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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.11.2000
Aktenzeichen: 20 U 104/00
Rechtsgebiete: ARB 94


Vorschriften:

ARB 94 § 4
Leitsatz:

1)

Wirft der Darlehensgeber (= VN) dem Darlehensnehmer arglistige Täuschung vor, liegt der Rechtsverstoß nicht erst in der ausgebliebenen Darlehensrückzahlung sondern bereits im Abschluß des Darlehensvertrages.

2)

Beginnt in einem solchen Fall der Rechtschutzversicherungsvertrag erst nachdem Abschluß des Darlehensvertrages ist Rechtschutz für eine beabsichtigte Rückzahlungsklage auch nach § 4 III a ARB 94 ausgeschlossen.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 104/00 OLG Hamm 2 O 457/99 LG Dortmund

Verkündet am 17. November 2000

Spilker, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. März 2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

(abgekürzt nach § 543 Abs. 1 ZPO)

I.

Die Klägerin hat bei der Beklagten eine Rechtschutzversicherung gemäß § 25 ARB 94 - Privat- und Berufsrechtschutz für Nichtselbständige - mit Wirkung ab 02.12.1997 abgeschlossen, nach deren Inhalt der Versicherungsschutz gemäß § 25 Abs. 3 unter anderem Schadensersatzrechtschutz und Rechtschutz im Vertragsrecht umfaßt. Sie begehrt Gewährung von Rechtsschutz für eine beabsichtigte Klage gegen E W auf Rückzahlung eines Darlehens über 110.000,00 DM, das sie diesem laut Darlehensvertrag vom 26.03.1997 bis zum 26.03.1998 gegeben hat und das am Fälligkeitstag nicht zurückgeführt worden ist.

Die Beklagte hat die Gewährung von Rechtsschutz wegen Vorvertraglichkeit abgelehnt, weil der Darlehensnehmer W schön bei Abschluß des Darlehensvertrages in betrügerischer Absicht gehandelt habe.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und gemeint, es liege keine Vorvertraglichkeit vor, denn der Versicherungsfall sei erst nach Beginn des Versicherungsschutzes am Fälligkeitstag eingetreten, weil die Klägerin mit der Klage einen Erfüllungsanspruch geltend mache.

II.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Beklagte ist zur Gewährung von Rechtschutz nicht verpflichtet; denn es ist von einer Vorvertraglichkeit der hier für den Eintritt des Versicherungsfalles maßgeblichen Rechtsverstöße des Vertragsgegeners der Klägerin auszugehen.

1.

Die Klägerin verfolgt mit der beabsichtigten Klage einen Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens, das sie H W auf der Grundlage des vor Beginn des Versicherungsschutzes abgeschlossenen Vertrages vom 26.03.1997 gewährt hat, das aber erst nach Versicherungsbeginn und Ablauf der bei Vertragsrechtschutz bestehenden dreimonatigen Wartefrist gemäß § 4 Abs. 1 ARB am 26.03.1998 zur Rückzahlung fällig geworden ist.

Bei der Geltendmachung von vertraglichem Ansprüchen besteht gemäß § 4 Abs. 1 c ARB 94 von rein Zeitpunkt an, von dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll, Anspruch auf Rechtschutz. Die Leistungspflicht des Versicherers wird aber nur dann ausgelöst, wenn der Rechtschutzfall, d.h. der Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften, im Versichertenzeitraum eingetreten ist. Haben mehrere Rechtschutzfälle die Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers ausgelöst, so ist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 ARB 94 der erste entscheidend (vgl. dazu Harbauer, ARB, 6. Auflage, § 4 ARB 94 Rdnr. 6). Zwar liegt hier sicher in Verstoß gegen Rechtspflichten in der Nichterfüllung der Darlehensrückzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt, d.h. im versicherten Zeitraum, denn Fälligkeit ist erst nach Ablauf der Wartefrist am 26. März 1998 eingetreten. Jedoch hat der Darlehensnehmer F W bereits vor diesem Zeitpunkt gegen Rechtspflichten verstoßen, weil er schon bei Abschluß des Darlehensvertrages die Absicht verfolgt hat, den Vertrag später bei Fälligkeit nicht zu erfüllen. Auch ein solches vertragswidriges Verhalten beinhaltet einen Verstoß gegen Rechtspflichten, selbst wenn es nicht sofort nach außen gedrungen und auch nicht ohne weiteres erkennbar ist. Es trägt aber "den Keim eines Rechtskonflikts in sich" (so: Harbauer, aaO, § 14 ARB 75 Rdnr. 39). Auf die Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers bezüglich dieses Rechtsverstoßes kommt es nicht an.

Zwar will die Klägerin aus dem ersten Rechtsverstoß nichts herleiten, denn sie hat den Darlehensvertrag weder angefochten noch verfolgt sie Schadensersatzansprüche. Sie will ihren Gegner W vielmehr lediglich auf Erfüllung des Darlehensvertrages in Anspruch nehmen. Grundlage ihres Rechtschutzbegehrens ist also der zweite Rechtsverstoß, der im versicherten Zeitraum liegt. Die Klägerin beruft sich in der Berufungserwiderung auch nicht mehr auf betrügerisches Handeln des Darlehensnehmer W. Sie hat allerdings sowohl in der Klagebegründung als auch im vorprozessualen Schriftwechsel mit der Beklagten unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, W habe das Darlehen in betrügerischer Absicht "erschwindelt". Wie aus den Angaben der Klägerin anläßlich ihrer polizeilichen Vernehmung deutlich wird und sie in der an die Polizei gerichteten Erklärung vom 01.03.1999 (Bl. 26 der Akte) auch zum Ausdruck gebracht hat, hat sie dem Darlehensnehmer W betrügerische Absicht bei Eingebung des Darlehensvertrages vorgeworfen. Von diesen von ihr selbst behaupteten und ihrem Vertragsgegner vorgeworfenen Rechtsverstößen kann sie sich in dem Rechtsstreit mit der Beklagten nicht distanzieren. Der Streit auslösende Vorgang liegt deshalb nicht nur in der Nichterfüllung des Darlehensrückzahlungsanspruches, sondern auch schon im Abschluß des Darlehensvertrages, wenn - wie die Klägerin selbst W vorgeworfen hat - dieser nicht die Absicht hatte, das Darlehen zurückzuzahlen. Der zeitlich spätere zweite Rechtsverstoß stellt sich in diesem Fall nur als eine Folge des ersten Rechtsverstoßes und Verwirklichung der bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verfolgten Absicht dar. Der "Beginnzeitpunkt" der Gefahrverwirklichung liegt deshalb im ersten Verstoß und damit in vorvertraglicher Zeit.

2.

Vorliegend ist der Versicherungsschutz aber auch nach § 4 Abs. 3 a ARB 94 ausgeschlossen. Nach dieser Klausel bestellt kein Rechtschutz, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach § 4 Abs. 1 c ARB 94 ausgelöst hat. Zwar schließt nicht jede Willenserkärung oder Rechtshandlung, die letztlich zu einem Versicherungsfall führt, bei der gebotenen Auslegung dieser Klausel nach ihrem Sinngehalt den Versicherungsschutz aus. Nach dem Zweck der Bestimmung soll der Ausschluß vielmehr nur dann greifen, wenn die Willenserklärung oder Rechtshandlung ihrer Natur nach erfahrungsgemäß den "Keim nachfolgenden Rechtsverstoßes des einen oder anderen Teils in sich trägt". Kommt es bei der Abwicklung eines Vertrages zum Streit, so hat zwar der Antrag oder die Annahme zum Vertragsschluß den späteren Rechtsverstoß als Versicherungsfall im Sinne einer Conditic sine qua non mit herbeigeführt. Es entspricht aber nicht der Lebenserfahrung, daß ein Antrag auf Abschluß eines Vertrages häufig einen späteren Rechtsstreit auslöst, so daß "neutrale" Erklärungen der Vertragspartner, die zum Abschluß eines Vertrages führen, nicht zwingend den "Keim des Streits" in sich tragen (vgl. dazu Harbauer, a.a.O., § 14 ARB 75 Rdnr. 76). Das ist jedoch dann anders zu beurteilen, wenn - wie hier - einem Vertragspartner betrügerisches Handeln bei Abschluß eines Darlehensvertrages Vorgeworfen wird. In diesem Fall ist der spätere Streit über die Erfüllung des Darlehensvertrages gewissermaßen "vorprogrammiert". Deshalb kann nicht allein darauf abgestellt werden, ob der Vertrag wirksam abgeschlossen worden und nicht angefochten ist. Auch ein wirksam abgeschlossener Vertrag trägt dann den "Keim des Streits" in sich und ist nicht mehr, "neutral", wenn eine der Parteien von vornherein beabsichtigt, ihn nicht zu erfüllen. Der sich erst zu einem späteren Zeitpunkt entwickelnde Streit über die Nichterfüllung beruht in diesem Fall auf der Willenserklärung des unredlichen Vertragspartners. Dessen in unredlicher Absicht abgegebene Willenserklärung ist adäquat kausale Ursache für den späteren Streit.

Die Gewährung von Rechtschutz für einen solchen Streit ist daher ausgeschlossen.

Auf die Berufung der Beklagten war die Entscheidung des Landgerichts deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Ziffer 10, 711 und 713 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin beträgt 14.253,00 DM.

Ende der Entscheidung

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