Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.03.2000
Aktenzeichen: 22 U 184/99
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 903
BGB § 906
GG Art 14
§ 903, 906 BGB, Art 14 GG

Zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs aus enteignendem oder enteignungsgleichen Eingriff, wenn Schwerlastverkehr auf öffentlichen Straßen auf das Anliegergrundstück einwirkende Erschütterungen verursacht und der Schwerlastverkehr durch Bautätigkeit infolge der Ausweisung eines Baugebietes im Bebauungsplan hervorgerufen wird.

Urteil des 22. Zivilsenats vom 30. März 2000 - 22 U 184/99 -


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

22 U 184/99 OLG Hamm 3 O 229/99 LG Paderborn

Verkündet am 30. März 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2000 durch die Richter am Oberlandesgericht Gottwald und Aschenbach und den Richter am Amtsgericht Dr. Kirsten

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 02. September 1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin beträgt 35.000,00 DM.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der Schäden an ihrem Haus, die nach ihrer Behauptung durch Schwerlastverkehr im Zuge der Bebauung des Gebietes des Bebauungsplanes "Westlich des Friedhofs" in Höxter-Bruchhausen verursacht wurden.

A.

Ansprüche aus öffentlich-rechtlichen Gesetzen sind nicht gegeben.

Eine Entschädigung nach § 20 Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG MW) scheidet aus, weil durch Maßnahmen der Beklagten keine Zufahrten oder Zugänge zu dem Grundstück der Klägerin unterbrochen wurden.

Ein Anspruch auf Planungsentschädigung nach §§ 74 f. VwVfG steht der Klägerin ebenfalls nicht zu. Ein Eingriff aufgrund eines Planfeststellungsverfahrens liegt nicht vor.

Schließlich kommt auch eine Entschädigung nach §§ 39 ff. BauGB nicht in Betracht, da kein planerischer Eingriff in die Bodennutzung gegeben ist.

B.

Auch ein Anspruch auf Entschädigung aus enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriff steht der Klägerin nicht zu.

Die Entschädigung für enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriff ist als Teil des richterrechtlich geprägten Staatshaftungsrechts anerkannt und schließt die Lücke zwischen rechtmäßiger Enteignung und rechtswidriger, schuldhafter Amtshaftung (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 5. Aufl., Vorb §§ 85 - 122 Rdnr. 8). Man unterscheidet zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigem Handeln:

Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, daß rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (st. Rspr.; BGHZ 6, 270, 290; BGH, NJW 1992, 3229, 3231 m.w.N.; Palandt/Bassenge, BGB, 59. Aufl., Überbl. v. § 903 Rdnr. 13; Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O.).

Aus enteignendem Eingriff kommt ein Entschädigungsanspruch in Betracht, wenn rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muß, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (st. Rspr.; BGH, NJW 1965, 1907; BGH, NJW 1992, 3229, 3231 m.w.N.; Palandt/Bassenge, BGB, 59. Aufl., Überbl. v. § 903 Rdnr. 14; Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O. Rdnr. 9).

I. Positives Tun der Beklagten hat nicht zu dem danach erforderlichen Eingriff von hoher Hand geführt.

1) Bei dem Schwerlastverkehr selbst handelt es nicht um eine der Beklagten zurechenbare Maßnahme, schon gar nicht um eine hoheitliche. Der die behaupteten Erschütterungen hervorrufende Schwerlastverkehr ist den jeweiligen Unternehmern bzw. Bauherren zuzurechnen, die die Fahrzeuge bestellt hatten und Einfluss nehmen konnten. Die Beklagte hat die LKW-Fahrten jedenfalls nicht konkret veranlasst; dass ist auch nicht hinsichtlich der Erschließung der "Stichwege" - hier Abzweig Hüweweg - vorgetragen. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine hoheitliche Maßnahme. Denn die einzelnen Fahrten sind als Teilnahme am Straßenverkehr im Rahmen der Baumaßnahmen privatrechtlicher Natur gewesen.

2) Ein entschädigungsbegründender, der Beklagten zurechenbarer Eingriff ist auch nicht durch das Aufstellen des Bebauungsplanes und dessen Umsetzung durch Baugenehmigungen erfolgt.

Zwar handelt es sich um hoheitliche Maßnahmen. Ein hierauf gestützter Entschädigungsanspruch wäre auch nicht schon deshalb zu versagen, weil die Klägerin gegen den Bebauungsplan 5/3 "Westlich des Friedhofs" keine Einwendungen geltend gemacht hat. Denn der BGH hat, soweit ersichtlich, den Vorrang verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes stets nur bei konkret belastenden Maßnahmen angenommen, so z . B . in dem Fall BGH, NJW 1990, 298, in dem der Eigentümer eine aus seiner Sicht rechtswidrige Unterschutzstellung als Denkmal hingenommen hatte. Im vorliegenden Fall richtete sich das hoheitliche Handeln aber nicht konkret gegen die Klägerin. Sie war noch nicht einmal in den Bebauuungsplan einbezogen; ihr Grundstück liegt außerhalb des Plangebietes. Art und Ausmaß der sie treffenden Beeinträchtigungen waren daher nicht unbedingt konkret voraussehbar, so dass sich die Klägerin hiergegen verwaltungsgerichtlich nicht wehren konnte. Auch das ist ein Aspekt, der in der Literatur im Einzelfall gegen den Vorrang des Primärrechtsschutzes herangezogen wird (Aust/Jacobs, Die Enteignungsentschädigung, 4. Aufl., S. 98).

Allerdings ist das - für den enteignungsgleichen, wie auch den enteignenden Eingriff erforderliche - Merkmal der Unmittelbarkeit des Eingriffs (BGH, NJW 1988, 478, 479; Krohn-Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl., Rdnrn. 219 ff.; Nüßgens-Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rdnr. 425 ff., jew. m. w. Nachw.), nicht gegeben. Unmittelbarkeit setzt voraus, dass schädigende Auswirkungen des Eingriffs vorliegen, die für die konkrete Betätigung der Hoheitsgewalt typisch sind und aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme folgen (BGHZ 92, 34, 41 f. = NJW 1984, 2516; NJW 1987, 2573 jew. m. w. Nachw.; BGH, NJW 1988, 478, 479). Die Wirkungen müssen zwangsläufig, ohne Hinzutreten weiterer Umstände eintreffen (Aust/Jacobs, a.a.O., S. 71). Das ist hier nicht der Fall, weil die Aufstellung des Bebauungsplanes nur ein Glied in der von vielen Faktoren beeinflußten Ursachenkette ist, die über zahlreiche Beiträge eigenverantwortlich handelnder Dritter (Bauherr, Bauunternehmer, LKW-Fahrer) zu den angeblichen Bauschäden führte. Die behördliche Maßnahme mag einen Zustand geschaffen haben, der zwar Gefahren in sich barg; er führte aber erst bei Hinzutreten weiterer Umstände zu einer Schädigung der Klägerin, was für die Unmittelbarkeit nicht ausreicht.

3) In der allgemeinen Zulassung der Anliegerstraßen für den Schwerlastverkehr ist ebenfalls keine entschädigungspflichtiger Eingriff zu sehen.

Nach der Rspr. des BGH (vgl. BGH, NJW 1988, 900 m. zahlr. w. N.) sind Verkehrsimmissionen i . S . d. § 906 BGB, wozu nach dem Gesetzeswortlaut auch Erschütterungen zu zählen sind, die von einer in Betrieb genommenen öffentlichen Straße ausgehen, als öffentlich-rechtliche Einwirkungen zu beurteilen. Die Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks durch Verkehrsimmissionen ist die unmittelbare Folge der hoheitlichen Eröffnung der vorbeiführenden Straße für den Kraftverkehr. Ein Anlieger einer seit altersher bestehenden Verkehrsanlage hat wegen der von dieser ausgehenden Immissionen aber nur dann einen Anspruch aus enteignungsgleichen Eingriff, wenn er schweren und unerträglichen Einwirkungen ausgesetzt ist, die die Grenze dessen überschreiten, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muß (Aust/Jacobs, a.a.O., S. 177; zu Verkehrslärmimmissionen: BGH; a.a.O.).

Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass die gewöhnliche, dem Widmungszweck entsprechende Nutzung des öffentlichen Verkehrsraumes durch den Kraftfahrzeugverkehr bereits zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung führt. Offenbar hat das Haus der Klägerin den üblichen Schwerlastverkehr unbeschadet überstanden. Der Schwerlastverkehr in der von der Klägerin beanstandeten Art führt nicht zu einer unerträglichen, nicht hinnehmbaren Dauerbelastung. Durch die nur vorübergehende Nutzung durch Baustellenfahrzeuge während der Bauzeiten im Baugebiet ist deshalb schon keine "nachhaltige" Veränderung des Eigentums der Klägerin eingetreten. Die behaupteten Erschütterungen haben nach dem Vortrag der Klägerin außerdem auch nicht zu einer statischen Gefährdung des Gebäudes geführt. Unter Berücksichtigung aller Umstände kann daher nicht festgestellt werden, dass die behaupteten Erschütterungen die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteigen, wie sie etwa für Verkehrslärmimmisionen vom BGH (a.a.O.) hei einer Dauerlärmbelastung von 70 dB angenommen wurde.

II.

Schließlich kommt als Anknüpfungspunkt für einen Entschädigungsanspruch auch nicht ein Unterlassen von Schutzmaßnahmen - hier das Unterbinden von Schwerlastverkehr - in Betracht.

Zweifelhaft ist ein Entschädigungsanspruch unter diesem Gesichtspunkt schon deshalb, weil das Unterlassen nur die Kehrseite des bereits geprüften Verhaltens, nämlich der Planaufstellung und der Widmung der Straße für den Straßenverkehr, ist. Davon abgesehen wäre aber ein sog. qualifiziertes Unterlassen erforderlich, welches nicht vorliegt.

Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass ein Eingriff im enteignungsrechtlichen Sinne grundsätzlich ein positives Handeln der öffentlichen Gewalt voraussetzt (BGH, NJW 1988, 478, 481 [Waldsterben]; BGH, NJW 1994, 858, 861 [Irak-Embargo]; Palandt/Bassenge, BGB, 59. Aufl., Überbl v § 903 Rdnr. 12). Ein reines Unterlassen und Untätigbleiben der öffentlichen Hand erfüllt daher nicht die Merkmale eines Eingriffs, es sei denn, das Unterlassen ließe sich ausnahmsweise als ein in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifendes Handeln qualifizieren (BGH a.a.O., jew. m. zahlr. w. N.). Ein qualifiziertes Unterlassen wurde dabei vom BGH bisher nur angenommen, wenn entgegen einem Anspruch auf Genehmigungserteilung eine Bauerlaubnis oder eine gewerberechtliche Erlaubnis für Ersatz- oder Anpassungsinvestitionen förmlich versagt oder faktisch vorenthalten wurde; denn in diesen Fällen wurde in konkrete, vom Schutz des Art. 14 I GG umfaßte Rechtspositionen des Eigentümers, nämlich in die aus dem Grundeigentum abzuleitende Baufreiheit oder in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eingegriffen (BGH, a.a.O. m.zahlr. w. N.). Von einem qualifizierten Unterlassen in diesem Sinne kann nach der Rspr. des BGH (a.a.O.) nicht gesprochen werden, wenn nicht eindeutig feststeht, welches konkrete Verhalten der öffentlichen Hand nach öffentlichem Recht geboten ist.

Hier fehlt schon der Eingriff in den Rechtskreis der Klägerin, weil ihr nichts versagt wurde, worauf sie einen öffentlich-rechtlichen Anspruch hatte. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch der Klägerin auf Unterbindung des Schwerlastverkehrs ist nicht ersichtlich. Der Schwerlastverkehr erfolgte - wie ausgeführt privatrechtlich, so dass die eigentlichen Erschütterungen nicht durch hoheitliches Handeln verursacht wurden. Einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Abwehr privatrechtlicher Beeinträchtigungen gibt es aber nicht. Der Betroffene muss vielmehr selbst sein Recht verwirklichen und notfalls die Hilfe der Gerichte in Anspruch nehmen, hier also gegen die beeinträchtigenden Bauherren/Unternehmer u.U. einen Unterlassungsanspruch gem. §§ 1004, 906 I BGB verfolgen. Eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bezogen auf das private Grundstück der Klägerin besteht ebenfalls nicht. Darüber hinaus ergibt sich ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auch nicht aus der Bauplanung. Fehler i.S.d. § 1 Abs. 6 BauGB bei der Abwägung der Einzelinteressen der Klägerin gegen das öffentliche Interesse an ein ruhiges, z.T. verkehrlich abgebundenen Baugebietes sind aufgrund des plausiblen Vortrages der Beklagten, aus welchen Gründen mit Fußwegen und abgebundenen Stichstraßen geplant wurde, weder erkennbar noch behauptet, zumal in der Vergangenheit keine Erschütterungsschäden gemeldet wurden.

C. Auch ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 34 GG, 839 BGB besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte schuldhaft eine Amtspflicht verletzt hätte; rechtswidriges hoheitliches Handeln kann nach dem oben Gesagten nicht festgestellt werden. Soweit eine Haftung im Zusammenhang mit der Bauleitplanung im Raum steht, wurde im übrigen eine Dritten gegenüber bestehende Amtspflicht bislang nur bei Umwelt- und Gesundheitsgefahren durch Altlasten bejaht (BGH, NJW 1993, 384), nie jedoch bei der Gefährdung reiner Vermögensinteressen. Abwägungsfehler sind darüber hinaus, wie dargelegt, auch nicht ersichtlich.

D. Ein Anspruch aus § 39 OBG besteht gleichfalls nicht. Wie ausgeführt, liegt keine rechtswidrige Maßnahme vor.

E. Da es schon an einem Anknüpfungspunkt für die Haftung der Beklagten fehlt, bedarf die Frage, ob die geltend gemachten Schäden durch den Schwerlastverkehr verursacht wurden, keine Klärung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück