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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 21 U 7/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StGB
Vorschriften:
BGB § 253 Abs. 2 | |
BGB § 280 Abs. 1 | |
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
BGB § 823 Abs. 2 | |
StGB § 229 |
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 02. November 2007 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Parteien stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:
Die am 31.03.1961 geborene Klägerin besuchte nach Lösung einer Eintrittskarte am 29.07.2006 das von der Beklagten betriebene "Q" in F. In der Ausstellung geht es um die Aktivierung der sinnlichen Wahrnehmung. U.a. waren in den Ausstellungsräumen vier Balancierscheiben aufgestellt, die unterschiedlich große Auftrittsflächen aufwiesen und deshalb beim Betreten unterschiedlich hohe Anforderungen an den Gleichgewichtssinn stellten. Die Scheiben waren nach allen Seiten beweglich. Die Auftrittsflächen wiesen eine Höhe von ca. 15-16 cm auf. Um die Scheiben herum befand sich ein mit Filz ausgelegter Holzuntergrund. Derartige Scheiben werden seit einigen Jahrzehnten im Innen- und Außenbereich, z.B. in Schulen und Parks, zugänglich gemacht. Sie werden u.a. von einer Fa. H GmbH hergestellt (siehe von dem Geschäftsführer der Beklagten im Senatstermin übergebenen Prospektauszug).
Die Klägerin trug am Unfalltag feste Schuhe der Marke Adidas. Sie betrat eine Scheibe, ohne die Hilfe ihres Ehemannes in Anspruch zu nehmen. Dabei knickte sie mit dem linken Fuß um und kam zu Fall. Sie zog sich u.a. eine offene Sprunggelenksfraktur zu (Arztberichte Bl. 7f., 9f.). Sie musste mehrfach operiert werden und befindet sich weiterhin in ärztlicher Behandlung.
Sie hat gemeint, die Beklagte schulde ihr unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 €. Der Beklagten sei vorzuwerfen, kein Schild zur Art und Weise und zu den Gefahren der Benutzung aufgestellt zu haben. Zur Ermöglichung eines gefahrlosen Betretens seien zudem Haltemöglichkeiten zu schaffen gewesen. Ansonsten hätte Personal Hilfestellung leisten müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage (15.03.2007) zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, für den Unfall nicht verantwortlich zu sein. Durch die Balancierscheiben seien die Besucher nur solchen Risiken ausgesetzt, die für sie kalkulierbar und überschaubar seien. Mit der Erprobung des Gleichgewichtssinns sei typischerweise die Gefahr verbunden, das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen. Die absehbaren Folgen eines Sturzes seien durch die geringe Höhe der Balancierscheiben begrenzt gewesen. Der Sturz der Klägerin sei atypisch und besonders ungünstig verlaufen. Weitere Schutzmaßnahmen habe sie nicht zu ergreifen brauchen. Die Anbringung einer Haltevorrichtung hätte dem Sinn der Übung widersprochen und für den Fall eines Sturzes zusätzliche Risiken geschaffen. Die Klägerin sei entweder unvorsichtig gewesen oder habe ihre Fähigkeiten überschätzt. Ggf. hätte sie sich durch ihren Ehemann helfen lassen müssen. Jedenfalls treffe die Klägerin ein ganz überwiegendes Mitverschulden. Ein Schmerzensgeld von 8.000 € sei zudem übersetzt.
Das Landgericht hat die Klägerin und den Geschäftsführer der Beklagten persönlich angehört und die Klage anschließend mit am 02.11.2007 verkündetem Urteil, wegen dessen näheren Inhaltes auf Bl. 78 ff. GA Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin nach §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, § 253 Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil die Klägerin ihre Verkehrssicherungspflichten durch die Aufstellung der Balancierscheiben und die Art ihrer Zugänglichmachung für die Besucher nicht verletzt habe. Das geringe Risiko, das naturgemäß durch die Herausforderung des Gleichgewichtssinnes bestanden habe, hätte die Klägerin von sich aus erkennen und sich darauf einstellen müssen. Das derartigen Anlagen innewohnende Verletzungspotential werde von der Rechtsgemeinschaft als Teil des allgemeinen Lebensrisikos akzeptiert. Dieses Risiko habe sich hier als Resultat einer Verkettung besonders unglücklicher Umstände realisiert. Die von der Klägerin geforderten Sicherheitsmaßnahmen habe die Beklagte nicht zu ergreifen brauchen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag. Darüberhinaus macht sie geltend, die Beklagte sei zumindest zu Sicherungsmaßnahmen verpflichtet gewesen, nachdem ihr ein Unfall bekannt geworden sei, der sich am 07.09.2003 in einem anderen Freizeitpark ereignet habe. Damals hatte sich eine Besucherin bei einem Sturz von einer Balancierscheibe auf eine Granitplatte einen Bruch des Ellenbogens zugezogen (siehe hierzu ergangenes Urteil LG Nürnberg-Fürth vom 10.08.2004, Aktz. 4 O 6184/04).
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts.
Der Senat hat den Geschäftsführer der Beklagten im Senatstermin persönlich angehört und eine von ihm mitgebrachte Balancierscheibe in Augenschein genommen. Die ebenfalls geladene Klägerin ist zum Termin nicht erschienen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat einen Schmerzensgeldanspruch zu Recht verneint.
Die Beklagte hat ihr obliegende Verkehrssicherungspflichten weder unter dem Gesichtspunkt des mit der Klägerin geschlossenen Vertrages über die Nutzung des Erlebnisparks noch unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung verletzt, so dass die von der Klägerin erhobene Forderung weder nach §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB noch nach §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. 229 StGB, 253 Abs. 2 BGB begründet ist.
Allerdings traf die Beklagte als Aufstellerin der Balancierscheiben grundsätzlich die Pflicht, einen angemessen sicheren Gebrauch der Scheiben zu gewährleisten. Derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft, hat die Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um die Schädigung Dritter möglichst zu vermeiden. Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist jedoch nicht erreichbar und geschuldet. Für die Bestimmung des Umfangs zu leistender Sicherheitsmaßnahmen kommt es auf die Risikoverteilung zwischen dem Sicherungspflichtigen und der gefährdeten Person an, die sich ihrerseits danach bestimmt, welche Sicherheit die Person in der jeweiligen Situation nach der Verkehrsanschauung erwarten darf, mit welchen Risiken sie rechnen muss und welche ihr abgenommen werden müssen (s. Palandt-Sprau, BGB, 67. Aufl., § 823 Rn. 51).
Die Rechtsprechung hat diese Grundsätze für die Nutzung von Geräten konkretisiert, deren Reiz für den Nutzer gerade darin liegt, seine Geschicklichkeit zu erproben. Da der Zweck solcher Geräte eine gewisse Risikobereitschaft des Nutzers erfordert, kann er keine absolute Sicherheit seiner persönlichen Integrität erwarten. Der Nutzer hat Folgen einer Verwirklichung des Risikos deshalb in bestimmtem Umfang selbst zu tragen (z.B. OLG Celle NJW 2003, 2544, Innenlauftrommel; OLG Hamm OLG-Report 1999, 121, Überschlagschaukel; OLG Düsseldorf, Urt. vom 14.11.03 - I-22 U 69/02 -, Kart-Bahn; LG Nürnberg-Fürth, Urt. vom 10.08.04 - 4 O 6184/04 -, Balancierscheibe). Dies gilt auch für Balancierscheiben. Es besteht nämlich das dem Nutzer offensichtliche Risiko, dass er bei der Erprobung seines Gleichgewichtssinns das Gleichgewicht auch einmal verlieren kann.
Eine Balancierscheibe muss jedoch im Rahmen ihres Zwecks konstruktiv sicher in dem Sinne sein, dass die Fähigkeiten der Nutzer beim vorsichtigen Betreten nicht unvorhersehbar überbeansprucht werden. Zudem geht die Verkehrserwartung dahin, dass im Falle des Verlustes des Gleichgewichtes im Normalfall keine gravierenden Verletzungen auftreten werden. Andererseits muss der Nutzer davon ausgehen, dass atypische Abläufe und eine Verkettung unglücklicher Umstände in sein allgemeines Lebensrisiko fallen können.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ausgehend von diesen Grundsätzen durch die Aufstellung der Balancierscheiben gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen hat. Derartige Scheiben werden, wie sich auch aus dem von der Beklagten vorgelegten Prospekt der H GmbH ergibt, seit Jahrzehnten im Innen- und Außenbereich, z.B. auf Spielplätzen, in Freizeitparks und in der Bewegungstherapie, verwandt. Eine Betreuung ist nach den Angaben des Herstellers in dem vorgelegten Prospekt nicht erforderlich. Die Klägerin hat ihren Besuchern insgesamt vier Scheiben mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zur Verfügung gestellt, der aufgrund der differierenden Größe der Auftrittsflächen offensichtlich war. Die Nutzer hatten deshalb die Gelegenheit, sich individuell an die Grenze ihrer Fähigkeiten "heranzutasten". Auch die Zugänglichmachung der schwierigeren Scheiben ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Die Vorführung der zweitschwierigsten Balancierscheibe durch den Geschäftsführer der Beklagten im Senatstermin hat zwar ergeben, dass die Nutzung eine beträchtliche Geschicklichkeit verlangt. Die Erprobung, die auch durch den erkennenden Richter erfolgt ist, hat jedoch ebenfalls gezeigt, dass die Schwierigkeiten dem Nutzer bei einer adäquaten vorsichtigen Herangehensweise unmittelbar auffallen und er deshalb entscheiden kann, ob er das erkannte Risiko eingehen will oder nicht.
Eine zu beanstandende Aufstellung der Scheiben läge allerdings vor, wenn sie auf einem Untergrund platziert worden wären, auf dem sie während des Balanciervorganges wegrutschen konnten und sich eine solche von der Beklagten geschaffene Gefährdungslage realisiert hätte. Dies kann jedoch nicht festgestellt werden. Soweit sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.05.2007 zunächst auf einen derartigen Unfallhergang berufen hat, hat sie dies bei ihrer späteren Anhörung durch die Kammer dahin korrigiert, den Halt auf der Scheibe verloren zu haben.
Beim Verlust des Gleichgewichts, wie er hier - unwiderlegt - entweder schon beim Vorgang des Besteigens oder im weiteren Verlauf der Übung eingetreten sein dürfte, wird der Nutzer wegen der geringen Höhe der Balancierscheibe durch einen Ausfallschritt auf den festen Boden in der Regel einen Sturz vermeiden können. Sollte er dennoch zu Fall kommen, wird es jedenfalls bei einem nicht zu harten Untergrund zumeist allenfalls zu Abschürfungen und Prellungen kommen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem vom LG Nürnberg-Fürth entschiedenen Fall. Der damals eingetretene Armbruch ist auf einem Granituntergrund eingetreten, während die Beklagte einen Holzboden mit Filz verlegt hatte. Es ist davon auszugehen, dass es bei der Nutzung einer Balancierscheibe nur sehr selten bei atypischen Geschehnsabläufen zu schweren Verletzungen, wie sie die Klägerin erlitten hat, kommt. Auch die Klägerin hat trotz des bereits seit Jahrzehnten andauernden Einsatzes von Balancierscheiben an zahlreichen Orten keine Unfälle über den hinaus benennen können, mit dem das LG Nürnberg-Fürth befasst war.
Unter den gegebenen Umständen waren auch die von der Klägerin geforderten Sicherheitsmaßnahmen nicht erforderlich. Haltevorrichtungen zur Unterstützung des Besteigens der Balancierscheiben bis zum eigentlichen Balanciervorgang stünden dem Zweck der Scheiben, der nicht nur im Balancieren selbst, sondern auch in der vorherigen Erprobung der Geschicklichkeit besteht, den Balanciervorgang zu erreichen, entgegen. Zudem könnten Haltevorrichtungen einen Sturz nach Loslassen des Nutzers und Übergang in den Balanciervorgang kaum noch verhindern und sich dann bei Verlust des Gleichgewichts bei festen Griffen oder Stangen als gefährliche Hindernisse oder im Falle von Seilen als Stranguliergefahr erweisen.
Eine dauernde Betreuung durch Personal beim Auftreten auf die Scheiben ist der Klägerin nicht zumutbar und nicht erforderlich. Für die Nutzer ist offensichtlich, dass sie nicht einfach auf die Scheiben aufspringen können, sondern dass es sich um in alle Richtungen instabile Flächen handelt, die ein vorsichtiges Herangehen unter Erprobung der individuellen Fähigkeiten erfordern. In dieser Situation reicht es jedenfalls aus, dass die Beklagte, wie ihr Geschäftsführer im Senatstermin unwidersprochen ausgeführt hat, in der Ausstellung zwei Betreuungspersonen eingesetzt hat, die bei Bedarf auch bei den Balancierscheiben zu Rate gezogen werden konnten.
Schließlich kann der Beklagten auch nicht vorgeworfen werden, dass sie an der Station mit den Balancierscheiben keine Hinweistafeln über das Risiko und die Art der Nutzung der Scheiben aufgestellt hat. Die Art des Betretens und des Balancierens entzog sich einer allgemeinen Anleitung, weil sie der individuellen Erprobung der einzelnen Nutzer vorbehalten sein muss. Ein besonderes Risiko bestand für den Nutzer, wie oben schon dargestellt, nur bei einem atypischen Geschehensablauf, zu dem es hier leider gekommen ist. Ein Nutzer muss wissen, dass ein Sturz, wie er von der Scheibe einmal vorkommen kann, im Einzelfall unglücklich verlaufen kann, insbesondere wenn es nicht nur zu einem Fall auf den Boden, sondern zu einem Umknicken, wie er etwa auch beim Abrutschen von einer Bordsteinkante denkbar ist, kommt. Zu erwägen ist allerdings, ob Hinweise angezeigt gewesen wären, dass zum Betreten der Scheiben feste und rutschfeste Schuhe notwendig sind und die Scheiben, abhängig z.B. von Alter und Geschicklichkeit, nicht für jede Person geeignet sind. Dies kann aber letztlich offen bleiben, weil dermaßen unterlassene Hinweise für den Unfall nicht ursächlich waren. Die Klägerin wäre von ihnen nicht betroffen gewesen. Sie trug nach eigenen Angaben feste Schuhe, ohne vorzutragen, dass die Sohlen der Sportschuhe unangemessen glatt waren. Als damals 45jährige Frau, die als Seglerin und Skifahrerin nicht nur sportlich aktiv, sondern auch in ihrem Gleichgewichtssinn geschult war, wäre sie auch nicht Ansprechpartnerin eines Warnhinweises hinsichtlich der Beachtung der individuellen Fähigkeiten der Nutzer gewesen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Ende der Entscheidung
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