Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: 20 U 103/01
Rechtsgebiete: AUB 88


Vorschriften:

AUB 88 § 7 I 2
Die volle Invaliditätsentschädigung für Funktionsuntüchtigkeit einer "Hand im Handgelenk" ist bei vollständiger Einsteifung des Handgelenkes auch dann zu zahlen, wenn Restfunktionen der Hand selbst erhalten geblieben sind.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 103/01 OLG Hamm

Verkündet am 7. November 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lücke, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 24. April 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Essen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 126.720,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Dezember 1999 zu zahlen.

Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 160.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beide Parteien könne die Sicherheit auch durch unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder Sparkasse erbringen.

Tatbestand:

Der 1961 geborene Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1993 eine Unfallversicherung, der die AUB 88 sowie die "Besonderen Bedingungen" der Beklagten zugrundeliegen, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 12 ff der Akte verwiesen wird. Für den Fall der Invalidität sind eine Versicherungssumme von 225.000,00 DM, die sich bis Juli 1996 bedingungsgemäß auf 264.000,00 DM erhöht hatte, sowie eine progressive Invaliditätsstaffel (Pogression 350 %) vereinbart.

Bei einem Unfall am 27.07.1996 zog sich der Kläger u.a. eine komplexe distale Radiustrümmerfaktur links mit Gelenkflächenbeteiligung und Schädigung der distalen Handwurzelknochen zu. Wegen fortdauernder schmerzhafter Beschwerden des linken Handgelenks wurde am 09.11.1998 im eine Versteifung des linken Handgelenks unter Zuhilfenahme eines aus dem linken Beckenkamm gewonnenen Knochenspans und einer Metallplatte, die inzwischen entfernt worden ist, durchgeführt. Der Kläger klagt seit der Operation noch über Schmerzen im linken Handgelenk, die bis in den Ellenbogen hochziehen. In einem auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Gutachten des vom 15.09.1999, wegen dessen Inhalts auf Bl. 6 ff der Akte verwiesen wird, wurde die Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Armes "zur Zeit und auf Dauer" mit 2/5 bewertet. Auf der Grundlage dieses Gutachtens rechnete die Beklagte die dem Kläger zustehende Invaliditätsleistung wie folgt ab:

Armwert 70 % - Beeinträchtigung 2/5 = 28 % - unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression = 34 % - und zahlte dementsprechend von der Versicherungssumme in Höhe von 264.000,00 DM 34 %, das sind 89.760,00 DM an den Kläger.

Der Kläger hat mit der Klage die Zahlung einer weiteren Invaliditätsleistung von 126.720,00 DM verlangt. Er hat geltend gemacht, nach der Gliedertaxe sei nicht der "Armwert" der Berechnung des Invaliditätsgrades zugrundezulegen, sondern der für die Funktionsbeeinträchtigung der Hand im Handgelenk maßgebliche Invaliditätsgrad. Die Gebrauchsbeeinträchtigung der linken Hand im Handgelenk betrage nach der Versteifung aber 80 %. Unter Zugrundelegung des Invaliditätsgrades von 55 % für den vollständigen Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit einer Hand im Handgelenk nach der Gliedertaxe betrage sein Invaliditätsgrad 44 % (80 % von 55 %) und unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression 82 %. Ihm stehe deshalb eine Invaliditätsleistung in Höhe von insgesamt 216.480,00 DM und abzüglich der gezahlten 89.760,00 DM noch ein Betrag von 126.720,00 DM zu.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 126.720,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 02.12.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eine Gebrauchsbeeinträchtigung der linken Hand des Klägers im Handgelenk von 80 % bestritten und im übrigen auch die Abrechnung der Invaliditätsleistung nach dem in der Gliedertaxe für den "Armwert" vorgesehenen Invaliditätsgrad für richtig befunden.

Das Landgericht hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 28.04.2000 (Bl. 55 der Akte) ein Gutachten des eingeholt, wegen dessen Inhalts auf Bl. 74 ff der Akte und wegen der Erläuterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht auf Bl. 95 f der Akte verwiesen wird.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, daß bei der Bemessung des Invaliditätsgrades nicht von einer Gebrauchsbeeinträchtigung der linken Hand auszugehen sei, weil der Funktionsausfall auf Grund der nicht ganz versteiften Handwurzelknochen durch das Ellenbogengelenk und Schultergelenk ausgeglichen werde. Abzustellen sei vielmehr auf die Gebrauchsbeeinträchtigung des Armes, die bei einem Drittel liege, und nicht auf eine Gebrauchsbeeinträchtigung der Hand.

Gegen diese Entscheidung, wegen deren weiteren Einzelheiten auf ihren Inhalt verwiesen wird, richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hält daran fest, der Invaliditätsgrad sei nach der Funktionsbeeinträchtigung der Hand im Handgelenk zu bemessen und nicht nach dem in der Gliedertaxe für den "Armwert" vorgesehenen Grad. Für die Bemessung seiner unfallbedingten Invalidität komme es nach der Gliedertaxe ausschließlich auf den Prozentsatz an, der für den betroffenen Bereich und damit vorliegend für den Verlust bzw. die dauernde Funktionsuntüchtigkeit einer Hand im Handgelenk vorgesehen sei. Wegen der vorgenommenen Versteifung könne er aber aus dem Handgelenk keine Bewegungen mehr ausführen. Die Gebrauchsfähigkeit der linken Hand einschließlich des linken Handgelenks sei dadurch zu mindestens 80 % eingeschränkt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte zu verurteilen an ihn 126.720,00 DM nebst 5 % über dem Basiszinssatz gemäß DÜG seit dem 02.12.1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Sie bleibt dabei, daß der Invaliditätsgrad vorliegend nach dem Armwert zu bemessen sei, und ist der Auffassung, daß sich die Beeinträchtigung der Hand bzw. des Handgelenks vorliegend auf die Funktion des Armes niederschlage. Deshalb sei auf den Armwert abzustellen, wie es seitens der Ärzte und insbesondere auch des Sachverständigen geschehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorprozessual eingeholten ärztlichen Gutachten Bl. 6 ff der Akte und Bl. 31 ff der Akte verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch eine Erläuterung des in erster Instanz erstatteten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den zum Senatstermin vom 7. November 2001 niedergelegten Vermerk der Berichterstatterin verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist - bis auf einen Teil des Zinsanspruches - begründet.

Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 1 AUB 88 in Verbindung mit den dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrundeliegenden "Besonderen Bedingungen" der Beklagten wegen eines erlittenen Dauerschadens am linken Handgelenk Anspruch auf eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von insgesamt 216.480,00 DM, so daß die Beklagte über die geleisteten 89.760,00 DM hinaus an ihn einen weiteren Betrag von 126.720,00 DM zu zahlen hat.

Gemäß § 7 I Abs. 2 AUB 88 richtet sich die Höhe der Invaliditätsleistung nach dem Grad der Invalidität, wobei die mit § 7 I Abs. 2 a AUB 88 vereinbarte Gliedertaxe nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder dem Verlust gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der in ihr benannten Glieder festlegt. Diese Sonderregelung schließt die Annahme eines höheren oder geringeren Invaliditätsgrades aus, der sich aus der konkreten Beeinträchtigung ergibt. Gleiches gilt bei teilweisem Verlust oder dem Teilverlust gleichgestellter Teilfunktionsunfähigkeit eines Gliedes/Gliedteiles. Auch hier ist abstrakt ohne Berücksichtigung der konkreten Auswirkung nach der Gliedertaxe der Invaliditätsgrad zu bestimmen (vgl dazu Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 26. Auflage, § 7 AUB 88 Rdnr. 15 und 16).

Dies gilt auch bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. So beschreibt § 7 I Abs. 2 a AUB 88 u.a. abgegrenzte Teilbereiche des Beines und des Armes und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilglieds steigt. Die Gliedertaxe bestimmt beispielsweise bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit des abgegrenzten Teilbereichs des Arms "Hand im Handgelenk" einen Invaliditätsgrad von 55 %. Ist. die Hand im Handgelenk wegen eines unfallbedingten Dauerschadens vollständig funktionsunfähig, steht nach der Gliedertaxe der Invaliditätsgrad mithin unverrückbar fest. Insbesondere kommt ein geringerer Invaliditätsgrad nicht unter Rückgriff einer bloßen Bewertung der Auswirkungen der Funktionsunfähigkeit des Teilgliedes Hand im Handgelenk auf das Restglied in Betracht; denn damit würde die von der Gliedertaxe vorgegebene Aufteilung des Gliedes in Teilbereiche mit daran geknüpften festen Invaliditätsgraden bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit unterlaufen. Die Ausstrahlungen eines Teilgliedverlustes oder einer Teilgliedfunktionsunfähigkeit auf das Restglied sind vielmehr bei dem durch das Teilglied bestimmten Invaliditätsgrad bereits mitberücksichtigt (vgl. dazu u.a. zuletzt BGH VersR 2000, 360).

Nach dem Wortlaut der Gliedertaxe kommt es auf den Verlust oder die diesem gleichgestellte Funktionsunfähigkeit der Hand im Handgelenk an und nicht auf die Funktionsunfähigkeit des Teilgliedes Hand. In der Gliedertaxe sind die Anforderungen für die festen Invaliditätsgrade bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit von Gliedteilen unterschiedlich formuliert. So wird teilweise auf den Bereich oberhalb oder unterhalb des Gelenks abgestellt, teilweise aber auch - wie z.B. bei Schultergelenk, Handgelenk und Fußgelenk -, auf den Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit des Teilgliedes "im Gelenk". Diese eindeutige Wortwahl für die Anforderung an den festen Invaliditätsgrad von 55 % bei Verlust oder Teilfunktionsunfähigkeit der "Hand im Handgelenk" läßt eine Auslegung dahin, daß - auch - auf die Funktionsbeeinträchtigung dieses Teilgliedes Hand abzustellen ist, nicht zu. Ob bei einer Funktionsunfähigkeit der "Hand im Handgelenk" das Teilglied Hand noch vorhanden ist und ob bzw. welche Funktionen erhalten geblieben sind, ist vielmehr unerheblich (vgl. dazu BGH VersR 2001, 360 zum Verständnis der Gliedertaxe bei Funktionsunfähigkeit eines Fußes im Fußgelenk).

Vorliegend ist beim Kläger auf Dauer eine Funktionsunfähigkeit im linken Handgelenk eingetreten. Das linke Handgelenk ist, wie der Kläger selbst im Senatstermin erklärt und der Sachverständige im einzelnen und unter Bezugnahme auf sein schriftliches Gutachten erläutert hat, komplett versteift worden. Die komplette Versteifung des Handgelenks bewirkt dessen Funktionsunfähigkeit.

Einzelne Funktionen der Hand wie Tasten, Fühlen, Bewegen und die Beweglichkeit der Finger sind zwar erhalten geblieben mit der Folge, daß die Hand für den Kläger nicht vollständig nutzlos, sondern weiterhin teilweise gebrauchsfähig ist. Wenn allein auf die Funktionsbeeinträchtigung der Hand und die infolge der Versteifung eingetretene vollständige Unbeweglichkeit des Handgelenks abzustellen wäre, würde der Senat den verbliebenen Dauerschaden mit 1/2 "Handwert" bemessen, was einem Invaliditätsgrad von 27,5 % nach der Gliedertaxe und unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression einer Entschädigung von 33 % entspricht. Eine diesem Invaliditätsgrad entsprechende Invaliditätsleistung hat die Beklagte mit ihrer Zahlung von 89.760,00 DM erfüllt.

Vorliegend kommt es jedoch - wie oben ausgeführt ist - nicht auf die konkrete Funktionsbeeinträchtigung des Handgelenks unter Berücksichtigung der verbliebenen Benutzbarkeit des Teilgliedes Hand an. Nach dem Wortlaut der Gliedertaxe ist vielmehr allein entscheidend die infolge der durchgeführten Versteifung unfallbedingt eingetretene vollständige Funktionsunfähigkeit der "Hand im Handgelenk". Unstreitig sind die Funktionen des Handgelenks nach den Ausführungen des Sachverständigen vollständig aufgehoben. Es ist deshalb unabhängig von einer verbliebenen Restfunktiontauglichkeit der Hand von einem festen Invaliditätsgrad von 55 % auszugehen.

Da der Kläger die von ihm verlangte Invaliditätsleistung nach einer Funktionseinschränkung der "Hand im Handgelenk" von 80 % berechnet hat - das entspricht einem Invaliditätsgrad von 44 % und unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression von 82 % - steht ihm eine Invaliditätsleistung von insgesamt 216.480,00 DM und abzüglich der gezahlten 89.760,00 DM ein von der Beklagten noch zu zahlender Betrag von 126.720,00 DM zu.

Der Zinsanspruch ist jedoch nur in der zugesprochenen Höhe von 4 % seit dem 2. Dezember 1999 gemäß den §§ 284, 288 BGB begründet. Das darüberhinausgehende Zinsverlangen ist nicht gerechtfertigt. Der Kläger kann Zinsen nicht nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen verlangen, da die mit der Klage geltend gemachte Forderung schon vor Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig geworden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziffer 10 und 711 ZPO.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 126.720,00 DM. Die Beschwer des Klägers liegt unter 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

Zurück