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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: 20 U 157/04
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, AKB, VVG


Vorschriften:

StPO §§ 100a ff.
ZPO § 139
AKB § 7 Abschnitt I Abs. 2 Satz 1
AKB § 7 Abschnitt V Abs. 4
VVG § 6 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 03.06.2004 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe: I. Der Kläger hat bei dem Beklagten für einen Pkw Hyundai LC eine Kaskoversicherung genommen. Mit der Behauptung, der Wagen sei in J am 04.01.2003 zwischen 10.00 und 23.30 Uhr gestohlen worden, begehrt der Kläger Zahlung von 17.275,75 EUR nebst Zinsen. Der Kläger erstattete noch in der Nacht um 00.12 Uhr Anzeige bei der Polizei. Dem Beklagten wurde der Vorfall erst elf Tage später, am 16.01.2003, angezeigt. Bei einer polizeilichen Telefonüberwachung, welche gegen Dritte gerichtet, wegen einer Katalogtat i.S.d. §§ 100a ff. StPO unternommen und richterlich genehmigt worden war, waren in der Zeit vom 06.11. bis 13.12.2002 Gespräche aufgezeichnet worden, aus denen sich ein erheblicher Verdacht dafür ergibt, dass der Kläger den Wagen bereits am 10.11.2002 Autoschiebern übergeben und ins Ausland hatte verbringen lassen. Ein gegen den Kläger geführtes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt; die Staatsanwaltschaft vertrat die Auffassung, dass der Kläger nur aufgrund der Telefonüberwachung zu überführen sei; da die Überwachung gegen Dritte gerichtet war und dem Kläger zudem keine Katalogtat zur Last zu legen war, war indes die Telefonüberwachung strafverfahrensrechtlich nicht verwertbar. Der Kläger hat behauptet, er habe den Pkw noch bis zum 04.01.2003 in J genutzt, und dazu Zeugen benannt. Die Klagehöhe hat er mit der Abrechnung seines Leasinggebers begründet. Der Beklagte hat u.a. erwidert, er erhebe Einwendungen auch zur Höhe; die Klage sei nicht einmal schlüssig; der Ansatz des Klägers sei falsch. Auch hat der Beklagte sich auf Leistungsfreiheit wegen verspäteter Schadensanzeige berufen. Das Landgericht hat im Termin gefragt, ob "zur Berechnung der Klageforderung im Hinblick auf die seitens der Beklagten vorgebrachten Bedenken noch weiter vorgetragen werden" solle. Dies hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers verneint. Das Landgericht hat daraufhin die Klage mangels hinreichenden Vortrages zur Höhe abgewiesen. - Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der Begründung des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Der Kläger verfolgt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen Antrag weiter und beantragt Zurückverweisung. Dazu macht er geltend, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft gehandelt und insbesondere § 139 ZPO verletzt. Die Beklagte verteidigt das Urteil. Wegen der Einzelheiten des Vortrags in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. II. Die Berufung ist unbegründet. Dabei bedarf keiner Erörterung, ob das Landgericht den Kläger deutlich auf die - vom Landgericht angenommene - Unschlüssigkeit der Klage hätte hinweisen müssen und ob es ggf. eine (Mindest-) Schätzung hätte vornehmen müssen. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Ergebnisse der Telefonüberwachung vorliegend verwertbar sind und sich daraus - nach Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen - möglicherweise Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit des Klägers oder eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung (vgl. hierzu Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 49 Rn. 17 ff.) ergeben können. Die Klage ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil der Beklagte gemäß § 7 Abschnitt I Abs. 2 Satz 1, Abschnitt V Abs. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG leistungsfrei geworden ist. 1. Nach § 7 Abschnitt I Abs. 2 Satz 1 AKB hätte der Kläger den - behaupteten - Diebstahl dem Beklagten innerhalb einer Woche anzeigen müssen. Gegen diese Obliegenheit hat er verstoßen. 2. Leistungsfreiheit ist vereinbart in § 7 Abschnitt V Abs. 4 AKB. 3. Der Kläger hat die gesetzliche Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht widerlegt. a) Der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger nicht gewusst habe, dass ein Kfz-Diebstahl binnen jedenfalls einiger Tage dem Kaskoversicherer zu melden sei. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist den Versicherungsnehmern bekannt, dass ein Kfz-Diebstahl - ebenso wie ein Verkehrsunfall - dem Versicherer rasch zu melden ist. Erst recht besteht solche Kenntnis bei Personen, die beruflich mit Fahrzeugen zu tun haben oder gehabt haben, was auf den Kläger zutrifft: Er ist gelernter Kfz-Mechaniker. Warum der Kläger dem Beklagten den behaupteten Diebstahl nicht innerhalb einer Woche angezeigt hat, hat er bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat auch sonst nicht plausibel machen können. Nach seiner Erklärung hätte er an sich mit der Meldung an den Beklagten sogar noch länger gewartet; er habe nur deshalb am 16.01.2003 den Schaden angezeigt, weil er bei einer polizeilichen Vernehmung an diesem Tag auf die Notwendigkeit einer Anzeige an den Versicherer hingewiesen worden sei. Dies vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Es ist - jedenfalls bei Personen in durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen - nicht verständlich, dass ein Versicherungsnehmer nach dem Diebstahl eines Kfz im behaupteten Wert von 17.275,75 EUR auch nach über einer Woche noch nicht beabsichtigt, den Versicherer zu informieren. b) Die Vorsatzvermutung ist vorliegend auch nicht aus sonstigen Gründen widerlegt. Allerdings hat die Rechtsprechung verschiedentlich angenommen, dass eine tatsächliche Vermutung dafür spreche, dass der Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur baldigen Schadenanzeige nicht vorsätzlich verletzt habe (vgl. etwa BGH, VersR 1981, 321; Senat, VersR 1997, 1341; OLG Düsseldorf, VersR 1990, 411; vgl. aber auch - einschränkend - OLG Köln, r+s 2004, 456 unter II 1 a). Diese Entscheidungen betrafen indes, soweit ersichtlich, nicht Kfz-Diebstähle. Bei behauptetem Kfz-Diebstahl kann es nach Auffassung des Senats nicht als Erfahrungstatsache angesehen werden, dass Versicherungsnehmer in aller Regel keinen Grund haben, die Schadenanzeige an den Versicherer bewusst hinauszuzögern. Ein solcher Grund kann vielmehr durchaus bestehen. So kann es sein, dass nach einer Verschiebung eines Fahrzeugs ins Ausland erst dort ein Original-Schlüssel kopiert werden soll und der Versicherungsnehmer daher zunächst nicht alle Original-Schlüssel vorlegen kann; in diesem Fall mag es der Versicherungsnehmer, der in der Regel weiß, dass der Versicherer die Vorlage aller Schlüssel verlangt, vorziehen, mit der Schadenanzeige zu warten, bis der Original-Schlüssel aus dem Ausland zurückgekehrt ist. Auch kann es sein, dass ein Versicherungsnehmer im Fall einer Fahrzeug-Verschiebung ins Ausland erst ein dort vorgenommenes "Umfrisieren" des Fahrzeugs abwarten will, weil er davon ausgeht, dass die deutsche Versicherungswirtschaft dort über besondere Kontakte (Detektivbüros u.ä.) verfügt und das noch nicht veränderte Fahrzeug leicht(er) entdeckt werden könnte. Es fehlt deshalb an einer Vermutungsgrundlage, die unerläßliche Voraussetzung (vergl. KG Urteil vom 23.09.2003, 14 U 36/02 ZfS 04, 504) auch für die hier in Rede stehende tatsächliche Vermutung ist. 4. Der Leistungsfreiheit des Beklagten steht auch nicht die so genannte Relevanz-Rechtsprechung (vgl. dazu nur Römer, a.a.O., § 6 Rn. 51 ff.) entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bei Verstößen gegen die Anzeigeobliegenheit die Relevanzrechtsprechung überhaupt anwendbar und ob nicht bejahendenfalls vorliegend festzustellen ist, dass die Obliegenheitsverletzung folgenlos geblieben ist (vgl. BGH, VersR 2004, 1117 unter II 3). Jedenfalls sind die Voraussetzungen der Relevanz-Rechtsprechung erfüllt: Eine verspätete Schadenanzeige ist, wie sich schon aus dem soeben Gesagten ergibt, generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Das Verschulden des Klägers ist erheblich; es handelt sich nicht bloß um ein Fehlverhalten, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. BGH, VersR 1984, 228 unter II 2). Eine Belehrung war nicht erforderlich; die Obliegenheit aus § 7 Abschnitt I Abs. 2 Satz 1 AKB ist spontan zu erfüllen. III. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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