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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.03.2000
Aktenzeichen: 20 U 124/99
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, AKG


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 92
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
VVG § 6 III
AKG § 7 I
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 124/99 OLG Hamm 3 O 516/98 LG Bochum

Verkündet am 15. März 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 27. Mai 1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39.265,22 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 9. August 1998 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 91 % die Beklagte und zu 9 % die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, ein polnisches Unternehmen mit Zweigniederlassung in , war Halterin des geleasten Pkw Audi A 6 Avant, Erstzulassung 07.08.1996, mit dem amtlichen Kennzeichen. Alleiniger Nutzer war ihr Geschäftsführer G.

Dieser war ab dem 03.01.1998 geschäftlich In Polen. Am 06.01.1998 meldete er bei der örtlichen Polizei den Wagen als gestohlen. Am 08. und 09.01. folgten durch Mitarbeiter der Klägerin die Strafanzeige gegenüber der deutschen Polizei und die Schadenanzeige gegenüber der Beklagten. Danach sei der Geschäftsführer der Klägerin auf der Fahrt in die Innenstadt mehrfach von anderen Verkehrsteilnehmern auf seine rechte Fahrzeugseite aufmerksam gemacht worden. Obwohl ihm bekannt gewesen sei, daß das eine in Polen übliche Masche sei, Fahrzeuge mit deutschen Kennzeichen anzuhalten und die Fahrzeuge dann zu entwenden, habe er schließlich angehalten und sei um das Fahrzeug herumgegangen, um dort nach dem rechten zu sehen. Weil der Schlüssel gesteckt habe, habe ein Unbekannter einsteigen und mit dem Fahrzeuge davonfahren können. In den Einzelheiten wichen aber die zu verschiedenen Zeiten gemachten Angaben des Geschäftsführers der Klägerin und deren übrigen Mitarbeitern voneinander ab. Die Beklagte lehnte schließlich mit Schreiben vom 29.07.1998 die Regulierung ab, weil eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Diebstahls bestehe. Die Klägerin hatte zwischenzeitlich für 43.187,10 DM einschließlich Mehrwertsteuer den Leasingvertrag abgelöst. Mit ihrer erinstanzlich erhobenen Klage hat sie diesen Betrag beansprucht. Das Landgericht hat nach Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin die Klage mit der Begründung abgewiesen, der erforderliche Mindestbeweis für einen Diebstahl sei nicht erbracht. Der Geschäftsführer der Klägerin habe sich in Widersprüche verwickelt, diese nicht plausibel erklären können und sei nicht glaubwürdig. Der danach erforderliche Vollbeweis sei der Klägerin nicht gelungen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren unter näherer Darlegung weiter.

Die Beklagte verteidigt das Urteil. Sie bestreitet den Diebstahl, behauptet eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung und beruft sich auf Obliegenheitsverletzungen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das äußere Bild eines bedingungsgemäß versicherten Kfz-Diebstahls ist bewiesen. Zeugen standen der Klägerin nicht zur Verfügung. In Ermangelung von Zeugen kommt aber auch die persönliche Anhörung gemäß § 141 ZPO, hier des Geschäftsführers G der Klägerin, in Betracht. Diese Anhörung hat der Senat durchgeführt. Die Bedenken des Landgerichts hinsichtlich dessen Glaubwürdigkeit teilt er nicht.

Der Geschäftsführer hat den Sachverhalt anschaulich und einfühlbar geschildert. Er hat berichtet, wie er mit seinem Fahrzeug in Richtung Innenstadt fuhr und dabei von mehreren Verkehrsteilnehmern, die offensichtlich keine Verbindung zueinander hatten, bei mehreren Gelegenheiten immer wieder auf dieselbe Stelle seines Fahrzeuges hingewiesen wurde. Darunter seien auch völlig unverdächtige Personen gewesen, wie Familien mit Kindern. Erst habe er diesen Hinweisen überhaupt keine Beachtung geschenkt. Nach einigen Kilometern sei er dann aber doch nachdenklich geworden. Hinterher sei es soweit gewesen, daß er tatsächlich schon den Eindruck gehabt habe, Geräusche zu hören, die aus dem Bereich des rechten Hinterrades drangen. Er habe noch einige Kilometer zu fahren gehabt und sich deshalb entschlossen, die Sache abzuklären und anzuhalten. Er habe zunächst seinen Fahrzeugschlüssel mitgenommen und sich den Bereich um das rechte Hinterrad herum angeschaut, aber nichts feststellen können. Ein Passant habe ihn angesprochen und geäußert, er habe etwas funken gesehen. Das müsse mit dem laufenden Motor zusammenhängen. Auch dieser Mann sei dem Geschäftsführer der Klägerin unverdächtig vorgekommen und er habe deshalb keinerlei Bedenken gehabt, den Fahrzeugschlüssel einzustecken und den Motor anzulassen. Er sei dann wieder um das Fahrzeug herumgegangen, um sich diese Funken anzusehen. Als er dort angekommen sei, habe er gehört, wie die Fahrertür seines Wagens zugeschlagen worden sei. Dann sei der Wagen losgefahren. Er selbst sei sofort hinterhergelaufen, der andere Mann wohl auch. Auf den habe er aber zunächst nicht geachtet. Nach einiger Strecke sei er stehengeblieben, weil er keine begründete Aussicht gesehen habe, sein Fahrzeug noch einzuholen. Jetzt habe er bemerkt, daß der andere Mann auch laufe. Dieser sei auch noch weitergelaufen und habe das Fahrzeug noch ein weiteres Stück verfolgt. Das habe dann angehalten, die Beifahrertür habe sich geöffnet und der Mann sei eingestiegen. Sein Wagen sei dann weitergefahren. Er habe jetzt erst einmal seine Gedanken ordnen müssen und es sei ihm dann nach einiger Zeit gelungen, ein anderes Fahrzeug anzuhalten. Der Fahrer habe ihn mitgenommen und sie seien seinem Fahrzeug hinterhergefahren, dann aber an eine Kreuzung gelangt, in welche insgesamt sechs Straßen einmündeten. Von seinem Wagen sei nichts mehr zu sehen gewesen und er habe auch nicht gewußt, wo der Wagen hergefahren sei. Er habe deshalb die Verfolgung aufgegeben.

Diese Darstellung entspricht seinen früheren Darstellungen, soweit festgestellt werden kann, daß sie vom Geschäftsführer G der Klägerin selbst stammen. Zwar weichen sie in Einzelheiten alle voneinander ab. Diese Abweichungen stellen sich im Ergebnis aber nicht als Widersprüche dar, sondern bei genauer Betrachtung ergibt sich, daß jede einzelne dieser Darstellungen nur unvollständig war und alle miteinander in Einklang zu bringen sind. Gewisse Unschärfen bei mehreren, zeitlich auseinanderliegenden Darstellungen eines komplexen Sachverhalts sind ohnehin zu erwarten. Derartige Unschärfen sind ohnehin kein eindeutiges Argument. Stereotype Wiederholungen können ebenso den Schluß darauf zulassen, daß es sich um eine auswendig gelernte Darstellung handelt, der kein wirkliches Erleben zugrudeliegt. Hier ist außerdem zu beachten, daß nicht sämtliche Darstellungen vom Geschäftsführer der Klägerin selbst stammen, sondern daß auch sein Mitgeschäftsführer Angaben gemacht hat, der unstreitig dem Geschehen nicht beigewohnt hat. Wenn Erlebnisse und Kenntnisse eines Dritten weitergeleitet werden und in eigene Worte gefaßt werden, hat das in der Regel zur Folge, daß Unschärfen und scheinbare Widersprüche auftreten.

Die Darstellung, die der Geschäftsführer G der Klägerin bei seiner Anhörung vor dem Senat abgegeben hat, war überzeugend. Er hat einen Sachverhalt geschildert, der ohne weiteres glaubhaft ist, und hat einfühlbar seine subjektiven Empfindungen mitgeteilt und so nachvollziehbar dargelegt, warum er sich in eben dieser Weise verhalten hat, obwohl er auf Grund seiner Erfahrungen hinsichtlich der Vielzahl der Autodiebstähle gerade in Polen gewarnt war. Dabei tut es der Glaubhaftigkeit seiner Darstellung auch keinen Abbruch, daß er während einer Fahrstrecke von mehreren Kilometern immer wieder von Personen aufmerksam gemacht wurde, die offensichtlich nichts miteinander zu tun hatten, so daß auf den ersten Blick ein geplantes Zusammenwirken wenig naheliegend erscheint. Auch dieser Gedanke relativiert sich aber bei genauerer Betrachtung, denn der Besitz eines Mobiltelefons ist heute nichts besonderes und gerade bei bandenmäßigem Zusammenwirken mehrerer zum Zwecke der Durchführung derartiger Straftaten möglich.

Nach alledem bestehen auch an der Glaubwürdigkeit des Geschäftsführers G der Klägerin keine durchgreifenden Zweifel.

Ein erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung hat die Beklagte nicht bewiesen. Wie bereits dargelegt, ist der vom Geschäftsfüherer der Klägerin geschilderte Sachverhalt für sich allein betrachtet nicht so ungewöhnlich, daß sich schon deshalb die Vortäuschung eines Diebstahls aufdrängt.

Auch auf Obliegenheitsverletzung gemäß § 6 III VVG, 7 I, V AKG kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Insoweit trägt die Beklagte vor, der Geschäftsführer der Klägerin habe wahrheitswidrig angegeben, ihm sei aus der "Unterwelt" ein Angebot unterbreitet worden, für 10.000,00 US-Dollar das Fahrzeug zurückkaufen zu können. Insoweit übersieht die Beklagte, daß sie darlegungs- und beweispflichtig für den objektiven Sachverhalt einer Obliegenheitsverletzung ist. Daß dem Geschäftsführer der Klägerin ein derartiges Angebot in Wirklichkeit nicht gemacht worden ist, hat die Beklagte nicht bewiesen. Auch der Ansatz der Beklagten ist nicht recht nachvollziehbar. Einfühlbar wäre allenfalls, daß das Verschweigen eines derartigen Rückkaufangebots die berechtigten Interessen des Versicherers beeinträchtigen könnte.

Nachdem die Klägerin den Leasingvertrag abgelöst hat, ist sie wieder selbst Inhaberin der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag. Dem Grunde nach besteht der Anspruch nach dem vorstehenden zu Recht. Der Höhe nach kann sie, § 13 Abs. 1, Abs. 4 AKB 95, den Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Diebstahls verlangen, aber nur den Nettobetrag, weil sie als Handelsgesellschaft vorsteuerabzugsberechtigt ist. Nach den überzeugenden Ausführungen des im Senatstermin zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts angehörten Sachverständigen Diplom-Ingenieur beläuft sich dieser wiederbeschaffungswert auf einen Nettobetrag voll 39.565,22 DM, wobei der Sachverständige zutreffend die konkreten Ausstattungsmerkmale, die Laufleistung sowie berücksichtigt hat, daß das Fahrzeug im Front- und hinteren Seitenbereich geringfügige Beschädigungen hatte. In entsprechender Höhe war nach alledem das Urteil des Landgerichts abzuändern. Wegen des überschießenden Teils hat es bei der Abweisung zu verbleiben.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Beschwer keiner der Parteien übersteigt 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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