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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.03.2006
Aktenzeichen: 27 U 169/05
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 129 | |
InsO § 131 | |
InsO § 143 |
2. Die Zwangsvollstreckung ist auch dann inkongruent i.S.v. § 131 InsO, wenn sie durch den Steuerfiskus erfolgt.
3. Das Land, das Forderungen auf Umsatzsteuer beigetrieben hat, ist Rückgewährschuldner i.S.v. § 143 InsO auch hinsichtlich des Umsatzsteueranteils, der dem Bund zusteht
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 25. August 2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das beklagte Land darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
A. Der Kläger ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin, die nominell einen Metallhandel betrieb, tatsächlich aber im Wege eines so genannten Umsatzsteuerkarussells hauptsächlich Scheingeschäfte deklarierte und hierdurch ihr nicht zustehende Vorsteuererstattungsbeträge erlangte.
Als das zuständige Finanzamt Q hiervon Kenntnis erlangte, erließ es am 1.3.2005 einen Rückzahlungsbescheid. Aufgrund einer Arrestpfändungsverfügung vom 2.3.2005 über einen Betrag von 178.951,34 € erhielt es von der L-Bank I als Drittschuldnerin am 4.3.2005 einen Betrag von 34.500 € und nachfolgend von der C AG als weiterer Drittschuldnerin einen Betrag von 203,74 € gutgeschrieben.
Aufgrund Eigenantrags der Schuldnerin vom 3.4.2005 wurde am 29.4.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Kläger begehrt, gestützt auf eine Anfechtung gemäß § 131 Nr. 2 InsO, die Erstattung der im Wege der Pfändung beigetriebenen Beträge.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang entsprochen und die vom beklagten Land vorgebrachten Einwände gegen das Bestehen der Anfechtungsvoraussetzungen zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten seiner Begründung sowie des Parteivorbringens in erster Instanz verwiesen wird, richtet sich die Berufung des beklagten Landes, das unter Wiederholung der folgenden Einwände weiterhin die Klageabweisung begehrt:
1. Es liege keine inkongruente Deckung vor. Der Steuerfiskus habe einen Anspruch auf Befriedigung oder Sicherung im Rahmen der von ihm selbst eingeleiteten Zwangsvollstreckung. Das Finanzamt sei gesetzlich und gemäß Art. 3 GG verpflichtet, rechtmäßig festgestellte Steuer- oder Steuererstattungsansprüche auch auf diesem Wege durchzusetzen.
2. Es fehle an einer Gläubigerbenachteiligung. Denn die gepfändeten Guthaben hätten im Wesentlichen aus dem gewerbsmäßigen Erschleichen von Vorsteuererstattungen gestammt; somit unterlägen sie dem Schutz des § 261 StGB und hätten ohnehin nicht zur Befriedigung anderer Gläubiger zur Verfügung gestanden.
3. Hinsichtlich des dem Bund zustehenden Anteils an der Umsatzsteuer sei das beklagte Land nicht Steuergläubiger, sondern lediglich Mittelsperson und damit nicht Rückgewährschuldner i.S.v. § 143 InsO.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
B. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klage mit zutreffender Begründung stattgegeben. Die von der Berufung gerügten Rechtsverletzungen liegen nicht vor:
I. Die gemäß § 129 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist nicht deshalb zu verneinen, weil das gepfändete Kontoguthaben im Wesentlichen aus einer Straftat i.S.v. § 261 Abs. 1 StGB stammt.
Insoweit gilt nichts anderes als für die Vorschrift des § 266a StGB im Verhältnis zu den Sozialversicherungsträgern. So wie die individuelle Strafandrohung das Beitragsaufkommen im Interesse der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten gewährleisten soll, dient § 261 StGB zwar neben dem in erster Linie verfolgten Zweck, den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf vor Durchmischung mit illegalen Vermögenswerten zu bewahren sowie dem Schutz der Rechtspflege und der Isolierung des Vortäters u.a. auch dem Schutz des durch die Vortat verletzten Rechtsgutes (vgl. Schönke-Schröder/Stree, § 261 StGB Rn 1).
Ein vorrangiger Zugriff auf bestimmte Vermögenswerte des Schuldners ist damit aber nicht verbunden. So ist es trotz des Gesetzeszwecks, durch die Katalogtaten des § 261 StGB erlangte Vermögenswerte verkehrsunfähig zu machen, jedenfalls einem anderen Gläubiger des Straftäters, der über einen zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel verfügt und dem über die Herkunft dessen Vermögens nichts bekannt ist, möglich, in diese Vermögenswerte im Wege der Pfändung zu vollstrecken. Dieses Vermögen steht damit auch außerhalb der Insolvenz nicht ausschließlich nur dem durch die Vortat Geschädigten als Haftungsmasse zur Verfügung. Ebenso haben in der Insolvenz die anderen Insolvenzgläubiger nicht im Außenverhältnis gegenüber den Opfern einer der in § 261 StGB genannten Straftaten oder im Falle des § 370 a AO gegenüber den Finanzämtern zurückzutreten. In der Insolvenzordnung sind alle früheren Vorrechte für bestimmte Gläubiger gezielt entfallen; in der Insolvenz gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Dieser darf nicht auf dem Umweg über § 261 StGB mittelbar durchbrochen werden (so für § 266 a StGB BGH, Urteil vom 25. 10. 2001 - IX ZR 17/01 - = NJW 2002, 512; Urteil vom 14. 10. 1999 - IX ZR 142/98 - = NJW 2000, 211).
II. Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 9.9.1997 - IX ZR 14/97 - = BGHZ 136, 309 [311ff.] = NJW 1997, 3445; Urteil vom 11. 4. 2002 - IX ZR 211/01 - = NJW 2002, 2568 m.w.Nachw.; Urteil vom 20. 3. 2003 - IX ZR 166/02 - = NJW 2003, 2171) und auch des Senats, dass eine während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen ist. Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück.
Dieser Gesichtspunkt gilt auch gegenüber dem Steuerfiskus. Seine Verpflichtung, Steuererstattungsansprüche ggf. im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, vermag hieran nichts zu ändern. Denn diese Verpflichtung dient allein der Sicherung der Besteuerungsgleichheit; sie besagt nichts über einen etwaigen Vorrang des Finanzamts gegenüber anderen Gläubigern in der Insolvenz des Steuerschuldners.
Dieser Auslegung steht auch der Wortlaut des § 131 InsO nicht entgegen, weil die Auslegung von Gesetzesvorschriften nicht allein am Wortlaut haften darf, sondern auch deren erkennbaren Sinn zu berücksichtigen hat. Wie der BGH bereits in seinem grundlegenden Urteil vom 9.9.1997 (- IX ZR 14/97 - = BGHZ 136, 309 = NJW 1997, 3445) zu § 30 Nr. 2 KO als Argument für eine weite Auslegung des Begriffs der Rechtshandlung und dessen Ausdehnung auf solche des Gläubigers überzeugend ausgeführt hat, fällt eine Leistung des Schuldners zur Abwendung der Zwangsvollstreckung unzweifelhaft dem Wortlaut nach unter § 30 Nr. 2 KO. Es darf jedoch für die Anfechtbarkeit nicht den Ausschlag geben, wie weit vom Gläubiger Vollstreckungszwang ausgeübt werden musste, um zum Ziel zu gelangen. Hieran hat sich unter der Geltung der Insolvenzordnung nichts geändert. Vielmehr ist dem Gesetzgeber der InsO diese Rechtsprechung des BGH bekannt gewesen, ohne dass er Veranlassung gesehen hat, die Gesetzesbestimmungen über eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung inhaltlich anders zu fassen. Er hat damit die ausdehnende Auslegung des BGH zur Inkongruenz der Deckung bei einer Befriedigung durch Zwangsvollstreckung in der Sache gebilligt.
III. Das beklagte Land ist Rückgewährschuldner auch hinsichtlich desjenigen Teils der empfangenen Umsatzsteuerforderung, der im Endergebnis dem Bund zusteht.
Entscheidend ist nicht das Innenverhältnis zwischen dem beklagten Land und dem Bund, sondern die Tatsache, dass das beklagte Land die ausschließliche Empfangszuständigkeit für die geschuldeten Umsatzsteuern hat. Das Land tritt im Außenverhältnis zum Steuerschuldner als Vollrechtsinhaber auf; nur das Land übt Vollstreckungszwang aus, nur ihm gegenüber ist im Einspruchs- und ggf. finanzgerichtlichen Verfahren die Berechtigung der Steuerforderung nach Grund und Höhe zu klären, nur an das zuständige Finanzamt der Landesverwaltung kann befreiend auf die Steuerschuld geleistet werden. Die Situation ist somit nicht anders als beim zum Teil auch fremdnützigen Einzug von Sozialversicherungsbeiträgen durch gesetzlich oder tarifvertraglich ermächtigte Einzugsstellen der Sozialversicherer. Auch dort ergibt sich die insolvenzrechtliche Rückgewährpflicht aus der Einziehungsermächtigung und alleinigen Empfangszuständigkeit des Vollstreckungsgläubigers (vgl. BGH, Urteil vom 12. 2. 2004 - IX ZR 70/03 - = NJW 2004, 2163 m.w.N.).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die entscheidenden
Fragen durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anfechtung gegenüber Sozialversicherungsträgern geklärt sind.
Ende der Entscheidung
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