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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 20 U 198/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 945
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird dem Berufungskläger folgender Hinweis erteilt:

Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.

Der Senat beabsichtigt, sie durch Beschluß zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Der Verfügungskläger will im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen, die Verfügungsbeklagte zur Übernahme der Kosten einer Lipidapherese-Therapie zu verpflichten.

Der Antragsteller ist beihilfeberechtigt (70 %) und unterhält bei der Verfügungsbeklagten unter der Versicherungsnummer xxxxxxx.x eine private Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif P 30 und Z 30; vereinbart sind die MB/KK 94.

Der Verfügungskläger leidet an einer koronaren Herzkrankheit und an einer angeborenen Fettstoffwechselstörung. Er erlitt im Jahr 2002 zwei Herzinfarkte. Sein ärztlich festgestelltes kardiovaskuläres Risikoprofil ist u.a. durch eine Erhöhung des Lipoprotein(a) gekennzeichnet, die medikamentös suffizient nicht beeinflußbar ist und ohne Behandlung zu einer Progression der bei ihm diagnostizierten generalisierten Arteriosklerose führen kann. Als therapeutische Option zur Senkung des Lipoprotein(a)-Spiegels steht die LDL-Apherese zur Verfügung, die bei dem Verfügungskläger bereits einmal im März 2005 im Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in C P durchgeführt wurde und damals zu einer signifikanten Absenkung des Lipoprotein(a)-Wertes geführt hat.

Dem Verfügungskläger wurde ärztlicherseits die Durchführung einer regelmäßigen Lipidapherese-Therapie zur Bekämpfung einer Progression der Arteriosklerose und zur Vermeidung einer Stentrezidivstenose empfohlen.

Mit Schreiben vom 27.04.2005 teilte die Beihilfestelle dem Verfügungskläger mit, Aufwendungen für eine Lipid-Apherese seien in der Beihilfe berücksichtigungsfähig.

Mit Schreiben vom 27.04.2005 teilte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger mit, eine Auswertung des Arztberichtes des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen vom 01.04.2005 ergebe, daß bei derzeit stabiler koronarer Herzkrankheit die etablierten Indikationen für eine Durchführung der Lipid-Apherese-Therapie bei ihm nicht vorlägen. Im übrigen verwies die Verfügungsbeklagte auf einen Beschluß des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003, wonach eine LDL-Apherese bei isolierter Lipoprotein(a)-Erhöhung eine experimentelle Anwendung sei, die nicht ausreichend wissenschaftlich belegt sei und ausschließlich in kontrollierten Studien durchgeführt werden solle.

Der Verfügungskläger hat behauptet, er befinde sich in einem lebensbedrohten Zustand.

Die Lipidapherese-Therapie müsse pro Woche einmal durchgeführt werden und koste ca. 1.227,00 €, so daß die Verfügungsbeklagte ihm bedingungsgemäß 30 % (= 368,10 €) zu erstatten habe. Er sei als Rentner wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der Therapie zu verauslagen, besitze auch kein Vermögen, so daß die Realisierung eines Kredites nicht in Betracht komme.

Der Verfügungskläger hat beantragt,

die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der regelmäßigen extrakorporalen Lipidapherese-Therapie im vertraglichen Umfang mit sofortiger Wirkung zu ersetzen.

Die Verfügungsbeklagte hat die Zurückweisung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung beantragt.

Das Landgericht hat das Vorliegen eines Verfügungsgrundes verneint und durch das am 26.08.2005 verkündete Urteil den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger greift das Urteil mit der Berufung an.

Er wiederholt seinen Vortrag aus erster Instanz und verfolgt seinen Antrag weiter.

II

Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

Der Verfügungskläger hat keine Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Erfordernis zur Durchsetzung seines Anspruchs auf eine Lipidapherese-Therapie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergeben würde.

1. In der privaten Krankheitskostenversicherung verspricht der Versicherer, dem Versicherungsnehmer die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen zu erstatten (§ 1 (1) a MB/KK).

Die "Aufwendungen", die der Versicherer bedingungsgemäß zu übernehmen hat, entstehen in der privaten Krankheitskostenversicherung in aller Regel als vertragliche Schuld des Versicherungsnehmers für Honorarkosten, Pflegekosten und dergleichen gegenüber dem Arzt, dem Krankenhaus etc.., mithin als Forderung Dritter gegen den Versicherungsnehmer (vgl. Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl. § 178 b VVG, Rn.3).

Ein gerichtlich feststellbarer Anspruch des Versicherungsnehmers auf Leistungen setzt danach regelmäßig die Vorlage von Belegen ("Nachweisen": § 6 (1) MB/KK) voraus; der Versicherer ist grundsätzlich nachleistungspflichtig (Bach, aaO., § 6 MB/KK Rn.1).

Ein Anspruch des Versicherungsnehmers darauf, vor Eingehen eigener Verbindlichkeiten eine Deckungszusage des Versicherers zu erhalten, besteht nach allgemeiner Meinung nicht (Bach, aaO, § 6 MB/KK Rn.1; Schoenfeldt/Kalis in Bach/Moser, aaO., § 1 MB/KK Rn. 88; Prölss in Prölss/Martin, 27. Aufl. § 6 MB/KK 94, Rn.2 a) oder allenfalls in Ausnahmesituationen (OLG Köln, Urt.v. 20.03.1996 - 5 U 121/95 - r+s 1998, 125; OLG Stuttgart, Urt.v. 19.12.1996 - 7 U 196/98 - OLGR Stuttgart 1998, 23; AG Schöneberg, r+s 1999, 520). Als Ausnahmesituaionen werden Fälle angesehen, in denen der Versicherungsnehmer geltend machen kann, er könne das Risiko nicht eingehen, die Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung ganz oder auch nur teilweise allein zu tragen (OLG Stuttgart, aaO.). In einem solchen Fall wird der Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine Überprüfung der Kostenübernahme vorab aus Treu und Glauben abgeleitet.

Da der Verfügungskläger geltend macht, die Behandlungskosten der extrakorporalen Lipidapherese-Therapie überstiegen seine finanziellen Verhältnisse, dürfte ein schutzwürdiges Interesse daran, die Frage der Kostenübernahme ausnahmsweise vorab zu klären, jedenfalls schlüssig behauptet sein; dem hat sich die Verfügungsbeklagte bislang auch nicht verschlossen.

Ob allerdings im Fall des Verfügungsklägers die von der Verfügungsbeklagten bestrittene medizinische Notwendigkeit der Lipidapherese-Therapie vorliegt, kann nicht ohne sachverständige Hilfe und schon gar nicht im Eilverfahren entschieden werden. Die Entscheidung dieser Frage muß offenbleiben und bedarf einer Klärung in einem Hauptsacheverfahren.

2. Der Antrag auf Erlaß der begehrten einstweiligen Verfügung ist unbegründet, weil der Verfügungskläger die Voraussetzungen eines Verfügungsgrundes nicht glaubhaft gemacht hat.

Aus dem oben unter Ziff. II.1 bejahten schutzwürdigen Interesse des Verfügungsklägers an einer Deckungszusage kann nach Treu und Glauben zwar ein Anspruch auf die Prüfung der Kostenübernahme vorab abgeleitet werden; ein Verfügungsgrund ist damit jedoch noch nicht glaubhaft gemacht.

Ein Antrag auf eine Kostenübernahmeerklärung des Versicherers im Wege einer einstweiligen Verfügung wird gemeinhin wegen des Befriedigungscharakters der damit begehrten Leistungsverfügung für unzulässig gehalten (Schoenfeldt/Kalis, aaO. Rn. 87), vorbehaltlich wiederum ganz besonderer Ausnahmen in Einzelfällen, in denen in einer akuten Notlage die begehrte einstweilige Verfügung zur Abwendung schwerwiegender Nachteile und Schäden für Gesundheit, Leib und Leben erforderlich sein kann (vgl. dazu, im konkreten Fall allerdings verneinend, LG Saarbrücken, VersR 1985, 878).

Der Verfügungskläger genügt seiner Darlegungslast zum Verfügungsgrund nicht allein mit der Behauptung, er bedürfe der Lipidapherese-Therapie, um eine Gefährdung für seine Gesundheit abzuwenden. Diese Behauptung gehört vielmehr schon zum Verfügungsanspruch, wie bereits unter Ziff.II.1 dargelegt.

Denn bei der Beurteilung des Verfügungsgrundes kommt es nicht nur auf die Dringlichkeit der angestrebten Behandlung an, sondern zugleich auf die Frage, ob das Kostenrisiko eine zu Gunsten des Verfügungsklägers zunächst als medizinisch notwendig zu unterstellende Behandlung ernstlich verhindert.

Unter "Kostenrisiko" ist dabei nicht das Risiko zu verstehen, überhaupt und endgültig die Kosten der Behandlung zu tragen: Denn über diese Frage ist nicht im Eilverfahren zu entscheiden, sondern im Hauptsacheverfahren. Es geht allein um das Risiko der vorläufigen Übernahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache anfallender Behandlungskosten, wobei überdies § 945 ZPO in den Blick zu nehmen ist: Sollte die medizinische Notwendigkeit der angestrebten Behandlung - wie von der Verfügungsbeklagten behauptet - im Ergebnis zu verneinen sein, bliebe der Verfügungskläger gleichwohl auch dann mit dem Kostenrisiko der Behandlung belastet, wenn seinem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung entsprochen würde. Denn würde sich im Hauptsacheverfahren die einstweilige Verfügung als von Anfang an unberechtigt herausstellen, etwa weil die medizinische Notwendigkeit der Behandlung nicht bewiesen würde, wäre der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten zum Schadenersatz verpflichtet.

Ein Verfügungsgrund käme danach nur dann in Betracht, wenn der Verfügungskläger finanziell außerstande wäre, die von der Beihilfe nicht gedeckten Behandlungskosten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen - was nicht glaubhaft gemacht ist - und wenn die behandelnden Ärzte die Durchführung der von ihnen für medizinisch notwendig erachteten Behandlung von einer Deckungszusage der Verfügungsbeklagten abhängig machen und sich weigern würden, den Verfügungskläger zu behandeln. Davon ist jedoch ohne weitere Darlegung nicht auszugehen, da nach den Erfahrungen des Senats Ärzte in aller Regel die Behandlung von Privatpatienten nicht von einer Deckungszusage des privaten Krankheitskostenversicherers abhängig zu machen pflegen.

Der Verfügungskläger hat seine Einkommens- und Vermögensverhältnissen weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, obwohl er bereits am 16.08.2005 (Vermerk Bl. 18 GA) darauf hingewiesen worden ist, daß es auf seine finanziellen Verhältnisse ankommt. Mithin ist auch nicht glaubhaft gemacht, daß der Verfügungsbeklagte außerstande ist, den Anteil von 30% der anfallenden Behandlungskosten jedenfalls für einen vorübergehenden Zeitraum vorzufinanzieren.

Ob der Verfügungskläger bereits Klage in der Hauptsache erhoben hat, ist nicht ersichtlich, so daß auch nicht abzuschätzen ist, welcher Zeitraum zu überbrücken sein würde. Die Verfügungsbeklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, daß bei einer zeitnah nach der Ablehnung vom 27.04.2005 erhobenen Klage zur Hauptsache inzwischen ein Sachverständigengutachten vorliegen würde; mittlerweile wäre aller Voraussicht nach auch schon eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen.

3. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß auch die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 19.03.2004 (1 BvR 131/04) herausgestellten Grundsätze nicht zu einer anderen Beurteilung führen.

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag der Fall einer einstweiligen Anordnung im Sozialgerichtsverfahren gegen einen gesetzlichen Krankenversicherer zugrunde, in dem zu überprüfen war, ob der negativen Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003 ein Systemversagen zugrunde lag. Diese Frage stellt sich in der privaten Krankenkostenversicherung nicht, da die Entscheidungen des Bundesausschusses nicht maßgebend sind.

Die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen für den vorläufigen Rechtsschutz, die in Fällen schwerer Belastungen der Betroffenen nicht nur eine summarische, sondern eine besonders intensive Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache oder aber eine Folgenabwägung gebieten (so auch schon Beschluß vom 22.11.2002 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236), gelten zwar auch in Verfahren, die Verträge der privaten Krankheitskostenversicherung zum Gegenstand haben. Auf eine negative Beurteilung der Erfolgsaussichten der Hauptsache stützt der Senat indes seine Entscheidung nicht.

Wie oben unter Ziff. II.2 dargestellt, verneint der Senat die Erfolgsaussicht der Berufung, weil der Verfügungskläger in der gewählten Verfahrensart keine endgültige Klärung des Kostenrisikos - nicht einmal für einen bis zur Hauptsacheentscheidung begrenzten Zeitraum erreichen kann und weil er nicht glaubhaft gemacht hat, daß das Kostenrisiko eine als notwendig unterstellte Behandlung ernstlich verhindert.

III.

Der Verfügungskläger erhält Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis binnen einer Frist von 3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (Kostenverzeichnis Nr. 1222) bei einer Berufungsrücknahme sei hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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