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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.01.2001
Aktenzeichen: 20 U 28/00
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 61
Leitsatz:

Grobe Fahrlässigkeit bei Rotlichtverstoß:

Versicherungsnehmer bei rot angehalten und war dann aus ungeklärter Ursache wieder angefahren.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 28/00 OLG Hamm 5 O 221/99 LG Siegen

Verkündet am 17. Januar 2001

Lammers, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2001 durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, Rüther und Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24. November 1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Gemeinschuldnerin unterhielt bei der Beklagten für das regelmäßig von ihrem damaligen Geschäftsführer, dem Zeugen W, gefahrene Fahrzeug BMW mit dem amtlichen Kennzeichen eine Vollkaskoversicherung, welcher die AKB zugrunde lagen. Sie verlangt von der Beklagten die Erstattung der Reparaturkosten, die an dem genannten Fahrzeug wegen eines Verkehrsunfalls vom 28.08.1998 entstanden sind. An diesem Tag wollte der Zeuge W in Siegen von der Einmündung des Kundenparkplatzes der Firma A in die Hauptstraße einbiegen. Der Verkehrsfluß wird an dieser Einmündung durch eine LZA geregelt. Dabei mißachtete er das für ihn geltende Rotlicht und kollidierte im Kreuzungsbereich mit einem Fahrzeug aus dem Querverkehr, für welches Grünlicht galt. Bevor es zu dem Unfall kam, hatte der Zeuge W mit seinem Fahrzeug an der Haltelinie angehalten, war dann aber trotz fortgeltenden Rotlichts angefahren.

Die Beklagte verweigerte die Regulierung und berief sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls. Auf die Klage der Gemeinschuldnerin hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Gemeinschuldnerin 28.201,03 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.10.1999 zu zahlen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das Verhalten des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin sei subjektiv entschuldbar, da ihm nur ein sog. "Augenblicksversagen" vorgeworfen werden könne. Es habe nur eine kurzzeitige Konzentrationsschwäche vorgelegen. Diese begründe keine grobe Fahrlässigkeit.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie abändernd die Klageabweisung erstrebt. Sie rügt die Aktivlegitimation der Gemeinschuldnerin, beruft sich weiterhin auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls und bestreitet die geltend gemachte Forderung der Höhe nach. Die Gemeinschuldnerin sei vorsteuerabzugsberechtigt, so daß die Mehrwertsteuer nicht geltend gemacht werden könne. Die Selbstbeteiligung von 650,00 DM müsse abgezogen werden. Darüber hinaus verhalte sich das vorgelegte Gutachten auch über Altschäden, die mit dem streitigen Unfall nichts zu tun hätten. Auch diese seien herauszurechnen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet.

Der geltend gemachte Anspruch scheitert allerdings nicht an der fehlenden Aktivlegitimation der Gemeinschuldnerin. Denn den geltend gemachten Bedenken ist jedenfalls dadurch Rechnung getragen worden, daß jetzt Zahlung an die Abtretungsgläubigerin beantragt wird.

Die Beklagte hat sich aber zu Recht auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß § 61 VVG berufen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, daß Rotlichtverstöße wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit, die offensichtlich ist, in der Regel als grob fahrlässig zu qualifizieren sind. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und wer das unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH VersR 1989, 582 (583)). Das Einfahren in eine Kreuzung birgt hohe Gefahren, insbesondere, wenn sie für den Verkehrsteilnehmer durch rotes Ampellicht gesperrt ist. Deshalb sind auch besonders hohe Anforderungen an den Verkehrsteilnehmer zu stellen. Er darf sich nicht von weniger wichtigen Vorgängen und Eindrücken ablenken lassen (BGH VersR 1992, 1085; Senat, VersR 1988, 1260; 95, 92).

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und des Senats gilt für den Begriff der groben Fahrlässigkeit allerdings nicht ein ausschließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive Seite der Verantwortlichkeit betreffen (BGH VersR 92, 1085 m.w.N.). Subjektive Besonderheiten können im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen. Dabei reicht allerdings die Feststellung eines sog. "Augenblicksversagens" allein zur Entlastung nicht, wenn dies auch durchaus ein entlastendes Moment sein kann (BGH VersR 92, 1085; Senat NVersZ 2000, 386).

Ausgangspunkt ist regelmäßig der Sachvortrag des Versicherungsnehmers; die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die das Verdikt der groben Fahrlässigkeit begründen, trifft nämlich den Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG beruft.

Im konkreten Fall ist unstreitig, daß der Zeuge W nachdem er zunächst dem Gebot des Rotlichts folgend an der Haltelinie angehalten hatte, trotz weiterhin bestehenden Rotlichts in den dadurch geschützten Kreuzungsbereich eingefahren ist. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß dies ein objektiv grob fahrlässiges Verhalten darstellt.

Aber auch die subjektive Verschuldenskomponente, die das Verdikt der groben Fahrlässigkeit erst begründet, kann im vorliegenden Fall festgestellt werden. In erster Instanz sind keinerlei Umstände aufgeführt worden, die das objektiv grob fahrlässige Verhalten des Zeuge W in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten. Erst in zweiter Instanz ist dazu etwas vorgetragen worden. Der Zeuge W schilderte, er habe bei Rotlicht zunächst an der Haltelinie angehalten. Er habe die Ampelanlage nicht ständig beobachtet, sondern das übrige Verkehrsgeschehen. Plötzlich habe das hinter ihm stehende Fahrzeug gehupt und er sei in der Ansicht, die Ampel sei zwischenzeitlich bereits auf Grünlicht umgesprungen, angefahren, ohne sich noch einmal dessen zu vergewissern. Ihm sei bewußt gewesen, daß dort nur sehr kurze Grünphasen seien. Diese habe er auf jeden Fall noch wahrnehmen wollen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist widerlegt, daß der Fahrer des unmittelbar dahinter wartenden Fahrzeugs gehupt hat. Es handelt sich dabei um den Zeugen S den der Senat ebenfalls vernommen hat. Dieser konnte sich an das Unfallgeschehen noch gut erinnern, welches sich unmittelbar vor ihm in seinem Blickfeld abspielt und dessen Entwicklung er ebenfalls schildern konnte. Er berichtete, es hätten überhaupt nur zwei Fahrzeuge bei Rotlicht auf den Beginn der Grünphase gewartet, nämlich an erster Stelle der Zeuge W in seinem Fahrzeug und er selbst unmittelbar dahinter. Weitere Fahrzeuge hätten dort nicht gestanden. Plötzlich und unerwartet sei trotz fortbestehenden Rotlichts der Zeuge W mit seinem Fahrzeug wieder an und in den Kreuzungsbereich eingefahren, wo es dann zum Unfall gekommen sei. Er soll durch dieses völlig unerwartete und unmotivierte Verhalten des Zeugen Wild so perplex gewesen, daß er nicht einmal mehr habe hupen können, um ihn zu warnen. Er könne sich auch nicht daran erinnern, daß irgendein anderes Fahrzeug gehupt habe.

Der Senat hat keine Veranlassung, den Angaben des Zeugen nicht zu folgen. Diese waren ersichtlich von einer lebhaften Erinnerung an den Vorfall getragen. Auch gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist nichts zu erinnern. Der Senat hat deshalb entsprechende Feststellungen getroffen. Aufgrund der Angaben des Zeugen S ist der Senat auch davon überzeugt, daß der Zeuge nicht ein anderes, objektiv vorhandenes Hup- oder ähnliches Geräusch auf sich bezogen haben könnte. Denn der Zeuge S hat ein solches, obwohl sensibilisiert, nicht wahrgenommen. Er gab insofern zwar an, sich an das Hupen von jemand anderem "nicht erinnern" zu können. Er empfand andererseits aber das plötzliche und unerwartete Anfahren durch den Zeugen W als objektiv und subjektiv unmotiviert, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn er in nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem Anfahren durch den Zeugen W ein Hupsignal vernommen hätte. Als er wahrnahm, daß der Zeuge W trotz fortbestehenden Rotlicht anfuhr, hielt er ein Hupsignal als zur Warnung angezeigt, war aber selbst nicht mehr in der Lage, das zu tun. Hätte ein anderer Verkehrsteilnehmer zum selben Zeitpunkt das getan, was der Zeuge S für sinnvoll hielt, wäre ihm dies mit Sicherheit im Gedächtnis haften geblieben.

Es findet sich nach alledem außer bloßer Unaufmerksamkeit des Zeugen keine Erklärung dafür, warum er trotz fortbestehenden Rotlichts angefahren ist. Eine unmotivierte Unaufmerksamkeit in einer Situation, die wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit hohe Konzentration und Aufmerksamkeit erforderte, begründet aber in subjektiver Hinsicht das Verdikt grober Fahrlässigkeit.

Der vorliegende Fall ist in subjektiver Hinsicht nicht mit den bereits vom Senat entschiedenen Fällen vergleichbar, in denen der Senat die subjektiven Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit nicht hat feststellen können. Darunter waren namentlich auch solche Fälle, wo Kraftfahrer bei Rotlicht zunächst pflichtgemäß an der Haltelinie angehalten und dann bei fortbestehendem Rotlicht wieder angefahren sind. In jenen Fällen lagen aber jeweils Umstände von besonderem Gewicht vor, die das Nichtbeachten des Rotlichts in einem milderen Licht erscheinen ließen, namentlich, weil sich die jeweiligen Kraftfahrer in einer nicht einfachen Verkehrssituation oder bei verwechselbaren Lichtzeichenanlagen von anderen, ebenfalls wichtigen Verkehrsereignissen, die ihre Aufmerksamkeit verdienten, von der sorgfältigen Beobachtung der Ampelanlage haben ablenken lassen und nur deshalb ein augenblickliches Fehlverhalten vorlag (Senat, NVersZ 2000, 386; NJW-RR 91, 1131; NZV 93, 438). Eine solche Situation lag hier aber ersichtlich nicht vor.

Das angefochtene Urteil war nach alledem abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Ende der Entscheidung

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