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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.12.1999
Aktenzeichen: 20 U 131/99
Rechtsgebiete: PflVersG, VVG, AKB


Vorschriften:

AKB § 12
VVG § 12
PflVersG § 3
Leitsatz

AKB, §§ 12 VVG, § 3 PflVersG

1)

Eine Feststellungsklage bleibt zulässig, auch wenn im Laufe des Prozesses eine Leistungsklage möglich wird.

2)

Das Haftpflichturteil ist im Deckungsprozeß für den KFz.-Versicherer bindend, auch wenn er am Haftpflichtprozeß nicht beteiligt war.

3)

Erklärungen nach § 138 ZPO können kein Verstoß gegen das haftpflichtrechtliche Anerkenntnisverbot sein.

4)

Zur Verjährung.

Urteil des 20. Zivilsenats des OLG Hamm vom 15.12.1999 (20 U 131/99)


OBERLANDESGERICHT HAMM

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 131/99 OLG Hamm 6 O 311/97 LG Bielefeld

Verkündet am 15. Dezember 1999

Knott, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

Beklagte und Berufungsklägerin,

- Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte, in Hamm

gegen

Kläger und Berufungsbeklagten,

- Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte, in Hamm

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Rüther für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. April 1999 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Klarstellend wird das Urteil wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von den Ansprüchen seines Sohnes aus dem Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts vom 12.09.1996 im Rahmen und in der Grenze des geschlossenen Versicherungsvertrages freizustellen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 DM abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beiden Parteien bleibt vorbehalten, die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zu erbringen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Kfz-Haftpflichtversicherung auf Gewährung von Deckungsschutz aus Anlaß eines Verkehrsunfalls vom 18.07.1982 in Griechenland in Anspruch, bei

dem sein damals 8-jähriger Sohn als Beifahrer des vom Kläger geführten versicherten Fahrzeugs erheblich verletzt worden ist.

In einem im August 1995 vom Geschädigten gegen den Kläger angestrengten Haftpflichtprozeß (LG) der durch drei Instanzen geführt worden ist (Revisionsurteil vom 02.02.1999), ist der Kläger rechtskräftig verurteilt worden, an seinen Sohn ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 DM zu zahlen. Außerdem ist festgestellt worden, daß der Kläger verpflichtet ist, dem Geschädigten sämtlichen zukünftigen Schaden aus dem in Rede stehenden Verkehrsunfall zu erstatten.

Auf die vom Kläger mit Schriftsatz vom 27.09.1995 erklärte Streitverkündung war die Beklagte, die nicht selbst Partei des Haftpflichtprozesses war, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten.

Mit Schreiben vom 21.09.1995 lehnte die Beklagte den vom Kläger mit Anwaltsschreiben vom 31.08.1995 erbetenen Versicherungsschutz unter Hinweis auf die Verjährung der Versicherungsansprüche ab.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß die Beklagte ihn von allen Haftpflichtansprüchen des Studenten aus dem Unfall vom 18.07.1982 auf der Nationalstraße in Griechenland mit dem bei der Beklagten seinerzeit haftpflichtversicherten Pkw Opel, amtl. Kennzeichen freizustellen hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich erneut mit näherer Begründung auf Verjährung des Versicherungsanspruchs berufen und überdies bestritten, daß die Verletzungen des Geschädigten aus einem Unfall herrührten, den der Kläger zu vertreten habe.

Durch das angefochtene Urteil, auf das verwiesen wird (Bl. 121 ff. d.A.), hat das Landgericht die vom Kläger begehrte Feststellung getroffen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Feststellungsklage für unzulässig hält. Sie bestreitet nach wie vor, daß der Kläger seinem Sohn aus Anlaß des Verkehrsunfalls vom 18.07.1982 schadensersatzpflichtig ist und die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen auf diesem Unfallereignis beruhen. Außerdem meint sie, der Kläger habe im Haftpflichtprozeß gegen das Anerkenntnisverbot (§§ 7 Abs. 2 Satz 1 AKB) verstoßen, indem er eine Unfalldarstellung gegeben habe, die seine Haftung in vollem Umfange begründet habe. Schließlich wiederholt und vertieft die Beklagte ihr Vorbringen zur Verjährungseinrede.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen Die Beiakten LG lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

1. Die auf Freistellung des Klägers von Schadensersatzansprüchen seines Sohnes aus dem Haftpflichturteil des Landgerichts gerichtete Feststellungsklage ist zulässig.

Im Deckungsrechtsstreit einer Haftpflichtversicherung ist die Feststellungsklage die regelmäßig richtige Klageart (BGH VersR 1981, 173; 1984, 252, 253). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn es - wie hier - dem Versicherungsnehmer während des Rechtsstreits aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft des Haftpflichturteils möglich wird, zur Leistungsklage - gerichtet auf Befreiung von der Haftpflichtverbindlichkeit - überzugehen; er kann vielmehr seinen Feststellungsantrag, der zulässig geblieben ist, weiterverfolgen (BGH VersR 1986, 163, 166; Senat VVGE § 98 VVG Nr. 1).

Im Hinblick auf die Rechtskraft der Haftpflichtentscheidung ist es auch nicht zu beanstanden, daß der Kläger die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zu seiner Freistellung von den titulierten Haftpflichtansprüchen des Geschädigten begehrt und sich nicht auf die Feststellung der Verpflichtung des Versicherers zur Gewährung bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes beschränkt.

2. Die Beklagte ist dem Kläger aus dem Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag zur Freistellung in dem im Tenor klargestellten Umfang verpflichtet (§ 10 Nr. 1 AKB).

a) Soweit die Berufung die Feststellungen des Haftpflichturteils bestreitet, wonach die Querschnittslähmung des Geschädigten dadurch verursacht worden ist, daß der Kläger aufgrund unangemessener Geschwindigkeit - rechtswidrig und schuldhaft handelnd - die Gewalt über das von ihm gesteuerte versicherte Fahrzeug verlor und gegen einen Mast prallte, steht dem die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils entgegen.

Daß der Geschädigte auf der Haftpflichtebene nicht den Weg der Direktklage (§ 3 Nr. 1 PflVersG) gegen die Beklagte gewählt hat,. ändert daran nichts. Dazu war er nicht gezwungen. Wie im Bereich des allgemeinen Haftpflichtversicherungsrechts, dessen Grundsätze auch für die Kfz-Haftpflichtversicherung gelten, kann ein durch ein versichertes Kfz Geschädigter im Haft pflichtprozeß allein gegen den Schädiger vorgehen, wobei dann im Verhältnis des Versicherungsnehmers zum Versicherer die Bindungswirkung des Haftpflichturteils gilt (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 3 Nr. 1, 2 PflVersG Rdn. 16 und § 3 Nr. 8 PflVersG Rdn. 7).

Ob und ggfls. mit welcher dogmatischen Begründung wegen der von der Berufung herausgestellten Beschränkung der Streithelferbefugnisse im Haftpflichtprozeß (vgl. § 67 ZPO) Ausnahmen von der Bindungswirkung zuzulassen sind, bedarf keiner näheren Erörterung. Dies würde in jedem Fall voraussetzen, daß der Versicherer eine zu seinem Nachteil erfolgte Kollusion zwischen den Parteien des Haftpflichtprozesses oder zumindest eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers beweist. Das bloße Bestreiten eines Haftpflichtanspruchs (bzw. der haftungsausfüllenden Kausalität) reicht nicht aus.

b) Die Beklagte ist auch nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden.

Die Auffassung der Berufung, der Kläger habe mit dem Einräumen des Klagevortrags zum Unfallgeschehen im Haftpflichtprozeß gegen das Anerkenntnisverbot (§§ 7 Abs. 2 Satz 1 AKB) verstoßen, ist offensichtlich unzutreffend. Abgesehen davon, daß aufgrund des Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 21.09.1995 zum Zeitpunkt der Klageerwiderung (= 27.09.1995) ohnehin keine Obliegenheitsgebundenheit des Klägers mehr gegeben war, ist die Erfüllung der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) schon objektiv niemals als Verstoß gegen das Anerkenntnisverbot zu werten. Bloße Schilderungen des Schadenereignisses sind Erklärungen über Tatsachen und kein Anerkenntnis. Deshalb verhält ein Versicherungsnehmer sich nicht obliegenheitswidrig, wenn er im Haftpflichtprozeß den vom Geschädigten vorgetragenen Sachverhalt unstreitig stellt oder gar - etwa bei seiner Parteianhörung - einräumt.

Auf eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung durch falsche Unfalldarstellung des Klägers, für die sie ebenfalls beweisfällig wäre, hat die Beklagte sich nicht berufen.

c) Der Deckungsanspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Die Verjährung eines Deckungsanspruchs der Kfz-Haftpflichtversicherung ist von der Verjährung des Direktanspruchs des Geschädigten (§ 3 Nr. 3 PflVersG) unabhängig (BGH r + s 1987, 88). Sie tritt binnen zwei Jahren ab dem Schluß des Jahres ein, in dem gegen den Versicherten Haftpflichtansprüche wegen eines unter die Versicherung fallenden Ereignisses erhoben werden (§ 12 Abs. 1 WG). Maßgebend für die Fälligkeit des Deckungsanspruchs und damit den Beginn der Verjährungsfrist ist die Erhebung von Ansprüchen, d.h. jede ernsthafte und unmißverständliche Erklärung des Dritten gegenüber dem Versicherungsnehmer, aus der sich ergibt, daß der Dritte Ansprüche zu haben glaubt und diese verfolgen will (Prölss/Martin a.a.0., § 149 WG Rdn. 5 m.w.N.).

Zu Recht hat das Landgericht erkannt, daß der Geschädigte erstmals im Jahre 1995 Schadensersatzansprüche aus Anlaß des Verkehrsunfalls gegenüber dem Kläger geltend gemacht hat. Die danach mit Ablauf des Jahres 1995 beginnende Verjährung ist durch die Erhebung der Deckungsklage (= 25.06.1997) rechtzeitig gemäß § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen worden.

Soweit die Berufung behauptet, der Geschädigte habe den Kläger auch schon in den Vorjahren ernsthaft und umfangreich auf Schadensersatzleistungen wegen des Verkehrsunfalls in Anspruch genommen, ist sie beweisfällig geblieben. Ihren diesbezüglichen Beweisantritt durch Vernehmung des Zeugen hat sie im Senatstermin nicht aufrechterhalten. Nach Lage der Dinge spricht nichts dafür, daß der Geschädigte (wie auch der Kläger) vor 1995 gewußt haben, daß aus Rechtsgründen eine Schadensersatzpflicht des Klägers gegenüber seinem Sohn besteht. Unwiderlegt hat der Kläger vorgetragen, der Geschädigte habe erstmals im Frühjahr 1995 aufgrund einer Pressenotiz von der Rechtslage erfahren und daraufhin anwaltlichen Rat eingeholt, der sodann zur Einleitung des Haftpflichtprozesses (Klagezustellung am 23.08.1995) geführt habe. Das ist ohne weiteres plausibel, weil andernfalls der auffallend späte Zeitpunkt der Haftpflichtklageerhebung gegen den haftpflichtversicherten Kläger unverständlich wäre.

Selbstverständlich hat der Kläger sich in der Zeit nach dem Unfall um seinen schwerverletzten und pflegebedürftigen Sohn gekümmert. Die Erfüllung des zweifelsfrei umfangreichen Pflegebedarfs geschah aber ganz offensichtlich aufgrund des Vater-Sohn-Verhältnisses und - rechtlich - der sich daraus ergebenden Unterhaltspflicht. Ob für den Kläger auch eine moralische Verantwortlichkeit für die Unfallverursachung eine Rolle gespielt hat, mag dahinstehen. Jedenfalls läßt sich nicht feststellen, daß der Kläger aufgrund einer vom Geschädigten eingeforderten Schadensersatzverpflichtung oder zumindest im Bewußtsein des Bestehens einer solchen Verpflichtung tätig geworden ist.

Feststellen läßt sich auch nicht, daß - wie die Berufung behauptet - der Geschädigte die Krankenkasse des Klägers "unter Hinweis auf die vermeintliche haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Klägers" in Anspruch genommen hat. Unwiderlegt trägt der Kläger vor, er selbst habe den Unfall bei seiner Krankenkasse (Sozialversicherung) gemeldet, die sodann für seinen Sohn als vom Versicherungsschutz umfaßten Familienangehörigen Leistungen erbracht habe. Abgesehen davon würde eine Inanspruchnahme der Krankenkasse durch den Geschädigten ohnehin nicht ohne weiteres als verjährungsrelevante Inanspruchnahme des Klägers anzusehen sein. Ob sich haftpflichtversicherungsrechtlich bereits in der Zeit vor 1995 aufgrund der dem Geschädigten zugute gekommenen Leistungen des Klägers (und/oder Dritten) der Rechtsschutzanspruch des Klägers gegen die Beklagte teilweise in einen Befreiungs- oder gar Zahlungsanspruch umgewandelt hat, bedarf keiner Klärung und Entscheidung. Solange dem Kläger nicht nachweislich bewußt war, (auch) Haftpflichtansprüche seines Sohnes zu erfüllen, ist das für die Verjährungsproblematik ohne Bedeutung.

Letztlich vermag der Berufung auch nicht zum Erfolg zu verhelfen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten im Senatstermin - entgegen früherem schriftsätzlichen Bestreiten - unstreitig gestellt hat, daß der Kläger dem Versicherungsagenten den Unfall alsbald gemeldet hat, woraufhin der Agent - sogar schriftlich - mitgeteilt habe, dem Geschädigten stünden Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu, weil der Unfall vom Kläger selbst verschuldet worden sei. Selbst wenn einer solchen Schadensmeldung verjährungsbeginnende Wirkung beizumessen wäre, wäre die Verjährung nach § 12 Abs. 2 VVG bis zur schriftlichen Leistungsablehnung der Beklagten durch Schreiben vom 21.09.1995 gehemmt gewesen. Die schriftliche Äußerung des Agenten stellt ersichtlich eine "schriftliche Entscheidung des Versicherers" im Sinne des § 12 Abs. 2 VVG nicht dar. Es ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich, daß der Agent überhaupt im Namen der Beklagten gehandelt hat. Erst recht nicht ist eine diesbezügliche Vertretungsmacht (vgl. § 43 VVG) erkennbar.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 80.000,00 DM.



Ende der Entscheidung

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