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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 27 U 137/06
Rechtsgebiete: GmbHG, BGB


Vorschriften:

GmbHG § 35
BGB § 626
Unterlassenes Einschreiten gegen sexuelle Belästigungen von Angestellten durch einen Mitgeschäftsführer kann grundsätzlich eine die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags rechtfertigende Pflichtverletzung darstellen. Es bedarf jedoch einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Juni 2006 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe:

A.

Der Kläger war bei der Beklagten, die früher in Rechtsform einer AG bestand und dann in eine GmbH umgewandelt wurde, zunächst Vorstand und dann Geschäftsführer. Die Umwandlung wurde am 1.11.2005 ins Handelsregister eingetragen. Mit Schreiben vom 3.11.2005 berief die Beklagte, vertreten durch ihre Alleingesellschafterin, den Kläger mit sofortiger Wirkung als "Vorstand bzw. Geschäftsführer" ab und erklärte zugleich die fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages. Sie hat dies mit behaupteten Untreuehandlungen des Klägers begründet.

Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung beantragt, dass Abberufung und Kündigung unwirksam sind, er weiterhin Geschäftsführer ist und das "Arbeitsverhältnis" unverändert fortbesteht.

Das Landgericht hat dem lediglich hinsichtlich des Anstellungsverhältnisses entsprochen, weil es insoweit an ausreichenden Kündigungsgründen fehle, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten seiner Begründung sowie des Parteivorbringens in erster Instanz verwiesen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Abweisung der Klage in vollem Umfang begehrt.

Dabei greift sie die Begründung des angefochtenen Urteils nicht an, sondern stützt sich ausschließlich auf zwei neu nachgeschobene Kündigungsgründe, die ihr erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz bekannt geworden seien:

Zum einen habe der Mitgeschäftsführer L zwei Angestellte der Beklagten, die Zeuginnen I und C, mehrfach sexuell belästigt, indem er bei Gelegenheit von Besprechungen unter dem Schreibtisch ihre Beine und ihren Intimbereich fotografiert habe oder sie auf eine Leiter steigen ließ, um Gegenstände von höheren Regalen herabzuholen, und sie dann unter den Rock fotografiert habe. Hiervon habe der Kläger durch die Zeugin L2 erfahren, sei aber nicht dagegen eingeschritten.

Zum anderen habe der Kläger dem technischen Mitarbeiter G2 der Beklagten am 29.6.2006 mehrere hochwertige Gegenstände aus dem Betriebsvermögen, insbesondere Avionik für Flugzeuge der Marke G sowie Bildschirme im Gesamtwert von ca. 60.000 € übergeben, die er zuvor aus dem Sicherheitsbereich der Klägerin entfernt und "zumindest zeitweise seinem Privatvermögen einverleibt habe".

Der Beklagte bestreitet diese Vorwürfe. Von den Anschuldigungen, dass der Mitgeschäftsführer L Angestellte sexuell belästigt haben soll, habe er erstmals anlässlich dessen Kündigung im Mai 2006 erfahren. Vorher sei ihm das nie zu Ohren gekommen. Er bestreitet auch mit Nichtwissen, dass die Vorwürfe zutreffen, sowie, dass die Beklagte von den Anschuldigungen erst nach der erstinstanzlichen Verhandlung in diesem Verfahren Kenntnis erlangt habe.

Zutreffend sei zwar, dass er dem Zeugen G2 am 29.6.2006 Avioniken übergeben habe. Indessen habe er diese Gegenstände niemals auch nur zeitweilig seinem Privatvermögen einverleibt, sondern diese seien zunächst wegen unbezahlter Rechnungen mit einem Pfandrecht der Fa. B in X, N, USA, belastet gewesen und ihm nach Bezahlung der Rechnungen zur Weiterleitung an die Beklagte übergeben worden, was er unverzüglich veranlasst habe.

Der Senat hat zu dem Vorwurf mangelnden Einschreitens gegen sexuelle Belästigungen von Angestellten durch den Mitgeschäftsführer L Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 9.1.2007 (Bl. 314 GA) durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen L2 und I. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Vermerk des Berichterstatters zur mündlichen Verhandlung vom 1.3.2007 Bezug genommen.

B. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Anstellungsverhältnis des Klägers ist durch die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung nicht beendet worden. Auch die in zweiter Instanz nachgeschobenen Kündigungsgründe vermögen diese Kündigung nicht zu tragen.

I. Zwar ist die Geltendmachung dieser Kündigungsgründe im Berufungsverfahren noch möglich.

Zum einen hat die Beklagte schlüssig dargelegt, von diesen Gründen erst nach der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz Kenntnis erlangt zu haben, so dass keine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO vorliegt.

Zum anderen handelt es sich bei den zugrunde liegenden Umständen um solche, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorgelegen haben und noch nicht im Sinne von § 626 Abs. 2 BGB verfristet waren. Ist bereits eine fristlose Kündigung ausgesprochen, so muss der Gekündigte damit rechnen, dass bei Ausspruch der Kündigung noch nicht entdeckte Kündigungsgründe im Prozess nachgeschoben werden, wobei für das Nachschieben die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten werden muss (vgl. BGH NJW-RR 1992, 292, 293 f.; NZG 2004, 186, 188). Ein Beschluss der Alleingesellschafterin der Beklagten, die ausgesprochene Kündigung nunmehr auf diese Gründe zu stützen, liegt - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - ebenfalls vor.

II. Jedoch ist von den beiden jetzt geltend gemachten Kündigungsgründen der eine bereits nicht schlüssig dargelegt und der andere nicht bewiesen.

1. Hinsichtlich der am 29.6.2006 ausgehändigten Avionik hat die Beklagte nichts dazu dargelegt, wann und auf welche Weise der Kläger die Gegenstände "aus ihrem Sicherheitsbereich entfernt" hat oder zumindest, wo sie sich dort befunden haben und wann sie abhanden gekommen sind. Es ist nicht einmal behauptet, dass der Kläger den Besitz an den Gegenständen schon vor Ausspruch der Kündigung erlangt hatte. Dies wäre aber - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - erforderlich gewesen, nachdem die Übergabe mehr als ein halbes Jahr später war und der Beklagte geltend gemacht hat, die Gegenstände seien ihm erst kurz zuvor von der Fa. B zur Weiterleitung übergeben worden.

2. Dass der Beklagte in pflichtwidriger Weise nicht gegen Verfehlungen seines Mitgeschäftsführers L eingeschritten ist und diese Pflichtwidrigkeit nach den Gesamtumständen ein solches Gewicht hat, dass sie seine fristlose Kündigung rechtfertigt, vermag der Senat nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht festzustellen.

a) Allerdings kann ein mangelndes Einschreiten des Geschäftsführers gegen sexuelle Belästigungen von Angestellten durch andere Mitarbeiter oder Mitgeschäftsführer grundsätzlich eine ggf. auch die fristlose Kündigung tragende Pflichtverletzung darstellen.

Denn zu den Pflichten der Führungskräfte eines Unternehmens gehört es nicht nur, selbst derartige Belästigungen gegenüber Mitarbeitern zu unterlassen, sondern auch, derartige Belästigungen von den Angestellten bei Ausübung ihrer Tätigkeit fernzuhalten, soweit dies in ihrem Einflussbereich liegt, aktiv dagegen einzuschreiten, sofern ihnen entsprechendes Verhalten anderer Mitarbeiter bekannt wird, und entsprechenden Beschwerden zunächst einmal nachzugehen. In gesteigertem Maße gilt dies, soweit es um den Schutz von Auszubildenden geht, denen gegenüber insoweit eine besondere Fürsorgepflicht besteht (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG).

Ob eine Verletzung dieser Verpflichtung vorliegt und von solchem Ausmaß ist, dass sie seine fristlose Kündigung rechtfertigt, kann indessen nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheiden werden. Insoweit spielt z.B. eine Rolle, ob es sich um ein einzelnes Vorkommnis oder um häufigere Vorfälle handelt, ob eine Beschwerde an ihn oder mit seiner Kenntnis an andere Vorgesetzte des oder der Betroffenen herangetragen worden ist, ob ein von dem oder der Betroffenen unzweifelhaft als Belästigung empfundenes Verhalten vorliegt, bei dem der Geschäftsführer den Eindruck haben kann oder muss, dass ein Einschreiten nach den Gesamtumständen auch unabhängig von einer an ihn herangetragenen Beschwerde erforderlich ist, sowie welche Einwirkungsmöglichkeiten für den Geschäftsführer bestehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er gegenüber einem Mitgeschäftsführer keine Arbeitgeberfunktion ausübt, sondern lediglich das Gespräch mit diesem suchen oder ggf. die Gesellschafter informieren kann, damit diese ihrerseits die gebotenen Maßnahmen ergreifen.

b) Bei Beachtung dieser Maßstäbe lassen sich die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung vorliegend nicht bejahen.

aa) Die Darstellung der Beklagten, der Kläger sei durch die Zeugin L2 über das in Rede stehende Verhalten des Mitgeschäftsführers L unterrichtet worden, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt.

Nicht nur die Zeugin L2 hat bekundet, den Kläger nicht auf dieses Thema angesprochen zu haben, sondern auch die Zeugin I hat glaubhaft bestätigt, dass von ihr selbst und der Zeugin L2 nicht einmal erwogen worden sei, den Kläger einzubeziehen.

bb) Eine Pflichtverletzung des Klägers käme deshalb nur in Betracht, wenn er selbst mitbekommen hätte, dass Herr L die Zeugin I ohne ihr Einverständnis in belästigender Weise fotografierte. Dazu vermag der Senat keine hinreichend sicheren Feststellungen zu treffen.

Dabei nimmt der Senat der Zeugin I ab, dass sie heute subjektiv der Meinung ist, auch der Kläger müsse von diesen Vorfällen etwas mitbekommen haben. Konkrete Angaben zu einzelnen Begebenheiten in Anwesenheit des Klägers, die diesen Schluss der Zeugin als mit Gewissheit richtig erscheinen lassen, hat sie indessen nicht machen können. Zu bedenken ist weiter, dass nach ihrer eigenen Schilderung Herr L die Fotos zunächst für längere Zeit heimlich und erst später offen gemacht habe sowie dass dies vor allem in den Abendstunden geschah, nachdem die Zeugin L2 das Büro verlassen hatte. Dies deutet darauf hin, dass Herr L zumindest lange Zeit gerade darum bemüht war, andere nichts von seinem Verhalten mitbekommen zu lassen. Des Weiteren hat die Zeugin I verdeutlicht, dass sie gerade nicht wünschte, dass Herr L oder der Kläger etwas davon mitbekommen, dass sie über die Vorfälle berichtete. Dieses Verhalten ist nicht recht nachvollziehbar, wenn der Kläger ohnehin offenkundig selbst die Vorgänge wahrgenommen hatte.

Schließlich spricht auch die eigene Darstellung der Beklagten dagegen, dass der Kläger in jedem Falle das Fehlverhalten von Herrn L wahrgenommen hatte. Nach ihrer dem Beweisbeschluss des Senats zugrunde liegenden - insoweit schon von dem ursprünglichen schriftsätzlichen Vorbringen abweichenden - Darstellung hatte der Kläger lediglich durch die Zeugin L2 hiervon erfahren. Dies korrespondiert damit, dass der jetzige Geschäftsführer A, der als Nachfolger des Klägers seit November 2005 bei der Beklagten tätig ist, nach dem Vorbringen der Beklagten von dem Treiben des Herrn L bis zu dessen Freistellung ebenfalls nichts mitbekommen, sondern hiervon erst nach der mündlichen Verhandlung beim Landgericht erfahren haben will.

Soweit die Zeugin I schließlich ausgesagt hat, der Kläger habe es mitbekommen, dass die Zeugin L2 sich bei Herrn L das Fotografieren verbeten habe, nachdem es auch bei ihr einmal vorgekommen war, verbleiben Zweifel, ob dies zutrifft; denn die Zeugin L2 selbst hat hierzu bekundet, dem Kläger davon nicht berichtet zu haben, was nahe liegend nur so zu verstehen ist, dass er es nicht mitbekommen hat. Letztlich ist dies aber auch nicht erheblich. Denn jedenfalls dieses eine Vorkommnis hätte dem Kläger keinen Anlass zu weiterem Einschreiten geben müssen, nachdem die betroffene Zeugin L2 sich bereits selbst erfolgreich L zur Wehr gesetzt hatte, und aus diesem einen Vorfall nicht ohne Weiteres erkennbar war, dass es sich um ein wiederholtes Verhalten von Herrn L auch gegenüber anderen Mitarbeitern handelte. Zumindest ist Entsprechendes von der Beklagten nicht dargelegt.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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