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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: 27 U 138/04
Rechtsgebiete: BGB, InsO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 166
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 433 Abs. 2
InsO § 17
InsO § 17 Abs. 2 S. 1
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 133
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 133 Abs. 1 S. 2
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Juni 2004 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.930,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.01.2003 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO) Die zulässige Berufung ist begründet. A. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 433 Abs. 2 BGB die Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von 11.600 DM = 5.930,99 EUR für den veräußerten Bagger verlangen, weil die zwischen den Parteien vereinbarte Verrechnung des Kaufpreises mit Gegenforderungen der Beklagten aus offenstehenden Rechnungen gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam ist. I. Die Vorschrift des § 96 Abs. I Nr. 3 InsO findet auf die zwischen den Parteien vereinbarte Verrechnung der Forderungen Anwendung. 1. Dem steht zunächst nicht entgegen, dass diese Vereinbarung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt ist; auch eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung wird bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit Verfahrenseröffnung nachträglich unwirksam (vgl. Uhlenbruck/ Hirte, § 96 InsO Rn 33; MüKo-Brandes, § 96 InsO Rn 3 und 37; allg. Meinung). 2. Des Weiteren kommt es für die Unzulässigkeit der Aufrechnung nicht darauf an, ob eine einseitige Aufrechnungserklärung des Insolvenzgläubigers vorliegt oder ob die Aufrechnung zwischen den Parteien vereinbart worden ist, also ein Aufrechnungsvertrag geschlossen wurde (vgl. zu letzterem Palandt-Heinrichs, § 387 BGB Rn 19 ff.). Entscheidend ist nur, dass der Tatbestand einer der Ziffern des § 96 Abs. 1 InsO erfüllt ist; in welcher Form die Aufrechnung dann geschieht, ist nicht maßgeblich. Zumindest eine solche Aufrechnungsvereinbarung liegt hier zweifelsfrei vor. Denn auch nach den Vorstellungen der Beklagten sollte der Bagger verkauft und die Kaufpreisforderung des Schuldners mit ihren Gegenforderungen verrechnet werden. Das wird aus der Rechnung vom 3.9.2001 (Bl. 11 GA) ebenso unmissverständlich deutlich wie aus der Aussage der Zeugin X vor dem Landgericht (Bl. 134 oben GA: "Mein Vater hat daraufhin gesagt, er wolle den Bobcat-Bagger nehmen und die offenen Forderungen damit verrechnen."). Für einen "wertentsprechenden Austauschvertrag" sui generis gibt es danach keine genügenden Anhaltspunkte. II. Die durch den Vertragsschluss von Anfang Juli 2001 geschaffene Aufrechnungslage ist gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. 1. Der Senat hat diesen Vertragsschluss der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Der Vortrag des Klägers, dass die Aufrechnungsmöglichkeit mit dem fraglichen Abschluss des Kaufvertrages über den Bagger geschaffen und der Vertrag gerade nur deshalb geschlossen wurde, um der Beklagten so die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Altforderungen im Wege der Aufrechnung "bezahlt" zu bekommen, ist in der Berufungsinstanz keineswegs neu. Der Kläger hat seine Klage vielmehr von Anfang an auf den Abschluss desjenigen Vertrages gestützt, der Gegenstand der Rechnung Bl. 11 GA ist. Er hat in erster Instanz lediglich behauptet, dass der Vertrag erst im September geschlossen worden sei, während er nach der vor dem Landgericht erfolgten Beweisaufnahme jetzt ebenfalls Ende Juni / Anfang Juli als Zeitpunkt der Vereinbarung zugrunde legt. Das ändert an der Identität der fraglichen Rechtshandlung, um deren Anfechtbarkeit es geht, nichts. Nur deren Datierung war zunächst streitig, ist jetzt aber unstreitig, und unstreitiges Vorbringen ist auch in der Berufungsinstanz immer zu berücksichtigen; es fällt nicht unter § 531 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Urt. vom 18.11.2004, -IX ZR 229/03 -). Zudem tritt die Unzulässigkeit der Aufrechnung im Fall des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO kraft Gesetzes ein; eine Insolvenzanfechtung ist nicht erforderlich (MüKo-Brandes, § 96 InsO Rn 37). 2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO sind vorliegend erfüllt. a) Eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist zwar im Rahmen des § 133 InsO nicht erforderlich, wenngleich ihr etwaiges Vorliegen oder Drohen durchaus indizielle Bedeutung hat, wie aus § 133 Abs. 1 S. 2 InsO ersichtlich wird; sie hat hier indessen sogar vorgelegen. Der Schuldner war auch aus Sicht der Beklagten regelmäßig nicht in der Lage, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Die Beklagte räumt ausdrücklich ein, dass seine verzögerte Zahlungsweise seit Jahren die gesamte Geschäftsbeziehung prägte (Berufungserwiderung Seite 4 unten = Bl. 247 GA). Damit liegt der Fall des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO vor. Der Schuldner war bereits seit längerem nicht mehr in der Lage, seine fälligen Zahlungspflichten (pünktlich) zu erfüllen. Die Grenze zu einer bloß vorübergehenden Zahlungsstockung war ersichtlich überschritten. Es lag nicht eine nur ganz geringfügige Liquiditätslücke vor. Nach der Regelung des § 17 InsO kommt es eben nicht darauf an, ob der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine Zahlungsverpflichtungen noch im Wesentlichen zu erfüllen. Ferner hat der Zeuge T ausgesagt (Bl. 139 GA), dass es im Jahre 2001 erst einen langen schlechten Winter gegeben habe, dann so ein richtiges Sommerloch entstanden sei und danach die Aufträge ausgeblieben seien. Zudem hätten erhebliche Altlasten bestanden, die aufs Portemonnaie drückten. Schon im März oder April sei wegen der Altforderungen erstmals über die Übernahme des Baggers gesprochen worden. Des Weiteren hat die Zeugin X bekundet, dass die Beklagte dem Schuldner immer zuviel Luft gelassen hätte und dieser sich immer erst bemüht und "irgendwie" gezahlt habe, wenn mehrere Tausend DM aufgelaufen gewesen und Zahlungen angemahnt worden seien. Völlig zutreffend legt die Berufungsbegründung dazu dar, dass in Abgrenzung zur bloß vorübergehenden Zahlungsstockung im Allgemeinen ein Zeitraum von etwa drei Wochen (allenfalls aber 1 Monat) als zeitliche Obergrenze zur Wiederherstellung der Liquidität angesehen wird. Auf die subjektive Einschätzung des Schuldners, ob er sich selbst für zahlungsunfähig hält, kommt es dagegen nicht an. Der Senat kann sich daher darauf beschränken, auf diese zutreffenden Ausführungen zu verweisen. b) Vor diesem Hintergrund bestehender Zahlungsunfähigkeit ist ein Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Sinne des § 133 InsO festzustellen. Zu dem Kaufvertrag über den Bagger kam es im Juni oder Juli 2001, als erneut seit Januar 2001 fällige Verbindlichkeiten nicht beglichen waren, also seit fast einem halben Jahr. Gerade deshalb war über die Übernahme des Baggers gesprochen worden. Das ergibt sich eindeutig aus der Aussage des Zeugen T, der bekundet hat (Bl. 138 GA), dass die Beklagte ihm wegen der Rückstände kein Material mehr liefern, er sich aber die Beklagte als wichtige Lieferantin erhalten wollte. Es sei "deshalb" über die Übergabe des Baggers zwecks Verrechnung mit den alten Forderungen immer wieder gesprochen worden und schließlich habe man sich entsprechend geeinigt. Dem Schuldner ging es also gerade darum, speziell die Beklagte zu bedienen, weil er auf diese als Lieferantin angewiesen war, um überhaupt weiter arbeiten zu können. Dass der Schuldner dabei zugleich das Bewusstsein gehabt hat, dass er damit die Beklagte vor anderen Gläubigern bevorzugt, weil diesen nun der Bagger nicht mehr als evtl. Vollstreckungsobjekt zur Verfügung stand, liegt auf der Hand. Ein derartiges Bewusstsein im Sinne bedingten Vorsatzes reicht aus. Schon die Inkongruenz des Geschäfts ist zudem ein erhebliches Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz. Inkongruent ist das Geschäft, weil die Beklagte keinen Anspruch auf Herstellung einer Aufrechnungslage, sondern eben nur auf Bezahlung ihrer Forderungen in Geld hatte (vgl. MüKo-Brandes, § 96 InsO Rn 31; BGH NJW 2001, 1940). Eine darüber hinaus gehende unlautere Absicht ist nicht erforderlich, so dass es auf die diesbezügliche Argumentation der Beklagten zur Verneinung solcher unlauteren Absichten nicht ankommt. Da das Landgericht bei seiner Verneinung des Benachteiligungsvorsatzes entscheidend auf das Fehlen eines kollusiven Zusammenwirkens sowie auf die subjektiven Vorstellungen des Zeugen T zu seiner Zahlungsunfähigkeit abgestellt hat, auf die es wie oben ausgeführt nicht ankommt, ist der Senat nicht gehindert, für die Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes (und auch der Kenntnis der Beklagten hiervon - dazu nachfolgend unter c) - ) auf die Aussagen der erstinstanzlich gehörten und vom Landgericht für glaubwürdig befundenen Zeugen im Übrigen zurückzugreifen, ohne diese erneut zu vernehmen (§ 398 Abs. 1 ZPO). c) Schließlich ist der Senat überzeugt davon, dass dem Geschäftsführer der Beklagten sowie der Zeugin X dieser Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bekannt war. aa) Maßgeblich ist bei juristischen Personen zunächst einmal die Kenntnis ihres Vertretungsorgans, hier also des Geschäftsführers T2. Auch dieser kannte aber die Umstände, die die Inkongruenz des Geschäfts begründeten, nämlich dass nicht ein Bagger, sondern Bezahlung der Forderungen geschuldet war, d.h. er wusste, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Abschluss des Vertrags zur Ermöglichung einer Aufrechnung hatte. Es handelte sich dabei auch keineswegs um ein gewöhnliches Geschäft, wie die Berufungserwiderung zu verstehen geben will. Ebenso hat er von den monatelangen Zahlungsrückständen gewusst; denn er selbst hat nach Aussage des Zeugen T mit diesem über die Übernahme des Baggers und die Verrechnung mit den offenen Forderungen verhandelt. Er war es nach Aussage des Zeugen T, der dem Schuldner wegen seiner Schulden kein Material mehr geben wollte. bb) Ferner war auch der Zeugin X unzweifelhaft klar, dass der Beklagte monatelang im Rückstand war und offenbar jedenfalls aktuell anders nicht zahlen konnte, und kannte sie die die Inkongruenz begründenden tatsächlichen Umstände des ungewöhnlichen Geschäfts. Auch diese Kenntnis der Zeugin X ist der Beklagten zuzurechnen. Denn für die Wissenszurechnung bildet § 166 BGB keine abschließende Schranke. Wer am Rechtsverkehr unter Einschaltung weisungsgebundener Hilfspersonen teilnimmt, die bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahrnehmen und dabei anfallende Informationen zur Kenntnis nehmen, muss sein Unternehmen so organisieren, dass diese im Rahmen der übertragenen Aufgabe eingehenden Informationen, zu dem oder den Entscheidungsträger(n) weitergeleitet werden. Das Wissen solcher Repräsentanten ist deshalb auch dann zuzurechnen, wenn sie an der Handlung, für die das Wissen maßgeblich ist, selbst nicht mitgewirkt haben (MüKo-Kirchhof, § 130 InsO Rn 46 m.w.N.). Auch ein Sachbearbeiter unterhalb der organschaftlichen Ebene kann ein solcher Wissensvertreter sein (MüKo-Kirchhof, a.a.O., Rn 49). Hier war es die für die Buchhaltung bei der Beklagten zuständige Zeugin X, der offensichtlich die Aufgabe übertragen war, die Bezahlung der Forderungen der Beklagten gegen den Schuldner zu überwachen und ggf. durchzusetzen. B. Der geltend gemachte Zinsanspruch ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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