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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.06.2006
Aktenzeichen: 27 U 200/05
Rechtsgebiete: InsO, BZVO


Vorschriften:

InsO § 130 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 140 Abs. 3
BZVO § 3 Abs. 3 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 3. November 2005 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der gemäß Beschluss des Amtsgerichts Hamburg zum Geschäftszeichen 67 c IN 46/04 vom 22. April 2004 für die Beklagte verbuchte Betrag von 128.256,42 EUR dem Kläger zusteht.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

A.

Der Kläger hat als Insolvenzverwalter einen Betrag von 128.256,42 € gesondert von der übrigen Insolvenzmasse auf ein Treuhandkonto gebucht mit der Maßgabe, dass eine Treuhand zugunsten der Beklagten nur unter bestimmten Umständen bestehe. Mit der vorliegenden Klage macht er geltend, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben seien und begehrt festzustellen, dass dieser für die Beklagte verbuchte Betrag ihm zusteht. Damit hat es folgende Bewandtnis:

Der Kläger war auch vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin. In dieser Eigenschaft stimmte er zu, dass der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin Lastschriften der Beklagten widerrief, die diese am 20.01.2004 und am 03.02.2004 vom Konto der Insolvenzschuldnerin in Höhe des jetzt streitigen Betrages hatte abbuchen lassen. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg (Insolvenzgericht) vom 22.04.2004 richtete der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter auf seinen Namen ein sog. echtes Treuhandkonto zugunsten u.a. der Beklagten ein, auf das die zurückgebuchten Beträge gebucht wurden. Dem Kläger wurde aufgegeben, später nach Prüfung diejenigen Treunehmer, denen gegenüber unberechtigte Lastschriftwiderrufe erfolgt waren, so zu stellen, als seien die Widerrufe nicht erfolgt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und die dort getroffenen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage zur Hälfte stattgegeben und gemeint, insoweit sei der Widerruf berechtigt gewesen. Denn ohne den Widerspruch gegen die Lastschriften seien die Zahlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar gewesen. Dies gelte jedoch nicht hinsichtlich des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung, der als Drittvermögen nicht der Anfechtung unterliege. Insoweit stehe der Betrag also der Beklagten als Treunehmerin zu, weil die Voraussetzungen eines unberechtigten Widerrufs vorlägen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Hiergegen richten sich die Berufungen beider Parteien, die jeweils ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiterverfolgen.

B.

I. Berufung der Beklagten

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Es besteht kein Treuhandverhältnis zugunsten der Beklagten an den Beträgen, die die Insolvenzschuldnerin aufgrund ihres Widerspruchs gegen die Lastschrifteinzüge durch die Beklagte erlangte. Denn diese Widersprüche waren berechtigt im Sinne des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 22.04.2004; deshalb durfte ihnen der Kläger in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zustimmen. Die Beträge ständen der Beklagten jedoch nur dann wegen eines Treuhandverhältnisses zu, wenn die Widersprüche gegen die Belastungen unberechtigt gewesen wären.

1.

Die Auslegung des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 22.04.2004 ergibt, dass Beträge, die aufgrund des Widerrufs von Lastschriften vereinnahmt wurden, jedenfalls insoweit nicht treuhänderisch für die Lastschriftnehmer verwahrt werden sollten und deshalb auch durch den Kläger nicht verwahrt werden, soweit diese Zahlungen auch nach der Insolvenzordnung anfechtbar gewesen wären.

Zu Recht ist das Landgericht hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Zahlungen, die im Wege des Lastschriftverfahrens von der Beklagten eingezogen wurden, von einer Anfechtbarkeit gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgegangen. Die Angriffe der Berufung hiergegen sind unbegründet.

a)

Zutreffend hat das Landgericht für die Frage der Anfechtbarkeit auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Widerspruchsfrist abgestellt. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten hatte die Schuldnerin die Abbuchungen nicht bereits vor Ablauf der Widerspruchsfrist genehmigt (mit der Folge, dass sie bereits in diesem Zeitpunkt wirksam geworden wären). Solche Genehmigungen liegen entgegen ihrer Ansicht nicht in den von der Schuldnerin bei der Beklagten eingereichten Beitragsnachweisungen, mit denen die Höhe der einzuziehenden Beitragsschuld mitgeteilt wird. Denn beim hier vorliegenden Einzugsermächtigungsverfahren kann die Genehmigung zur Belastung des Kontos des Schuldners nur gegenüber der Zahlstelle erklärt werden (BGH NJW 2000, 2667, Leitsatz 1 und S. 2668 m.w.N.), hier also gegenüber der ABN Amro Bank als Bank der Schuldnerin.

b)

Es handelt sich bei einer im Einzugsermächtigungsverfahren durch Lastschrift bewirkten Zahlung auch nicht um eine auflösend bedingte Gutschrift auf dem Konto des Lastschriftnehmers mit der Folge, dass diese Zahlungen unter § 140 Abs. 3 InsO fielen und für die Prüfung der Anfechtbarkeit der Ablauf der Widerspruchsfrist außer Betracht zu bleiben habe (vgl. Münchener Kommentar zur InsO/Kirchhof § 140 Rdn. 9, BGH NZI 2003, 253, 255). Denn der Bundesgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zum rechtlichen Charakter der Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren die sog. Genehmigungstheorie (vgl. BGH NJW 2005, 675, 676 m.w.N., auch zur Gegenmeinung in der Literatur). Danach steht die Gutschrift nicht unter einer auflösenden Bedingung. Vielmehr wird die Belastung des Schuldnerkontos erst durch die Genehmigung des Schuldners wirksam (vgl. BGH a.a.O.). Dem schließt sich der Senat an.

c)

Auch § 3 Abs. 3 Nr. 3 BZVO (Beitragszahlungsverordnung) führt zu keinem anderen Ergebnis. Wenn dort beim Vorliegen einer Einzugsermächtigung als Tag der Zahlung der Tag der Fälligkeit fingiert wird, bedeutet das nur, dass Verspätungen, die bei einem solchen Verfahren der Sphäre des Gläubigers zuzurechnen sind, sich nicht zu Lasten des Schuldners auswirken können. Dagegen geht die Fiktion nicht so weit, dass die Zahlung selbst fingiert wird. Das ergibt sich nach Auffassung des Senats schon daraus, dass die BZVO mit dieser Vorschrift offensichtlich nicht eine Zahlung und damit sogar die Erfüllung fingieren will, wenn etwa trotz Vorliegens einer Ermächtigung der Betrag gar nicht eingezogen wird oder die Einziehung keinen Erfolg hat (z.B. mangels Deckung oder bei einem Widerspruch). Deshalb bleibt es trotz der Fiktion des Datums der Zahlung (bei letztlich erfolgreich abgeschlossener Einziehung), dass solange ein Widerspruch noch möglich ist die rechtlichen Wirkungen noch nicht eingetreten sind. Erst wenn diese Wirkungen tatsächlich eingetreten sind, greift die Fiktion hinsichtlich des Zeitpunkts der Zahlung.

2.

Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die Berufung der Beklagten darüber hinaus bereits aus einem anderen Grunde erfolglos bleiben. Denn hiernach durfte der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters unabhängig von der Möglichkeit einer (späteren) Anfechtbarkeit sämtliche Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren widerrufen (BGH NJW 2005, 675). Der Beschluss des Insolvenzgerichts und damit die Reichweite des Treuhandverhältnisses zugunsten der Beklagten ist so zu verstehen, dass das Treuhandverhältnis auch dann nicht entstehen sollte, wenn ein solcher allgemeiner Widerruf aus insolvenzrechtlicher Sicht zulässig ist. Denn diese Frage war zu der Zeit höchstrichterlich noch nicht geklärt und umstritten. Darauf hatte das Amtsgericht auch ausdrücklich hingewiesen. Gerade wegen der Ungeklärtheit dieser und anderer Rechtsfragen und der Kürze der Zeit, die zur Prüfung zur Verfügung stand, wollte das Insolvenzgericht die Prüfung aller dieser Fragen dem späteren Insolvenzverfahren vorbehalten und mit der Einrichtung der evtl. Treuhand zugunsten der Beklagten (nur) sicherstellen, dass der Masse nicht Gelder zufließen, die ihr im Lichte der Klärung dieser Streitfragen nicht zustehen. Das ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich solcher Beträge, die aus bankrechtlichen Gründen noch "zurückgeholt" werden können, nicht der Fall. Sie sollen gerade der Masse zufließen können.

II. Berufung des Klägers

Die zulässige Berufung des Klägers ist dagegen begründet. Aufgrund der oben unter I. 2. erörterten Erwägungen ergibt sich dies ohne weiteres.

Aber selbst wenn es auf eine Anfechtbarkeit ankäme, hätte die Berufung Erfolg. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt und zusammenfassend BGH, Urt. v. 08.12.2005 IX ZR 182/01 Rdn. 14 f.) sowie des erkennenden Senats umfasst die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit auch die vom Arbeitgeber abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Zur Begründung wird auf die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs Bezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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