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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 20 U 70/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 104
BGB § 105
BGB § 105 Abs. 2
BGB §§ 116 ff.
BGB § 119
BGB § 121
BGB § 138
BGB § 164
BGB § 166 Abs. 1
BGB § 166 Abs. 2
BGB § 779
ZPO § 303
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit zwischen den Parteien durch den Prozessvergleich vom 09.05.2008 beendet ist.

Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten (jetzt) um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs und um seine prozessbeendigende Wirkung.

Der Kläger nimmt die Beklagte unter Behauptung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit auf Zahlung eine monatlichen Rente in Höhe von 2.000 DM (=1.022,58 €) sowie auf Beitragsbefreiung aus einer bei der Beklagten genommenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab Mai 2000 in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" (im Folgenden: BB-BUZ, Bl. 212 ff. d. A.) zu Grunde. Versichert ist die Zahlung einer Jahresrente in Höhe von 24.000,00 DM (12.271,01 €) für den Fall bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, sowie Beitragsbefreiung hinsichtlich der Beiträge für die Lebensversicherung (182 DM monatlich, vereinbartes Leistungsende ist in der BUZ der 01.09.2023, in der LV der 01.09.2028, vgl. Bl. 113 d. A.).

Das Landgericht hat - nach Einholung eines neurologischen und eines psychosomatischen/psychiatrischen Gutachtens - die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht geführt habe.

Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens - entsprechend begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 09.05.2008 haben die Parteien - nach umfangreicher Anhörung des Klägers insb. zu der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit - einen Prozessvergleich (mit Widerrufsvorbehalt für die Beklagte) abgeschlossen, wonach die Beklagte zur Abgeltung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 105.000 € an den Kläger zahlt (Bl. 799 d. A.). Die Beklagte hat den Vergleich nicht widerrufen und den Vergleichsbetrag an den Kläger gezahlt.

Der Kläger fühlt sich an den Vergleich nicht (mehr) gebunden und begehrt mit Schriftsatz vom 11.06.2008 die Fortsetzung des Rechtsstreits (Bl. 825 d. A.). Hierzu trägt er vor:

Die Erklärung des - auf seine Weisungen hin handelnden - Prozessbevollmächtigten bzw. des Klägers selbst zum Abschluss des Vergleichs werde widerrufen bzw. angefochten. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs partiell geschäftsunfähig gewesen. Er habe Wochen und Monate vor dem Termin beinahe täglich Antidepressiva, Schmerzmittel und Schlafmittel eingenommen. Am Abend vor dem Senatstermin und um 3.00 Uhr nachts (Bl. 833) habe er jeweils eine Tablette des als Antidepressiva bzw. Beruhigungsmittel wirkenden Medikaments Doxepin-neuraxpharm 25 mg zu sich genommen und am 09.05.2008 um 24.00 Uhr und morgens eine Tablette Ibubeta 800 (Wirkstoff Ibuprofen 800). Aus diesem Grunde sei er nicht in der Lage gewesen, der Verhandlung angemessen zu folgen; sein Urteilsvermögen sei eingeschränkt gewesen. Später sei ihm wieder klar geworden, dass er angesichts seiner Erkrankung keine Arbeitstätigkeit mehr ausüben könne und seine geringe Rente nicht ausreichen würde, um dauerhaft seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Im Übrigen habe sich sein Prozessbevollmächtigter in einem Irrtum über seine - des Klägers - Geschäftsfähigkeit befunden, so dass ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB gegeben sei.

Er sei auch zum Widerruf des Vergleichs (nach § 779 BGB) berechtigt, da der dem Vergleichsvorschlag des Senats zugrunde liegende Sachverhalt, wonach er eine 50 %ige Berufsunfähigkeit nicht bewiesen habe (und auch die Sachverständigen "gegen ihn seien"), unzutreffend sei.

Im Übrigen sei der Vergleich auch sittenwidrig, da dieser unter Ausnutzung seiner Unerfahrenheit und Zwangslage zustande gekommen sei; Leistungen und Gegenleistungen stünden in einem auffälligen Missverhältnis.

Der Kläger beantragt,

1.) festzustellen, dass das Verfahren vor dem OLG nicht durch Vergleich beendet worden ist, da dieser unwirksam ist,

2.) das Verfahren - mit den bisherige Anträgen - fortzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Anträge des Klägers zurückzuweisen und festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den wirksamen Vergleich vom 09.05.2008 erledigt ist.

Gegen die vom Kläger behauptete Geschäftsunfähigkeit spreche der Umstand, dass er diesen Umstand erst mehr als einen Monat nach Abschluss des Vergleichs geltend gemacht habe. Das spreche für Vergleichsreue. Im Übrigen spreche auch der Verlauf des Sitzungstermins eindeutig dagegen (Einzelheiten Bl. 837 d. A.). Widerrufen könne der Kläger den Vergleich wegen des Fehlens eines beiderseitigen Irrtums nicht. Die Voraussetzungen des § 138 BGB lägen erkennbar nicht vor.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers führt nicht zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils. Der Rechtsstreit ist durch den Prozessvergleich vom 09.05.2008 beendet. Der Prozessvergleich ist wirksam.

1.) Macht eine Partei geltend, der geschlossene Prozessvergleich sei (materiell-rechtlich) nichtig oder anfechtbar, so ist der ursprüngliche Rechtsstreit auf Antrag der Partei, die sich auf die Unwirksamkeit des Vergleichs beruft, fortzusetzen. Der Rechtsstreit beschränkt sich zunächst auf die Klärung der Frage, ob der Vergleich wirksam ist oder nicht. Wird die Wirksamkeit des Vergleich und damit auch die Erledigung des Rechtsstreits verneint, so kann hierüber ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO ergehen. Wird der Vergleich als wirksam bewertet, so wird durch Endurteil ausgesprochen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt/beendet ist (BGH NJW 1999, 2903; BGH NJW 1983, 996; BGH MDR 1996; 1286; OLG Köln, NJW-RR 1996, 637; OLG Oldenburg MDR 1997, 781).

2.) Die vom Kläger gegen die Wirksamkeit vorgebrachten Einwendungen der fehlenden Geschäftsfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB), der Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB), des Irrtums über die Vergleichsgrundlage (§ 779 BGB) und der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) erweisen sich als unbegründet.

a) Der Kläger kann sich nicht erfolgreich auf die - zu seinen Gunsten zu unterstellende - vorübergehende Geschäftsunfähigkeit nach § 105 Abs. 2 BGB berufen.

aa) Der Kläger hat hier selbst keine Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs abgegeben. Der Prozessvergleich ist von seinem - auch insoweit bevollmächtigten - Prozessbevollmächtigten als seinem Vertreter nach § 164 BGB geschlossen worden. Der Vertreter gibt jedoch eine eigene Willenserklärung ab; er ist der rechtsgeschäftlich Handelnde. Soweit Fragen der Geschäftsunfähigkeit (als Zustand, in dem eine Willenerklärung überhaupt nicht wirksam abgegeben werden kann) betroffen sind, so ist - nach allgemeinen Grundsätzen - auf die Person des Vertreters und nicht auf die Person des Vertretenen abzustellen (so auch LAG Hessen BeckRS 2007, 40542). Der Kläger behauptet selbst nicht, dass sein Prozessbevollmächtigter geschäftsunfähig war. Auf Mängel der erteilten Vollmacht beruft sich der Kläger ebenfalls nicht.

bb) Aus der Vorschrift des § 166 Abs. 1 BGB folgt nichts Anderes. Die Norm ist nur auf Willensmängel nach § 116 ff. BGB anzuwenden, nicht auf die Regeln über die Geschäftsunfähigkeit nach §§ 104, 105 BGB. Im Übrigen wäre auch dann auf die Person des Vertreters, also auf den Prozessbevollmächtigten abzustellen.

§ 166 Abs. 2 BGB ist ebenfalls nicht einschlägig. Diese Norm bezweckt den Schutz des Geschäftspartners (davor, dass durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes umgangen wird, BGHZ 51, 141; BGHZ 38, 65) und nicht den Schutz des Vertretenen (LAG Hessen aaO).

cc) Daraus folgt, dass ist der Einwand einer Partei, bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts, insbesondere eines gerichtlichen Vergleichs nicht geschäftsfähig gewesen zu sein, von vornherein aussichtslos ist, wenn nicht nur die Partei selbst, sondern gleichzeitig auch ein bevollmächtigter Vertreter an dem Abschluss beteiligt war (so auch Gravenhorst in jurisPR-ArbR 31/2007 Anm. 4).

b) Dem Kläger steht auch kein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB zu. Zum einen dürfte die erstmals mit Schriftsatz vom 14.10.2008 auf § 119 BGB gestützte Anfechtung nicht unverzüglich gemäß § 121 BGB erfolgt sein. Zum anderen berechtigt die als wahr unterstellte - Vorstellung des Prozessbevollmächtigten, der Kläger sei geschäftsfähig, den Kläger nicht zur Irrtumsanfechtung. Denn Wille und Erklärung des Prozessbevollmächtigten stimmen überein. Es handelt sich dabei lediglich um einen nach

§ 119 Abs. 1 BGB unbeachtlichen Motivirrtum. Auf § 119 Abs. 2 BGB kann sich der Kläger ebenfalls nicht stützen. Denn hiervon sind vorübergehende Erscheinungen wie die vorübergehende Geschäftsunfähigkeit - nicht umfasst (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Auflage, zu § 119 RdNr. 23)

c) Die Unwirksamkeit des Prozessvergleichs folgt auch nicht aus § 779 BGB.

Der Kläger macht geltend, der dem Vergleichsvorschlag des Senats zugrunde liegende Sachverhalt, wonach er eine 50 %ige Berufsunfähigkeit nicht bewiesen habe (und auch die Sachverständigen "gegen" ihn seien), sei unzutreffend. Darin sieht er offensichtlich den nach § 779 BGB als "feststehend zugrunde gelegten Sachverhalt". Dabei verkennt der Kläger aber, dass beim Abschluss des Vergleichs naturgemäß nicht davon ausgegangen wurde, der Kläger könne eine 50 %ige Berufsunfähigkeit nicht beweisen. (Zentrale) Grundlage des Vergleichs war vielmehr die bestehende Unsicherheit über die zwischen den Parteien streitige und vom Kläger zu beweisende Berufsunfähigkeit. Die streitige bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit und der ungewisse Ausgang der hierüber noch durchzuführenden Beweisaufnahme war somit Teil des - durch Vergleich erledigten - Streits. In diesem Falle greift § 779 BGB nach Sinn und Zweck nicht ein. Als feststehend zugrunde gelegt ist nur der Sachverhalt, von dem die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ausgehen, der also von ihnen nach dem Inhalt des Vergleichs als Grundlage und wesentliche Voraussetzung für die erzielte Beilegung ihres Streits betrachtet wird und sich außerhalb des Streits oder der Ungewissheit befindet. Nicht erfasst ist der Sachverhalt, der vor dem Vergleich als streitig oder ungewiss angesehen wurde und Gegenstand der Streitbeilegung war (BGH NJW 2007, 838; BGH NJW 2003, 3193; BGH NJW-RR 1989, 1143).

d) Der Prozessvergleich ist auch nicht gemäß § 138 BGB sittenwidrig. Es stellt sich bereits die Frage, in welcher Zwangslage sich der Kläger befunden habe will und wer welche Unerfahrenheit des - anwaltlich vertretenen - Klägers ausgenutzt haben soll.

Dessen ungeachtet, besteht zwischen Leistung und Gegenleistung kein auffälliges Missverhältnis. Zunächst berücksichtigt der Kläger bei der Bewertung des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleitung die Natur des abgeschlossenen Abfindungsvergleichs nicht hinreichend. Der Kläger kann nicht einfach darauf abstellen, was er erhalten hätte, wenn er den Prozess voll gewinnen würde. Er hat auch zu berücksichtigen, dass er nichts erhalten würde, wenn er den Prozess verliert (weil er z. B. nicht berufsunfähig ist). Deshalb ist zur Feststellung der Sittenwidrigkeit in einem Vergleich getroffener Regelungen nicht das Verhältnis des Wertes der beiderseits übernommenen Verpflichtungen, sondern das beiderseitige Nachgeben gegeneinander abzuwägen. Es kommt also darauf an, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Vergleichs eingeschätzt haben, in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalls gegenseitig nachgegeben haben. Im allgemeinen verbietet es sich, einen Vergleich, selbst wenn ihn die begünstigte Partei mit nicht zu billigenden Mitteln herbeigeführt hat, als sittenwidrig zu behandeln, wenn er seinem Inhalt nach aus der Sicht beider Vertragsparteien bei Vergleichsabschluss als sachgerechte Bereinigung des Streitfalls erschien (BGH NJW 1999, 3113) Demzufolge ist das Prozessrisiko entscheidend zu berücksichtigen. Das hat zur Folge dass ein Abfindungsvergleich nur dann sittenwidrig sein kann, wenn die Abfindungssumme unangemessen niedrig (oder hoch) ausfällt. Das ist vorliegend nicht annähernd der Fall:

Das Prozessrisiko hat der Senat - und dem folgend auch die Parteien, denen die Überlegungen des Senats transparent gemacht worden sind - unter Berücksichtigung der Beweislast des Klägers etwa auf 50 % zu 50 % angesetzt. Den wirtschaftlichen Wert der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung hat der Senat auf rd. 220.000 € errechnet. Insoweit sind Rückstände von rd. 115.000 € und (mit 4,5 %) abgezinste Zukunftsbeträge von 149.000 € angesetzt worden. Vom letzteren Betrag hat der Senat 30 % für Gesundungs- und Todesrisiko abgezogen, so dass sich 105.000 € für die Zukunft und insgesamt rd. 220.000 € errechneten. Der Vergleichsbetrag entspricht dann rd. 48 % hiervon. Hierin liegt nicht die Vereinbarung einer unangemessen niedrigen Vergleichsumme. Insoweit stimmen die Vergleichssumme 105.000 € (Leistung) und das Nachgeben 115.000 € (Gegenleistung) fast überein.

3.) Demzufolge war zu erkennen, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 09.05.2008 beendet ist.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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