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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.01.2000
Aktenzeichen: 20 U 166/99
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 61
Leitsatz

Rotlichtverstoß: Fahrer hält erst und fährt dann bei rot an. Grobe Fahrlässigkeit verneint.


OBERLANDESGERICHT HAMM

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 166/99 OLG Hamm 15 O 104/99 LG Münster

Verkündet am 26. Januar 2000

Lammers, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

des Oberlandesgerichts

In Sachen

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann sowie die Richter am Oberlandesgericht Rüther und Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. Mai 1999 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.600,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19. März 1999 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger nimmt die Beklagte als seine Kaskoversicherung auf Entschädigung wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch, den er am 07.12.1998 gegen 17.45 Uhr in B im Einmündungsbereich A/T verursachte, weil er trotz des für seine Fahrtrichtung aufleuchtenden Rotlichts in den Einmündungsbereich eingefahren ist und dort mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des Unfallgegners Kollidierte. Die Beklagte hatte eine Entschädigung abgelehnt und sich darauf berufen, der Kläger habe im Sinne von § 61 VVG den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Das Landgericht hat die entsprechende Klage mit der gleichen Begründung abgewiesen.

Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Klägers hat Erfolg. Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung gem. §§ 1, 49 VVG, § 12 Abs. 1 II e AKB. Das Vorliegen eines Versicherungsfalls ist zwischen den Parteien unstreitig. In rechtlicher Hinsicht ist zwischen den Parteien allein streitig, ob die Umstände, die zu dem Versicherungsfall geführt haben, das Verdikt der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 61 VVG verdienen. Solche Umstände hat der Senat im konkreten Fall nicht feststellen können.

Es ist zwar zutreffend und entspricht auch weiterhin der Auffassung des Senates, daß Rotlichtverstöße wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit, die offensichtlich ist, in der Regel als grob fahrlässig zu qualifizieren sind. Dem Fahrer trifft dann auch der Vorwurf gesteigerten Verschuldens, wenn er nicht Umstände vorträgt - die Beweislast bleibt bei dem Versicherer die ihm im Einzelfall entlasten. Dabei reicht allein die Feststellung eines Augenblicksversagens zur Entlastung nicht (BGH VersR 92, 1085 = NJW 2418), wenn dies auch sonst durchaus ein entlastender Moment sein kann. Daraus folgt, daß in den meisten Fällen eines Rotlichtverstoßes der Versicherungsschutz nach § 61 VVG zu versagen ist.

Von den "üblichen" Rotlichtfällen sind diejenigen zu unterscheiden, bei denen der Verkehrsteilnehmer zunächst anhält und dann wieder an- und weiterfährt, obwohl für ihn weiterhin oder wieder rot gezeigt wird. Auch dann kann nicht generalisiert werden. Es kommt darauf an, was den Fahrer zur Fahrt veranlaßt hat. Er ist insoweit darlegungspflichtig. Rechtfertigt der von ihm vorgetragene Sachverhalt es, sein grob verkehrswidriges Verhalten in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, ist es Sache des Versicherers, ihn zu widerlegen.

Wie die Anhörung des Klägers im Senatstermin ergeben hat, ist er in der Überzeugung, für seine Fahrspur gelte Grünlicht, angefahren. Er hatte sich der Ampelanlage genähert und dem Rotlicht folgend an der Haltelinie angehalten. In der Erwartung, das Rotlicht werde noch einige Zeit fortdauern, hielt er - was er in der konkreten Situation auch durfte - die Ampelanlage nicht ständig im Auge, sondern beobachtete das Verkehrsgeschehen um ihn herum und im Rückspiegel auch das Fahrzeug hinter sich. Er gewann dabei den Eindruck, daß der Fahrer dieses Fahrzeugs sehr dicht auffuhr, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Als er seinen Blick wieder nach vorn richtete, sah er auf das Grünlicht der für die benachbarte Geradeausfahrerspur geltenden Ampelanlage. Dies hat jedenfalls die Erörterung des Sachverhalts auch anhand des Ampelphasenplans und die Anhörung des Klägers im Senatstermin ergeben. Danach steht fest, daß der Kläger, woran er im Senatstermin auch nicht mehr festgehalten hat, nicht ein von Rot/Gelb auf Grünlicht umspringendes Signal für die Geradeausfahrer auf sich bezogen hat, sondern das nach wie vor bestehende Grünlicht für die Geradeausfahrer. Dies ergibt insgesamt eine lebensnahe und einfühlbar geschilderte Situation, die die überhastete und unüberlegte Reaktion des Klägers nachvollziehbar macht und in einem milderen Licht mit der Folge erscheinen läßt, daß der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht mehr angemessen ist. Denn danach hatte der Kläger zunächst vor der haltgebietenden und rotlichtzeigenden Linksabbiegerampel sein Fahrzeug zum Stehen gebracht und damit seine bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verpflichtungen erfüllt, so daß es ihm nicht zum Vorwurf gereichen kann, wenn er seine Aufmerksamkeit momentan anderen Ereignissen zuwandte. In dieser Situation ist es gut nachzuvollziehen, daß er aus der Tatsache, daß das Fahrzeug hinter ihm dicht auffährt und ein Blick nach vorn ihm eine grünlichtzeigende Ampel präsentiert, in ihm der Eindruck aufkommt, als habe er das Umspringen der zuvor rotlichtzeigenden Ampelanlage auf Grünlicht "übersehen" und er sein Fahrzeug überhastet und ohne sich zuvor noch weiter über die nach seinem Eindruck ohnehin unzweifelhafte Ampelsituation zu vergewissern, in Gang setzt. Aus Sicht des Klägers, auf die es bei der Beurteilung grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 61 VVG maßgeblich ankommt, ist es zu dem objektiv groben Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung - das Mißachten des Rotlichts - deshalb gekommen, weil er es zugunsten seiner Verpflichtung aus § 1 StVO, andere Verkehrsteilnehmer möglichst wenig zu behindern, mit überschießendem Eifer nachkommen wollte. Das läßt die objektiv grob verkehrswidrige Fahrweise des Klägers subjektiv in einem milderen Licht erscheinen.

Der danach dem Grunde nach bestehende Anspruch auf Entschädigung besteht in Höhe von 24.600,00 DM. Der Kläger hat dies durch Vorlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens eines von ihm beauftragten Ingenieurbüros substantiiert und nachvollziehbar dargelegt. Daraus ergibt sich, daß bei Reparaturkosten in Höhe von zu erwartenden 44.719,58 DM bei einem der Wiederbeschaffungswert für ein gleichwertiges Fahrzeug von 42.000,00 DM ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt. Unter Anrechnung des Restwerts von 16.750,00 DM und der Selbstbeteiligung von 650,00 DM bei dem nicht zu vorsteuerabzugberechtigten Kläger errechnet sich daraus eine Restentschädigung von 24.600,00 DM, die der Kläger mit der Klage geltend gemacht hat. Soweit die Beklagte unter Hinweis darauf, daß der Kläger lediglich "ein Privatgutachten" vorgelegt habe, den Anspruch der Höhe nach vorsorglich bestritten hat, ist dies nicht substantiiert. Das mit der Klageschrift vorgelegte schriftliche Gutachten umfaßt 6 Textseiten, eine Seite mit Angeboten über die Restwerte sowie neun weitere Textseiten, die eine ins einzelne gehende Kalkulation der zu erwartenden Reparaturkosten enthält, wobei die voraussichtlich erforderlichen Ersatzteile im einzelnen mit Einzelpreisen aufgeführt worden sind und auch die zu erwartenden Arbeitszeiten berücksichtigt sind. Diese Kalkulation ist nachvollziehbar und hätte, soweit dagegen Einwendungen bestehen, substantiiert bestritten werden können. Das schriftliche Gutachten beschreibt das Fahrzeug und die Beschädigungen im einzelnen und ist auch in sich nachvollziehbar. Bei alledem ist der Verfasser ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Fahrzeugbau und von der Industrie- und Handelskammer zu Bonn als Kfz-Sachverständiger für Schäden und Bewertung öffentlich bestellt und vereidigt, so daß auch an der fachlichen Qualifikation des tätig gewordenen Sachverständigen keine erkennbaren Zweifel bestehen.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 ZPO.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Ende der Entscheidung

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