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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 22.06.2006
Aktenzeichen: 27 U 183/05
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 60
InsO § 106
1. Der Gläubiger eines Befriedigungsanspruchs nach § 106 InsO ist Beteiligter im Sinne von § 60 InsO, dem gegenüber der Insolvenzverwalter insolvenzspezifische Pflichten obliegen.

2. Diese Pflichten umfassen auch die rechtzeitige Erfüllung des Anspruchs des Gläubigers.

3. Der Insolvenzverwalter erfüllt seine Pflichten rechtzeitig, wenn er bis zum Ablauf einer angemessenen, nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungspflicht geltend gemachte begründete Ansprüche befriedigt.

4. Bei verspäteter Erfüllung eines Anspruchs nach § 106 InsO kann ein Schadensersatzanspruch nach § 60 InsO die Prozesskosten umfassen, die der Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruchs aufwenden musste und die er wegen Masseunzulänglichkeit auf absehbare Zeit aus der Masse nicht erlangen kann.

5. Nach dem Rechtsgedanken des § 280 Abs. 2 BGB kann ein Beteiligter seinen Verzögerungsschaden wegen verspäteter Leistung nach § 60 InsO nur ersetzt verlangen, wenn er den Insolvenzverwalter zuvor zur Leistung aufgefordert hat.


Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 28. Oktober 2005 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 2.846,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.5.2005 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils von der Gegenseite vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.

Gründe:

A.

Die Kläger machen gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus dessen Tätigkeit als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma C GmbH geltend. Nach Insolvenzeröffnung hatten sie ihn vergeblich aufgefordert, einen durch Vormerkung gesicherten Anspruch auf Übertragung des Eigentums an ihrem Hausgrundstück zu erfüllen. Schließlich erhoben sie deswegen Klage, die der Beklagte (damals als Insolvenzverwalter verklagt) anerkannte, so dass Anerkenntnisurteil erging, in dem ihm die Kosten ebenfalls auferlegt wurden. Die den Klägern entstandenen Kosten wurden jedoch nicht ausgeglichen; vielmehr zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an. Diese Kosten verlangen die Kläger nun vom Beklagten persönlich. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und die dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat einen Anspruch vorrangig gem. § 61 InsO angenommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Die Akten 9 O 139/04 LG Essen lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

B.

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Die Kläger haben gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 2.846,61 € gem. § 60 InsO nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit.

I.

Ein Anspruch gem. § 61 InsO besteht entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht. Es fehlt an einer Rechtshandlung des Beklagten.

Zwar kann eine Rechtshandlung im Sinne des § 61 InsO auch in einem Unterlassen liegen (vgl. etwa Uhlenbruck, InsO, 12. A., § 61 Rn. 2 a.E. unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Sie kann etwa in einem Absehen von einer möglichen Kündigung bestehen. Gleichwohl muss die Rechtshandlung in jedem Fall eine freiwillige Begründung von Masseverbindlichkeiten beinhalten (vgl. Uhlenbruck aaO. Rn. 3-5). Das ist hier nicht gegeben: Denn mit dem Unterlassen der geschuldeten Mitwirkung begründete der Beklagte zum einen unmittelbar noch überhaupt keine Masseverbindlichkeit und zum anderen schon gar nicht freiwillig: Die später hieraus folgende Kostentragungspflicht folgte erst aus der - dem Beklagten höchst unerwünschte und auch nicht zwingend folgende - Erhebung der Klage durch die Kläger. Ob in einer solchen Nichterfüllung begrifflich zudem überhaupt eine Rechtshandlung gesehen werden kann, erscheint ebenfalls fraglich.

Schließlich besteht der Zweck der Vorschrift darin, die Bereitschaft zur Kreditgewährung an die Masse zu fördern. Deshalb betrifft § 61 InsO hauptsächlich die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch Vertragsschluss und daneben noch die Erfüllungswahl und die unterlassene Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses (BT-Dr 12/2443, S. 129f.). Massegläubiger, die für oder im Zusammenhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse keine Gegenleistung erbringen, fallen hingegen nicht unter § 61 InsO (BGH NZI 2005, 155). So liegt der Fall aber hier.

II.

Die Kläger haben jedoch einen Anspruch gem. § 60 InsO.

1.

Die Kläger waren Inhaber eines Befriedigungsanspruchs nach § 106 InsO, der einem Aussonderungsanspruch nahe kommt und sie jedenfalls zu bevorzugten Massegläubigern machte. Deshalb waren sie in dieser Eigenschaft Beteiligte im Sinne des § 60 InsO, denen gegenüber der Beklagte insolvenzspezifische Pflichten hatte. Diese umfassten jedenfalls die Erfüllung des begründeten Anspruchs.

2.

Nach Auffassung des Senats umfasst diese dem Beklagten nach der Insolvenzordnung obliegende Pflicht gegenüber den Klägern auch die rechtzeitige Erfüllung des Anspruchs (so wohl auch BGH NJW-RR 2006, 694 Rn. 19 bis 21 zur KO). Zwar entspricht nicht jeder Pflicht des Insolvenzschuldners eine entsprechende Pflicht des Insolvenzverwalters gegenüber den Beteiligten. Deshalb ist letzterer auch nicht etwa automatisch zum Ersatz jedes Verzugsschadens verpflichtet, wenn dieser nicht aus der Masse erlangt werden kann. Jedoch ist kein Grund erkennbar, dass der Insolvenzverwalter, der die berechtigten Interessen aller Beteiligten zu wahren und deshalb u.a. Anspruchsinhaber nach § 106 InsO aus der Masse zu befriedigen hat, hiermit länger als notwendig zuwarten darf. Ließe man das zu, würde das den Schutz der Beteiligten, der ihnen gerade durch ihre Ansprüche etwa auf Aussonderung oder nach § 106 InsO gewährt wird, unterlaufen; er würde ihnen teilweise wieder genommen.

Damit werden die Pflichten des Insolvenzverwalters auch nicht überspannt. Denn die Rechtzeitigkeit der Erfüllung seiner Pflichten bemisst sich nicht nach den zu Grunde liegenden materiell-rechtlichen Ansprüchen gegen den Insolvenzschuldner, also etwa nach einem dort vorliegenden Verzugseintritt oder gar der Fälligkeitsregelung. Vielmehr steht einem Insolvenzverwalter eine eigene - nach dem Umständen des jeweiligen Falles zu bemessende - Prüfungszeit zu, bevor er geltend gemachte begründete Ansprüche erfüllen muss.

3.

Der Beklagte erfüllte die Forderung der Kläger in diesem Sinne nicht rechtzeitig. Trotz gehöriger Aufforderung und ausreichender Prüfungszeit von über einem halben Jahr kam er dem Verlangen der Kläger bis zu Klageerhebung in der Sache 9 O 139/04 LG Essen nicht nach.

4.

Diese Pflichtverletzung war schuldhaft. Denn der Beklagte hätte - angesichts der recht klaren Rechts- und Beweislage - auch schon vor der Klageerhebung erkennen können, dass er den Anspruch erfüllen musste. Soweit er dies pauschal anders behauptet, ist das nicht nachzuvollziehen. Er trägt selbst nichts dazu vor, dass er im Zeitpunkt seines Anerkenntnisses bessere Erkenntnisse als zuvor hatte.

5.

Die Pflichtverletzung führte auch zu einem Schaden der Kläger. Denn es entstanden ihnen weitere Anwalts- und Gerichtskosten für die notwendig gewordene Klage, die bei rechtzeitiger Erfüllung nicht angefallen wären. Der Kostenerstattungsanspruch gegen die Masse mindert den Schaden nicht, da Masseunzulänglichkeit angezeigt und eine Zahlung nicht absehbar ist (vgl. BGH NJW 2004, 3334). Der Beklagte kann lediglich Abtretung verlangen (Bank, NZI 2005, 478, 482).

6.

Der Schaden der Kläger besteht jedoch nicht in voller Höhe der geltend gemachten Kosten des Vorprozesses 9 O 139/04 LG Essen.

Die Kläger müssen so gestellt werden, wie sie stünden, wenn der Beklagte rechtzeitig erfüllt hätte. Es kann entgegen der pauschalen Auffassung der Berufungserwiderung nicht festgestellt werden, dass der Beklagte bereits vor der anwaltlichen Aufforderung der Kläger von sich aus die Eigentumsumschreibung hätte bewirken müssen. Hierzu fehlt es an jeder Darlegung dazu, was der Beklagte wann genau wusste. Im Übrigen ist der Rechtsgedanke des § 280 Abs. 2 BGB anzuwenden, da es um einen Verzögerungsschaden geht. Deshalb musste er zunächst zur Leistung aufgefordert werden. Daher hätte der Beklagte noch rechtzeitig erfüllt, wenn er auf die anwaltliche Aufforderung der Kläger vom 30.10.2003 geleistet hätte.

Zu diesem Zeitpunkt waren den Klägern aber bereits Anwaltskosten entstanden, und zwar in folgender Höhe:

§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO, Mittelgebühr 7,5/10 (entgegen der Auffassung der Kläger nicht die Mindestgebühr, da die Sache rechtlich und tatsächlich (Auswertung des selbstständigen Beweisverfahrens) nicht besonders einfach war). Sie ist um 3/10 zu erhöhen, § 6 Abs. 1 BRAGO, also insgesamt 97,5/100 Gebühr.

Hierbei hätten die Anwälte der Kläger den zutreffenden hohen Streitwert von fast 294 T€ zu Grunde gelegt. Das folgt zur Überzeugung des Senats daraus, dass sie selbst mit der Beschwerde diese Festsetzung später begehrten (s. dazu unten 7.). Dem steht nicht entgegen, dass sie im Klageverfahren zunächst den Streitwert mit 10.289,75 € angaben. Denn dabei handelt es sich um eine vorläufige Angabe und nicht um eine endgültige Abrechnung. Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Anwälte der Kläger ohne späteres Klageverfahren für ihre vorgerichtliche Tätigkeit nur nach einem unzutreffend niedrigen Streitwert abgerechnet hätten, kann das aus Rechtsgründen nicht zu einem höheren Schadensersatzanspruch der Kläger gegen den Beklagten führen. Denn in dieser Position waren die Kläger nicht schutzwürdig; sie stand ihnen materiell nicht zu. Der Schutzzweck des § 60 InsO umfasst nicht den Ersatz für die Zerstörung einer solchen Position.

Eine Rechtsanwaltsgebühr beträgt hiernach 2.288 €. 97,5/100 davon sind 2.230,80 €. Zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale von 20 € (§ 26 BRAGO) sind das 2.250,80 €, zuzüglich 16% Ust sind es 2.610,93 €.

Um diesen Betrag ist die Klagesumme zu kürzen, weil diese Kosten auf die geltend gemachten Kosten des Rechtsstreits angerechnet worden sind, sie aber ohnehin angefallen waren. Begründet sind also nur 2.846,61 €.

7.

Der Anspruch ist nicht nach § 254 BGB zu kürzen, weil die Kläger kein Mitverschulden an der Höhe des Schadens trifft. Nicht sie, sondern ihre Prozessbevollmächtigten haben im Vorprozess gegen den Streitwertbeschluss aus eigenem Recht (§ 9 BRAGO = § 32 RVG) und damit auch nicht als ihre Erfüllungsgehilfen Beschwerde eingelegt (was zur Festsetzung des hohen Streitwertes führte). Das ist in zweiter Instanz unstreitig: Es ergibt sich so aus der beigezogenen Akte. Die Kläger konnten mangels Beschwer gar keine Beschwerde einlegen. Sie konnten die Beschwerde ihrer Anwälte aber auch nicht verhindern.

III.

Der zuerkannte Zinsanspruch ist gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab 19.05.2005 begründet. Für einen früheren Zinsbeginn bereits ab 07.10.2004 gibt es dagegen keine Anspruchsgrundlage.

IV.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision für den Beklagten zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 ZPO). Eine verzögerte Erfüllung von Ansprüchen der Beteiligten im Sinne des § 60 InsO durch den Insolvenzverwalter kann in der Praxis häufig vorkommen. Ob auch die rechtzeitige Erfüllung eine insolvenzspezifische Pflicht des Verwalters darstellt und ob deshalb von ihm auch ein reiner Verzögerungsschaden zu ersetzen ist, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht ausdrücklich entschieden. Der Fall gibt Gelegenheit zur weiteren Klärung des Umfangs der Pflichten im Sinne des § 60 InsO.

Ende der Entscheidung

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