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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.08.2000
Aktenzeichen: 20 U 45/00
Rechtsgebiete: VVG, AUB 95


Vorschriften:

VVG § 11
AUB 95 § 11
AUB 95 § 9
Leitsatz

§§ 11 VVG, 11, 9 AUB 95

1)

§ 11 AUB 95 enthält keine allgemeine Fälligkeitsregelung. Er gilt nur, wenn der Vrer anerkennt.

2)

Nach § 11 VVG wird eine Leistung des Vrers bei Ermittlungsmängeln dann fällig, wenn bei sachgerechtem Verhalten die Ermittlungen abgeschlossen gewesen wären.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 45/00 OLG Hamm 15 O 196/98 LG Dortmund

Verkündet am 23. August 2000

Spilker, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das am 11. November 1999 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird zusätzlich verurteilt, an die Klägerin 4 %, Zinsen von 71.000,00 DM für die Zeit vom 12. - 26.10.1999 zu zahlen.

Die Kosten der Berufung werden den Klägern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Kläger sind die Eltern des am tödlich verunglückten B P der bei der Beklagten eine Unfallversicherung abgeschlossen und für den Fall seines Todes die Kläger als Bezugsberechtigte eingesetzt hatte. Die bei Unfalltod zu zahlende Versicherungssumme beträgt 71.000,00 DM. Nach dem Unfall wurde seitens der i Ermittlungsbehörden die Obduktion des Sohnes der Kläger am 22.07.1998 angeordnet.

Die Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 16.09.1998 unter Fristsetzung zum 01.10.1998 zur Zahlung der Versicherungssumme auf, nachdem sie zuvor zwar einen Unfallbericht und die Sterbeurkunde vorgelegt hatten, der weiteren Auflage der Beklagten in deren Schreiben vom 11.09.1998, eine Kopie des Obduktionsberichtes der i Polizei anzufordern und vorzulegen, jedoch nicht nachgekommen waren. Die Beklagte erklärte deshalb mit Schreiben vom 21.10.1998, sie sei zur Prüfung ihrer Leistungspflicht noch auf die ärztlichen Unterlagen, denen die Todesursache zu entnehmen sei, angewiesen, und bat die Kläger erneut, sich um die Beschaffung der Unterlagen zu bemühen.

Die Kläger haben mit der am 24. November 1998 eingereichten Klage Zahlung der Versicherungssumme zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 02. Oktober 1998 verlangt. Mit Schriftsatz vom 29. September 1999, der der Beklagten am 12.10.1999 nebst Anlagen zugestellt worden ist, haben sie den Obduktionsbericht nebst Übersetzung zu den Akten gereicht, nachdem es einem von ihnen in beauftragten Rechtsanwalt gelungen war, eine beglaubigte Kopie dieses Berichts aus den Ermittlungsakten zu erhalten. Am 27.10.1999 zahlte die Beklagte die Versicherungssumme. Die Kläger haben daraufhin den Rechtsstreit in Höhe von 71.000,00 DM in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 3.037,22 DM (= Zinsen von 4 % von 71.000,00 DM für die Zeit vom 02.10.1998 bis 26.10.1999) zu verurteilen und ihr die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen und im übrigen beantragt, die Klage abzuweisen und den Klägern die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Parteien streiten darüber, ob die Versicherungssumme bei Klageerhebung zur Zahlung fällig war und die Beklagte ihre Leistungspflicht habe anerkennen müssen, ohne zuvor Einsicht in den Obduktionsbericht genommen zu haben.

Das Landgericht hat die Klage wegen der Zinsen abgewiesen und den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es hat gemeint, die Versicherungsleistung sei bei Klageerhebung nicht fällig gewesen, denn der Beklagten sei eine abschließende Beurteilung ihrer Eintrittspflicht erst nach Vorlage des Obduktionsberichtes möglich gewesen.

II.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Kläger hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und ist überwiegend unbegründet. Die Beklagte ist lediglich verpflichtet, an die Kläger 4 % Zinsen von 71.000,00 DM für die Zeit vom 12. Oktober 1999 bis 26. Oktober 1999 gemäß § 291 S. 1 2. HS BGB zu zahlen, denn die Versicherungsleistung ist erst nach Klageerhebung im Verlaufe des ersten Rechtszuges am 12. Oktober 1999 fällig geworden. Die Beklagte ist mit der Zahlung nicht in Verzug geraten.

1.

Die Fälligkeit eines Anspruchs auf die Versicherungsleistung richtet sich auch in der Unfallversicherung grundsätzlich nach § 11 VVG und nicht - wie die Kläger wohl meinen - nach der speziellen Regelung des § 11 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AUB 95. § 11 AUB 95 regelt nämlich nicht allgemein die Fälligkeit von Versicherungsleistungen in der Unfallversicherung, sondern nur für die Fälle, in denen der Versicherer positiv über den erhobenen Anspruch entschieden hat. Die Vorschrift bestimmt nicht, was gelten soll, wenn der Versicherer - wie hier - noch keine Erklärung über seine Eintrittspflicht abgegeben hat, sondern dem Anspruchsteller die Beibringung weiterer Unterlagen aufgibt und eine abschließende Erklärung von der Erfüllung dieser Auflagen abhängig macht. In diesem Fall tritt ebenso wie bei einer Ablehnung des Versicherungsanspruchs durch den Versicherer Fälligkeit der Versicherungsleistung nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 VVG ein (vgl. dazu auch BGH NVersZ 2000, 332 zum Eintritt der Fälligkeit bei Ablehnung des Versicherungsanspruchs durch den Versicherer). Nach § 11 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Bearbeitet der Versicherer allerdings die Sache schleppend und zögert die Ermittlungen unnötig heraus, wird die Versicherungsleistung auch ohne Abschluß der Ermittlungen zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die Fälligkeit bei ordnungsgemäßer Bearbeitung eingetreten wäre (vgl. Römer, VVG, § 11 Rdn. 11). Nach dem zu fingierenden Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen ist dem Versicherer keine § 11 Abs. 1 AUB 95 entsprechende Erklärungsfrist von einem Monat mehr einzuräumen; denn § 11 AUB beinhaltet eine gesonderte Fälligkeitsregelung nur für den Fall des Anerkenntnisses.

2.

Vorliegend ist die Versicherungsleistung erst am 12. Oktober 1999 fällig geworden, als die Beklagte von dem Obduktionsbericht, den die i Behörden nach dem Unfalltod des Sohnes der Kläger in Auftrag gegeben haben, Kenntnis genommen hatte.

Zwar waren die Kläger entgegen der entsprechenden Auflage der Beklagten nicht verpflichtet, sich um die Beibringung dieses Berichtes zu bemühen und eine Kopie der Beklagten zugänglich zu machen. Welche Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles vom Versicherungsnehmer zu erfüllen sind, ergibt sich aus § 9 AUB 95. Dazu gehört die Vorlage eines Obduktionsberichtes nicht. Auch wenn dem Versicherer gemäß § 9 Abs. 7 AUB 95 das Recht zu verschaffen ist, eine Obduktion durch einen von ihm beauftragten Arzt vornehmen zu lassen, besagt das nicht, daß der Versicherer berechtigt ist, die Vorlage eines nicht vom Versicherungsnehmer bzw. dessen Erben in Auftrag gegebenen entsprechenden Berichtes zu verlangen. Es ist auch nicht die Aufgabe des Versicherten bzw. seiner Erben, die polizeilichen Ermittlungsakten beizubringen. Ist Einsichtnahme in diese Akten für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers nach dessen Ansicht notwendig, so hat er selbst sich um Akteneinsicht zu bemühen bzw. kann diese durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt einsehen lassen (vgl. Grimm, Unfallrecht, § 11 Rdn. 8). Das gilt auch für einen in den Ermittlungsakten befindlichen Obduktionsbericht.

Da die Beklagte sich nicht selbst um die Vorlage dieses Berichts bzw. Einsichtnahme in die Ermittlungsakten bemüht hat, sondern den Klägern dessen Vorlage aufgegeben hat, ist ihr anzulasten, daß sie den Versicherungsfall nicht sachgerecht bearbeitet, sondern die Erhebungen verzögert hat.

Das hat hier jedoch nicht zur Folge, daß die Versicherungsleistung bereits bei Zahlungsaufforderung seitens der Kläger am 16.09.1998 fällig war und die Beklagte mit Ablauf der gesetzten Frist zum 01.10.1998 in Verzug geraten ist. Die Versicherungsleistung ist vielmehr erst zu dem Zeitpunkt fällig geworden, zu dem bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Falles seitens der Beklagten ein Abschluß der Ermittlungen zur Feststellung ihrer Einstandspflicht eingetreten wäre, das heißt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagten bei entsprechenden eigenen Bemühungen Einsicht in die Ermittlungsakten bzw. Vorlage des Obduktionsberichtes gelungen wäre. Es kann aber nicht festgestellt werden, daß es der Beklagten bei ordnungsgemäßer Bearbeitung der Sache zu einem früheren Zeitpunkt als dem 12. Oktober 1999 gelungen wäre, Einsicht in den Obduktionsbericht zu nehmen. Die Kläger haben anschaulich geschildert, daß es dem von ihnen eingeschalteten i Rechtsanwalt bis zum 28.06.1999 nicht gelungen war, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen, und zwar trotz vieler Schreiben, Telefonanrufe und persönlicher Vorsprachen. Das belegt auch die von den Klägern überreichte Korrespondenz. Es ist deshalb nicht vorstellbar, daß entsprechende Vorsprachen und Gesuche eines von der Beklagten als Versicherer eingeschalteten Rechtsanwalts schneller zum Erfolg geführt hätten und daß die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt als dem 12.10.1999 in den Obduktionsbericht hätte Einsicht nehmen können.

Entgegen der Ansicht der Kläger bedurfte es auch der Einsichtnahme in den Obduktionsbericht zum Abschluß der Ermittlungen der Beklagten, denn diese konnte sich nicht unbhängig von der Kenntnis dessen Inhalts über ihre Einstandspflicht erklären. Aus dem Obduktionsbericht hätten sich nämlich Anhaltspunkte für eine Ablehnung der Leistungspflicht ergeben können, beispielsweise aufgrund einer Alkohol- oder Drogenbeeinflussung des Getöteten, auch wenn dafür nach dem übrigen Ergebnis der Ermittlungen keine Anzeichen bestanden und der Unfall als Todesursache nicht zweifelhaft war.

Als Fälligkeitszeitpunkt ist deshalb der 12.10.1999 - Zustellung des Obduktionsberichtes an die Beklagte - zu fingieren. Von diesem Zeitpunkt an stehen den Klägern 4 % Zinsen von 71.000,00 DM gemäß § 291 S. 1 2. HS BGB zu, das heißt für die Zeit vom 12.10.1999 bis zum 26.10.1999.

3.

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, waren den Klägern die Kosten gemäß § 91 a ZPO aufzuerlegen, denn die Klage war bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses wegen fehlender Fälligkeit der Forderung unbegründet. Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziff. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Beschwer beider Parteien liegt unter 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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