Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.05.2008
Aktenzeichen: 27 U 145/07 BSch
Rechtsgebiete: BGB, SportbootFüV-Bin
Vorschriften:
BGB § 823 Abs. 1 | |
SportbootFüV-Bin § 2 Abs. 4 |
2. Ist der Prüfling nach seinem Ausbildungsstand nicht sicher imstande, das Schiff in der konkreten Situation regelgerecht zu steuern, so muss der Ausbilder sich nicht nur die ideelle Befehlsgewalt, sondern auch die tatsächliche Eingriffsmöglichkeit sichern.
3. Der Prüfling haftet deshalb nicht für Schäden aufgrund eines misslungenen Manövers, mit dem er mangels ausreichender Fähigkeiten überfordert war.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 21. August 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Schifffahrtsgericht - Minden teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
A. Der Kläger betreibt eine Wassersportschule in T. Vom 17.-21.7.2006 absolvierte der damals 17-jährige Beklagte dort eine praktische Segelausbildung, an die sich am 21.7.2006 die praktische Teilprüfung zum Erwerb des Sportbootführerscheins Binnen anschloss.
Im Rahmen dieser Prüfung sollte der Beklagte bei auflandigem Wind der Stärke 3 ein Anlegemanöver in Form des "Aufschießers" durchführen. Nachdem der erste Anlegeversuch fehlgeschlagen war, fuhr der Beklagte beim zweiten Versuch mit dem Schulungsboot auf den Steg des Klägers auf, wobei der genaue Hergang streitig ist. Durch den Aufprall wurde das Schulungsboot am Bug beschädigt. Die entstandenen Reparaturkosten i.H.v. 493,15 € netto hat der Kläger mit der vorliegenden Klage ersetzt verlangt, weil der Beklagte den Halbwindkurs beibehalten habe und aus voller Fahrt gegen den Anlegesteg geprallt sei, so dass er den Schaden grob fahrlässig verursacht habe.
Das Schifffahrtsgericht hat der Klage in Höhe der Hälfte der Klageforderung entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Der Beklagte habe fahrlässig gehandelt; aber der Kläger müsse sich ein gleich hoch zu bewertendes Mitverschulden entgegen halten lassen.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten seiner Begründung sowie des Parteivorbringens in erster Instanz verwiesen wird, richtet sich die Berufung des Beklagten, der weiterhin Klageabweisung begehrt und wie in erster Instanz unter näherer Darlegung die Auffassung vertritt, dass ihm ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht gemacht werden könne.
B. Die zulässige Berufung ist begründet. Der Beklagte haftet nicht für die Beschädigung des Bootes, weil er auf der Prüfungsfahrt nicht als Schiffsführer des Segelbootes anzusehen ist und deshalb das Schiff nicht eigenverantwortlich führte.
I. Schiffsführer bei einem Ausbildungsschiff ist immer der beaufsichtigende Ausbilder (vgl. § 2 Abs. 4 SportbootFüV-Bin). Das gilt auch für die Prüfungsfahrt. Der Prüfling ist dagegen lediglich als Steuermann anzusehen. Ist dieser, wie es hier offenbar der Fall war, mangels ausreichender Fähigkeiten mit der konkreten Situation überfordert, so muss der Ausbilder als Schiffsführer eingreifen und seine Befehlsgewalt ausüben, notfalls das Manöver abbrechen. Dass ein solches Eingreifen in aller Regel für den Prüfling zum Nichtbestehen der Prüfung führen wird, befreit den Schiffsführer nicht von seiner schifffahrtsrechtlichen Pflicht und Verantwortlichkeit.
II. Es kommt hinzu, dass der Schiffsführer vorgelagert bereits für die Einsetzung des Steuermanns verantwortlich ist und diesem die Befehlsgewalt über das Boot nur dann und soweit übertragen darf, als dieser nach den gegebenen Umständen sicher imstande ist, das Schiff regelgerecht zu steuern. Ist dieses nach dem vorhandenen Ausbildungsstand nicht gewährleistet, muss der Ausbilder sich nicht nur die ideelle Befehlsgewalt vorbehalten, sondern auch die tatsächliche Eingriffsmöglichkeit sichern. Dies kann bedeuten, dass er mit an Bord sein muss, um im Moment des letzten Augenblicks ggf. konkrete Kommandos erteilen und Hand anlegen zu können.
III. Ist der Prüfling mit der korrekten Durchführung des geforderten Manövers überfordert, so liegt die Verantwortlichkeit für diese Überforderung daher nicht bei ihm, sondern beim Schiffsführer, der der Besatzung (hier dem Prüfling) keine Steuermannsaufgaben übertragen darf, der sie in der konkreten Situation nicht gewachsen ist.
Dies gilt umso mehr, als das geforderte Anlegemanöver vorliegend nicht mit einem schulmäßigen Aufschießer durchgeführt werden konnte, weil der auflandige Wind so ungünstig zum Steg stand, dass dieser nicht schulmäßig mit einem Halbwindkurs und anschließendem Aufschießer angesteuert werden konnte, vielmehr musste innerhalb des Hafenbeckens ein (Nahezu-)Aufschießer gefahren werden, um die Fahrt zu reduzieren und mit der Restfahrt unter Querwind an den Steg zu lenken. Ein derartiges Manöver ist für einen Steuermann mit dem Erfahrungsschatz eines Prüflings von vornherein nicht sicher genug beherrschbar. Es ist nach den einschlägigen Lehrbüchern weder Ausbildungs- noch Prüfungsgegenstand der ersten praktischen Segelprüfung. Lässt der Ausbilder den Prüfling sehenden Auges ein solches Anlegemanöver fahren, hat er die Folgen eines missglückten Anlegeversuchs selbst und allein zu verantworten. Daran ändert es nichts, dass die Mitprüflinge des Beklagten das Manöver zuvor - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat, aber auch nur mit Schwierigkeiten - gemeistert hatten.
IV. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass auch der unerfahrene Prüfling nach diesen Maßstäben nicht von jeder Haftung befreit ist; insbesondere darf er nicht konkrete Handlungsanweisungen missachten, deren Ausführung ihm auch nach seinem Wissen und Können problemlos möglich ist. Dazu gehört indes die allgemeine Aufforderung zu einem bestimmten Manöver, das den Prüfling nach seinen subjektiven Fähigkeiten überfordert, nicht.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.