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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.10.2006
Aktenzeichen: 26 U 171/05
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 288 Abs. 1
BGB § 291
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 Abs. 1 a. F.
EGBGB Art. 229 § 8 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das am 31.10.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Hagen - Aktenzeichen 9 O 91/01 - wird abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.443,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 23.03.2004 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle gegenwärtigen und künftigen materiellen Schäden, soweit sie nicht Gegenstand des Klageantrages zu 3 waren, sowie alle derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Folgeschäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 25.04.2002 bis zum 06.05.2002 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 29 % und der Beklagte 71 %, von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger 38 % und der Beklagte 62 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene, am 31.10.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Hagen (Blatt 149 der Akten).

Mit am 31.10.2005 verkündetem Urteil hat das Landgericht Hagen den Beklagten verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 3.000,00 € und materiellen Schadensersatz von 443,43 € zu zahlen.

Gegen das ihm am 15.11.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 13.12.2005 beim Oberlandesgericht Hamm eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 14.02.2006 beim Oberlandesgericht Hamm innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist eingegangenem Schriftsatz begründet.

Am 17.11.2005 ist das Urteil dem Beklagten zugestellt worden. Mit am 15.12.2005 beim Oberlandesgericht Hamm eingegangenem Schriftsatz hat er gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese ebenfalls innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist begründet.

Der Kläger begehrt mit der Berufung - entsprechend seiner Vorstellung in erster Instanz - eine Erhöhung des Schmerzensgeldes auf mindestens 7.000,00 € und den Ausspruch der Feststellung, der Beklagte habe ihm alle gegenwärtigen und künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 25.04.2002 bis zum 06.05.2002 zu ersetzen.

Er behauptet, der Beklagte habe eine vorsätzliche Körperverletzung begangen, da es für die durchgeführte Wurzelbehandlung keine Indikation gegeben habe und der Beklagte am 06.05.2002 die falsche Bohrrichtung und das Verfehlen des Wurzelkanals verschwiegen habe. Ferner habe der Beklagte einen vorsätzlichen Prozessbetrug zu begehen versucht, indem er während des Rechtsstreits das Durchbohren des Zahnes abgestritten habe und die vom Kläger geschilderten Beschwerden in Abrede gestellt habe.

Der Kläger vertritt die Rechtsansicht, es sei schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen, dass der Versicherer des Beklagten den Schaden nicht reguliert habe, sondern ihn ausprozessieren lasse. Ferner müsse die Vergiftung mit dem Präparat Taxovit am 25.04.2002 in die Bemessung des Schmerzensgeldes einfließen.

Der Kläger ist der Ansicht, dem Feststellungsantrag sei stattzugeben, und behauptet hierzu, ein Beschleiftrauma sei immer zu befürchten. Ferner müsse eine implantologische Behandlung erfolgen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. den Beklagen zu verurteilen, ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld nebst gesetzlichen Zinsen entsprechend den erstinstanzlichen Begehrensvorstellungen an den Kläger zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle gegenwärtigen und künftigen materiellen und immateriellen Schäden ab Klageerhebung aus der fehlerhaften Behandlung vom 25.04.2002 bis zum 06.05.2002 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hagen vom 31.10.2005 zu dem Aktenzeichen 9 O 91/04, zugestellt am 15.11.2005, den Beklagten lediglich zu verurteilen, an den Kläger 2.477,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte erstrebt mit der Berufung eine Reduzierung des Schmerzensgeldes.

Er begründet seine Berufung mit der bereits in erster Instanz aufgestellten Behauptung, er habe am 25.04.2003 zunächst am Zahn 11 eine Vitalitätsprobe mittels Eissprays durchgeführt. Diese habe ergeben, dass der Zahn nicht mehr vital gewesen sei. Auf eine fehlende Vitalität des Zahnes habe auch dessen Verfärbung hingedeutet. Er, der Beklagte, habe daraufhin den Zahn aufgebohrt, um eine Wurzelbehandlung durchzuführen. Dabei habe er bemerkt, dass der Zahn 11 doch vital im Sinne einer Restvitalität gewesen sei. Deshalb habe er in die Karteikarte ein "+" eingetragen. Da das Pulpencavum bereits eröffnet worden sei, sei nunmehr eine Wurzelbehandlung erforderlich geworden. Zur Abtötung des Nervs habe er das Präparat Toxavit appliziert.

Die via falsa habe er erst am 06.05.2002 aufgrund einer Röntgenaufnahme bemerkt. Er habe den Kläger über die fehlerhafte Bohrung nicht informieren können, da dieser die Praxis verlassen habe, bevor das Röntgenbild entwickelt worden sei. Ab dem 12.05.2002 sei er, der Beklagte, arbeitsunfähig erkrankt und habe sich für 6 Wochen stationär im Krankenhaus befunden.

Der Beklagte vertritt die Rechtsansicht, ein Schmerzensgeld von allenfalls 2.000,00 € sei ausreichend. Er behauptet hierzu, ein grober Behandlungsfehler habe nicht vorgelegen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Nachbehandler S die Extraktion des Zahnes auch zu einem früheren Zeitpunkt hätte durchführen können, was dem Kläger monatelange Zahnschmerzen erspart hätte.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Der Senat hat durch Vernehmung des Sachverständigen I Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 26.09.2006 verwiesen.

B.

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet, die Berufung des Beklagten ist unbegründet, denn der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 € und auf Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten.

I.

Dem Kläger steht wegen der zahnärztlichen Behandlung im Zeitraum vom 25.04.2002 bis zum 06.05.2002 gegen den Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a. F. ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 € zu.

1. Gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB finden die Vorschriften der §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB Anwendung, da die Behandlung vor dem 01.08.2002 abgeschlossen war.

2. Der Beklagte hat im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung den Körper des Klägers fahrlässig und widerrechtlich im Sinne der §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a. F. verletzt. Nach Anhörung des Sachverständigen I durch den Senat steht fest, dass der Beklagte im Zeitraum vom 25.04.2002 bis zum 06.05.2002 mehrere, teils grobe Behandlungsfehler begangen hat.

a) Bereits die Indikationsstellung am 25.04.2002, die dazu geführt hat, dass der Beklagte den Zahn 11 überhaupt aufgebohrt hat, war grob fehlerhaft.

Wie der Sachverständige bereits auf Seite 15 seines schriftlichen Gutachtens vom 08.12.2004 nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, wäre eine Wurzelbehandlung nur indiziert gewesen, wenn der Beklagte einen pulpentoten Zahn diagnostiziert hätte. Die beabsichtigte Überkronung des Zahnes indizierte eine Wurzelbehandlung hingegen nicht.

Wie den Ausführungen des Sachverständigen I in seinem schriftlichen Gutachten vom 08.12.2004 und bei seiner Anhörung vor dem Senat zu entnehmen ist, ergibt sich aus den vom Beklagten gefertigten Behandlungsunterlagen nicht, dass der Zahn 11 am 25.04.2002 devital war. In der Patientenkarteikarte der Zahn 11 im Gegenteil als vital gekennzeichnet. Dies folgt aus der Eintragung "013 0 8(ViPr) 11 +" vom 25.04.2002. Von der Richtigkeit dieser Dokumentation hat der Senat auszugehen. Der Dokumentation kommt insoweit eine Indizwirkung zu (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, Rdnr. B 202; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl. 2006, Rdnr. 465, 498). Die Behauptung des Beklagten, eine Vitalitätsprüfung mittels Eissprays habe ergeben, der Zahn sei abgestorben, ist nicht geeignet, die Vermutung, der Zahn sei am 25.04.2002 vom Beklagten als vital erkannt worden, zu widerlegen. Eine Überprüfung des Zahnes mit Hilfe von Eisspray ist in den Behandlungsunterlagen nämlich ebenso wenig dokumentiert wie andere mögliche Anzeichen einer Devitalität, wie zum Beispiel eine Klopfempfindlichkeit des Zahns. Abgesehen davon wäre, wie der Sachverständige I bei seiner Anhörung am 26.09.2006 ausgeführt hat, ein Vitalitätstest mittels Eissprays nicht ausreichend gewesen, um den Zahn als devital zu diagnostizieren und ein Aufbohren bis zur Pulpa zu rechtfertigen. Auch aus der Verfärbung des Zahnes 11 sei nicht zwingend auf eine Devitalität des Zahnes zu schließen. Vielmehr hätte der Beklagte vor der Trepanation des Zahnes eine Röntgenaufnahme anfertigen müssen, um die Wurzelspitze auf eine apikale Aufhellung zu untersuchen. Auch dies hat er unterlassen. Es ist daher aufgrund der vom Beklagten gefertigten Eintragung in die Patientenkarteikarte davon auszugehen, dass er eine Wurzelbehandlung an einem vitalen Zahn durchführen wollte.

Der Sachverständige I hat bei seiner Anhörung vor dem Senat erklärt, die Indikationsstellung für das Aufbohren des Zahnes 11 am 25.04.2002 sei grob fehlerhaft gewesen. Der Senat schließt sich der Einschätzung des Sachverständigen, es habe sich um ein medizinisches Fehlverhalten gehandelt, dass aus objektiver zahnärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Zahnarzt schlechthin nicht unterlaufen darf, an.

b) Ein weiterer Behandlungsfehler ist dem Beklagten bei der Ausführung der Trepanation unterlaufen, indem er den Wurzelkanal verfehlte. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 08.12.2004 im Einzelnen folgende Fehler festgestellt und fotografisch dokumentiert:

aa) Der Beklagte hat die Bohrrichtung in der Frontalebene (nach rechts oder links) verfehlt. Wie der Sachverständige dargelegt hat, wäre der Fehler vermeidbar gewesen, wenn der Beklagte die Röntgenaufnahme vom 23.01.2001 beachtet hätte. Dann hätte ihm auffallen müssen, dass beim Kläger nicht die übliche, zur Schneidekante fast senkrechte Ausrichtung der Bohrung auf den Wurzelkanal zielte, sondern an der Pulpa vorbei in Richtung der mesialen Wurzelwand.

bb) Auch in der Sagittalebene war die Bohrung falsch ausgerichtet. Dies ist, wie der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, darauf zurückzuführen, dass der Beklagte die anatomischen Form des Zahnes und die Regeln für die Trepanation eines oberen Schneidezahnes nicht ausreichend beachtet hat.

cc) Schließlich hat der Beklagte zu tief gebohrt. Nach den einleuchtenden Erläuterungen des Sachverständigen hätte der Beklagte diesen Fehler vermeiden können, indem er vor Beginn der Bohrung anhand der Röntgenaufnahme vom 23.01.2001 die notwendige Tiefe der Trepanationsbohrung ermitteln hätte. Bei Erreichen der eingeschätzten Bohrtiefe hätte dem Beklagten bewusst werden müssen, dass die Bohrrichtung eventuell nicht regelrecht war. Stattdessen hat der Beklagte so tief gebohrt, dass er entweder die Wurzelwand des Zahnes 11 perforierte oder sie bis auf wenige Zehntel Millimeter tangierte. Wie der Sachverständige I bei seiner Anhörung erklärte, hätte der Beklagte anhand der Röntgenbilder erkennen müssen, dass er nur 6 bis 7 Millimeter tief hätte bohren dürfen, um die Pulpa zu erreichen. Die vom Beklagten durchgeführte Bohrung reichte doppelt so tief.

Das zu tiefe Aufbohren ist als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren. Der Sachverständige hat auf Seite 24 seines schriftlichen Gutachtens vom 08.12.2004 die bei der Bohrung begangenen Ausführungsfehler als aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich bezeichnet. Diese Einschätzung hat er bei seiner Anhörung wiederholt: Das Abweichen beim Bohren sei "sehr krass". Das zu tiefe Aufbohren sei ein schwerer Fehler, der einem Zahnarzt schlechthin nicht passieren dürfe. Der Senat folgt dieser Einschätzung des Sachverständigen, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht.

c) Die Verwendung des Medikaments Toxavit zur Abtötung des Pulpengewebes stellt einen weiteren groben Behandlungsfehler des Beklagten dar. Der Sachverständige I hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten vom 08.12.2004 ausgeführt, dass die Verwendung von Toxavit zur Devitalisation der Pulpa heute wegen der Gefahr eines schädigenden Einflusses auf den Gesamtorganismus nicht mehr zum zahnmedizinischen Standard gehöre. Bei seiner Anhörung hat er weiter ausgeführt, dass dieses Medikament bereits Mitte der 80er Jahre in die Diskussion geraten sei, unter anderem weil es Formaldehyd enthalte. Im Zeitpunkt der Behandlung sei es schon etwa seit 4 bis 5 Jahren nicht mehr zu kaufen gewesen. Es sei nunmehr medizinischer Standard, entweder das Pulpengewebe aus dem Zahn herauszunehmen oder mit anderen, antibiotikaähnlichen Medikamenten zu arbeiten. Der Sachverständige hat daher auch die Behandlung mit Toxavit als groben Behandlungsfehler gewertet. Diese Einschätzung des Sachverständigen ist ebenfalls plausibel, nachvollziehbar und überzeugend begründet. Der Senat schließt sich ihr ebenfalls an.

d) Ein weiterer Behandlungsfehler ist darin zu sehen, dass der Beklagte am 06.05.2002 den Zahn 11 verschloss und den Beklagten aus der Behandlung entließ, bevor er die an diesem Tag gefertigte Röntgenmessaufnahme ausgewertet hatte. Der Sachverständige I hat bei seiner Anhörung ausgeführt, es gehöre zum zahnmedizinischen Standard, dass ein aufgebohrter Zahn erst dann weiterbehandelt werde, wenn die Röntgenaufnahme ausgewertet worden sei. Es sei fehlerhaft, einen Patienten vor der Auswertung der Röntgenaufnahme aus der Praxis zu entlassen. Ob dies auch ein grober Behandlungsfehler sei, hänge von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, beispielsweise der Erreichbarkeit des Patienten, und könne daher vorliegend nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Der Senat geht daher insoweit von einem einfachen Behandlungsfehler aus.

3. Durch die Behandlungsfehler hat der Beklagte den Verlust des Zahnes 11 verursacht. Dabei kann es dahinstehen, ob der Beklagte selbst bereits den Zahn perforiert hat oder ob die Perforation im Zuge der Nachbehandlungen erfolgte. Der Beklagte hat aufgrund seiner fehlerhaften Behandlung auch für die Folgebehandlungen einzustehen, sofern der Nachbehandler nicht seinerseits einen völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegenden groben Behandlungsfehler begeht. Ein derartiger Behandlungsfehler des Nachbehandlers liegt nicht vor. Der Beklagte hatte den Zahn durch den tiefen Bohrstollen jedenfalls so stark vorgeschädigt, dass er, wie der Sachverständige auf Seite 17 f. seines Gutachtens vom 08.12.2004 feststellte, bis zur Wurzelwand allenfalls eine nur wenige zehntel Millimeter dicke Schicht unversehrter Wurzelsubstanz belassen hatte. Die Gefahr einer Perforation im Zuge der Nachbehandlungen war daher groß, zumal der Beklagte den Kläger über die fehlgeschlagene Bohrung nicht informiert hatte.

Neben dem Zahnverlust und den damit einhergehenden physischen und psychischen Problemen hat der Beklagte beim Kläger Zahnschmerzen während der Behandlungsphase, Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit der prothetischen Versorgung und eine temporäre optische Beeinträchtigung während der Anpassungsphase der Brücke 12 auf 21 verursacht. Hinzu kommen die Unannehmlichkeiten, die mit den Spülungen und den medikamentösen Einlagen, welche der Nachbehandler S vorgenommen hat, verbunden waren. Diese Behandlungen waren, wie der Sachverständige I in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt hat, medizinisch notwendig. Der Beklagte kann den Kläger auch nicht darauf verweisen, dass eine frühere Extraktion des Zahnes Schmerzen erspart hätte. Dem Kläger ist nämlich zuzugestehen, alle Möglichkeiten zum Erhalt des Zahnes zu ergreifen.

Die von dem Kläger behaupteten weiteren verletzungsbedingten Beeinträchtigungen (Schmerzen an der Nase vorbei bis hinters Ohr und am rechten Auge, Schatten auf dem rechten Auge beim Fernsehen, lahme Lippe, noch bestehendes taubes Gefühl der rechten Gesichtshälfte) sind hingegen nicht auf die Behandlung durch den Beklagten zurückzuführen. Sie wurden vom Sachverständigen nicht bestätigt (Seite 22 f. des Gutachtens vom 08.12.2004). Auch die mit den groben Behandlungsfehlern verbundenen Beweiserleichterungen rechtfertigen es nicht, die behaupteten Beeinträchtigungen als durch die Behandlung verursacht anzusehen. Beweiserleichterungen treten nur hinsichtlich solcher Primärschäden ein, die herbeizuführen der grobe Behandlungsfehler generell geeignet ist. Für Sekundärschäden gelten sie grundsätzlich nicht (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, Rdnr. B 258 und 262). Bei den behaupteten Beeinträchtigungen des Auges handelt es sich um Sekundärschäden. Die Perforation des Zahnes ist, wie der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausführt, grundsätzlich nicht geeignet ist, Schmerzen bis hinter das Ohr und über dem Auge und Taubheitsgefühle der rechten Gesichtshälfte auszulösen.

4. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist neben dem Ausmaß und der Schwere der Beeinträchtigung auch der Grad des Verschuldens des Schädigers zu berücksichtigen (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 253 Rdnr. 20). Unter Berücksichtigung des Zahnverlustes, der vom Kläger erlittenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten sowie des Umstandes, dass dem Beklagten mehrere grobe Behandlungsfehler unterlaufen sind, erscheint ein Schmerzensgeld von 4.000,00 € als angemessen. In die Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch eingeflossen, dass die prothetische Versorgung des Klägers noch nicht abgeschlossen ist und die provisorisch eingesetzte Brücke noch einmal abgenommen, endgültig angepasst und dauerhaft befestigt werden muss.

Ein vorsätzliches Verhalten des Beklagten konnte der Senat ebenso wenig erkennen wie einen versuchten Prozessbetrug, derartige Umstände waren daher auch nicht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Auch das Regulierungsverhalten des Beklagten bot noch keinen Anlass, das Schmerzensgeld zu erhöhen. Zu beachten ist insoweit nämlich auch, dass sich der Beklagte gegen zu hohe Schmerzensgeldvorstellungen des Klägers zur Wehr setzen musste.

Einschließlich des bereits in erster Instanz zuerkannten materiellen Schadensersatzanspruches in Höhe von 443,43 €, der mit der Berufung nicht mehr angegriffen wurde, ergibt sich ein Zahlungsanspruch des Klägers von 4.443,43 €.

5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, die materiellen Schäden zu ersetzen, ist begründet, soweit der Kläger die Schadenspositionen noch nicht mit dem Zahlungsantrag in diesem Rechtsstreit geltend gemacht hat. Der durch den Zahnverlust erforderlich gewordene Zahnersatz lässt auch zukünftig weitere Zahnbehandlungen und mithin weitere materiellen Schäden erwarten, da jeder Zahnersatz nur begrenzt haltbar ist.

Da alle gegenwärtigen immateriellen und auch die gegenwärtig vorhersehbaren künftigen immateriellen Schäden in das Schmerzensgeld einfließen müssen (vgl. Palandt/Heinrichs, aaO, § 253 Rdnrn. 28 und 31 und Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl. 2002, § 847 Rdnr. 11), ist die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz immaterieller Schäden nur hinsichtlich solcher Schäden auszusprechen, die derzeit nicht vorhersehbar sind.

Mit dieser Präzisierung des Feststellungsausspruchs durch den Senat ist in der Sache keine Abweisung des Feststellungsantrages verbunden, so dass der Kläger hinsichtlich des Feststellungsantrages in voller Höhe obsiegt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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