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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.11.2003
Aktenzeichen: 20 U 56/03
Rechtsgebiete: GOZ
Vorschriften:
GOZ § 6 |
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 13.1.2003 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil wie folgt abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Krankenkostenversicherung in Anspruch.
Die Parteien sind darüber einig, dass der Kläger nach den vereinbarten Tarifen Anspruch auf Erstattung von 100 % einer - wie hier unstreitig - medizinisch notwendigen ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung hat.
Der Kläger befand sich in der Zeit vom 21.5.1999 bis zum 2.6.1999 bei dem Zahnarzt Dr. P. in zahnärztlicher Behandlung. Er erhielt dort in insgesamt sieben Sitzungen, u.a. eine Behandlung mit dem Schmelz-Matrix-Protein "Emdogain".
Dr. P. liquidierte für seine Behandlung teilweise auf der Grundlage der GOÄ und verwies auf § 6 Abs. 1 GOZ.
Aus der Rechnung vom 7.6.1999 über insgesamt 23.080,89 DM erstattete die Beklagte lediglich 11.833,89 DM, so dass noch ein Betrag von 11.247,60 DM (5.750,81 Euro) offen ist.
Dr. P. berechnete folgende zwischen den Parteien streitige Positionen:
26 x 2442 GOÄ | 9.336,60 DM | Aufbringen von Emdogain |
21 x 2675 GOÄ | 7.122,15 DM | Partielle Vestibulumplastik |
7 x 444 GOÄ | 1.037,40 DM | ambulanter OP-Zuschlag |
17.496,15 DM |
Demgegenüber hielt die Beklagte eine Abrechnung nicht nach GOÄ, sondern nach GOZ für richtig und erstattete auf folgender Basis:
26 x 411 GOZ 3,5fach | 1.801,80 DM | Aufbringen von Emdogain |
21 x 324 GOZ 3,5fach | 4.446,75 DM | Partielle Vestibulumplastik |
6.248,55 DM |
Die Differenz von 11.247,60 DM (17.496,15 DM ./. 6.148,55 DM) ist offen und Gegenstand des Rechtsstreits.
Das LG hat den behandelnden Zahnarzt Dr. P. als Zeugen gehört und ein Gutachten des SV Prof. Dr. M. eingeholt.
Auf der Grundlage des Gutachtens Prof. Dr. M. hat das LG das Aufbringen von Emdogain nach der Gebührenziffer 2442 GOÄ für angemessen berechnet erachtet und im Übrigen die Abrechnung der Leistungen nach GOZ als vertragsgemäß angesehen.
Wegen der Begründung sowie wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand in erster Instanz wird auf das am 13.1.2003 verkündete Urteil Bezug genommen.
Beide Parteien greifen dieses Urteil unter Wiederholung und Vertiefung der schon erstinstanzlich vertretenen Ansichten mit der Berufung an. Der Kläger verfolgt sein Klageziel weiter, soweit dem in erster Instanz nicht entsprochen worden ist. Die Beklagte verfolgt das Ziel vollständiger Klageabweisung.
II. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, wohingegen die Berufung des Klägers unbegründet ist.
1. Aufbringen von Emdogain - Berufung der Beklagten
Das Aufbringen von Emdogain ist nach der Gebührenziffer 411 GOZ abzurechnen, nicht hingegen nach Ziff. 2442 GOÄ. Die Klage ist daher auch hinsichtlich der erstinstanzlich zuerkannten 3.852,48 Euro unbegründet, so dass das landgerichtliche Urteil entsprechend abzuändern war.
Die Behandlung mit Emdogain entspricht unstreitig einer neueren Entwicklung in der Parodontaltherapie, die bei der Fassung der GOZ im Jahr 1988 noch nicht bekannt war, so dass sie auch nicht in einer einschlägigen Gebührenziffer berücksichtigt werden konnte. Für zahnärztliche Leistungen, die erst nach dem In-Kraft-Treten der GOZ entwickelt wurden oder werden, ist § 6 Abs. 2 GOZ einschlägig. Die Abrechnung hat danach in analoger Anwendung einer anderen, nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses der GOZ zu erfolgen.
Entgegen der von dem Kläger vertretenen Auffassung ist die Leistung "Aufbringen von Emdogain" nicht unter § 6 Abs. 1 GOZ i.V.m. der Gebührenziffer 2442 GOÄ zu subsumieren.
Die Gebührenziffer Nr. 2442 GOÄ ist einschlägig bei einer Implantation alloplastischen Materials zur Weichteilunterfutterung. Nun ist zwar Emdogain ein alloplastisches Material; es wird jedoch nicht zur Weichteilunterfütterung implantiert. Vielmehr wird Emdogain auf die gereinigte und mit Säure vorbehandelte Wurzeloberfläche in Gelform aufgetragen, fällt dort aus und haftet dort an. Über die Ansiedlung von zementbildenden Zellen sollen sich sodann über Wochen gewebliche Strukturen des Zahnhalteapparats ausbilden (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, Anh. GTR-Technik, GOZ V-5. 1-240).
Die Leistungsbeschreibung der Ziff. 2442 GOÄ erfasst mithin nicht die Leistung "Aufbringen von Emdogain", sondern eine Abrechnung nach Ziff. 2442 GOÄ wäre nur im Wege einer Analogie denkbar.
Eine analoge Anwendung von Gebührenziffern der in § 6 Abs. 1 GOZ näher beschriebenen Abschnitte der GOÄ auf zahnärztliche Leistungen ist jedoch in § 6 Abs. 1 GOZ nicht vorgesehen. Die Auflistung in § 6 Abs. 1 GOZ ist abschließend (so auch Meurer, GOZ, 2. Aufl. § 6 Anm. 2); eine Ausweitung der dem Zahnarzt nach § 6 Abs. 1 GOZ geöffneten Bereiche der GOÄ im Wege der Analogie ist nach der Systematik der GOZ nicht vorgesehen.
Es fehlt - jedenfalls für bei Abfassung der GOZ 1988 unbekannte Therapien - bereits an einer Regelungslücke als der unabdingbaren Voraussetzung für eine zulässige Analogie. Eine (Verordnungs-)Lücke ist schon deswegen nicht auszumachen, weil § 6 Abs. 2 GOZ einschlägig ist und auf die analoge Anwendung gleichwertiger Leistungen des Gebührenverzeichnisses der GOZ, nicht jedoch der GOÄ verweist. Dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 GOZ nach ist eine Heranziehung der GOÄ im Wege der Analogie unzulässig (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, § 6 Rz. 14).
Soweit die Kommentierung gleichwohl entgegen dem Wortlaut der Verordnung eine Analogie zu Gebührennummern auch der GOÄ für möglich hält (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, § 6 Rz. 14) und dem Zahnarzt gar ein Wahlrecht einräumt (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, § 6 Rz. 8), wird dies auf der Grundlage der - nach Auffassung des Senats unzutreffenden - These gefolgert, dass die GOZ nicht alle berechnungsfähigen zahnärztlichen Leistungen enthalte (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, § 6 Rz. 3 f.).
Diese These widerspricht dem ausdrücklich erklärten Gestaltungswillen des Verordnungsgebers. In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 6 Abs. 2 GOZ (abgedr. bei Meurer, GOZ, 2. Aufl., S. 33) heißt es:
Die im Gebührenverzeichnis enthaltenen und die nach § 6 Abs. 1 für abrechnungsfahig erklärten Leistungen decken das Spektrum der wissenschaftlich allgemein anerkannten zahnärztlichen Leistungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Leistungen, die der Verordnungsgeber in Kenntnis der bisher gebräuchlichen Analogie-Listen nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommen hat, können nach Erlass der neuen GOZ nicht mehr in Rechnung gestellt werden.
Demnach wurden ausdrücklich und bewusst bekannte und nach früheren Analogie-Listen abgerechnete Leistungen nicht in das Leistungsverzeichnis aufgenommen, so dass von einer planwidrigen Unvollständigkeit (so aber Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, § 6 Rz. 5) gerade nicht auszugehen ist.
Auf der Grundlage des eindeutigen Verordnungswortlauts wird daher auch vertreten, dass die Gebührenziffern der GOZ, ergänzt um solche aus der GOÄ gem. § 6 Abs. 1 GOZ, vollständig und abschließend sind und Analogien über den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 GOZ hinaus nicht zulassen (Meurer, GOZ, 2. Aufl., § 6 Anm. 5). Dieser Meinung schließt sich der Senat an.
Als Abrechnungsziffer, die bei Aufbringen von Emdogain analog herangezogen werden kann, bietet sich GOZ 411 an. Die Analogie wird sowohl vom Infozentrum der Zahnmedizin im Internet (vgl. Bl. 160 GA) als auch von der Zahnärztekammer Berlin (Bl. 316 GA) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (Bl. 317 GA) empfohlen. Zwar sind diese Empfehlungen nicht verbindlich, und der Zahnarzt hat die Analogiebewertung seiner Leistung eigenverantwortlich auszuwählen und zu begründen. Da jedoch Dr. P. eine andere Gebührenziffer aus der GOZ nicht aufgezeigt hat, legt der Senat die allgemein empfohlene Gebührenziffer 411 GOZ seiner Entscheidung zu Grunde.
Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. in seinem in erster Instanz eingeholten Gutachten rechtfertigen nicht die Abrechnung nach der Gebührenziffer 2442 GOÄ.
Wie bereits ausgeführt, sieht der Senat aus Rechtsgründen eine Analogie zu der GOÄ-Position 2442 als unzulässig an. Auf die Kriterien des Aufwandes und der Komplexität der Behandlungsmaßnahme, die für den Sachverständigen ausschlaggebend waren, kommt es für die Frage, ob eine Analogie zulässig ist, nicht an. Der Aufwand und die Komplexität der Behandlung können mit der Wahl des Steigerungssatzes angemessen berücksichtigt werden; die Beklagte hat mit der Abrechnung der Ziff. 411 mit dem 3,5fachen Steigerungssatz der ggü. einer normalen Auffüllung von Knochendefekten höheren Komplexität der Emdogain-Behandlung Rechnung getragen.
2. Vestibülumplastik - Berufung des Klägers
Der Senat teilt die Ansicht des LG, dass die Vestibulumplastiken nach der Gebührenziffer 324 GOZ und nicht nach Ziff. 2675 GOÄ abzurechnen sind.
Lokal begrenzte Mundvorhof- bzw. Mundbodenplastiken werden bei kleinerem Operationsumfang nach der GOZ-Nr. 324 und lediglich bei größerem Operationsumfang nach der GOÄ-Nr. 2675 berechnet (Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, V 3.1-164). Das ergibt sich aus der Leistungslegende zu GOZ-Nr. 324.
Der behandelnde Zahnarzt Dr. P. in hat als Zeuge bestätigt, dass er jeweils nur im Bereich eines einzelnen Zahnes kleine Areale des Schleimhautgewebes durchtrennt und sodann durch eine kleine Naht stabilisiert hat. Ein größerer Operationsumfang, der eine Abrechnung nach GOÄ-Nr. 2675 rechtfertigen würde, ist danach auszuschließen.
Entsprechend hat auch der Sachverständige Prof. Dr. M. den Operationsaufwand eingeschätzt.
Die Berufungsangriffe des Klägers rechtfertigen keine andere Entscheidung. Die Berufung verkennt die Bedeutung des Wortes "partiell".
Die Leistungslegende zu Ziff. 324 GOZ beschreibt eine "Vestibulum- oder Mundbodenplastik kleineren Umfangs", wie sie nach der Bekundung des Zeugen Dr. P. von diesem ausgeführt worden ist. Hingegen beschreibt die Legende zu Ziff. 2675 GOÄ eine "Partielle Vestibulum- oder Mundbodenplastik ...", wobei der Begriff "partiell" der Unterscheidung zu der in Ziff. 2676 GOÄ beschriebenen "Totalen Mundboden- oder Vestibulumplastik ..." dient, bei der der gesamte Kiefer behandelt wird.
Dass ein kleiner Eingriff im Bereich eines einzelnen Zahnes, bezogen auf den gesamten Kiefer, immer auch ein "partieller" Eingriff ist, rechtfertigt nicht die Anwendung der Gebührenziffer 2675 GOÄ auch auf kleine Eingriffe. Es erschließt sich dem Senat nicht, welche "nicht partielle" kleine Maßnahme nach den Vorstellungen der Berufungsbegründung der Gebührenziffer 324 GOZ unterfallen sollte.
Da mithin die Eingriffe jeweils nach 324 GOZ abzurechnen waren, entfallt der Ansatz der Ziff. 444 GOÄ, denn die GOZ sieht einen ambulanten OP-Zuschlag nicht vor.
3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 91, 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden (§ 543 Abs. 2 ZPO), da dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Sicherheit einer einheitlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich liegen keine abweichenden Entscheidungen vor - oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung durch das Revisionsgericht geboten erscheinen lassen.
Ende der Entscheidung
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