Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 27 U 209/00
Rechtsgebiete: BGB, VO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
BGB § 254
VO § 1
ZPO § 91
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 710
1.

Die materielle Rechtsfrage einer Haftung eines deutschen Skiläufers für einen im Ausland (hier: Italien) einem deutschen Staatsbürger zugefügten Schadens ist nach materiellem deutschen Recht zu entscheiden.

2.

Die Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen beim Skilaufen richten sich nach den Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS-Regeln). Danach ist beim Abfahren das Sichtfahrgebot zu beachten und darf nur so schnell gefahren werden, dass bei Annäherung an andere noch sicher ausgewichen oder notfalls auch angehalten werden kann. Den Regeln der Wartepflicht unterliegt nur derjenige, der sich aus dem Stand in Bewegung setzt, während der in Fahrt befindliche Skiläufer auch bei einer Querbewegung zum Hang den Schutz der FIS-Regel 3 genießt, nach der derjenige, der von oben schneller aufschließt, auf den unterhalb Fahrenden achten und diesem ggf. ausweichen muß.

Die Feststellung eines Schuldvorwurfes gegen den Anfahrenden setzt voraus, dass dieser das Vorrecht wahrnehmbarer, fahrender und in Annäherung befindlicher Skiläufer mißachtet hat.

3.

Bei einem Skiunfall scheidet ohne konkrete objektivierbare Anknüpfungspunkte eine sachverständige technische Verlaufsanalyse regelmäßig zur Klärung des Herganges aus.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 17. Mai 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht und

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 27. September 2000 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 8.500 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können durch Prozessbürgschaft eines in Deutschland als Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

Das Urteil beschwert den Beklagten mit mehr als 60.000 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt restlichen, insgesamt vollen Ersatz ihres materiellen Schadens und Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für ihren gesamten Schaden aus einem Skiunfall, der sich am 9.4.1992 auf einer Skipiste des Monte Della Neve Livigno in Italien ereignete. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hat - nach Kürzung bei den Krankenhauskosten - zwei Drittel des geltend gemachten Schadens reguliert. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz darum, ob die Klägerin sich ein ihre Ansprüche um ein Drittel minderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen muss.

Am Unfalltag gegen 15:00 Uhr fuhr die Klägerin als Mitglied einer neben ihr aus ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Neffen bestehenden Skiläufergruppe auf besagter Piste zu Tal. Kurz vor Erreichen der späteren Unfallstelle machte die Gruppe am - talwärts gesehen - linken Pistenrand oberhalb einer Kante, jenseits derer die Piste deutlich steiler als zuvor in eine Mulde führt, eine Pause. Kurz nachdem die Gruppe mit der Klägerin in zweiter Position hinter ihrem Ehemann wieder in die Piste eingefahren war, kam es unterhalb der vorgenannten Pistenkante zwischen dem ebenfalls auf Skiern zu Tal fahrenden Beklagten und der Klägerin zu einer Kollision, bei der diese schwerste Verletzungen davontrug.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte sei mit erheblicher Geschwindigkeit in sogenannter "Schuss-Haltung" die Piste heruntergefahren, weil er sich mit dem ihn begleitenden Zeugen S. ein Rennen geliefert habe. Sie selbst sei mit der Gruppe erst schräg abwärts in die Piste eingefahren, nachdem sie sich vergewissert gehabt habe, dass dadurch keine von oben herannahenden Skifahrer gefährdet würden. Der Beklagte hat eine unangemessene Geschwindigkeit bei seiner angeblich "wedelnd" durchgeführten Abfahrt in Abrede gestellt und der Klägerin als Mitverschulden vorgeworfen, entgegen der FIS-Regel Nr. 5 ohne ausreichende Vergewisserung hangaufwärts von der Gefahrlosigkeit in die Piste eingefahren zu sein. Die Sicht aufeinander sei für beide Seiten in gleicher Weise gegeben bzw. nicht gegeben gewesen.

Das Landgericht hat zunächst durch Versäumnisurteil der hauptsächlich auf Zahlung von 148.553,41 DM und Feststellung voller Ersatzpflicht für den aus dem Skiunfall vom 9.4.1992 entstandenen Schaden gerichteten Klage stattgegeben. Auf den Einspruch des Beklagten hat es nach Vernehmung der übrigen Mitglieder der Gruppe, zu der die Klägerin gehörte, sowie des Begleiters S. des Beklagten als Zeugen mit dem angefochtenen Grund- und Teilurteil sein Versäumnisurteil teilweise abändernd den Zahlungsantrag für dem Grund nach gerechtfertigt erklärt und den Feststellungsausspruch präzisierend erneuert. Es hat die Körperverletzung durch den Beklagten als grob fahrlässig bis an die Grenze des bedingten Vorsatzes erachtet, indem der Beklagte in - durch das Zeugnis seines Begleiters S. bewiesener - Schussfahrt in eine für ihn nicht einsehbare Hangmulde eingefahren sei. Demgegenüber sei ein Mitverschulden der Klägerin nicht erwiesen, nachdem die Gruppe, der der Beklagte angehörte, im langsameren und für ihre, der Klägerin, Einfahrt ungefährlichem Wedeltempo die Piste herabgekommen sei, so dass die Klägerin bei ihrem Anfahrentschluss nicht damit habe rechnen müssen, dass sich einzelne Fahrer daraus plötzlich in Schussfahrt überwechselnd lösen würden. Der Vorwurf eines Mitverschuldens aufgrund einer entgegen den FIS-Regeln durchgeführten Querfahrt greife schon deshalb nicht, weil eine solche Fahrt mit den Aussagen der zur Gruppe der Klägerin gehörenden, gleichwohl glaubwürdigen Zeugen auszuschließen sei.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er hält an dem Vorwurf fest, die Klägerin habe - ihr Mitverschulden in Höhe eines Drittels begründend - gegen die FIS-Regeln 5, 6 und 1 verstoßen, indem sie vom Rand her quer in die Piste eingefahren sei, ohne sich nach oben zu vergewissern, dass sie nicht die Fahrspur schnellerer Skifahrer kreuzte. Zum einen habe die Klägerin mit ihrer Gruppe den Hang "gequert", wie der zeitnahe Unfallbericht des Zeugen W an den Haftpflichtversicherer vom 15.4.1993 erweise. Im übrigen habe die Klägerin selbst ohne Parallelquerung des Hanges dem Beklagten als dem in kurzen Schwüngen Fahrenden den Vorrang gewähren müssen, weil sie zumindest die Piste in voller Breite, in weitem, von einer Seite zur anderen reichenden Schwung, mithin erheblich langsamer, in Anspruch genommen habe.

Auch seien der Beklagte und sein Begleiter für die Klägerin zum Zeitpunkt deren Losfahrens schon sichtbar gewesen, was sich daraus erweise, dass sich der Zusammenstoß frühzeitig nach dem Start der Klägerin von der Seite aus ereignet habe, nämlich als diese die Mitte der Piste noch nicht erreicht gehabt habe. In dieser Anfahrsituation habe sie den schnelleren Skifahrern den Vorrang gewähren müssen. Dass der Beklagte mit 100 km/h oder auch nur in Schussfahrt herangekommen sei, sei falsch. Diese Behauptung der Klägerin finde in der Aussage des Zeugen S keinen brauchbaren Anhalt.

Der Beklagte beantragt, abändernd die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wirft dem Beklagten weiterhin einen groben Verstoß gegen die FIS-Regeln Nrn. 1 bis 3 vor, indem dieser mit völlig unangepasster Geschwindigkeit auf die für ihn nicht einsehbare Mulde zugefahren sei, obwohl er, das Anfahren der Skiläufergruppe mit der Klägerin in die Mulde hinein ebenso wie der Zeuge S wahrgenommen haben müsse. Dagegen sei ihr, der Klägerin, kein Mitverschulden anzulasten, namentlich habe sie nicht gegen die FIS-Regel Nr. 5 verstoßen. Zum einen erfasse nämlich diese Regel seit ihrer Änderung in 1990 ausdrücklich nicht mehr das Queren der Piste, so dass dem einmal in die Piste eingefahrenen Skiläufer der Vorrang nach der Regel Nr. 3 gegenüber den von oberhalb herannahenden gebühre. Vor allem jedoch habe sie die Piste gar nicht gequert, sondern sei schräg nach unten gefahren. Vor Umsetzung ihres Anfahrentschlusses habe sie noch nicht wahrnehmen können oder damit rechnen müssen, dass der Beklagte sich - Schussfahrt aufnehmend - aus seiner Skiläufergruppe lösen würde. Das erweise der Umstand, dass sie bis zum Zusammenstoß die Mitte der Piste bereits erreicht gehabt habe. Selbst wenn ihr ein allenfalls als gering zu bewertendes Verschulden angelastet werden könnte, indem sie beim Anfahren die Geschwindigkeit der von oberhalb herannahenden Läufergruppe unterschätzt hätte, träte dieses hinter der so bewerteten groben Rücksichtslosigkeit des Beklagten vollständig zurück.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Unfall vom 9.4.1992 dem Grunde nach aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB in voller Höhe zu. Eine Kürzung gemäß § 254 BGB wegen eines Mitverschuldens ist nicht gerechtfertigt.

I.

Anzuwenden ist materielles deutsches Recht. Da beide Parteien Deutsche sind, folgt dies aus § 1 der VO über die Rechtsanwendung bei Schädigung deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets vom 7.12.1942. Die VO ist zwar zum 1.6.1999 außer Kraft gesetzt, aber auf den Unfall von 1992 noch anzuwenden; zu den Folgen des Fehlens einer Übergangsregelung vgl. Palandt-Heldrich, 60. Aufl. Rz. 1 vor Art. 38 EGBGB. Andernfalls würde dasselbe Ergebnis aus Art. 40 Abs. 2 S. 1 EGBGB in der seit dem 1.6.1999 bestehenden Fassung folgen.

Die konkreten Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen beim Skilaufen richten sich im übrigen nach einhelliger Ansicht jedenfalls in allen Alpenländern übereinstimmend nach den Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS-Regeln) als dort geltendem Gewohnheitsrecht; vgl. Dambeck, "Piste und Recht", 3. Aufl., Rz. 9; ders. in DAR 1993, 132 und Scheuer in DAR 1990, 121.

II.

Das unfallursächliche Verschulden des Beklagten ist - auch als überwiegend - zu Recht nicht streitig. Die Richtigkeit der Folgerung des Zeugen S., dass der Beklagte ihm unmittelbar in die Schussfahrt gefolgt ist, ergibt sich aus seiner Wahrnehmung, dass der Beklagte "sehr nah" hinter ihm blieb und die Zusammenstöße des S. mit dem Ehemann der Klägerin und des Beklagten mit der Klägerin "praktisch im gleichen Augenblick" (Zeugin B.) erfolgten. Der Beklagte hat mit seiner Schussfahrt gegen die FIS-Regeln 1-3 verstoßen, insbesondere gegen die Gebote der Nr. 2, "auf Sicht" zu fahren, und Nr. 3, dem vor ihm bzw. unterhalb fahrenden Skifahrer gefährdungsvermeidend auszuweichen. Das Sichtfahrgebot gilt gerade für nicht einsehbare Strecken, vor denen die Fahrt entsprechend verlangsamt werden muss, vgl. die Rechtsprechungszitate bei Dambeck a. a. O. Rz. 98:

LG Freiburg im Breisgau 10.03.1977, 1 O 320/75; Der Beklagte war verpflichtet, seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er auch vor einem (jenseits eines Geländebuckels) plötzlich auftauchenden Skifahrer rechtzeitig anhalten oder derart ausweichen konnte, dass ein Zusammenstoß vermieden würde. Dies gilt auch dann, wenn ein Halteschwung versucht worden ist, der Skifahrer jedoch bis zur Kollision weitergerutscht ist. Der Halteschwung kam dann wegen der zu geringen Sichtweite oder wegen der zu hohen Geschwindigkeit zu spät...

OLG Nürnberg 30.05.1985, 2 U 973/85: Skiläufer hat Geschwindigkeit, Fahrweise und Beobachtung so einzurichten, dass er vor ihm fahrende Skiläufer auch dann nicht gefährdet, wenn diese aus einem zuvor nicht einsehbaren Pistenteil (Bucht) herausfahren; insbesondere bei der Schussfahrt ist ein Skiläufer meist nicht in der Lage, seine Fahrt so zu beherrschen, dass er sie den wechselnden Gegebenheiten anpassen und dass er bei einer Annäherung an andere noch sicher ausweichen oder gar anhalten kann, was FIS-Regel 2 jedoch von ihm verlangt. Auch beschränkt die beim Schussfahren vielfach eingenommene tiefe Haltung die eigenen Sichtmöglichkeiten. Schussfahren ist deshalb nur dort erlaubt, wo auf der ganzen Strecke mit keinen anderen Fahrern gerechnet werden muss; so Dambeck a. a. O. Rz. 96.

III.

Ein Mitverschulden der Klägerin ist dagegen nicht erweislich. Ihr Verhalten bei dem Anfahrentschluss vom Pistenrand ist an der FIS-Regel 5 in der seit 1990 geltenden Fassung zu messen. Sie lautet:

Jeder Skifahrer, der in eine Skiabfahrt einfahren oder nach einem Halt wieder anfahren will, muss sich nach oben und unten vergewissern, dass er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann.

Soweit der Beklagte der Klägerin immer noch vorwirft, diese Regel beim Queren der Piste nicht beachtet zu haben, verkennt er zweierlei:

Zum einen gilt die Regel nach ihrer gezielt in diese Richtung vorgenommenen Änderung im Jahr 1990 nicht mehr für den Querenden. Durch die Änderung ist klargestellt, dass nur noch zwischen stehenden und fahrenden Pistenbenützern unterschieden werden muss. Bei den Letztgenannten sind Fahrtempo, Neigungswinkel und mehr oder weniger vollständiges Ausnützen der Pistenbreite (Schrägfahrten) keine diskutablen Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmale. Wer sich unter - auch äußerst geringfügiger - Ausnützung von Hangneigung und Schwerkraft bewegt, der fährt und unterliegt nicht mehr der FIS-Regel 5, sondern genießt gegenüber von hinten oder oben kommenden Skifahrern wieder den Vorrang gemäß FIS-Regel 3; Dambeck a. a. O. Rz. 123f.

So schafft die FIS-Regel 5 eine korrespondierende Ergänzung zu den Pflichten des von oben kommenden Skifahrers. Die Beobachtungs- und Wartepflicht des Stehenden begründet für ihn keinen Vorrang, vielmehr muss er weiterhin seine Fahrweise an den FIS-Regeln 2 und 3 orientieren. Bei ausreichender Entfernung hat nämlich der einfahrende Skifahrer seiner Beobachtungspflicht genüge getan, ohne dass hieraus - wegen der großen Entfernung - eine Wartepflicht entstanden wäre; Dambeck a. a. O. Rz. 121.

Zum anderen hat die Klägerin die Piste auch nicht im Sinne der alten Regel und der dazu ergangenen Rechtsprechung gequert. Von einem Queren kann nur gesprochen werden, wenn (Dambeck a. a. O. Rz. 125) der Bewegungsverlauf auf einer im Verhältnis zum Pistengefälle waagerechten Linie erfolgt, hierdurch ein höhengleicher Standpunkt am gegenüberliegenden Pistenrand angestrebt wird, bei der Fortbewegung allenfalls Schritttempo erreicht, also keine Fahrt aufgenommen wird.

Nach allen Zeugenaussagen ist die Klägerin mit ihrer Gruppe schräg talabwärts gefahren. Auch wenn der Winkel zur Pistenquerrichtung damit nicht genau umschrieben ist, ergibt sich doch allein aus der Fahrtaufnahme und dem Verschwinden der Gruppe aus dem Sichtbereich des Beklagten in die Mulde unterhalb der Steilhangstrecke, dass die Klägerin zu Tal fuhr und nicht einen etwa höhengleichen Standpunkt am jenseitigen Pistenrand anstrebte.

Soweit der Zeuge W in seinem vom Beklagten bemühten Zeugenbericht vom 19.4.1993 noch ein Fahren "fast quer über die Piste" angegeben hat, hat er das auf entsprechenden Vorhalt schon bei seiner Vernehmung durch das Landgericht richtig gestellt. Wenn die Bewegung nicht "schräg nach unten" gerichtet gewesen wäre, hätte er gar nicht von "Fahren" sprechen können, weil nur so die Ausnutzung von Hangneigung und Schwerkraft möglich war.

Die Klägerin hätte allenfalls dann gegen die FIS-Regel 5 verstoßen, wenn bei der von ihr zu fordernden Beobachtung der von oben herannahenden Skifahrer schon vor ihrem Anfahrentschluss erkennbar war, dass der Beklagte oder dessen Begleiter S. in Schussfahrt übergehend sich aus der - für die Klägerin sichtbaren - Gruppe gelöst hatten. Das Herannahen jener Gruppe in wedelnden Schwüngen begründete, wie der weitere Geschehensablauf zeigt, noch keine Kollisionsgefahr. Nur aus einer bereits begonnenen Schussfahrt des von oben Herannahenden hätte sie womöglich erkennen können, dass sie dessen Weg nicht rechtzeitig würde räumen können und deshalb die Einfahrt in die Piste zurückstellen müsse.

Der dahingehende Vorwurf des Beklagten ist indes auch durch ein Sachverständigengutachten, insbesondere ein Zeit-Weg-Diagramm, wie es bei der Rekonstruktion von Straßenverkehrsunfällen üblich ist, nicht zu erhärten. Hierzu fehlt es an der Feststellbarkeit der erforderlichen Anknüpfungstatsachen, die allein dem Sachverständigen eine gesicherte Rückrechnung erlauben wurden. Die Geschwindigkeiten der beiden unfallbeteiligten Skifahrer sind unbekannt und nicht aus Spuren oder dem "Schadensbild" abzuleiten. Entsprechendes gilt für genaue Lage des Kollisionspunktes und die Ausgangsposition des Beklagten bei Beginn seiner Schussfahrt. Die Aussagen der vom Landgericht vernommenen Zeugen geben kein hinreichend genaues Bild. Allein die Breite der Piste im Unfallabschnitt könnte vermutlich noch durch eine Besichtigung aufgeklärt werden; das führt jedoch mit den ungenauen Aussagen der Zeugen nicht weiter. Nach Bekundung des Ehemanns der Klägerin war er als Vorausfahrender über die Mitte der Pistenbreite hinaus, als sich die Zusammenstöße ereigneten. Die Tochter hat ausgesagt, die Klägerin habe sich "ungefähr genau" in der Mitte der Piste befunden. Für den Zeugen S hat sein Zusammenstoß mit dem Ehemann der Klägerin im dritten Viertel der Piste von rechts stattgefunden, der Ehemann soll bei seiner Wahrnehmung durch den Zeugen als akute Gefahr 5 bis 10 m unterhalb der Kante gewesen sein. Zur genauen Startposition der Gruppe der Klägerin und dem Winkel ihrer Fahrt "schräg nach unten" haben die Zeugen keine Angaben gemacht. Noch weniger gesichert ist die Bestimmung der Position des Beklagten bei Beginn seiner Schussfahrt, zu der allein der Aussage seines Begleiters S mittelbar verwertbare, dabei aber sehr ungenaue Angaben zu entnehmen sind. Danach hatte die Gruppe mit dem Beklagten zunächst "circa 150 bis 200 Meter vor der Kante, an der der Unfall passiert ist," gehalten. Man ist dann zunächst in Schwüngen losgefahren und "ab der Hälfte" der Strecke bis zur Kante begann seine Schussfahrt, in die der Beklagte ihm folgte. Insbesondere ist dieser Aussage nicht zu entnehmen, dass sich die Gruppe mit der Klägerin erst nach Aufnahme der Schussfahrt in Bewegung setzte, vielmehr hatte sie sich bereits in Bewegung gesetzt, als der Zeuge dies so registrierte.

Diese mannigfachen Ungenauigkeiten aller Ausgangsparameter schließen eine auch nur annähernd zuverlässige Unfallrekonstruktion durch ein Zeit-Weg-Diagramm aus. Sie sind mit einer bloßen Wiederholung der vom Landgericht erschöpfend vorgenommenen Beweisaufnahme nicht zu beheben, auch weil der Unfall bereits ca. neun Jahre zurück liegt und nichts dafür spricht, dass das Erinnerungsvermögen der Zeugen gegenüber ihrer letzten Vernehmung jetzt noch ein zuverlässigeres Bild ergeben könnte.

Die Nachteile aus der Begrenztheit der Aufklärbarkeit des Unfallablaufs hat der für das Mitverschulden der Klägerin beweispflichtige Beklagte zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 710 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Beklagten mit mehr als 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

Zurück