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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 20 W 16/00
Rechtsgebiete: BGB, VVG, ALB 67


Vorschriften:

BGB § 130
VVG § 43
ALB 67 § 15 III
Leitsatz:

1)

Ist die Empfangsvollmacht eines Agenten nach § 43 VVG wirksam beschränkt, berührt das dessen Stellung als Empfangsbote nicht.

2)

Eine ihm zugehende Willenserklärung ist dem Versicherer indem Zeitpunkt zugegangen, an dem bei üblichem Verfahrensablauf und Weiterleitung durch den Agenten der Eingang der Erklärung bei ihm zu erwarten ist.

3)

Liegt bei der Änderung einer Bezugsberechtigung dieser Zeitpunkt vor dem Tod des Versicherungsnehmers, ist die Änderung wirksam.


20 W 16/00 OLG Hamm 3 O 145/00 LG Bochum

BESCHLUSS

In Sachen

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts auf die Beschwerde des Antragstellers vom 17.7.2000 gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 27.6.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann und die Richter am Oberlandesgericht Rüther und Meißner

am 22. Dezember 2000 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert.

Dem Kläger wird für die beabsichtigte Klage Prozeßkostenhilfe gewährt. Ihm wird Rechtsanwalt W aus Hagen zu den Bedingungen eines in Bochum ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Die Entscheidung über die Festsetzung von Raten wird dem erstinstanzlichen Gericht übertragen.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

Gründe:

Die Parteien streiten über die Frage, ob der am 13.10.1998 verstorbene VN, der Onkel des Klägers, die Bezugsberechtigung aus einer Lebensversicherung zugunsten des Klägers geändert hat. Die Veränderungsanzeige, die das Datum 15.9.1997 trägt, ist der Beklagten nach dem Tod des VN zusammen mit der Versicherungspolice und der Sterbeurkunde über ihren Generalagenten S übersandt worden. Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang, der VN habe die Veränderungsanzeige am 15.9.1997 gemeinsam mit dem Generalagenten ausgefüllt und unterzeichnet und sie diesem, der gegengezeichnet habe, dann übergeben. Die Beklagte behauptet demgegenüber, der Agent habe dem VN auf dessen Anforderung lediglich das von ihm bereits vorab unterzeichnete Formular zur Verfügung gestellt und ihn dabei darüber belehrt, daß er dieses zum Wirksamwerden der Erklärung der Beklagten unmittelbar übersenden müsse. Das sei hier nicht geschehen; der VN habe das Formular bei seinen Unterlagen behalten.

Das LG hat den Prozeßkostenhilfeantrag des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Veränderungsanzeige sei der Beklagten erst nach Eintritt des Versicherungsfalls zugegangen. Das sei verspätet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der sein Begehren weiterverfolgt.

Die Beschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet.

In § 15 Nr. 3 der hier geltenden ALB 1967 heißt es:

Veränderungen und Abtretungen der Ansprüche aus der Versicherung sowie Änderungen der Bezugsberechtigung sind dem Versicherer gegenüber nur dann wirksam, wenn sie der bisherige Verfügungsberechtigte dem Vorstand schriftlich angezeigt hat...

Die Bedeutung dieser Bestimmung ist zwischen den Parteien im Streit. Zwar kann es nach der auch vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5.5.1999 (VersR 1999, § 565 ff mit Anm. Lorenz,) nicht mehr zweifelhaft sein, daß die in den Versicherungsbedingungen vorgenommene Beschränkung der Empfangsvollmacht des Agenten hinsichtlich Änderungen der Bezugsberechtigung ebenso wirksam ist wie der Schriftformvorbehalt. Zweifelhaft bleibt aber auch nach dieser Entscheidung, ob die Bestimmung auch insoweit wirksam ist, als darin lediglich der Vorstand selbst als empfangsberechtigt bezeichnet wird. Denn damit geht die Bestimmung deutlich über die gesetzlich zulässige Beschränkung der Vollmacht eines Agenten hinaus und schließt sogar Niederlassungen, Bezirks- und Landesdirektionen von der Empfangsvollmacht aus. In den der zitierten Entscheidung zugrundelegenden Bedingungen war eine solche Beschränkung auch nicht vorgenommen worden; danach behielten sich die Versicherer vor, daß "uns" die Mitteilungen, die das Versicherungsverhältnis betreffen, zugehen.

Eine abschließende Entscheidung ist dazu aber derzeit nicht möglich, und zwar schon deshalb nicht, weil nicht bekannt ist, wann der zugrundeliegende Versicherungsvertrag geschlossen worden ist und ob die Bestimmungen überhaupt anhand des AGBG zu überprüfen sind. Sollte das nicht der Fall sein, wäre die Beschränkung auf die Empfangsvollmacht des Vorstands im Lichte der Entscheidung BGH VersR 1970, 660 zwar nicht wörtlich zu nehmen - es reicht Empfang durch zur Entscheidung Befugte -, aber auch nicht zu beanstanden.

Aber auch dann hätte die beabsichtigte Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Maße Aussicht auf Erfolg. Eine Änderung der Bezugsberechtigung würde nach den hier vorliegenden Bedingungen grundsätzlich erst wirksam, wenn sie dem Versicherer selbst schriftlich zugeht (vergl. auch Senat, VersR 1980, 739.) Das hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluß zutreffend ausgeführt, und die dagegen gerichteten Angriffe sind nicht begründet.

Übersehen hat das Landgericht aber, daß der Kläger behauptet und unter Beweis gestellt hat, daß der Agent das Formular nach der Unterzeichnung durch den VN am 15.9.1997 mitgenommen hat. Das beinhaltet den Vorwurf, daß er es nicht an den Versicherer weitergeleitet hat, was bis zum Eintritt des Versicherungsfalls am 13.10.1998 möglich und zu erwarten gewesen wäre. Dieser Sachverhalt ist streitig. Die Beklagte behauptet demgegenüber, der VN habe lediglich das Formular angefordert, und diesem Wunsch habe der Agent unter Hinweis auf das Zugangserfordernis beim Versicherer, nachdem er es bereits vorab unterzeichnet habe, entsprochen. Das Formular sei danach beim VN verblieben.

Eine Klärung dieses Sachverhalts ist erforderlich. Die Änderung der Bezugsberechtigung aus einer Lebensversicherung ist eine Willenserklärung, die auch in der Ausgestaltung der geltenden AVB den Regeln einer Erklärung gegenüber Abwesenden gem. § 130 BGB folgt. Nach dem Sachvortrag des Klägers hat der VN unmittelbar nach Unterzeichnung der Änderungserklärung am 15.9.1997 das Formular dem Agenten der Beklagten zur Weiterleitung übergeben; und dieser hat es entgegen genommen. Damit war die Willenserklärung abgegeben. Zu ihrem Wirksamwerden bedurfte es aber noch ihres Zugangs. Da die Vertretungsberechtigung des Agenten wirksam beschränkt war, kommt die Übergabe als Zeitpunkt des Zugangs nicht in Betracht. Unabhängig davon, daß der Agent in seiner Vertretungsmacht beschränkt war, kommt er aber als Bote, konkret als Empfangsbote der Beklagten in Betracht (Prölss/Martin-Kollhosser, Rn 47 zu § 43 VVG), der im Auftrag des Empfängers die an ihn gerichtete Willenserklärung entgegennehmen und weiterleiten soll. Darunter sind solche Personen zu verstehen, die als zur Entgegennahme solcher Erklärungen geeignet und nach der Verkehrsauffassung auch als dazu ermächtigt anzusehen sind, die vom Erklärungsempfänger zur Entgegennahme ermächtigt sind oder die dem Erklärenden gegenüber als solche bezeichnet worden sind (Larenz, BGB AT; § 30 I.3.c) a.E.). Für den Versicherungsagenten trifft dies bereits nach seiner gesetzlichen, darüber hinausgehenden Empfangsvollmacht nach § 43 VVG zu, die auch nach den AVB nur hinsichtlich seiner Vertreterstellung eingeschränkt ist; daß er auch nicht mehrermächtigt wäre, derartige Erklärungen zur Weiterleitung an den Versicherer in Empfang zu nehmen, sprechen die Bedingungen nicht aus. Sollte dies gemeint sein, wäre ein derartiger Wille wegen des auch in § 5 AGBG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens bzw. nach der vor der Einführung des AGBG geltenden Rechtsprechung unbeachtlich.

Ist jemand Empfangsbote, geht die Erklärung in dem Zeitpunkt zu, indem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung der Erklärung an den Adressaten zu erwarten ist (BGH NJW-RR 89, 758; Larenz a.a.O. m.w.N.). Hier kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Änderungsmitteilung, die dem Agenten am 15.9.1997 übergeben worden wäre, dem Versicherer nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge noch vor Eintritt des Versicherungsfalls am 13.10.1998 zugegangen wäre.

Jedenfalls in diesem Punkt unterscheidet sich der konkrete, Fall von den zur Zugangsproblematik veröffentlichten Entscheidungen (OLG Frankfurt, VersR 1993, 171; BGH VersR 1994, 586). In jenen Fällen trat der Versicherungsfall vor dem (tatsächlichen oder anzunehmenden) Zeitpunkt des Zugangs der Änderungsmitteilung beim Versicherer ein und die Änderungsmitteilung konnte schon deshalb die bereits eingetretene Empfangsberechtigung nicht mehr ändern (Senat, VersR 1980, 739).

Den Sachvortrag des Klägers als richtig unterstellt, wäre die Änderungsverfügung also vor Eintritt des Versicherungsfalls so in den Machtbereich der Beklagten gelangt, daß unter regelmäßigen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme zu rechnen war, also zugegangen und damit wirksam geworden. Dem Schriftformerfordernis wäre - insoweit unstreitig - Rechnung getragen. Dabei geht zu Lasten des Versicherers, daß das Schriftstück durch eine Nachlässigkeit seines Empfangsboten - für dessen Verschulden er ohnehin einzustehen hat - tatsächlich erst nach Eintritt des Versicherungsfalls übersandt worden ist.

Folgt man dieser Ansicht nicht, hätte der Kläger nach seinem Sachvortrag wohl einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus pVV wegen eines Beratungsverschuldens bzw. wegen Unterlassung der zumutbaren Weiterleitung des Schriftstücks durch ihren Agenten. Auch insoweit wäre indessen eine Beweisaufnahme erforderlich.

Gegen die Höhe des Klagebetrages hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben.

Ende der Entscheidung

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