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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.01.2000
Aktenzeichen: 20 U 175/99
Rechtsgebiete: VHB 84


Vorschriften:

VHB 84 § 5
Leitsatz

1) Äußeres Bild von Raub und Einbruch

2) Gewalt muß von dem Opfer als solche empfunden und vom Täter mit dem Ziel der Wegnahme angewandt werden.


OBERLANDESGERICHT HAMM

Im Namen des Volkes Urteil

20 U 175/99 OLG Hamm 16 O 165/99 LG Essen

Verkündet am 21. Januar 2000

Knott, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann und die Richter am Oberlandesgericht Rüther und Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Mai 1999 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Entscheidungsgründe:

Die heute 91 Jahre alte Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Hausratversicherung, der die VHB 84 zugrundeliegen. Unter Beachtung der bedingungsgemäßen Wertgrenzen (40.000,00 DM für Schmuck und 1.500,00 DM für Bargeld) nimmt sie die Beklagte wegen eines Versicherungsfalls in Anspruch, der sich vor dem 28.10.1998 ereignet habe. An diesem Tage erstattete sie Strafanzeige, weil sie das Fehlen von Schmuck, nämlich eines Weißgoldringes, eines Gelbgoldringes, zweier goldener Armbänder mit Anhänger, eines Gliederarmbands, einer goldenen Königskette und einer Gold-Doublé-Armbanduhr sowie Bargelds im Werte von 1.800,00 DM bemerkt hatte. An den Weihnachtstagen 1998 stellte sie außerdem das Fehlen einer doppelreihigen Perlenkette mit Brilliantschloß sowie eines Paares Perlohrringe fest.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe einen Versicherungsfall nicht schlüssig dargelegt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach § 3 Nr. 2 der dem Vertrag zugrundeliegenden VHB 84 sind solche Sachen versichert, die infolge eines Einbruchdiebstahls oder eines Raubes abhanden kommen. Um einen derartigen Anspruch durchzusetzen, braucht ein redlicher Versicherungsnehmer, wie es die Klägerin zweifelsfrei ist, nicht den Vollbeweis zu führen, daß ein Einbruchdiebstahl oder ein Raub vorgelegen haben, denn dies ist bei Straftatbeständen, die sich zum Teil im Verborgenen abspielen, deren Täter aber regelmäßig große Mühe darauf verwenden, unerkannt oder jedenfalls unüberführt zu bleiben, nur in den seltensten Fällen möglich. Es reicht daher in der Regel aus, wenn ein Versicherungsnehmer das äußere Bild eines solchen Versicherungsfalls, mithin Tatsachen darlegt und nötigenfalls beweist, aus denen sich mit hinreichender Sicherheit der Schluß ziehen läßt, daß ein bedingungsgemäß versichertes Ereignis vorgelegen hat.

Dies zugrundegelegt, ergibt sich hier folgendes:

Ein Einbruchdiebstahl kann nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Das ergibt sich bereits aus der Darlegung der Klägerin selbst. Insoweit braucht auch nicht darauf abgestellt zu werden, ob die Klägerin ursprünglich, was sie bei ihrer Anhörung vor dem Senat in Abrede gestellt hat, was aber in der beigezogenen Ermittlungsakte als ihre Äußerung bei Anzeigeerstattung am 28.10.1998 dokumentiert worden ist, den Beamten erklärt habe, sie halte für möglich, daß der oder die Täter die Wertgegenstände aus ihrer Wohnung entwendet hätten, während sie sich im Keller aufgehalten hätte und dabei kurzzeitig die Wohnung unverschlossen gewesen sei. Denn entscheidend ist hier nicht, ob die Klägerin zu irgendeinem Zeitpunkt Tatsachen vorgetragen hat, die die Tatbestandsalternative "Einbruchdiebstahl" zu Fall bringen würden, sondern vielmehr, daß keinerlei Tatsachen ersichtlich sind, aus denen sich der Schluß auf einen versicherten Einbruchdiebstahl ziehen läßt. Aufbruchspuren oder Beschädigungen, wie sie im Falle eines Einbruchs typisch sind, sind weder von der Klägerin berichtet noch von den ermittelnden Beamten festgestellt worden. Soweit diese eine Schublade im Schlafzimmer der Klägerin scheinbar durchwühlt vorgefunden haben, kann ein etwaiger Täter als Spurenleger ausgeschlossen werden. Hier hatte die Klägerin, als sie das Fehlen des Bargeldes bemerkt, selbst nach ihren Wertsachen gesucht. Auch Öffnungen, durch denen ein etwaiger Täter in die Wohnung eingestiegen sein könnte, sind weder von den ermittelnden Beamten festgestellt noch von der Klägerin berichtet worden. Außerdem liegt ein Einsteigen bei der im 2. Obergeschoß gelegenen Wohnung ohnehin eher fern. Dazu, ob ein falscher oder der Klägerin gestohlener Schlüssel entwendet worden sein könnte, fehlt es an entsprechendem Sachvortrag oder an Anhaltspunkten aus der Ermittlungsakte.

Die Klägerin ist der Ansicht, Opfer eines Raubes geworden zu sein, und hat dies in ihrer Berufungsbegründung näher ausgeführt. Dabei legt sie sich darauf fest, daß sämtliche Gegenstände und das Bargeld am 27.10.1998 abhandengekommen seien. Es sei dies ihrer Erinnerung nach der einzig mögliche Zeitpunkt. An diesem Tag sei sie vom Einkaufen gekommen. Das Wetter sei sehr schlecht gewesen und sie habe sich beladen mit Einkaufstaschen mühsam gegen Regen und Wind bis zu ihrer Hauseingangstür vorgearbeitet. Eine ihr bis dahin unbekannte Frau habe dann die Einkaufstaschen genommen und sie ihr unaufgefordert bis in die Wohnung getragen. In der Küche habe die unbekannte Frau ihr ein Glas Wasser gereicht und sie mit der Bemerkung, sie solle sich erst einmal ausruhen, auf einen Stuhl gesetzt. Ob außer dieser Frau noch weitere Personen die Wohnung betreten hätten, wisse die Klägerin nicht, sie halte es aber für möglich. Nach einigen Minuten sei die Frau dann wieder gegangen. Der Schmuck könne nur bei diesem Anlaß mitgenommen worden sein, wobei eine andere Person nach der fremden Frau die Wohnung betreten haben müsse. Sie ist der Ansicht, dieses Verhalten verwirkliche den versicherungsrechtlichen Begriff des Raubes. Indem die Frau sie mit bestimmendem Tonfall und unter Einsatz mäßiger körperlicher Kraft auf die Sitzfläche des Stuhls gedrückt habe, habe sie Gewalt angewandt. Außerdem sei die Klägerin durch den anstrengenden Fußweg bei schlechtem Wetter und das Treppensteigen so erschöpft gewesen, daß sie ohnehin nicht zur Gegenwehr fähig gewesen wäre. Sie will deshalb auch die sogenannte "Ohnmachtsklausel" für sich in Anspruch nehmen.

Dieses Vorbringen verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.

Es ist, auch noch nach Anhörung der Klägerin im Senatstermin, höchst zweifelhaft, zu welchem Zeitpunkt und insbesondere auf welche Weise der Schmuck und das Bargeld abhanden gekommen sind. Die Klägerin selbst kann nur eine Vermutung äußern. Aus den Tatsachen, die sie geschildert hat, kann nur festgestellt werden, daß ein gewisser Zeitraum, in welchem der Schmuck gestohlen worden sein kann, in Betracht kommt. Hinsichtlich der doppelreihigen Perlenkette, deren Verlust die Klägerin erst Weihnachten 1998 bemerkte, kommt der Zeitraum zwischen ihrem Geburtstag am 21. August und Weihnachten 1998 in Betracht. Hinsichtlich der übrigen Gegenstände, die die Klägerin nach ihren Angaben nicht ständig im Safe aufzuheben pflegte, kommt nach dem Akteninhalt als Diebstahlszeitraum die Zeit zwischen dem 29.09.1998 und dem 28.10.1998 in Betracht. Denn deren Fehlen bemerkte die Klägerin definitiv schon am 28.10.1998, während sie die Perlenkette erst Weihnachten vermißte. Diese wiederum trug die Klägerin ausweislich der von ihr vorgelegten Fotos noch am 21.08.1998, während, eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die übrigen Gegenstände noch am 29.09.1998 Vorhanden gewesen sind, denn dieses Datum ergibt sich jedenfalls aus der Quittung über den am selben Tag erfolgten Kauf der Armbanduhr Fabrikat Junghans. Wenn die Klägerin diese Uhr mit den am 28.10. vermißten Gegenstände zusammen aufhob, liegt jedenfalls nahe, daß diese am 29.09. ebenfalls noch vorhanden waren. Dies ist aber gleichzeitig ein Indiz dafür, daß die Klägerin die doppelreihige Perlenkette, die sie im Safe aufzuheben pflegte, jedenfalls am 29.09.1998 nicht bei diesen übrigen Gegenständen liegen hatte. Denn sie gab an, daß sie gerade diese wertvolle Perlenkette üblicherweise in ihrem Safe aufgehoben habe. Eigentlich habe sie nach dem Geburtstag 1998 vorgehabt, die Perlenkette sofort wieder zurückzulegen. Sie müsse das dann aber wohl vergessen haben und sie zu den übrigen Schmuckstücken gelegt haben. Dann hätte ihr nach dem 29.09.1998, als sie die Armbanduhr Fabrikat Junghans erworben hatte und zu den übrigen Schmuckstücken legte, aber auffallen müssen, daß regelwidrig die wertvolle Perlenkette bei den anderen Schmuckstücken lag. Es hätte deshalb nahegelegen, daß die Klägerin die Perlenkette bei diesem Anlaß wieder in den Safe einschloß. Davon berichtete sie aber nichts, obwohl so etwas ein nicht der Regel entsprechendes und deshalb eigentlich gut zu erinnerndes Ereignis gewesen wäre. Nach alledem ist auch aus den Erklärungen der Klägerin völlig unklar, wann die Perlenkette abhandengekommen ist, ob dies insbesondere vor der Anzeigeerstattung am 28.10. der Fall war. Nachdem nämlich eher fernliegt, daß die Perlenkette sich bei den übrigen Schmuckstücken befunden hat, kommt auch der weitere Zeitraum bis zum definitiven Vermissender Kette Weihnachten 1998 durchaus in Betracht. Hinsichtlich der übrigen Gegenstände steht aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin zwar fest, daß sie am 28.10.1998 nicht mehr vorhanden waren; wann sie in den vorangegangenen vier Wochen in Verlust geraten sind, ob das insbesondere am 27.10.1998 der Fall gewesen ist, ist aber nicht hinreichend klar geworden. Vor dem Hintergrund, daß das von der Klägerin berichtete Ereignis vom 27.10.1998 nur das einzige ungewöhnliche Erlebnis war, das die Klägerin zu berichten wußte, können andere Anlässe nicht ausgeschlossen werden. Bei immerhin in Frage kommenden vier Wochen liegen auch andere Gelegenheiten des Abhandenkommens im Bereich des Möglichen.

Darüber hinaus erfüllt das von der Klägerin geschilderte Verhalten der unbekannten Frau am 27.10.1998 den Tatbestand eines bedingungsgemäßen Raubes nicht. Nach § 5 Nr. 2 VHB 84 Liegt ein Raub etwa vor, wenn gegen den Versicherungsnehmer Gewalt angewendet wird, um dessen Widerstand gegen die Wegnahme versicherter Sachen auszuschalten (lit. a)) oder wenn dem Versicherungsnehmer versicherte Sachen weggenommen werden, weil sein körperlicher Zustand infolge einer nicht verschuldeten sonstigen Ursache beeinträchtigt und dadurch seine Widerstandskraft ausgeschaltet ist (lit. c)). Beides liegt nicht vor. Die Klägerin war, folgt man ihrer Darstellung, durch die Unbilden des Wetters, den Fußweg und das Treppensteigen zwar möglicherweise erheblich erschöpft. Widerstandsunfähig i.S.d. sogenannten "Ohnmachtsklausel" war sie damit aber noch nicht, denn danach wird eine völlige Aufhebung der Widerstandskraft vorausgesetzt, während die Klägerin eigentlich nur eine erhebliche Schwächung ihrer Körperkraft infolge Erschöpfung in Anspruch nimmt. Auch Gewalt als Mittel der Wegnahme - unterstellt man als richtig, daß die unbekannte Frau oder eine mit ihr zusammenarbeitende dritte Person zur gleichen Zeit den Schmuck an sich gebracht hätte - liegt nach dem Sachvortrag der Klägerin nicht vor. Insoweit mag die fremde Person zwar Gewalt im Sinne des Einsatzes körperlicher Kraft angewandt haben, um die Klägerin auf die Sitzfläche des Stuhles in der Küche zu drücken. Das verwirklicht aber noch nicht den versicherungsrechtlichen Raubbegriff i.S.v. § 5 Nr. 2 a VHB 84. Denn danach ist eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz der körperlichen Kraft und der Wegnahmehandlung erforderlich. Der Täter muß die Gewalt einsetzen, um die Wegnahme vorzunehmen. Nicht ausreichend ist es, wenn die Gewalt als Mittel zur Täuschung eingesetzt wird, etwa, um dem Geschädigten nicht gewahr werden zu lassen, daß ihm Sachen weggenommen werden sollen. Genau diese Fallkonstellation hat aber nach der Darstellung der Klägerin vorgelegen. Denn danach hat ihr unbekannte Frau ihre Wegnahmeabsicht deren offenes zu Tage treten ansonsten für einen Raub geradezu kennzeichnend ist, der Klägerin gegenüber erfolgreich verborgen und ist ihr als vermeintliche Wohltäterin entgegengetreten, die der Klägerin nicht nur die schweren Einkaufstaschen über zwei Stockwerke bis in die Wohnung getragen, sondern sich danach auch noch um ihr leibliches Wohl gesorgt hat. Irgendwelche feindseligen. Absichten, erst recht eine Wegnahme ihres Eigentums, hat die Klägerin nicht bemerkt. Frühestens einen Tag später, als sie das Fehlen ihrer Schmuckgegenstände bemerkt, wurde sie überhaupt erst argwöhnisch. Dementsprechend hat sie auch das Verhalten der mutmaßlichen Täterin am 27.10.1998 nicht als Gewalt empfunden. Daher liegt es nicht einmal nahe, den Einsatz körperlicher Kraft - das Herunterdrücken der Klägerin auf die Sitzfläche des Stuhles - als in der Absicht erfolgt anzusehen, der Klägerin zu bedeuten, daß sie jedenfalls schwächer sei als die fremde Person und jedweder Widerstand ohnehin zwecklos sei. In diesem Falle hätte die Gewaltanwendung zum Zwecke der Wegnahme zwar näher gelegen. Eine derartige Absicht der vermeintlichen Täterin läßt sich aber nicht feststellen, nachdem nicht einmal die Klägerin selbst am 27.10.1998 das Herunterdrücken auf den Stuhl als eine solche Überlegenheitsdemonstration der fremden Frau empfunden hat. Das wäre aber zu erwarten gewesen, hätte die fremde Frau tatsächlich eine solche Absicht verfolgt.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin mit den sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO ergebenden Nebenfolgen zurückzuweisen.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Ende der Entscheidung

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