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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 04.07.2001
Aktenzeichen: 20 U 46/01
Rechtsgebiete: VVG, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 1
VVG § 49
AKB § 12 Nr. 1 I lit. b
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 46/01 OLG Hamm

Verkündet am 04. Juli 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 04. Juli 2001 durch die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und die Richter am Oberlandesgericht Rüther und Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Januar 2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Teilkaskoversicherung auf Zahlung einer Diebstahlsentschädigung für sein versichertes Fahrzeug Mercedes-Benz 260 E (Erstzulassung am 23.11.1990) in Anspruch.

Er behauptet, seine Ehefrau habe den Wagen am 07.01.2000 gegen 20.00 Uhr in B. am B. Platz (Parkplätze vor der Sporthalle des ... -Gymnasiums) abgestellt und ihn am 08.01.2000 gegen 01.00 Uhr am Abstellort nicht mehr vorgefunden.

Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Sie bestreitet den Diebstahl und beruft sich überdies auf Leistungsfreiheit wegen mehrfacher Aufklärungsobliegenheitsverletzungen (Falschangaben zur Kilometerleistung, zum Anschaffungspreis und zu den Fahrzeugschlüsseln).

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe Falschangaben zum Kaufpreis gemacht. Die gegen dieses Urteil gerichtete zulässige Berufung des Klägers hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Beklagte ist ihm nicht gem. §§ 1, 49 VVG, 12 Nr. 1 I lit. b AKB zur Entwendungsentschädigung verpflichtet.

Die Beklagte ist wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung (§ 7 I Nr. 2 S. 3 AKB) von ihrer Leistungspflicht frei geworden (§§ 7 V Nr. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG). Insoweit kann offenbleiben, ob dies im Anschluß an das Landgericht mit Falschangaben des Klägers zum Kaufpreis des versicherten Fahrzeugs begründbar ist. Zumindest fallen dem Kläger unrichtige Angaben zur Laufleistung und zur Nachschlüsselfertigung zur Last, die die Leistungsfreiheit des Versicherers rechtfertigen.

1.

In der ersten Schadenmeldung (Bl. 33 d.A.) ist der erfragte "km-Stand" des versicherten Fahrzeugs mit 113.000 angegeben. In dem -- zeitlich später -- von der Ehefrau des Klägers ausgefüllten und von ihm am 22.01.2000 unterschriebenen umfangreichen Fragebogen der Beklagten (Bl. 36ff. d.A.) ist die Frage nach der "Gesamtkilometerlaufleistung" unbeantwortet geblieben. Auf Nachfrage der Beklagten hat der Kläger dem Agenten B. gegenüber am 17.03.2000 telefonisch eine Gesamtleistung von 117.000 km genannt, die jener daraufhin ins Fragebogenformular eintrug (Bl. 41 d.A.). Am 19.03.2000 bestätigte der Kläger schriftlich noch einmal einen Kilometerstand von "ca. 117.000" (Bl. 156 d.A.).

Beide Kilometerangaben (113.000 und 117.000) waren objektiv falsch. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, daß die Gesamtkilometerlaufleistung des versicherten Fahrzeugs zum angeblichen Diebstahlszeitpunkt 07./08.01.2000 mindestens 132.000 km betrug.

Die Nachforschungen der Beklagten haben ergeben, daß der Wagen des Klägers am 14.01.1998 beim TÜV B. vorgeführt worden ist; in dem darüber erstellten TÜV-Bericht (Bl. 43 d.A.) ist als Kilometerstand handschriftlich eingetragen: 123.390. Die Behauptung des Klägers, es müsse sich dabei um einen Ablese- oder Übertragungsfehler des TÜV-Prüfers M. gehandelt haben, ist widerlegt.

Nicht ohne Plausibilität weist die Beklagte daraufhin, daß in der Zeit von Januar 1996 (Fahrzeugerwerb durch den Kläger bei einem Kilometerstand von unstreitig 75.700) bis Oktober 1996 (Kilometerstand 93.266 lt. Schadensmeldung und Rechnung vom 22.10.1996) insgesamt 17.566 km zurückgelegt worden sind. Das macht monatlich ca. 1.890 km und jährlich ca. 22.680 km aus. Hochgerechnet auf Januar 1998 (TÜV-Termin am 14.01.1998) ergibt dies 75.700 km + 22.650 km + 22.650 km = ca. 121.000 km. Diese hochgerechnete Zahl paßt zu der im TÜV-Bericht vermerkten Laufleistung von 123.390 km. Darüber hinaus hat der Zeuge M. vor dem Senat bekundet: Die Mitarbeiter des TÜV B. seien angehalten, den Kilometerstand der geprüften Fahrzeuge genau einzutragen.

Daran halte er sich; die Ablesung sei für ihn wichtig. Am Schluß einer jeden Prüfung lese er den Kilometerstand ab und trage ihn sofort in den Prüfbericht ein. Einen Ablese- oder Übertragungsfehler halte er für unwahrscheinlich. Die Eintragungen nehme er stets unmittelbar nach dem Ablesevorgang auf einem Schreibpult vor, das direkt neben der Hebebühne stehe. Diese klaren Angaben des Zeugen sind glaubhaft. Nach Lage der Dinge ist der Senat davon überzeugt, daß der Zeuge M. sich auch bei der Prüfung des versicherten Fahrzeugs am 14.01.1998 entsprechend seiner ständigen Übung sorgfältig verhalten und deshalb den von ihm abgelesenen Kilometerstand korrekt in den Prüfbericht eingetragen hat.

Die Bekundung des Zeugen J. B. war nicht geeignet, die Richtigkeit der Zeugenaussage M. in Zweifel zu ziehen. Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat sein Bruder J. nicht aus eigener Wahrnehmung bestätigen können, daß das versicherte Fahrzeug zum Diebstahlszeitpunkt nicht mehr als 117.000 km gefahren hatte. Der Zeuge J. B. hat vielmehr bekundet, eine eigene Erinnerung an bestimmte Tachometerstande nicht zu haben. Die von ihm geäußerte Schlußfolgerung, die Laufleistung sei auf keinen Fall höher als 120.000 km gewesen, weil er die 120.000 km-Inspektion nicht vorgenommen habe, ist eine bloße Vermutung und als solche nicht ausreichend, die Beweiswürdigung des Senats im Sinne des Sachvortrags der Beklagten zu hindern.

Ist somit zum 14.01.1998 von einer Gesamtlaufleistung des versicherten Fahrzeugs von 123.390 km auszugehen, so hat diese sich zum Diebstahlszeitpunkt auf mindestens 132.000 km erhöht. Nach seinen eigenen Angaben ist der Kläger, seit er das Fahrzeug seines Schwiegervaters wegen dessen schwerer Erkrankung mitbenutzen konnte, mit dem versicherten Wagen jährlich 4.000 km bis 5.000 km gefahren, also durchschnittlich 4.500 km pro Jahr. Daraus errechnet sich für die zwei Jahre zwischen TÜV-Vorführung und Diebstahl eine Mehrleistung von ca. 9.000 km.

Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die Abweichung der angegebenen Gesamtleistung von 113.000 km bzw. 117.000 km gegenüber einer tatsächlichen Leistung von 132.000 km bei weitem außerhalb der üblichen Schätztoleranzen liegt. Damit ist eine objektive Falschangabe gegeben. Die gesetzliche Vorsatzvermutung (§ 6 Abs. 3 VVG) ist nicht widerlegt.

2.

Objektiv unrichtig ist auch die Verneinung der im Fragebogen vom 22.01.2000 (Bl. 36ff. d.A.) von der Beklagten gestellten Frage nach der Anfertigung von Ersatzschlüsseln. Unstreitig haben die Eheleute B. mindestens einen Nachschlüssel fertigen lassen.

Der Kläger -- vom Senat dazu befragt -- hat zur Erklärung seiner unrichtigen Angabe lediglich angegeben, er habe an die Nachschlüsselfertigung, weil für ihn unwichtig, nicht gedacht. Damit läßt sich der gesetzlich vermutete Vorsatz (§ 6 Abs. 3 VVG) nicht widerlegen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger auch die im gleichen Formular enthaltene Frage nach Vorschäden zu Unrecht verneint hat, weil es zwei -- von der Beklagten regulierte -- Windschutzscheibenschäden gegeben hat. Es mag sein, daß der Kläger es bei der Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen, was Vorsatz ausschließen würde. Bewiesen hat er dies jedoch nicht.

3.

Auch die Voraussetzungen der sog. Relevanzrechtsprechung liegen vor.

Die Falschangaben waren generell geeignet, berechtigte Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden. Ein minder schweres Verschulden des Klägers ist nicht feststellbar. Die erforderliche Belehrung dahin, daß bewußt unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes auch dann führen können, wenn dem Versicherer hierdurch kein Schaden entsteht, ist zumindest im Fragebogenformular vom 22.01.2000 -- inhaltlich korrekt und äußerlich auffällig in Dickdruck -- enthalten (Bl. 39 d.A.). Zu einer Wiederholung der Belehrung aus Anlaß der klärenden Nachfrage der Beklagten durch den Agenten am 17.03.2000 bestand keine Notwendigkeit.

4.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kam es nicht mehr darauf an, ob der Kläger das äußere Bild der behaupteten Fahrzeugentwendung beweisen kann.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Beschwer des Klägers beträgt 12.300,00 DM.

Ende der Entscheidung

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