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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: 27 U 162/04
Rechtsgebiete: AnfG, ZPO


Vorschriften:

AnfG § 17
ZPO § 240
ZPO § 538
1. Ein Urteil, das trotz Unterbrechung des Verfahrens nach § 17 Abs. 1 S. 1 AnfG ergangen ist, kann von allen beteiligten Parteien angefochten werden, auch wenn die Unterbrechung fortdauert.

2. Eine Berufung kann in diesem Fall nur zur Aufhebung und Zurückverweisung führen.

3. Über sie ist auch bei Säumnis des Berufungsbeklagten durch streitiges Urteil zu entscheiden.


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. Juli 2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg und das zugrunde liegende Verfahren ab dem 01.04.04 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe: A. Die Klägerin ist Inhaberin mehrerer titulierter Ansprüche gegen den Ehemann der Beklagten (im folgenden auch "Schuldner"). Sie hat die Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück und einen Pkw begehrt, weil sei der Meinung ist, beide Gegenstände seien in einer nach dem Anfechtungsgesetz anfechtbaren Weise vom Schuldner auf die Beklagte übertragen worden. Nachdem der Pkw zwischenzeitlich versteigert worden ist, hat sie den Rechtsstreit insoweit teilweise für erledigt erklärt. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie die in erster Instanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Am 01.04.2004 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. In Unkenntnis dieser Tatsache hat das Landgericht am 08.07.2004 mündlich verhandelt, eine Beweisaufnahme durchgeführt und das angefochtene Urteil erlassen, mit dem es der Klage stattgegeben hat. Hinsichtlich beider übertragenen Gegenstände habe die Klägerin einen Duldungsanspruch nach §§ 11, 4 AnfG gehabt. Deshalb sei der Anspruch hinsichtlich des Grundstücks begründet und hinsichtlich des Pkw erledigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht in erster Linie geltend, daß das Landgericht kein Urteil mehr habe erlassen dürfen, weil das Verfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nach §§ 17 Abs. 1 AnfG, 240 ZPO unterbrochen gewesen sei. Hilfsweise greift sie die materielle Begründung des Urteils im einzelnen an. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen; hilfsweise, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts vom 20.11.2003 die Klage abzuweisen. Die Klägerin stellt keinen Antrag. Die Beklagte beantragt den Erlaß eines Versäumnisurteils. B. Die Berufung hat Erfolg, soweit sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht begehrt. I. Die Berufung der Beklagten ist unbeschadet der eingetretenen Unterbrechung des Rechtsstreits (s. dazu sogleich unten II.) zulässig. Denn die Rechtsfolge einer Unterbrechung des Verfahrens gem. § 249 ZPO kann von allen beteiligten Parteien mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden. Es ist zulässig, soweit mit ihm lediglich die Unterbrechung geltend gemacht werden soll (vgl. BGH NJW 1995, 2563; 1997, 1445). II. Die Berufung ist auch begründet. Der Rechtsstreit war zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils nach § 17 Abs. 1 S. 1 AnfG unterbrochen. Wegen der Unterbrechung des Verfahrens hätte am 08.07.2004 weder mündlich verhandelt noch ein Urteil verkündet werden dürfen; auf eine Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungsgrund kommt es nicht an (BGH NJW 1995, 2563 m.w.N.). 1. Der Rechtsstreit betrifft jedenfalls hinsichtlich des Antrags, mit dem Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück verlangt wird einen "von einem Insolvenzgläubiger erhobenen Anfechtungsanspruch" (§ 16 Abs. 1 S. 1 AnfG). Denn die Klägerin ist aufgrund der den Titeln zugrunde liegenden Ansprüche Insolvenzgläubigerin des Schuldners. 2. Das Verfahren über diesen Anfechtungsanspruch war zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch rechtshängig. 3. Weitere Voraussetzungen für die Unterbrechung bestehen nicht. Soweit etwa Huber (Kommentar zum Anfechtungsgesetz, 9. Aufl., § 17 Rdn. 1 und § 16 Rdn. 4) darüber hinaus darauf hinweist, daß sich die Anfechtung auf Gegenstände beziehen muß, die vom Insolvenzbeschlag erfaßt werden, bedeutet dies nur, daß es sich nicht um Gegenstände handeln darf, die denkt man sich die angefochtene Rechtshandlung, die häufig in einer Weggabe besteht, weg unter § 36 InsO fielen und ohnehin nie vom Insolvenzbeschlag erfaßt werden könnten. III. Weil weder mündlich hätte verhandelt werden noch ein Urteil hätte ergehen dürfen, leidet das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Verfahrensmangel, der auch einen absoluten Revisionsgrund darstellt, weil das Urteil zugunsten einer Partei ergangen ist, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war (denn die Anfechtungsansprüche hätten nicht mehr von der Klägerin, sondern von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden müssen und können). Auch nach dem seit dem 01.01.2002 geltenden Berufungsrecht sind alle absoluten Revisionsgründe als Verfahrensmängel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzusehen (Musielak/Ball,ZPO, 4.A.2005, § 538 Rdn. 11 m.w.N.). Rechtsfolge dieses Verfahrensmangels ist im vorliegenden Fall die Aufhebung des angefochtenen Urteils samt des zugrunde liegenden Verfahrens, soweit es in die Zeit der Unterbrechung fällt, ohne daß das in § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche weitere Erfordernis einer umfangreichen oder aufwendigen Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht hinzutreten müßte. Denn die Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung trotz erfolgter Unterbrechung, also die Zulässigkeit des Rechtsmittels trotz Unterbrechung rechtfertigt sich nur damit, die Folgen der Unterbrechung geltend machen zu können. Nur deshalb setzt die Einlegung des Rechtsmittels die Beendigung der Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens nicht voraus, weil der unterbrochene Rechtsstreit sachlich nicht weiterbetrieben wird (BGH NJW 1997, 1445). Dieser Zweck bestimmt zugleich die Grenzen dieses Rechtsmittels: Es kann nur zur Aufhebung und Zurückverweisung führen, damit der Rechtsstreit in die Lage versetzt wird, in der er zur Zeit der Unterbrechung war. Alle weiteren Verfahrenshandlungen können erst nach Beendigung der Unterbrechung erfolgen. IV. Das Urteil war auch insoweit aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen, als im angefochtenen Urteil festgestellt worden ist, daß sich der Rechtsstreit im übrigen teilweise erledigt hatte. Zwar handelt es sich nach dem Sinn von § 17 AnfG hierbei nicht mehr um ein Verfahren "über den Anfechtungsanspruch". Somit war dieser Teil des Rechtsstreits durch die Insolvenzeröffnung auch nicht unterbrochen worden. Über ihn hätte aber wegen der Unterbrechung im übrigen nur durch Teilurteil entschieden werden können. Ein solches Teilurteil wäre jedoch unzulässig, weil es zu widersprüchlichen Entscheidungen führen kann. Von dem Erfordernis, ein Teilurteil nur dann zuzulassen, wenn widersprüchliche Entscheidungen ausgeschlossen sind, abzusehen, besteht anders als bei einer Unterbrechung nach § 240 ZPO (vgl. BGH NJWRR 2003, 2002) keine Veranlassung. Denn die in dem Fall von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme beruht auf der Erwägung, daß sonst der verbleibende Streitgenosse auf unabsehbare Zeit auf eine Entscheidung warten müßte. Das ist im Fall der Unterbrechung nach dem Anfechtungsgesetz wegen der Möglichkeiten des § 17 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1 AnfG nicht der Fall. V. Trotz der Säumnis der Klägerin und Berufungsbeklagten war nicht durch Versäumnisurteil, sondern durch streitmäßiges Urteil zu entscheiden. Denn wenn - wie hier - das angefochtene Urteil an einem Mangel, der ihm die Eignung als Grundlage des weiteren Verfahrens nimmt, leidet, so ist bereits ohne Rücksicht darauf, welche Partei säumig ist, das angefochtene Urteil aufzuheben und an die erste Instanz zurückzuverweisen (vgl. Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. A. 2005, § 539 Rdn. 2 m.w.N.). Ein solches Urteil ist stets ein streitmäßiges Urteil und kein Versäumnisurteil (Albers a.a.O.; BGH JR 1987, 26; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. A. 2004, § 139 Rdn. 2). Die Kostenentscheidung ist dem Landgericht vorzubehalten. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

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