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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.11.2007
Aktenzeichen: 20 U 64/07
Rechtsgebiete: ZPO, VVG
Vorschriften:
ZPO § 139 | |
VVG § 16 Abs. 1 Satz 2 | |
VVG § 16 Abs. 2 | |
VVG § 16 Abs. 3 |
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. Februar 2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Klage wird - insgesamt - abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten (hauptsächlich) um den Bestand eines Krankenversicherungsvertrages betreffend die Ehefrau des Klägers (Versicherte). Darüber hinaus begehrt der Kläger Rückzahlung gezahlter Prämien (2.420,46 €), Erstattung einer Arztrechnung (205,94 €) sowie Freistellung von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten (305,95 €).
Der Kläger unterhält bereits seit dem 01.05.1999 bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Im Februar 2004 beantragten er und die Versicherte die Erweiterung der bestehenden Versicherung auf die Versicherte und auf zwei Kinder (Zwillinge, geb. am 09.05.2003). Nahezu alle Gesundheitsfragen im Antragsformular wurden verneint. Angegeben wurde aber die Schwangerschaft, die Entbindung per Kaiserschnitt sowie eine Nasenkorrektur.
Unstreitig hatte die Versicherte ab 1999 die Ärztin Dr. G aufgesucht und wurde dort auch wegen Eisenmangel behandelt. Unstreitig besteht bei der Versicherten auch eine Thalassämia minor. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der roten Blutkörperchen, die auf einem Gendefekt beruht. Diese Erkrankung wurde aufgrund einer Blutuntersuchung festgestellt als die Versicherte im Alter von 12 Jahren wegen Darmproblemen im Krankenhaus behandelt werden musste. Der Versicherten wurde im Krankenhaus mitgeteilt, dass diese Erkrankung bei ihr aller Wahrscheinlichkeit nach nicht behandlungsbedürftig sei. Eine Behandlung wegen der Thalassämia minor hat bislang nicht stattgefunden.
Von beiden Umständen (Thalassämia minor und Behandlung wegen des Eisenmangels) erfuhr die Beklagte aus Anlass einer vom Kläger zur Erstattung eingereichten Rechnung von Dr. G vom 22.04.2004. Mit Schreiben vom 26.07.2004 trat die Beklagte vom Vertrag (in Bezug auf die Versicherte) zurück, bot dem Kläger aber an, den Vertrag mit einem Aufschlag in Höhe von 115,26 € weiterzuführen. Dieses Angebot nahm der Kläger unter Vorbehalt an (und zahlt seit dem diesen Aufschlag).
Nach einer Selbstverpflichtungserklärung (Bl. 73 ff. d. A.) des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (zu dem auch die Beklagte gehört) haben sich die Versicherungsunternehmen verpflichtet, die Durchführung von prädikativen Gentests nicht zur Voraussetzung eines Vertragsabschlusses (in der Krankenversicherung) zu machen. Auch die Vorlage freiwillig durchgeführter prädiktiver Gentests soll nicht verlangt werden. In diesem Umfang verzichten die Versicherer auch auf die vorvertragliche Anzeigepflicht gefahrerheblicher Umstände.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass weder die Behandlungen wegen Eisenmangel noch die Thalassämia minor die Beklagte berechtigten, vom Vertrag zurückzutreten.
Der Kläger hat beantragt,
1.) festzustellen, dass der bei der Beklagten unterhaltene Krankenversicherungsvertrag, Nr. xxxxxx 00, mit der zum 01.03.2004 festgesetzten Versicherungsprämie in Höhe von monatlich 641,02 € fortbesteht - zuzüglich für die ursprüngliche Versicherungsgruppe seitdem erfolgter ordnungsgemäßer Erhöhungen - und der Rücktritt der Beklagten vom 26.07.2004 unwirksam ist,
2.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.420,46 € zu zahlen, nebst Zinsen aus 115,26 € seit dem 01.09.2004, sowie aus monatlich jeweils weiteren 115,26 € für den Zeitraum von Oktober 2004 bis Mai 2006, fällig ab dem 01. eines jeden Monats,
3.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 205,94 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2004,
4.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, de Kläger von der Zahlung außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 305,95 freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Anzeigeobliegenheit in Bezug auf den Eisenmangel und auf die Thalassämia minor als (schuldhaft) verletzt angesehen.
Das Landgericht (dessen Urteil in VersR 2007, 636 veröffentlicht ist) hat die Versicherte und die Zeugin Dr. G vernommen und die Beklagte (bis auf einen Teil der Zinsen) antragsgemäß verurteilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar habe der Kläger die Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt. Dies sei aber nicht pflichtwidrig erfolgt, da es sich bei den nicht angegebenen Umständen (Eisenmangel und Thalassämia minor) nicht um gefahrerhebliche Umstände handele. In Bezug auf die Thalassämia minor folge dies aus der Selbstverpflichtungserklärung. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob die genetische Veränderung durch einen Gentest oder durch eine einfache Blutuntersuchung festgestellt werde. Darüber hinaus könne die Gefahrerheblichkeit auch aus anderen Gründen nicht festgestellt werden. Liege die Gefahrerheblichkeit wegen fehlender Behandlungserforderlichkeit oder wegen nur leichterer Behandlungen nicht auf der Hand, sei der Versicherer gehalten, konkret vorzutragen, von welchen Grundsätzen er bei seiner Risikoprüfung ausgehe. Letzteres habe die Beklagte versäumt, da sie ihre Risikoprüfungsgrundsätze für Vertragsannahmen nicht offen gelegt habe. Hierzu sei sie aber verpflichtet gewesen, da es sich bei den nicht angezeigten Umständen lediglich um leichte gesundheitliche Beeinträchtigungen mit geringem - und keinem akuten - Behandlungsbedarf gehandelt habe. Die Versicherte habe nur zeitweise an latentem Eisenmangel gelitten. Auch bei der Thalassämia minor liege die Gefahrerheblichkeit nicht auf der Hand.
Letztlich sei der Rücktritt in Bezug auf den latenten Eisenmangel aufgrund fehlender Kenntnis des Klägers und der Versicherten unwirksam. Die Beklagte habe eine solche Kenntnis nicht bewiesen.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt:
Sowohl der Eisenmangel als auch die Thalassämia minor seien gefahrerheblich. Die Gefahrerheblichkeit liege auch auf der Hand. Die Versicherte sei wegen des Eisenmangels von 1999 bis 2003 insgesamt 6 Mal behandelt worden. Aber selbst wenn die Gefahrerheblichkeit in Bezug auf den Eisenmangel nicht auf der Hand liege, sei die Beklagte zum Rücktritt berechtigt gewesen. Die Beklagte habe hinreichend vorgetragen; jedenfalls habe das Landgericht gegen § 139 ZPO verstoßen. Fehlerhaft sei auch die Bewertung des Landgerichts, wonach nicht bewiesen sei, dass entweder der Kläger oder die Versicherte vom Eisenmangel gewusst hätten.
Die fehlende Gefahrerheblichkeit in Bezug auf die Thalassämia minor könne nicht mit dem Inhalt der Selbstverpflichtungserklärung begründet werden. Diese sei dahingehend auszulegen, dass lediglich Krankheiten bzw. genetische Defekte, die durch prädiktive Gentests festgestellt werden, darunter fielen. Damit sei aber keinesfalls ein Verzicht auf die Berücksichtigung von Ergebnissen von medizinischen Untersuchungen und/oder diagnostischer Gentests generell verbunden. Die Gefahrerheblichkeit der Krankheit Thalassämia minor liege ebenfalls auf der Hand.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil: Weder der Eisenmangel noch die Thalassämia minor stellten Krankheiten, zumindest keine gefahrerheblichen Krankheiten dar. Bei dem Eisenmangel habe es sich um eine offensichtliche belanglose und alsbald vergehende gesundheitliche Beeinträchtigung gehandelt. Die Thalassämia minor sei überhaupt nicht behandlungsbedürftig. Die Selbstverpflichtungserklärung sei vorliegend anwendbar, da die Ehefrau - trotz des Vorliegens eines Gendefektes - nicht akut behandlungsbedürftig sei. Vom Sinn und Zweck sei die Selbstverpflichtungserklärung gerade in einem solchen Fall, wo evtl. in Zukunft Behandlungen erforderlich würden, anwendbar. Denn es ginge um die Bewertung von Zukunftsrisiken. Die Beklagte habe auch in zweiter Instanz ihre Risikoprüfungsrundsätze nicht hinreichend dargelegt. Weder der Kläger noch die Ehefrau wären sich bei Antragsaufnahme des Umstandes bewusst gewesen, dass die Ehefrau Einsentabletten genommen hatte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Feststellungs- Zahlungs- und Freistellungsansprüche nicht zu.
1.) Die Begründetheit sämtlicher Klageanträge des Klägers hängt von der Wirksamkeit des erklärten Rücktritts ab. In Bezug auf die begehrte Feststellung ist dies offensichtlich. Für den Antrag auf Rückzahlung der Mehrprämien folgt das aus dem vom Kläger erklärten Vorbehalt. Ist der Rücktritt unwirksam, hat die Beklagte ungerechtfertigt die Mehrprämien erhalten. Für den Antrag auf Erstattung der Arztrechnung Dr. G gilt, dass die Beklagte insoweit verpflichtet ist, wenn der Rücktritt unwirksam war. Greift der Rücktritt, ist die Beklagte aus diesem Vertrag auch nicht trotz Rücktritts weiterhin verpflichtet (§ 21 VVG). Denn die Behandlung, deren Kosten der Kläger erstattet habe will, erfolgte unstreitig (auch) wegen des Eisenmangels.
2.) Der von der Beklagten erklärte Rücktritt ist wirksam, die Beklagte war zum Rücktritt berechtigt, § 16 Abs. 2 VVG.
a) Unstreitig hat der Kläger (oder was dem gleichsteht die Ehefrau, § 178 a Abs. 3 VVG) die Fragen nach Erkrankungen und /oder ärztliche Behandlungen in den letzten 5 Jahren falsch beantwortet. Denn die - wiederholten - Behandlungen wegen Eisenmangel sowie die Thalassämia minor sind nicht im Antragsformular angegeben worden. Nach der glaubhaften Aussage der vom Landgericht vernommenen Zeugin Dr. G (vgl. Bl. 77 R ff. d. A.) ist die Versicherte erstmals im September 1999 wegen eines Eisenmangels behandelt worden. Da sich der Zustand nicht verbesserte, verschrieb die Zeugin im Oktober 1999 Eisenkapseln und überwies sie an die Hämatologen Dr. T/Dr. K. Auf Veranlassung der Hämatologen führte Dr. G noch im Oktober 1999 eine Firitinbestimmung durch, bei der sich der latente Eisenmangel bestätigte. Im Juni 2001 erfolgte eine weitere Behandlung wegen des Eisenmangels bei der Zeugin Dr. G. Im Februar 2003 stellte sich die Versicherte - bei bestehender Zwillingsschwangerschaft - erneut wegen des Eisenmangels bei der Zeugin vor. Die eigentliche Behandlung erfolgte dann im April 2003 bei Drs. T/K.
Der Kläger stellt auch nicht ernsthaft in Abrede, objektiv die Anzeigepflicht verletzt zu haben.
b) Dieser verschwiegene Umstand war auch gefahrerheblich.
aa) Nach der Legaldefinition des § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG ist ein Umstand gefahrerheblich, wenn er geeignet ist, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Dabei gilt ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt (wie hier: Behandlungen in den letzten fünf Jahren und Krankheiten), im Zweifel als gefahrerheblich. Die erfragen Umstande haben die Vermutung der Gefahrerheblichkeit. In diesen Fällen ist es Sache des Versicherungsnehmers, die Unerheblichkeit der nicht angezeigten Umstände darzulegen und zu beweisen. Allerdings gelten Erleichterungen der Darlegungslast zugunsten des Versicherungsnehmers. Es reicht aus, wenn er pauschal behauptet, der betreffende Umstand sei nicht gefahrerheblich. Es ist dann grds. Sache des Versicherers darzulegen, von welchen Risikoprüfungsgrundsätzen er sich leiten lässt. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Gefahrerheblichkeit bereits auf der Hand liegt. Der Versicherer ist danach nur dann gehalten, seine Risikoprüfungsgrundsätze offen zu legen, wenn es sich um eine Gesundheitsstörung handelt, die offenkundig als leicht einzuordnen, nicht wiederholt aufgetreten ist und deshalb von vornherein keinen Anhalt dafür bietet, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte. Bei der Frage, ob die Gefahrerheblichkeit auf der Hand liegt, sind die anzugebenden Umstände so zugrunde zu legen, wie sie dem Versicherer anzuzeigen waren, ohne dass es insoweit auf eine nachträgliche ärztliche Bewertung dieser Umstände ankommt. Liegt die Gefahrerheblichkeit also nicht auf der Hand, sind somit die Grundsätze entscheidend, von denen sich der Versicherer bei der Risikoprüfung leiten lässt. Daraus folgt, dass die Gefahrerheblichkeit - liegt diese nicht auf der Hand - nicht ohne Kenntnis der - von dem Versicherer darzulegenden - tatsächlichen Geschäftsgrundsätze des Versicherers beurteilt werden kann (BGH VersR 2000, 1486).
bb) Die Gefahrerheblichkeit des Eisenmangels - bei dem es sich ohne Zweifel um eine Erkrankung handelt, wegen derer die Versicherte auch ärztlich behandelt worden ist - liegt nach Auffassung des Senats - und hieran vermögen auch die Ausführungen des Klägers im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17.10.2007 nichts zu ändern - auf der Hand, so dass es auf die Risikoprüfungsgrundsätze der Beklagten nicht ankommt. Selbst wenn man die Behandlung während bzw. aus Anlass der Schwangerschaft außer Betracht lassen würde, ist zu berücksichtigen, dass die Versicherte bei Dr. G innerhalb eines Zeitraumes von knapp 2 Jahren (Oktober 1999 - Juni 2001) vier Mal wegen Eisenmangel und der damit verbundenen Beschwerden behandelt worden und auch die Überweisung zu einem Spezialisten erfolgte (s.o). Mithin ist die Erkrankung somit wiederholt und auch häufig aufgetreten (zur Häufigkeit vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., zu § 16, RdNr. 8) und kann entgegen der Auffassung des Klägers - weder als belanglos noch als "Bagatelle" betrachtet werden. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, diese Gesundheitsstörung habe von vornherein keinen Anhalt dafür geboten, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte (s.o.). Im Grunde spricht alles dafür, dass es sich dabei um ein Grundleiden handelt (ohne dass es aber darauf ankäme). Auf den Umstand, dass "lediglich" - kostengünstige - Eisentabletten verschrieben worden sind, kommt es nicht an. Das kann allenfalls für die Höhe des - vom Versicherer zu übernehmenden oder abzulehnenden - Risikos eine Rolle spielen, nicht aber für die Frage, ob es sich um einen gefahrerheblichen Umstand handelt. Denn es ist Sache des Versicherers zu entscheiden, wie er das Risiko bewertet und welche Konsequenzen er aus der Mittelung eines gefahrerheblichen Umstandes zieht.
c) Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats auch fest, dass die Versicherte Kenntnis vom Eisenmangel und der deswegen durchgeführten Behandlungen hatte. Dr. G hat nach Hinzuziehung der Krankenakte der Versicherten - im Einzelnen glaubhaft bekundet, mit der Versicherten das Problem des Eisenmangels wiederholt erörtert zu haben (Bl. 80 d. A.). Demgegenüber überzeugt die Aussage der Versicherten, sie könne sich nur daran erinnern, Dr. G wegen einer Erkältung aufgesucht zu haben und ihr sei deswegen ein Eisenpräparat verschrieben worden, den Senat nicht. Denn sie will sich an die Eisenmangelbehandlung während der Schwangerschaft Anfang 2003 erinnern, aber nicht an die - nicht erheblich zurückliegenden -Eisenmangelbehandlungen in den Jahren 1999 und 2001. Das ist unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Zeugin G bekundet hat, die Versicherte sei wegen "Schlappheit, Müdigkeit, Kapputsein und Hautblässe" zu ihr gekommen, nicht nachvollziehbar.
d) Der Kläger bzw. die Versicherte handelten auch schuldhaft.
aa) Nach § 16 Abs. 3 VVG ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Anzeige ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben ist. Einfache Fahrlässigkeit genügt; die Beweislast liegt beim Versicherungsnehmer; dieser muss sich also entlasten. Dabei ist der Versicherungsnehmer entlastet, wenn er den nicht angezeigten Umstand für unerheblich halten durfte (BGH VersR 1993, 213).
bb) Der Kläger/die Versicherte haben sich nicht entlastet. Sie behaupten selbst nicht, dass es sich beim Eisenmangel um eine Bagatelle gehandelt habe, so dass sie deshalb davon ausgegangen seien, diesen Umstand nicht angeben zu müssen. Die Argumentation geht vielmehr dahin, sich nicht an die entsprechenden Behandlungen erinnert zu haben. Letzteres ist nach Auffassung des Senats aber widerlegt (s.o.) und vermag den Kläger/die Versicherte nicht zu entlasten.
3.) Danach ist der Rücktritt wegen der verschwiegenen Eisenmangelbehandlungen berechtigt. Auf die - zwischen den Parteien hochstreitige- Relevanz der Nichtangabe der Thalassämia minor kommt es nicht an. Gleichwohl merkt der Senat in diesem Zusammenhang folgendes an:
a) Die fehlende Gefahrerheblichkeit der Erkrankung "Thalassämia minor" lässt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht aus der Selbstverpflichtungserklärung herleiten (unabhängig von der Frage, welche rechtliche Konstruktion angewandt werden könnte, evt. Verzicht analog § 16 Abs. 3 VVG, vgl. Prölss/Martin, aaO, zu § 16 RdNr. 33a und zu § 6 RdNr. 128, oder Treuwidrigkeit). Denn die Selbstverpflichtungserklärung ist vorliegend nicht anwendbar.
Sinn und Zweck der Selbstverpflichtungserklärung ist nach Auffassung des Senats ausschließlich, Gendefekte, die durch prädiktive Test (Gen- oder Bluttests) festgestellt worden sind, beim Abschluss bestimmter Versicherungen (insb. Krankenversicherungen) unberücksichtigt zu lassen. Von einem prädiktiven Gentest spricht man jedoch nur dann, wenn mit dem Test herausgefunden werden soll, ob erbliche Veranlagungen für noch nicht ausgebrochene Erkrankungen vorhanden sind. Im Gegensatz dazu liegt ein diagnostischer Gentest vor, wenn nach einer genetischen Ursache für eine bereits bestehende Krankheit gesucht wird (vgl. Begriffsbestimmung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages v. 15.06.2004 und Kubiak in VersR 2007, 638 in der Anmerkung zum angefochtenen Urteil). Die bei der Klägerin bestehende Thalassämia minor, bei der es sich um eine Erkrankung in Form einer Anämie handelt und die auf einem genetischen Defekt beruht, ist aber nicht durch einen solchen - prädiktiven - Gentest festgestellt worden. Die Erkrankung ist durch einer Blutuntersuchung festgestellt worden, die durchgeführt worden war, um die Darmbeschwerden der Versicherten, derentwegen sie stationär behandelt wurde, zu diagnostizieren. Die Thalassämia minor ist also durch einen diagnostischen (Blut-)Test festgestellt worden. Die Blutuntersuchung diente der Diagnose einer bereits klinisch manifestierten Krankheit. Sinn und Zweck der Selbstverpflichtungserklärung ist es aber nicht, auf die Offenlegung bereits bestehender Erkrankungen (und nicht nur Gendefekte, die zu einer solchen Erkrankung erst führen können) seitens der Versicherer zu verzichten (so auch zutreffend Kubiak aaO).
b) Jedenfalls dürfte sich die Versicherte aber nach § 16 Abs. 3 VVG entlastet haben. Unstreitig ist ihr bei Feststellung der Erkrankung gesagt worden, die Erkrankung sei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht behandlungsbedürftig sei. Eine Behandlung wegen der Thalassämia minor hat bislang auch nicht stattgefunden. Unter diesen Umständen durfte die Versicherte diesen nicht angezeigten Umstand für unerheblich halten (BGH, aaO).
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10. Die Zulassung der Revision war - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht veranlasst (§ 543 ZPO). Zum einen handelt es sich erkennbar um eine Einzelfallentscheidung, so dass keine grundsätzliche Bedeutung gegeben ist; zum anderen ist nicht ersichtlich, dass der Senat von einer eigenen früheren Entscheidung (VersR 2003, 758) oder von einer Entscheidung des BGH (r+s 2003, 336) abweicht. Die vorliegende Erkrankung und die deshalb erforderlichen Behandlungen sind weder als "Bagatelle" noch als "belanglos" zu bewerten (s.o.).
Ende der Entscheidung
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