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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 21 U 84/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 151
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Auftragnehmer bei Bereitstellung der vereinbarten Gewährleistungsbürgschaft die Auskehr des Sicherheitseinbehalts trotz aufgetretener Mängel verlangen kann (BGH BauR 2001, 1893, 1895; BauR 2002, 1543, 1544) und bei Nichtauszahlung die Bürgschaft zurückfordern kann (BGH BauR 2000, 1501, 1502 f.), gilt auch bei Mängeln, die bereits vor Abnahme zutagegetreten sind.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 31.03.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.

Die Beklagte zu 4) wird verurteilt, die Bürgschaftsurkunde der W Versicherungen, deutsche Kautionsversicherung für die Bauwirtschaft Aktiengesellschaft, Bürgschafts-Nr. ###/### über eine Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 192.587,00 DM (= 98.468,17 €) vom 01.10.2001 zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche der Beklagten bezüglich des Bauvorhabens Neubau ...-Bürogebäude, W-Straße, F, gem. Bauvertrag vom 18.12.2000 an den Kläger herauszugeben.

Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu 4) zu tragen.

Von den erstinstanzlichen Kosten werden auferlegt:

die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 3/4 dem Kläger und zu 1/4 der Beklagten zu 4);

die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4) dieser allein;

die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) - 3) dem Kläger allein.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte zu 4) kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120.000,00 € abwenden, wenn nicht dieser vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1) - 3) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils für sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zu 1) - 3) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die vom Kläger verwaltete Insolvenzschuldnerin (im folgenden Fa. I & M) hatte aufgrund VOB-Vertrages vom 18.12.2000 für die Beklagte zu 4 (deren Gesellschafter die Beklagten zu 1 bis 3 sind) ein schlüsselfertiges Bürogebäude in F erstellt. Der Kläger verlangt die mit der Schlußrechnung überlassene Gewährleistungsbürgschaft zurück, nachdem die Beklagten den vollen Schlußrechnungsbetrag, der den fünfprozentigen Gewährleistungseinbehalt gemäß Nr. 1.3.2.26 des Bauvertrages übersteigt, unter Berufung auf Mängel nicht gezahlt haben. Die Beklagten behaupten, angesichts der aufgetretenen schwerwiegenden Mängel habe sich die Fa. I & M ausdrücklich damit einverstanden erklärt, daß ihnen der Bareinbehalt neben der Bürgschaft verbleiben solle. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Grundsätzlich sei die Gewährleistungsbürgschaft zwar bei Nichtauszahlung des Bareinbehalts zurückzugeben gewesen; die Beklagten hätten aber die von ihnen behauptete, anderslautende Vereinbarung bewiesen. Von den vier vernommenen Zeugen habe sich zwar nur einer an das Zustandekommen der Vereinbarung erinnern können; diesem Zeugen, dem von der Fa. I & M selbst beauftragten Bausachverständigen D, sei jedoch zu folgen, weil seine Aussage glaubhaft und überzeugungskräftig gewesen sei. Eine unzulässige nachträgliche Verschlechterung der Rechtsposition der Bürgin liege in der Vereinbarung nicht. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Erwägungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Mit der Berufung, die nur gegenüber der Beklagten zu 4 eingelegt worden ist, rügt der Kläger die landgerichtliche Beweiswürdigung. Die Aussage des Zeugen D trage die Feststellung der fraglichen Vereinbarung nicht. Der Zeuge sei sich nicht sicher gewesen. Keiner der anderen Zeugen habe sich an die mit erheblicher Tragweite verbundene Vereinbarung erinnern können. Der Zeuge D sei auch ursprünglich nicht von der Fa. I & M, sondern von den Beklagten beauftragt gewesen. Ein Motiv, die Fa. I & M zu Unrecht zu belasten, könne im übrigen darin liegen, daß er mit seiner Honorarforderung gegen die Fa. I & M ausgefallen sei. Eine derart bedeutende Vereinbarung wäre auch, wenn sie getroffen worden wäre, sicherlich schriftlich fixiert worden. Die Zeugen, die an der Vereinbarung beteiligt gewesen seien, seien ferner auch nicht zu ihrem Abschluß (vertretungs)befugt gewesen. Schließlich gehe die Vereinbarung unzulässigerweise zu Lasten der Bürgin, weil die Sicherungsabrede verändert werde. Schließlich würden die Mängel und die Höhe der Mängelbeseitigungskosten mangels detaillierten Beklagtenvortrages bestritten. Die Beklagten treten der Auffassung des Landgerichts entgegen, daß die Bürgschaft grundsätzlich zurückzugeben sei, wenn nach ihrem Erhalt der Bareinbehalt nicht ausgekehrt werde. Die Bürgschaft sei nicht "im Tausch" gegen die Auszahlung des Bareinbehalts überlassen worden. Wenn schon vor Abnahme, also noch in der Erfüllungsphase, Mängel aufgetreten seien und der Auftraggeber deshalb berechtigte Einbehalte zur Sicherung der Vertragserfüllung mache, erlange er mit einer Gewährleistungsbürgschaft keine unzulässige Doppelsicherung. Zu Recht habe das Landgericht dann aber die Vereinbarung, beide Sicherungen behalten zu dürfen, als bewiesen angesehen. Daß sich der Zeuge D an den Vorgang erinnert habe, sei nachvollziehbar, weil er auch eine vermittelnde Funktion innegehabt habe. Auch wenn ggf. nur ein Vorschlag an die Fa. I & M feststellbar sei, den Beklagten sowohl die Barsicherheit als auch die Bürgschaft zu belassen, sei dieser Vorschlag anschließend konkludent dadurch angenommen worden, daß die Fa. I & M in der Folgezeit tatsächlich nicht auf Zahlung oder Bürgschaftsrückgabe gedrängt habe. Die wirtschaftliche Tragweite der Vereinbarung sei im Hinblick auf die Gesamtbausumme zu relativieren. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen D sei auch nicht deshalb anzuzweifeln, weil er mit seinem Honoraranspruch ausgefallen sei. Schließlich komme es wegen der getroffenen Vereinbarung auch nicht auf die tatsächliche Höhe der Mängelbeseitigungskosten an. II. 1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß der Kläger grundsätzlich die von der Fa. I & M gestellte Gewährleistungsbürgschaft zurückverlangen konnte, nachdem die Beklagten die Schlußrechnung nicht beglichen hatten. Dieser Rückgabeanspruch ergibt sich aus der Sicherungsabrede, die der Überlassung der Bürgschaft zugrundeliegt. a) Nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BauR 2001, 1893) muß der Auftraggeber auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Überlassung der Austauschbürgschaft durch den Auftragnehmer nach seiner Behauptung bereits Mängel aufgetreten sind, den Bareinbehalt auskehren. Selbst wenn der Sicherungsfall, nämlich die Entstehung von auf Geldzahlung gerichteten Gewährleistungsansprüchen, bereits eingetreten ist oder kurz bevorsteht, muß sich der Auftraggeber entscheiden, ob er den Bareinbehalt verwertet - dann darf er die Bürgschaft nicht entgegennehmen -, oder ob er die Bürgschaft beansprucht - dann muß er den Bareinbehalt auszahlen und darf sich hiergegen insbesondere auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen Nachbesserungsansprüchen berufen (BGH BauR 2002, 1543, 1544) -. Erklärt der Auftraggeber sich nicht, welche der Sicherheiten er beanspruchen will, kann der Auftragnehmer entprechend seinem Austauschrecht zwar grundsätzlich die Auszahlung des Bareinbehalts verlangen, die Bürgschaft kann der Auftraggeber behalten (BGH BauR 2001, 1893, 1895; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 2. Aufl. 2004, T. 10 Rn. 98). Das schließt aber die Möglichkeit nicht aus, stattdessen auch die Bürgschaft zurückzuverlangen, wenn der Auftraggeber den Bareinbehalt nicht auskehrt (BGH BauR 2000, 1501, 1502 f.). Es ist nämlich davon auszugehen, daß die Bürgschaftsüberlassung unter der stillschweigend vereinbarten auflösenden Bedingung steht, daß der Auftraggeber den abgelösten Bareinbehalt trotzdem unbefugterweise weiterbehält (Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB, 15. Aufl. 2004, Rn. 26 zu § 17 Nr. 3 VOB/B). b) Entgegen der Berufungserwiderung ist die geschilderte Rechtslage auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn die vom Auftraggeber behaupteten Mängel schon vor der Abnahme zutagegetreten sein sollen. Zumindest wenn es - wie hier - trotz solcher Mängel tatsächlich doch zur Abnahme gekommen ist, besteht kein sachlicher Grund, in diesem Fall eine Doppelsicherung zuzulassen mit dem formalen Argument, es handele sich einerseits um ursprüngliche Erfüllungsansprüche, andererseits um eine Gewährleistungsbürgschaft. Auch der oben zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist kein Anhaltspunkt für eine abweichende Beurteilung bei schon vor Abnahme zutagegetretenen Mängeln zu entnehmen. c) Schließlich greift auch die Argumentation der Beklagten nicht durch, daß die Fa. I & M ihnen die Gewährleistungsbürgschaft gar nicht "im Austausch" gegen die Auszahlung eines Bareinbehalts überlassen habe und die Nichtzahlung der Schlußrechnungsforderung auch nicht als Sicherheitseinbehalt zu verstehen gewesen sei. Zum einen ist auf seiten der Fa. I & M kein anderes Motiv für die Überlassung der Bürgschaft denkbar, weil es sich um den typischen und auch im vorliegenden Vertragswerk ausdrücklich vorgesehenen Zweck einer Gewährleistungsbürgschaft handelt und tatsächlich auch noch ein den fünfprozentigen Einbehalt übersteigender Restwerklohnanspruch offenstand. Unter diesen Umständen bedurfte es nicht zusätzlich einer ausdrücklichen Erklärung der Fa. I & M, die Bürgschaft solle zum Austausch gegen einen Bareinbehalt dienen. Zum anderen können die Beklagten die oben dargestellte Rechtslage auch nicht dadurch umgehen, daß sie die Nichtzahlung der Schlußrechnungsforderung, auch soweit der ihnen vertraglich zustehende Sicherheitsbetrag betroffen ist, anstatt mit dem vertraglichen Einbehaltsrecht mit Gegenrechten wegen konkreter Mängel begründen. Wäre das zulässig, so stünde es im Belieben des Auftraggebers, das höchstrichterlich anerkannte Recht des Auftragnehmers auf Sicherheitenaustausch zu vereiteln. Es wäre auch lebensfremd anzunehmen, daß die Beklagten von ihrem vertraglich vorgesehenen Recht zum Sicherheitseinbehalt keinen Gebrauch machen wollten und folglich, wenn es die von ihnen behaupteten Mängel nicht gegeben hätte, die Schlußrechnung auch ohne Gewährleistungsbürgschaft voll bezahlt hätten. Für die Ausübung eines auf konkrete Mängel gestützten Zurückbehaltungsrechts war daher von vornherein nur bezüglich des den Sicherungseinbehalt übersteigenden Schlußrechnungsbetrages Raum. 2. Dem Anspruch der Fa. I & M auf Rückgabe der Bürgschaft steht auch nicht entgegen, daß sie der Beklagten zu 4 durch eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung ein Recht zum Behaltendürfen beider Sicherungsmittel - Bürgschaft und Bareinbehalt - eingeräumt hätte. Entgegen dem angefochtenen Urteil kann eine solche Vereinbarung nicht als bewiesen angesehen werden. Da das Landgericht die von den Beklagten behauptete Vereinbarung aufgrund der Aussage des Zeugen D als bewiesen angesehen hatte, obwohl der Zeuge lt. Protokoll in den entscheidenden Passagen die Einschränkungen "wie ich meine" und "soweit ich mich erinnere" gemacht hatte, unterlag die Tatsachenfeststellung Zweifeln i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, aufgrund derer die Vernehmung des Zeugen D zu wiederholen war. Die erneute Vernehmung hat dem Senat nicht die volle Überzeugung vermittelt, daß die Vereinbarung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zustandegekommen sein muß. Der Zeuge D hat nämlich klargestellt, daß es zwei Besprechungen gegeben habe, wobei die erste eine interne Abstimmung mit den Vertretern der Fa. I & M dargestellt habe, bei der die Beklagten nicht zugegen gewesen seien. Lediglich für diese erste Besprechung habe er eine sichere Erinnerung daran, daß sich die Vertreter der Fa. I & M mit einer Belassung beider Sicherheiten - und dies auch nur bis zu einer Klärung des Mängelumfangs - einverstanden gezeigt hätten. Erst an der zweiten Besprechung hätten dann auch Vertreter der Beklagtenseite teilgenommen. An diese Besprechung könne er sich nur so weit sicher erinnern, als die Fa. I & M sich zur Mängelbeseitigung bereiterklärt habe und sich die Beteiligten hierauf geeinigt hätten. Daß man sich auch über das Behaltendürfen beider Sicherungsmittel geeinigt hätte oder hierüber auch nur erneut gesprochen worden wäre, könne er hingegen nicht mehr mit Gewißheit sagen. Das Zustandekommen einer ausdrücklichen Vereinbarung kann daher nicht festgestellt werden, auch nicht nach § 151 BGB, weil auch dafür wenigstens eine der beiden Willenserklärungen, nämlich das Angebot, zugegangen sein müßte. Die interne Abstimmung bei der ersten Besprechung mit dem Zeugen D stellte jedoch weder eine für die Beklagten bestimmte Willenserklärung dar noch ist sie ihnen bekanntgemacht worden. Doch auch eine konkludente Vereinbarung dadurch, daß die Fa. I & M in der Folgezeit tatsächlich keine der beiden Sicherheiten zurückgefordert hat, ist nicht feststellbar. Die Beklagten konnten diesem Verhalten der Fa. I & M aus der Sicht redlicher Erklärungsempfänger nicht die objektive Bedeutung entnehmen, daß sie damit auf ihr Recht zum Sicherheitenaustausch verbindlich verzichten wollte. Vielmehr war es zumindest ebensogut denkbar, daß die Fa. I & M lediglich vorläufig mit der Geltendmachung dieses Rechtes zuwarten und dadurch keine unnötige Schärfe in das schon durch die Mängel gestörte Vertragsverhältnis bringen wollte. Diese denkbare Motivation bestand aufgrund der geplanten Mängelbeseitigung bis zum Eintritt der vorläufigen Insolvenz der Fa. I & M fort. Eine Bindung im Sinne eines endgültigen Verzichts auf das Austauschrecht konnte daher noch nicht eingetreten sein. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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