vom 16. August 2007 (2 Ws 228/07 OLG Hamm). Dort ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei einem gegen den Angeklagten des dortigen Verfahrens erkannten Zuchtmittel in Form eines Freizeitarrestes abgelehnt worden. Dahin stehen kann die Frage, ob dem Angeklagten ggf. für das Berufungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Insoweit weist der Senat allerdings darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft nach der Berufungsbegründung mit ihrer Berufung nunmehr die Verhängung einer Jugendstrafe erstrebt.

Der Vermerk des Tatrichters vom 28. Dezember 2007 gibt dem Senat Anlass zu folgender Anmerkung:

Nach Auffassung des Senats ist die Stellungnahme und die Begründung des Schriftsatzes des Verteidigers des Angeklagten vom 05. Dezember 2007 in keiner Weise zu beanstanden. Es handelt sich weder um "juristische Akrobatik", noch wird versucht, "auf Biegen und Brechen" ein Abrücken vom Rechtsmittelverzicht zu erreichen. Der Verteidiger hat vielmehr in sachlich angemessener Weise die Rechtslage aus seiner Sicht dargelegt. Die Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten ist in keiner Weise zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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