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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 20 U 81/06 (1)
Rechtsgebiete: ZPO, AUB 94


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
AUB 94 § 7
AUB 94 § 7 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
AUB 94 § 7 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Dem Kläger wird folgender Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt:

Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch Beschluß zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch.

Der Kläger unterhält als Versicherungsnehmer bei der Beklagten eine Unfallversicherung u.a. für seinen Sohn N, geboren am 03.06.1968. Vereinbart ist die Geltung der AUB 94.

Für den Versicherten N ist eine Invaliditätsgrundsumme von 179.463,45 € nebst progressiver Invaliditätsstaffel 300 % sowie bei einem Invaliditätsgrad ab 50 % eine Unfallrente in Höhe von 3.067,75 € monatlich vereinbart.

Am 28.05.2002 verunglückte der Versicherte mit einem Motorroller.

Im erstbehandelnden N-Spital in S wurden folgende Diagnosen gestellt:

Hüftgelenksluxation links,

Oberschenkelschaftstückbruch rechts,

Rippenserienfraktur links,

Platzwunde rechte Kniestreckseite mit Schleimbeutelbeteiligung,

Schnittverletzung rechte Schienbeinkopf und rechte Schienbeinkante,

multiple Schürfungen,

Der Sohn des Klägers wurde vom 28.05.2002 bis zum 18.07.2002 stationär behandelt.

Mit Abrechnungsschreiben vom 06. und vom 23.08.2002 rechnete die Beklagte das (ebenfalls) versicherte Unfallkrankenhaustagegeld und das Genesungsgeld ab. In beiden Schreiben ist der Kläger auf die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Invaliditätsleistungen, insbesondere auf die Fristen in § 7 I (1) AUB 94, hingewiesen worden.

Im November 2002 verlangte der Kläger die Auszahlung einer monatlichen Unfallrente mit der Behauptung einer weit über 50 % liegenden Invalidität.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr.C am 12.06.2003 ein Gutachten; Dr.C stellte eine Invalidität von 1/4 Beinwert rechts und von 7/20 Beinwert links wegen einer Gang- und Standstörung beider Beine sowie einer Hüftgelenksarthrose fest.

Unter dem 15.08.2003 rechnete die Beklagte auf der Grundlage dieses Gutachtens einen Invaliditätsgrad von 42 % ab und zahlte unter Berücksichtigung der Progressionsstaffel eine Invaliditätsleistung von 136.392,22 €.

Mit Anwaltsschreiben vom 08.09.2003 ließ der Kläger mitteilen, er erachte einen Invaliditätsgrad von 42 % als zu gering. Die Festsetzung der Invalidität von 1/4 und 7/20 Beinwert könne nicht nachvollzogen werden. Bei der Erstellung des Gutachtens seien die zu erwartenden Beschwerden nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden. Er verlangte die Einholung eines Obergutachtens.

Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 09.10.2003; sie verwies darauf, daß der Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalles, erneut ärztlich bemessen werden könne und erkannte den Antrag auf Neufestsetzung an. Sie kündigte an, im Mai 2004 eine erneute Begutachtung veranlassen zu wollen.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Privadozent Dr.T am 13.07.2004 ein neues Gutachten, in dem er die Beeinträchtigung des linken Beines ebenfalls mit 7/20 Beinwert, die des rechten Beines jedoch nur mit 2/10 Beinwert feststellte.

Zusätzlich stellte er eine Beeinträchtigung der sexuellen Funktion von 10 % sowie der pulmonalen Funktion von 5 % fest.

Daraufhin begehrte der Kläger eine Neuberechnung der Invaliditätsleistung auf der Grundlage des Gutachtens Dr.T. Die Beklagte lehnte das jedoch ab und verwies darauf, daß es hinsichtlich der Beeinträchtigung der sexuellen Funktion sowie der pulmonalen Funktion an einer rechtzeitigen ärztlichen Feststellung fehle. Sie sagte jedoch zu, im April 2005 eine erneute gutachterliche Untersuchung veranlassen zu wollen.

In seinem am 02.08.2005 erstellten Gutachten bemißt Dr.T die nach Ablauf des 3. Jahres nach dem Unfall bestehende Invalidität wie folgt:

linkes Bein 7/20 Beinwert

rechtes Bein 1/4 Beinwert

Beeinträchtigung der sexuellen Funktion 10 %

Beeinträchtigung der pulmonalen Funktion 5 %

Der Kläger hat behauptet, sein Sohn habe bereits dem Gutachter Dr.C von den sexuellen Funktionsstörungen berichtet, ohne daß dies in das Gutachten eingegangen sei.

Da die Beklagte seinen Antrag auf Neufesetzung und auf eine neue Begutachtung anerkannt habe, könne sie sich nicht mehr auf abgelaufene Fristen berufen. Zudem habe sie die gesetzte Klagefrist verlängert und auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

Der Kläger hat auf Feststellung geklagt, daß das Gutachten Dr.T vom 13.07.2004 für die Abrechnung der Versicherungsleistung zugrunde zu legen sei.

Hilfsweise hat er 169.425,92 € (weitere Invaliditätsleistung und aufgelaufene Rentenansprüche) und die fortlaufende Zahlung einer monatlichen Rente beantragt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen:

Der Hauptantrag sei unzulässig, die Hilfsanträge unbegründet. Der Kläger könne eine weitere Invaliditätsentschädigung nicht verlangen, da die Beklagte die fristgercht ärztlich festgestellte und angemeldete Invalidität bedingungsgemäß entschädigt habe. Eine Invaliditätsleistung wegen möglicherweise bestehender Invalidität auf Grund sexueller und pulmonaler Funktionsbeeinträchtigungen habe die Beklagte zu Recht wegen Versäumung der Fristen des § 7 AUB abgelehnt.

Der Kläger greift das Urteil mit seiner Berufung an und verfolgt seine Anträge aus erster Instanz weiter.

Er habe die aufgrund des falschen Gutachtens erstellte Leistungsabrechnung umgehend mit Anwaltsschreiben vom 08.09.2003 bemängelt und darauf hingewiesen, daß zu erwartende Beschwerden keine Berücksichtigung gefunden hätten. Die Beklagte habe eine Neufeststellung anerkannt und müsse sich daran festhalten lassen. Schließlich habe sie auch die Klagefrist verlängert. Der Versicherte habe dem Gutachter Dr.C von seinen Beschwerden, die erst im Gutachten Dr.T Berücksichtigung fänden, berichtet. Diese seien also bekannt gewesen und hätten vorgelegen.

Der Versicherte habe alles in seinem Geschäftskreis Notwendige veranlaßt und seine Beschwerden gegenüber dem ersten Gutachter und damit auch gegenüber der Beklagten kundgetan. Der Gutachter sei als Gehilfe der Beklagten anzusehen; damit sei es auch ausreichend, wenn ihm gegenüber die Beschwerden angegeben worden seien, denn was ihm erklärt sei, sei auch gegenüber der Beklagten erklärt. Die Beklagte habe aufgrund eines falschen und nicht kompletten Gutachtens die weiteren Beschädigungen außer Betracht gelassen und "einfach" die Zeit ablaufenlassen.

Entschuldigungsgründe für die angebliche Versäumung der 15-Monatsausschlußfrist seien nicht notwendig. Der Versicherte habe aufgrund der Anerkennung des Antrages auf Neufestsetzung nichts weiteres unternehmen müssen sondern darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte alles Notwendige veranlassen und ihren vertraglichen Pflichten nachkommen werde. Wenn sich die Beklagte daran nicht halte, würde sie sich möglicherweise im Sinne eines Betruges strafbar machen. Wenn einer die Aussage mache, er erkenne einen Antrag auf Neufestsetzung an, dann habe er sich auch daran festhalten zu lassen, egal ob eine Frist abläuft oder nicht.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, der eigentlich nichts hinzuzufügen ist, abgewiesen.

Die Berufungsangriffe gehen sämtlich an der Rechtslage vorbei und rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Zu Recht hat das Landgericht weitere Ansprüche des Klägers auf eine Invaliditätsentschädigung verneint, weil die Anspruchsvoraussetzung der fristgemäßen ärztlichen Feststellung (§ 7 I Nr.1 Satz 2 AUB) fehlt.

Unfallbedingte Beeinträchtigungen der sexuellen und der pulmonalen Funktionen sind erstmals durch das Gutachten Dr.T vom 13.07.2004, mithin deutlich nach Ablauf der am 28.08.2003 endenden Frist des § 7 I Nr.1 Satz 2 AUB, ärztlich festgestellt worden. Die ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens im Bereich der Beine, die soweit ersichtlich - erstmals durch das Gutachten Dr.C vom 12.06.2003 erfolgt ist, kann für Invaliditätsansprüche auf Grund von Beeinträchtigungen der sexuellen und der pulmonalen Funktionen nicht fruchtbar gemacht werden, denn eine ärztliche Feststellung der Invalidität i.S.d. § 7 I Nr.1 Satz 2 AUB entfaltet eine Wirkung nur für Gesundheitsschäden in dem jeweils ausdrücklich angesprochenen Bereich (Senat, Beschluß vom 05.01.2000 20 W 16/99 - NVersZ 2000, 478 = r+s 2000, 394).

Das Erfordernis der ärztlichen Feststellung innerhalb von 15 Monaten stellt ebenso wie der Eintritt der Invalidität binnen Jahresfrist eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung dar. Deshalb liegen die Ausführungen des Klägers zur Verlängerung der Klagefrist und zur Verjährung neben der Sache.

Zweck der Regelung des § 7 I Nr.1 Satz 2 AUB ist es, eine Eintrittspflicht des Versicherers für regelmäßig schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden auszuschließen. Im Interesse einer rationellen, arbeits- und kostensparenden Abwicklung sollen Spätschäden auch dann vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, wenn der Versicherungsnehmer die Frist unverschuldet nicht eingehalten hat (so grundlegend BGH, Urteil vom 28.06.1978 - IV ZR 7/77 - VersR 1978, 1036; ferner BGH, Urteil vom 19.11.1997 IV ZR 348/96 -VersR 1998, 175). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger oder der Versicherte N die Frist schuldhaft versäumt haben.

An den Inhalt der ärztlichen Feststellung sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Allerdings muß sich aus der ärztlichen Bescheinigung ergeben, daß die festgestellte Invalidität Folge des Unfalls ist. Unerläßlich ist ferner, daß sich aus der Invaliditätsfeststellung die ärztlicherseits angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Versicherten ergibt, ohne daß beides unbedingt richtig sein müßte (BGH, Entscheidung vom 06.11.1996 - IV ZR 215/95 - VersR 1997, 442).

Die "Härte" dieser Regelung - es handelt sich eben nicht um eineAusschlußregelung, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung - rechtfertigt sich mit dem berechtigten Interesse der Versicherer, zweifelhafte Spätschäden im Interesse einer arbeits- und kostensparenden Abwicklung und zur Vermeidung höherer Prämien für die Gemeinschaft der Versicherten vom Versicherungsschutz auszunehmen (BGH, Urt.v. 28.06.1978, aaO.).

Die Härte wird gemildert durch von der Rechtsprechung geschaffene erhebliche Erleichterungen: An die ärztliche Feststellung der Invalidität sind keine hohen Anforderungen zu stellen, und der Versicherer darf sich nicht auf die Frist berufen, wenn fristgemäß festgestellt ist, daß der Unfall zu unveränderlichen Gesundheitsschäden oder nicht besserungsfähigen Teilschäden geführt hat, die den Schluß auf Invalidität zulassen (BGH, Urt.v. 19.11.1997, aaO).

Unfallbedingte Gesundheitsschäden im Bereich der sexuellen und der pulmonalen Funktionen sind nach bislang unwidersprochener Darstellung der Beklagten von dem Kläger bzw. von dem Versicherten in der Frist des § 7 I Nr.1 Satz 2 AUB nicht geltend gemacht worden; nicht einmal der Schlußbericht des Versicherten vom 07.04.2003 läßt Störungen der Sexualfunktionen oder der Atemorgane erkennen. Erst recht liegen keine ärztlichen Atteste vor, aus denen sich entsprechende Störungen ableiten ließen. Deshalb ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Beklagte sich nicht auf die Frist des § 7 I Nr.1 Satz 2 AUB sollte berufen können.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht ist die Berufung der Beklagten auf die nicht eingehaltene Frist auch aus sonstigen Gründen nicht treuwidrig. Die Beklagte hat mit der Anerkennung des Antrags auf eine neue Begutachtung und eine eventuell notwendig werdende Neufestsetzung der Invaliditätsleistung in keiner Weise zu erkennen gegeben, sie werde auch die nach Fristablauf erstmals ins Spiel gebrachten Störungen der Sexualfunktion und der pulmonalen Funktionen in ihre Leistungsberechnung einbeziehen. Die Neubegutachtung diente lediglich dem Zweck, hinsichtlich der Dauerschäden im Bereich beider Beine, für die die Entschädigungsvoraussetzungen vorlagen, den maßgeblichen Zustand nach Ablauf des 3. Jahres nach dem Unfall zu erfassen.

Da es hinsichtlich der behaupteten Gesundheitsschäden im Bereich der sexuellen und der pulmonalen Funktionen an einer fristgerechten ärztlichen Feststellung einer Invalidität fehlt, kommt es auch nicht darauf an, ob der Versicherte dem ersten Gutachter Dr.C von diesen Störungen Mitteilung gemacht hat. Die Klage ist abweisungsreif nicht (nur) wegen einer verspäteten Anzeige dieser Gesundheitsschäden, sondern wegen der fehlenden ärztlichen Feststellung. Die Ausführungen der Berufungsbegründung zur Zurechnung der dem Gutachter gegenüber geschilderten Beschwerden sind daher unerheblich.

III.

Der Kläger erhält Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis binnen einer Frist von 3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (Kostenverzeichnis Nr. 1222) bei einer Berufungsrücknahme sei hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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