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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.05.2001
Aktenzeichen: 20 U 231/98
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 16ff
BGB § 123
1. Kenntnisse des Agenten von Umständen, die bei dem Versicherer eine Nachfragepflicht auslösen würde (Risikoprüfungsobliegenheit), sind dem Versicherer zuzurechnen.

2. Diese Zurechnung entfällt, wenn dem Versicherungsnehmer arglistiges Verhalten vorzuwerfen ist.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 231/98 OLG Hamm

Verkündet am 30. Mai 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 25. August 1998 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung und der Revision werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO):

I.

Die Parteien streiten um den Bestand einer Berufsunfähigkeitsversicherung, konkret um die Frage, ob eine von der Beklagten erklärte Arglistanfechtung wirksam ist.

Am 12.12.1993 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Versicherungsbeginn sollte Februar 1994 sein. Die Beklagte sollte aus der Versicherung ab dem 01.12.2019 eine monatliche Altersrente in Höhe von 485,10 DM zahlen oder wahlweise eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe von 89.882,-- DM. Im Falle der Berufsunfähigkeit sollte keine eigenständige Rente gezahlt werden, sondern als Leistung aus der Berufsunfähigkeitszusatz-Versicherung war nur die Beitragsbefreiung aus der Hauptversicherung vereinbart. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein vom 12.01.1994, Bl. 4 d. A. und die Ablichtung des Antragsformulars, Bl. 30f. d. A., verwiesen. Mit Schreiben vom 23.01.1997 machte der Kläger bei der Beklagten "vorsorglich" Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend, nachdem er einen Autounfall erlitten hatte. Die Beklagte ist aufgrund dieses Schreibens in die Leistungsprüfung eingetreten. Im Rahmen dieser Prüfung hat sie festgestellt, daß der Kläger in der Zeit von Juni bis November 1993 wegen Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig gewesen war und sich vom 03. bis zum 12.09.1993 wegen einer Lumboischialgie in stationärer Behandlung befunden hatte. Dazu fanden sich im Antragsformular vom 12.12.1993 aber keine Angaben. Die Beklagte nahm dies zum Anlaß, mit Schreiben vom 01.07.1997 gegenüber dem Kläger die Anfechtung des Vertrages über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen arglistiger Täuschung zu erklären. Gegen die Wirksamkeit dieser Anfechtung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Er behauptet, den antragsaufnehmenden Agenten bei der Aufnahme des Versicherungsantrags über seine gesundheitlichen Verhältnisse vollständig und zutreffend informiert zu haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat die Beklagte die Anfechtung des Versicherungsvertrages erklärt (§§ 123 BGB, 22 VVG), denn nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger die Agenten der Beklagten nicht zutreffend informiert hat. Insbesondere steht fest, daß er trotz entsprechender Fragen den Krankenhausaufenthalt und die 5-monatige Krankschreibung verschwiegen hat.

Das Antragsformular enthält mehrere Gesundheitsfragen, unter anderem die Frage Nr. 5 und Nr. 11. Diese lauten:

5. Leiden oder litten sie an Krankheiten oder Beschwerden ... der Knochen, Gelenke, Wirbelsäule ..."

11. Sind sie in den letzten 5 Jahren ärztlich untersucht, beraten oder behandelt worden?"

Bei der Frage Nr. 5 ist die Alternative "nein" angekreuzt, bei der Frage Nr. 10 die Alternative "ja", was handschriftlich wie folgt ergänzt wurde: "Blinddarm, Bänderriß 1982 6 Wochen; Routine OB".

Diese Antworten sind definitiv falsch, weil zumindest unvollständig. Ertragt waren auch die Wirbelsäulenbeschwerden sowie der ihretwegen erforderlich gewordene Krankenhausaufenthalt mit entsprechender ärztlicher Behandlung. Auch nach Darstellung des Klägers selbst im Senatstermin sind ihm die Fragen vorgelesen und deshalb auch zur Kenntnis gebracht worden. Seine Angabe, er habe auch den Krankenhausaufenthalt und die Krankschreibung gegenüber dem antragsaufnehmenden Agenten angegeben, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Senatstermin widerlegt. Insbesondere der Agent F. hat glaubhaft dargelegt, daß er als langjährig erfahrener Agent derartigen Angaben gerade im Rahmen von Antragsaufnahmen betreffend Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen erhebliche Bedeutung beimesse und er derartige Angaben, wären sie ihm gemacht worden, sicher aufgenommen hätte. Der Senat hat keinen Anlaß, den Angaben des Zeugen keinen Glauben zu schenken, und ist seiner Aussage gefolgt. Insoweit ist hervorzuheben, daß der Zeuge mit dem Kläger gut bekannt und ihm auch im Senatstermin durchaus wohl gesonnen gewesen ist. An seiner Glaubwürdigkeit bestehen keinerlei begründete Zweifel.

Daß es sich bei Rückenbeschwerden, erst recht, wenn, wie hier, ausdrücklich danach gefragt wurde, sowie bei dem erst wenige Wochen zurückliegenden Krankenhausaufenthalt im Bereich der BU-Versicherung um gefahrerhebliche Umstände gehandelt hat, bedarf keiner näheren Erläuterung.

Wegen der zeitlichen Nähe dieser Behandlung zum Antrag hat der Senat auch keinen Zweifel daran, daß der Kläger die falschen Angaben gemacht bzw. Krankenhausaufenthalt und Arbeitsunfähigkeit verschwiegen hat, weil er auf die Entscheidung des Versicherers in unredlicher Weise Einfluß nehmen wollte, so daß arglistiges Verhalten vorliegt.

Es kann hier offenbleiben, ob, was auch der Zeuge F. in seiner Aussage für möglich, wenn auch nicht für sehr wahrscheinlich bezeichnet hat, der Kläger bei der Antragsaufnahme beiläufig "gelegentliche Rückenschmerzen" erwähnt hat, denen er selbst erkennbar aber kein Gewicht beigemessen haben will und sie somit falsch, weil bagatellisierend, dargestellt, aber zumindest angedeutet hat. In derartigen Fällen bestehen nach der Rechtsprechung des Senats (VersR 2000, 878; NVersZ 2000, 166) und des BGH (VersR 92, 603 (604)) Nachfrageobliegenheiten des Versicherers, deren Nichtbeachtung zur Folge hat, daß ein Versicherer seinen Rücktritt nicht auf Umstände stützen darf (§ 242 BGB), die er bei einer solchen Nachfrage erfahren hätte. Die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung gilt insoweit uneingeschränkt, so daß es grundsätzlich ausreicht, daß der Agent von derartigen Umständen bei der Antragsaufnahme erfahren hat, wenn er sie auch nicht an den Versicherer weitergeleitet hat (Senat a.a.O.). Umstritten ist dagegen die Frage, ob dies auch in den Fällen der Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung beim Vertragsschluß gilt (so aber KG VersR 98, 1362; wohl auch BGH VersR 92, 603 (604)); nicht mehr erwähnt in der neueren, Rücktrittsfälle betreffenden Rechtsprechung des BGH VersR 1993, 871; 1995, 901; 1995, 80 [81] = r+s. 95, 82 [83]); dies noch offen lassend Senat a.a.O.; ablehnend Lücke VersR 94, 129 Knappmann r + s 96, 83).

Nach Auffassung des Senats ist der Versicherungsnehmer bei arglistiger Täuschung nicht schutzwürdig und dem Versicherer die Anfechtung nicht verwehrt. In den dargestellten Rücktrittsfällen gebietet es die besondere Treuepflicht rückzufragen und es wäre unbillig, dem Versicherer die eigene Nachlässigkeit zugute kommen zu lassen. In jenen Fällen ist eine Wertungsentscheidung vorzunehmen, bei denen sich einerseits die Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers und andererseits die Risikoprüfungsobliegenheitsverletzung des Versicherers gegenüberstehen. Hinsichtlich letzterer hat der BGH in seiner Entscheidung VersR 1995, 80ff. ausgeführt. "Es handelt sich ... um eine Obliegenheit des Versicherers, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Nur davon und nicht von einer Risikoprüfungspflicht hat der Senat in seiner Entscheidung vom 25.03.1992 (IV ZR 55/91 -- VersR 1992, 603) gesprochen, die teilweise auf heftigen Widerspruch (Dreher JZ 92, 925 und E. Lorenz VersR 1993, 513) gestoßen ist. Der Senat hat in der genannten Entscheidung mit Bedacht das Wort "gehalten" gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, daß es bei der Risikoprüfung des Versicherers um die Wahrnehmung einer Obliegenheit geht". Das Begriffspaar Anzeigepflichtverletzung (des VN) und Risikoprüfungsobliegenheitsverletzung (des Vers) bezeichnet Verhaltensweisen, die bei wertender Betrachtung annähernd gleichwertig, sind und die im Rahmen der Anwendung des § 242 BGB dazu führen, daß die eine bei gleichzeitigem Vorliegen der anderen folgenlos sein kann. Bei dem Begriffspaar Arglist und Risikoprüfungsobliegenheitsverletzung trifft das dagegen nicht zu. Wer arglistig handelt, hat neben dem zumindest bedingten Täuschungsvorsatz die Absicht, den anderen dadurch in seiner Entscheidung zu beeinflussen. Das ist qualitativ ungleich doloser als Nachlässigkeit bei der Wahrnehmung eigener Interessen. Wer nachweislich täuscht, kann nicht erwarten, daß der Vertrag Bestand hat. Auch wenn der Versicherer die gebotene Prüfung des Antrages unterlassen hat, rechtfertigt dies gegenüber dem Versicherungsnehmer, der arglistig sich den Vertrag erschlichen hat, nicht die Wertung, daß sich der Versicherer nicht auf sein Anfechtungsrecht berufen darf.

Nach alledem war die Berufung des Klägers mit den sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 97 ergebenden Nebenfolgen zurückzuweisen.

Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,-- DM nicht.

Ende der Entscheidung

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